Was ist genau eine Einspurstrecke?

BGE 6B_216/2018:

Die Strafbehörden werfen dem Beschwerdeführer vor, auf der Autobahn rechts überholt zu haben. Dieser entgegnet, dass er sich auf einer Einspurstrecke befunden habe, auf welcher man rechts überholen darf.

E. 1 zur Einspurstrecke: Eine Einspurstrecke ist ein Fahrstreifen, der zum Einspuren bestimmt ist und mit Einspurtafeln, die ein Fahrziel angeben, gekennzeichnet ist (E. 1.3). Nach Art. 35 Abs. 1 SVG muss links überholt werden, woraus das Rechtsüberholverbot abgeleitet wird. “ Überholen liegt vor, wenn ein schnelleres Fahrzeug ein in gleicher Richtung langsamer vorausfahrendes einholt, an ihm vorbeifährt und vor ihm die Fahrt fortsetzt, wobei weder das Ausschwenken noch das Wiedereinbiegen eine notwendige Voraussetzung des Überholens bildet“. Gemäss Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV darf man aber auf Einspurstrecken rechts an anderen Fahrzeugen vorbeifahren, sofern für die einzelnen Fahrstreifen unterschiedliche Fahrziele signalisiert sind (E. 1.4). Der Beschwerdeführer ist dabei der Ansicht, dass pro Fahrstreifen auch mehrere Ziele signalisiert werden können. Dem widerspricht das Bundesgericht. Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV muss im Lichte des Rechtsüberholverbots eng ausgelegt werden, da Rechtsüberholen nach wie vor eine ernstliche Gefahr für den Verkehr darstellt (E. 1.6). Deshalb kann die Ausnahme von Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV nur gelten, wenn ausschliesslich ein Fahrziel auf der Einspurstrecke signalisiert ist, weil nur dann davon ausgegangen werden kann, dass der linksfahrende nicht doch einen Spurwechsel auf seine Normalspur vornehmen wird.

E. 2 zum Verbotsirrtum: Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er einem Rechtsirrtum unterlegen ist. Der Irrtum darf dabei nicht vermeidbar sein. „Von Inhabern eines Führerausweises wird grundsätzlich erwartet, dass sie die Verkehrsregeln kennen. Liegen Zweifel an der Rechtmässigkeit eines Manövers vor, ist dieses nicht vorzunehmen.“ Mit dieser Argumentation dürfte wohl jeder Irrtum über die Strassenverkehrsregeln vermeidbar sein.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Grundrechte und der Kaskadensicherungsentzug

BGE 1C_312/2018:

Der Entscheid ist interessant, weil er sich etwas vertiefter mit der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 36 BV bei Berufsfahrern befasst, die von SVG-Massnahmen betroffen sind. Der Beschwerdeführer ist Taxifahrer. Er wehrt sich gegen den Kaskaden-Sicherungsentzug gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG und rügt u.a., dass die Sicherungsmassnahme seine persönliche und wirtschaftliche Freiheit verletzt.

E. 3 zum Schematismus bei Geschwindigkeitsüberschreitungen

E. 4 zum Grundrechtseingriff: Faktisch bedeutet der mind. zweijährige Ausweisentzug ein Berufsverbot für den Beschwerdeführer und Taxifahrer. Seine Widerhandlung mit bloss abstrakter Gefährdung genüge nicht, um einen derart heftigen Eingriff in seine Grundrechte zu rechtfertigen. Das BGer bestätigt, dass durch die SVG-Massnahme in die persönliche und die Wirtschaftsfreiheit eingegriffen wird. Der Eingriff beruht allerdings auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage. Zudem begünstigt die Fernhaltung des Beschwerdeführers vom Strassenverkehr die Verkehrssicherheit und liegt damit im öffentlichen Interesse. Im Rahmen der Verhältnismässigkeit muss der Eingriff geeignet, erforderlich und zumutbar sein. Das Verhältnismässigkeitsprinzip wird zwar in Art. 16 Abs. 3 SVG konkretisiert, wonach die Einzelfallumstände im Administrativmassnahmenverfahren berücksichtigt werden müssen. Allerdings dürfen die Mindestentzugsdauern nicht unterschritten werden. „Obwohl der Führerausweisentzug den Beschwerdeführer als Berufschauffeur schwer trifft, ist er ihm nach der vom Gesetzgeber selber in den Art. 16 ff. SVG getroffenen – und für das Bundesgericht verbindlichen (Art. 190 BV) – Konkretisierung des Verhältnismässigkeitsprinzips auch zumutbar.“

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Ist Amphetamin eine harte oder weiche Droge?

BGE 1C_258/2018:

Die Beschwerdeführerin wehrt sich gegen den vorsorglichen Entzug und die Fahreignungsabklärung, die vom Strassenverkehrsamt Schwyz angeordnet wurden. Die Blutprobe ergab nämlich, dass sie beim Autofahren fahrfähig war. Trotzdem stützt das BGer den behördlichen Entscheid und weist die Beschwerde ab.

E. 3. zur Rechtslage: Führerausweise werden entzogen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung nicht mehr bestehen, z.B. wenn jemand an einer Sucht leidet (Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG und Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG). Das BGer liefert eine die Rechtsprechung zusammenfassende Definition der Drogensucht im verkehrsrechtlichen Sinne:

„Drogensucht wird nach der Rechtsprechung bejaht, wenn die Abhängigkeit von der Droge derart ist, dass der Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich ans Steuer eines Fahrzeugs in einem – dauernden oder zeitweiligen – Zustand zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewährleistet. Im Interesse der Verkehrssicherheit setzt die Rechtsprechung den regelmässigen Konsum von Drogen der Drogenabhängigkeit gleich, sofern dieser seiner Häufigkeit und Menge nach geeignet ist, die Fahreignung zu beeinträchtigen. Auf fehlende Fahreignung darf geschlossen werden, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, Drogenkonsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder wenn die naheliegende Gefahr besteht, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt.“

„Jedoch erlaubt an sich nicht jeder regelmässige Konsum von Drogen schon den Schluss auf eine fehlende Fahreignung. Regelmässiger Drogenkonsum erweckt dann berechtigte Zweifel an der Fahreignung, wenn zusätzliche Anzeichen bestehen, der Betroffene könnte nicht in der Lage sein, zuverlässig zwischen Drogenkonsum und Strassenverkehr zu trennen. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich etwa aus dem Konsumverhalten der Betroffenen, ihrer Vorgeschichte – namentlich hinsichtlich einschlägigen Drogenmissbrauchs im Strassenverkehr – sowie ihrer Persönlichkeit (E. 3.1.).“

Bestehen Zweifel an der Fahreignung, so ist als Grundregel zu Gunsten der Verkehrssicherheit auch ein vorsorglicher Entzug der Fahrerlaubnis anzuordnen (E. 3.2.).

Art. 15d SVG enthält neben dem Grundtatbestand in Abs. 1 auch div. Beispiele, in welchen die die Zweifel grds. gegeben sind, z.B. wenn jemand „harte“ Drogen im Auto mitführt. In der Folge dreht sich die Frage darum, ob Amphetamin zu den harten Drogen zu zählen ist (E. 3.4.).

E. 4. zum Amphetamin: Die Beschwerdeführerin hatte 47,4g Amphetamin im Auto dabei. Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, dass Amphetamin zu den weichen Drogen zu zählen sei. Die Lehre hingegen ist der Auffassung, dass Amphetamine und Designerdrogen tendenziell zu den harten Drogen zu zählen sind, da bei regelmässigem Konsum durchaus auch Abhängigkeitspotenzial besteht. Das Bundesgericht lässt die Frage offen, da es bereits aufgrund der Generalklausel auf fehlende Fahrfähigkeit schliesst.

E. 5 zur Fahreignung: Das BGer rechnet aus, dass 47,4g Amphetamin ca. 2370 – 4740 Einzeldosen entspricht. Die Beschwerdeführern hat angegeben, die Menge reiche für zwei Jahre, also 730 Tage, womit sie täglich 3-6 mal konsumieren könne. Zudem hat die Beschwerdeführerin auch zugegeben, selten Kokain zu konsumieren (E. 5.1.). Der ungetrübe automobilistische Leumund hat i.c. ebenfalls kein grosses Gewicht, da die Beschwerdeführerin erst seit ca. 3 Jahren Auto fährt (E. 5.2.). Zudem hat die Beschwerdeführerin eine grössere Menge an Betäubungsmittel gekauft, obwohl sie finanziell in einer schlechten Lage ist. Auch das lässt auf eine Abhängigkeit schliessen (E. 5.4.).

Das BGer umschifft die Frage, ob Amphetamin nun eine weiche oder harte Droge ist, elegant, indem es den Sachverhalt einfach unter die Generalklausel von Art. 15d SVG subsumiert. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Kürzung von Genugtuung bei leichtem Selbstverschulden des Verunglückten

BGE 4A_290/2018:

Der Lenker eines Motorrades ist bei einem Selbstunfall tödlich verunglückt. Die hinterbliebene Familie fordert von der Haftpflichtversicherung Genugtuung. Die Vorinstanz ging von einem leichten Verschulden des Verunglückten aus und kürzte die Genugtuungsforderungen um 10%. Die Haftpflichtversicherung führt Beschwerde, weil sie von einem groben Selbstverschulden ausgeht, womit die Haftpflicht entfiele. Die Beschwerde wird abgewiesen.

E.2. Zum Verschulden: Der Verstorbene verunglückte in einer Linkskurve. Es handelte sich beim Fahrzeug um ein Mietfahrzeug, der Verunglückte war kein geübter Motorradahrer. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 80 km/h, wobei das Passieren der Kurve laut Gutachten für einen geübten Fahrer mit 70km/h problemlos möglich gewesen wäre. Die vorliegende Geschwindigkeit betrug im Kollisionszeitpunkt ca. 63 km/h und war insofern angemessen. Die Vorinstanz ging lediglich davon aus, dass der Verstorbene als ungeübter Lenker, der die Strecke nicht kannte, seine Geschwindigkeit noch weiter hätte reduzieren müssen. Sie nahm ein leichtes Verschulden an und kürzte die Leistung aus Haftpflicht um 10% [E. 2.1.-2.3.].

Auch ein grobes und damit kausalitätsunterbrechendes und haftungsausschliessendes Selbstverschulden lag nicht vor. Ebenso kann sich die Beschwerdeführerin nicht auf den sog. Anscheinsbeweis stützten, nach welchem mangels anderen Unfallursachen der Unfall einzig auf ein Fehlverhalten des Verunfallten zurückzuführen sei, womit die Ersatzpflicht entfiele [E. 2.4.].

Liegt kein grobes Selbstverschulden vor, bestimmt das Gericht gemäss Art. 59 Abs. 2 SVG die Ersatzpflicht unter Würdigung sämtlicher Umstände. In Ermessensentscheide greift das Bundesgericht nur mit grösster Zurückhaltung ein. Die Kürzung der Ersatzpflicht um 10% wegen leichtem Selbstverschulden war insofern richtig.