Die Pflichten nach dem Unfall

Zwei Urteile zu den Pflichten des Autofahrers nach einem Unfall. BGE 6B_626/2018 befasst sich mit den Pflichten nach Sachschaden, BGE 6B_575/2018 mit jenen nach einem Personenschaden.

In BGE 6B_626/2018 fuhr der Beschwerdeführer in ein von der Feuerwehr aufgestelltes Absperrgitter. Nach dem Unfall liess der Beschwerdeführer zwar sein Kontrollschild fotografieren, unterliess es aber, der Feuerwehr seine Personalien anzugeben. Er wehrt sich gegen eine Bestrafung gemäss Art. 92 Abs. 1 SVG.

E. 1.3/4 zu den Pflichten: Gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG muss der Verursacher dem Geschädigten sofort Namen und Adresse angeben. Ist dies nicht möglich, muss er die Polizei verständigen. Die Angabe des Kontrollschildes alleine reicht nicht aus, zumal Halter und Lenker nicht unbedingt die gleiche Person sein muss. Selbst wenn dies zuträfe, ist es nicht Sache des Geschädigten, nach dem Namen und dem Wohnsitz des Beteiligten zu forschen (E. 1.3.1). Der Schädiger muss den Geschädigten über den entstandenen Schaden unterrichten und ihm Namen und Adresse unaufgefordert mitteilen. Die Anzeige hat sofort (unverzüglich) nach dem Unfall zu erfolgen, d.h. so rasch als dies dem Schädiger nach den Umständen zuzumuten ist (E. 1.4.1).

Der Beschwerdeführer gab vor Ort nur sein Kontrollschild an bzw. liess dieses fotografieren. Auch nachdem der Beschwerdeführer, der kein Mobiltelefon besitzt, zuhause ankam, unterliess er es, die ihm bekannte geschädigte Partei zu informieren. Er wurde erst ca. 40min später anhand des fotografierten Kontrollschildes durch die Polizei aufgesucht und identifiziert. Weder gab er vor Ort seine Personalien an, noch verständigte er unverzüglich die geschädigte Partei, als ihm dies möglich war. Die Beschwerde wird abgewiesen.

In BGE 6B_575/2018 beschäftigt sich das Bundesgericht mit der Frage, ab wann eine Verletzung vorliegt, die für eine Führerflucht vorausgesetzt ist. Der Beschwerdeführer kollidierte mit einem Kind auf dem Fussgängerstreifen. Er gab der Mutter des Kindes seine Adresse bekannt, die Polizei hat er allerdings erst am Folgetag über den Unfall benachrichtigt. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung nach Art. 92 Abs. 2 SVG.

E. 2.2-4 zur Verletzung: Art. 51 Abs. 2 SVG stipuliert, dass im Falle eines Personenschadens den Verletzten zu helfen ist, die Polizei gerufen werden muss und sich die Beteiligten ohne Erlaubnis der Polizei nicht entfernen dürfen. Nach einem Zusammenstoss zwischen Mensch und Maschine ist von einem Verkehrsunfall auszugehen (E. 2.1). Es stellt sich die Frage, ab wann jemand als verletzt gilt. Art. 55 VRV konkretisiert die Regeln bei Personenschäden. Die Polizei muss gemäss Abs. 1 sofort benachrichtigt werden, ausser es liegen gemäss Abs. 2 nur geringfügige Prellungen oder Schürfungen vor. Allerdings liegt auch in diesen Situationen nach der Lehre und Rechtsprechung eine Verletzung im Sinne eines Personenschadens vor. Nur absolut geringfügige, praktisch bedeutungslose Schäden, denen kaum Beachtung geschenkt werden müsse, mache einen Beizug der Polizei nicht nötig. Ein Erschrecken alleine reicht nicht für eine Verletzung aus (E. 2.2.1/2). Da vorliegend die Kollision relativ heftig war, durfte der Beschwerdeführer nicht davon ausgehen, dass nur unbeachtliche Schäden vorlagen.

E. 2.5 zur Flucht: Der Beschwerdeführer ist der Meinung, dass er nicht geflüchtet sei. Die Flucht setzt allerdings kein krasses Fehlverhalten voraus. Eine Flucht ist bereits gegeben, wenn man seinen Pflichten nicht nachkommt, z.B. indem man sich ohne die Polizei zu rufen vom Unfallort entfernt.

Diese Rechtsprechung macht die Regelung in Art. 55 Abs. 2 VRV bis zu einem gewissen Grad obsolet. Im Zweifelsfalle ist dem Autofahrer zu empfehlen, dass er die Polizei hinzuzieht, wenn irgendwie die Möglichkeit besteht, dass sich jemand beim Unfall verletzt hat.

Drogenschnelltest bei der Polizeikontrolle

BGE 6B_598/2018:

Der Beschwerdeführer widersetzte sich bei einer Polizeikontrolle einem Drogenschnelltest und wurde dafür wegen Vereitelung verurteilt. Neben div. Rügen über die Zusammensetzung der Gerichte sowie den Strafprozess rügt der Beschwerdeführer, dass Art. 91a SVG gegen das Selbstbelastungsverbot verstösst und Drogenschnelltests nicht von der Polizei, sondern von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden müssen.

E. 3 zum Vereiteln: Art. 91a SVG soll verhindern, dass der korrekt sich einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit unterziehende Fahrzeugführer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonstwie vereitelt. Gemäss Art. 55 Abs. 1 SVG kann die Polizei ohne Verdachtsmomente Fahrzeugführer einer Atemalkoholprobe unterziehen. Bei Anzeichen auf Fahrunfähigkeit, die nicht auf Alkohol zurückzuführen sind, können weitereVoruntersuchungen durchgeführt werden, z.B. Urin- und Speichelproben. Nach Art. 10 Abs. 2 SKV führt die Polizei solche Vortests durch (E. 3.1).

Der Beschwerdeführer ist der Meinung, dass solche Vortests von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden müssen, weil ein Anfangsverdacht vorausgesetzt ist (E. 3.3). Das BGer hat darauf hingewiesen, dass Art. 10 Abs. 2 SKV eine Anordnungskompetenz enthält. Die Lehre wiederum ist gespalten (E. 3.2). Polizeiliche Kontrollen im Strassenverkehr ohne Tatverdacht sind Handlungen im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Kontrolltätigkeit. Fraglich ist, ob die nach Art. 10 Abs. 2 SKV erforderlichen Hinweise auf Fahrunfähigkeit im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts nach Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO auszulegen sind.  

Nach der Rechtsprechung genügen für die Durchführung eines Vortests nach Art. 10 Abs. 2 SKV bereits geringe Anzeichen für eine durch Betäubungs- oder Arzneimittel beeinträchtigte Fahrfähigkeit, wie beispielsweise ein blasser Teint und wässrige Augen. Nicht zulässig ist eine Voruntersuchung, welche einzig auf der Kenntnis des früheren Drogenkonsums basiert. Art. 55 SVG hat generalpräventive Wirkung. Zudem geht es in Abs. 2 „nur“ um Voruntersuchungen, deren Eingriffsintensität beschränkt ist. Es wird nicht, wie etwa bei der Blutprobe, in die körperliche Integrität der betroffenen Person eingegriffen. Aus diesem Grund sind die von Art. 10 Abs. 2 SKV geforderten Hinweise nicht nicht mit einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO gleichzusetzen. Die Polizei ist befugt, solche Vortests anzuordnen. Erst wenn durch den Vortest aus den Hinweisen ein hinreichender Tatverdacht wird, braucht es eine Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Durchführung weiterer Zwangsmassnahmen, i.e. Blutprobe (E. 3.5).

Art. 91a SVG verstösst auch nicht gegen das Verbot des Selbstbelastungszwanges. Als Halter und Lenker eines Strassenfahrzeuges hat man gegenüber den Behörden gewisse Obliegenheiten, worunter auch Auskunftspflichten fallen. Der EGMR in seiner Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten, dass die Selbstbelastungsfreiheit nicht berührt ist, wenn es um die Entnahme von Beweismitteln wie Blut, Atem, Urin usw. geht, die auch ohne den Willen der beschuldigten Person erlangt werden können (E. 3.6).

Das BGer weist die Beschwerde ab, wobei interessant ist, dass die Hälfte der Verfahrenskosten direkt dem Rechtsvertreter auferlegt, weil dieser das BGer wiederholt mit denselben Rügegründen beschäftigt hat.