Mitwirkungspflicht des Halters im OBG bzgl. Lenkerermittlung

BGE 6B_1007/2016: Halterhaftung und Lenkerermittlung nach OBG (gutgeheissene Beschwerde)

Die Beschwerdeführerin, eine Mietwagenfirma, hat ein Fahrzeug an eine in den USA wohnhafte Person vermietet. Diese überschritt die Geschwindigkeit im Ordnungsbussenbereich. Nachdem die Polizei eine Übertretungsanzeige verschickt hat, hat die Beschwerdeführerin die Lenkerangaben gemacht und ebenfalls den Mietvertrag eingeschickt. Nachdem der Lenker aus den USA auf seine Übertretungsanzeige nicht reagierte, forderte die Polizei wiederum die Mietwagenfirma auf, die Busse zu bezahlen. Die kantonalen Instanzen verurteilten die Beschwerdeführerin zur Zahlung der Ordnungsbusse, das BGer heisst die Beschwerde gut.

Grds. geht es i.c. um die Frage der Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG.

E. 1.4. zum Halterbegriff: „Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 OBG, wonach die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt wird, wenn nicht bekannt ist, wer eine Widerhandlung begangen hat, ist auf den formellen Halterbegriff abzustellen.“ „Grundsätzlich können Halter eines Motorfahrzeugs sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.“

E. 1.5. zur Mitwirkungspflicht des Halters: „[Die Halter] haben die Möglichkeit, sich zu exkulpieren, nämlich dann, wenn sie glaubhaft darlegen können, dass das Fahrzeug vor Begehung der Widerhandlung gegen ihren Willen benutzt worden ist (zum Beispiel durch Diebstahl oder durch Entwendung zum Gebrauch oder zur Veruntreuung) und sie dies auch mit entsprechender Sorgfalt nicht hätten verhindern können (Botschaft, BBl 2010 8517 f.).“ „Zweifellos darf es sich bei den von einem Halter gemachten Angaben nach Art. 6 Abs. 4 OBG nicht um eine wenig plausible Information handeln. Auch muss Name und Adresse des Fahrzeugführers vollständig sein, d.h. der Halter muss genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers machen, so dass dieser individualisierbar ist (vgl. Botschaft, BBl 2010 8487).“

Vorliegend hat die Mietwagenfirma nicht nur Name und Adresse des Lenkers genannt, sondern auch den Mietvertrag eingereicht, nach welchem der Mieter die einzige Person war, die berechtigt war, den Mietwagen zu lenken. Damit hat der Halter seine Pflicht getan, die faktische Uneinbringlichkeit der Busse ist Sache der Strafbehörden.

Anordnung Blutprobe, Mitteilungen zw. Behörden

BGE 6B_942/2016: Zuständigkeit Anordnung Blutprobe (Bestätigung Rechtsprechung, teilw. Gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde bei einer Polizeikontrolle einem Drogenschnelltest unterzogen, welcher ein positives Ergebnis auf Cannabiskonsum ergab. Die Blutprobe ergab aber keinen THC-Wert, sondern nur Stoffwechsel-Abbauprodukte. Bzgl. Vorwurf des FuD gab es eine Einstellung, der Cannabiskonsum wurde mit Strafbefehl gesühnt. Gegen die Kostenfolge der Einstellungsverfügung wehrt sich der Beschwerdeführer bzgl. Entschädigungen, Beweismittelverwertbarkeit und die Mitteilung der Einstellung an das Strassenverkehrsamt und die Polizei.

E. 3.2. zum Schadenersatz wegen der vorläufigen Abnahme: „Das Bundesgericht hat bereits festgehalten, dass die Regelung von Art. 54 Abs. 3 SVG zum Polizeirecht gehört, weshalb die Bestimmungen der Strafprozessordnung keine Anwendung finden. Allfällige Entschädigungsansprüche (einschliesslich Anwaltskosten), die im Zusammenhang mit der Abnahme des Führerausweises stehen, sind daher im kantonalen Verwaltungsverfahren geltend zu machen (Urteil 6B_178/2015 vom 26. August 2015 E. 2 und 3.3 mit Hinweisen).“

E. 5.2. zur Rechtmässigkeit der Blutprobe: „Bei der Blutentnahme handelt es sich um eine Zwangsmassnahme, welche selbst dann von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden muss, wenn der Betroffene in diese einwilligt. Für eine kantonale Bestimmung, welche die Zuständigkeit für die Anordnung einer Blutprobe unter bestimmten Bedingungen der Polizei überträgt, besteht kein Raum (Urteil 6B_1000/2016 vom 4. April 2017 E. 2.3.1 und 2.3.2 mit Hinweisen).“ „Die Blutprobe wurde ohne Zutun der Staatsanwaltschaft von der Polizei angeordnet (Akten Staatsanwaltschaft, act. A4). Es handelt sich somit um eine rechtswidrige Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 431 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet…“

E. 6.2. zur Übermittlung der Einstellungsverfügung u.a. an das StVA: „Nach Art. 73 Abs. 1 StPO sind die Mitglieder von Strafbehörden verpflichtet, Stillschweigen hinsichtlich Tatsachen zu bewahren, die ihnen in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit zur Kenntnis gelangt sind. Art. 75 Abs. 4 StPO bestimmt, dass Bund und Kantone die Strafbehörden zu Mitteilungen an Behörden verpflichten oder berechtigen können.“ „Nach Art. 104 Abs. 1 SVG müssen die Polizei- und Strafbehörden der zuständigen Behörde alle Widerhandlungen melden, die eine im Strassenverkehrsgesetz vorgesehene Massnahme nach sich ziehen könnten.“ „Die Einstellungsverfügung wurde erlassen, weil der Beschwerdeführer 1 nicht im fahrunfähigen Zustand gefahren war. Somit liegt gerade keine Widerhandlung vor, welche dem Strassenverkehrsamt zu melden wäre. Auch ist nicht erkennbar, inwiefern die zur Diskussion stehende Einstellungsverfügung eine Administrativmassnahme nach sich ziehen könnte. Für die Mitteilung an das Strassenverkehrsamt besteht somit keine gesetzliche Grundlage.“

Kostenauflage bei Einstellung, Cannabis und Persönlichkeitsverletzung

BGE 6B_1273/2016: Kostenauflage trotz Einstellung wegen Cannabisbesitz (Bestätigung Rechtsprechung, Kategorie Nice-to-Know)

Der Beschwerdegegner wurde von der Polizei mit 0.5g Marihuana und 0.1 Gramm Haschisch erwischt. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein, auferlegt die Kosten aber dem Beschwerdegegner gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO. Dieser erreicht im Rechtsmittelverfahren, dass er die Verfahrensgebühren nicht bezahlen muss. Das BGer weist die Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen ab und spricht den Beschwerdegegner von sämtlichen Verfahrenskosten frei.

E. 1.4. zur Kostenauflage gemäss StPO bei Einstellung.

E. 1.5.1. zur Straflosigkeit: „Wer nur eine geringfügige Menge eines Betäubungsmittels für den eigenen Konsum vorbereitet oder zur Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums einer Person von mehr als 18 Jahren unentgeltlich abgibt, ist nicht strafbar (Art. 19b Abs. 1 BetmG). 10 Gramm eines Betäubungsmittels des Wirkungstyps Cannabis gelten als geringfügige Menge (Art. 19b Abs. 2 BetmG).“

E. 1.6.2. zur teilweisen Auflage von Kosten: „Die Vorinstanz erwägt daher zu Recht, der Beschwerdegegner sei nicht strafbar, soweit er eine geringfügige Menge Marihuana und Haschisch für den eigenen Konsum vorbereitete. Dagegen verletzt sie Bundesrecht und Konventionsrecht, indem sie ihm vorwirft, der Besitz von Marihuana und Haschisch sei im Grundsatz verboten. Wie oben dargelegt, fällt der blosse Besitz von geringfügigen Drogenmengen zu Konsumzwecken unter Art. 19b BetmG und ist straflos. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann somit nicht gesagt werden, der Beschwerdegegner habe sich rechtswidrig und schuldhaft im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO verhalten, indem er geringfügige Drogenmengen zu Konsumzwecken besass.“

Wir können also unsere Duftsäcke beruhigt mit uns herumschleppen.

 

BGE 6B_1172/2016: Kostenauflage trotz Einstellung wegen zivilrechtlicher Persönlichkeitsverletzung (Bestätigung Rechtsprechung, aus der Kategorie Nice-to-Know)

Die Beschwerdeführerin wehrt sich gegen die Kostenauflage im Strafverfahren gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO. In diesem wurden Ihr Ehrverletzungsdelikte vorgeworfen, das Strafverfahren wurde aber wegen Verjährung eingestellt. Wegen der Persönlichkeitsverletzung gegenüber der Strafantragsteller auferlegte die obere kantonale Instanz die Kosten des Strafverfahrens der Beschwerdeführerin.

E. 1.3 zur StPO: Sofern die beschuldigte Person das Strafverfahren schuldhaft bewirkt, können ihr trotz Einstellung oder Freispruch die Kosten auferlegt werden, wobei die Kostenauflage nicht gegen die Unschuldsvermutung verstossen darf. „Damit käme die Kostenauflage einer Verdachtsstrafe gleich. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einer nicht verurteilten beschuldigten Person die Kosten zu überbinden, wenn sie in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verletzt und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat.“ „Zwischen dem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten sowie den durch die Untersuchung entstandenen Kosten muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen.“

E. 1.6ff. zur Widerrechtlichkeit: Nach Ansicht der Beschwerdeführerin seien die Tatbestände von Art. 28 ZGB und Art. 173 StGB identisch seien, weshalb die Kostenauflage gegen die Unschuldsvermutung verstösst. Das BGer verneint dies: „Der strafrechtliche Ehrbegriff ist enger als der zivilrechtliche. Indem der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz unter anderem auch das gesellschaftliche und berufliche Ansehen einer Person, also ihre „soziale Geltung“ umfasst, schützt er die Ehre weitergehend als das Strafrecht, das nur die Geltung eines Menschen als sittliche Person gewährleistet, d.h. seinen Ruf, ein achtenswerter, ehrbarer Mensch zu sein.“ „Gemäss der dargestellten bundesgerichtlichen Rechtsprechung verletzt die Vorinstanz die Unschuldsvermutung nicht, indem sie einen Sachverhalt feststellt, der sich unter Umständen auch unter den Tatbestand von Art. 173 Ziff. 1 StGB subsumieren liesse.“