BGE 6B_261/2018: Todesfall im Radrennsport
An einem Amateurradrennen kam es bei einer Abfahrt mit ca. 70km/h zu einer Streifkollision zwischen zwei Velofahrer, wobei der Überholte zu Fall kam und infolge eines Schädelhirntraumas verstarb. Drei nachfolgende Fahrer stürzten ebenfalls und verletzten sich dabei. Der Überholende und Beschwerdegegner wurde vor erster Instanz wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung verurteilt. Das Obergericht des Kt. AG sprach den Beschwerdegegner hingegen frei. Dagegen wehren sich die Erben des Verstorbenen und weitere Zivilkläger sowie die Staatsanwaltschaft vor Bundesgericht. Dieses weist die Beschwerde ab und heisst damit den Freispruch gut.
E. 3 zum Sachverhalt: Zunächst rügen die Beschwerdeführer eine willkürliche Feststellung des Sachverhaltes. Es ist strittig, wie heftig die Berührung/Kollision zwischen dem Beschwerdegegner und dem Verstorbenen war. Die Vorinstanz kam willkürfrei zum Schluss, dass die Berührung zwischen den beiden Radfahrern nicht kraftvoll war.
E. 5 zur Sorgfaltspflichtsverletzung: Die Verurteilung wegen einem Fahrlässigkeitsdelikt setzt eine Sorgfaltspflichtsverletzung voraus. Eine solche liegt vor, wenn der wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat auf Grund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Das Mass der Sorgfalt richtet sich Normen, die der Unfallverhütung und Sicherheit dienen. Wenn solche fehlen können private Regelungen herangezogen werden oder letztlich auch der allgemeine Gefahrensatz. Grundsätzlich gilt, dass derjenige, der eine Gefahr schafft, zu verhindern hat, dass Dritte dadurch verletzt werden. Allerdings müssen die Schutzmassnahmen dafür zumutbar sein. Eine weitere Schranke der Sicherungspflicht liegt in der Eigenverantwortung des einzelnen Sportlers. Jedem steht es frei, beim Sport gewisse Risiken auf sich zu nehmen. Insb. im Sport können Schutzmassnahmen keine völlige Gefahrenfreiheit garantieren. Sie sollen vielmehr die Gefahren auf ein erträgliches Mass beschränken. Jede Sportart birgt in sich ein unterschiedlich hohes sportartspezifisches Grundrisiko. Bei Realisierung des sportartspezifischen Grundrisikos ist von der strafrechtlichen Ahndung abzusehen. Beim Radsport besteht durchaus das Risiko von schweren Verletzungen oder gar dem Tod (E. 5.1).
Die Beschwerdeführer rügen, dass Art. 35 Abs. 3 SVG nicht analog angewendet wurde. Da das Radrennen gemäss Art. 52 Abs. 2 SVG polizeilich bewilligt war und auf einer abgesperrten Strassen stattfand, kommt das SVG gemäss Art. 1 Abs. 2 SVG nicht zur Anwendung. Verkehrsregeln können aber trotzdem analog herangezogen werden, wenn es um die Beurteilung eines sicherheitsrelevanten Verhaltens geht. Im Radrennsport wird die analoge Anwendung des SVG aber verneint wegen dem Wettkampfcharakter der Veranstaltungen. Die Wettkampfmanöver wie Überholen sind in besonderem Masse von Wettkampfcharakter geprägt und nicht mit üblichem Strassenverkehr vergleichbar. Insofern kann von den Rennfahrern nicht die gleiche Sorgfalt verlangt werden, wie dies im normalen Strassenverkehr der Fall wäre (E. 5.2). Dies dürfte auch für andere Rennsportarten gelten.
Sodann setzt sich das BGer mit dem Reglement des Schweizerischen Radsportverbandes auseinander. Dieses enthält keine ausdrücklichen Regelungen zum Überholen. Die Vorinstanz befragte deshalb verschiedene Personen zu den Usanzen beim Überholen im Radrennsport. Nach diesen Aussagen seien Berührungen zwischen Radrennfahren nicht aussergewöhnlich, auch nicht bei hohen Tempi. Auch würden beim Windschattenfahren sehr kleine Abstände gewahrt, die im Notfall kaum Zeit für adäquate Reaktionen zuliessen. Insofern sei mit der vorliegenden Berührung das sportartspezifische Risiko nicht überschritten worden. Das BGer stützt diese Ansicht, insb. auch mit Verweis auf die Eigenverantwortung jedes Sportlers, risikoreiche Sportarten zu betreiben.
Vorliegend hat sich also in tragischer Weise ein Grundrisiko des Radsportes verwirklicht, welches jeder Sportler in Kauf nimmt. Insofern wurde die Grenze des erlaubten Risikos nicht überschritten und der Freispruch erfolgte zu Recht.