Pflichten beim Überholen

BGE 6B_1325/2018:

Mit dieser graubündnerischen und vom BGer bestätigten Rechtsauffassung wird das Überholen in den Bergen wohl faktisch verunmöglicht. Der Beschwerdeführer überholte bei Schiers ein anderes Fahrzeug. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass die überschaubare Strecke zu kurz gewesen sei, um das Überholmanöver gefahrlos durchzuführen. Das BGer weist die Beschwerde gegen die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung ab.

E. 1.2. zum Sachverhalt: Zunächst dreht sich alles um die Entfernungen. Damit ein Überholmanöver korrekt ist, muss zwischen dem Überholenden und dem entgegenkommenden Fahrzeug ein Abstand von mind. zwei Sekunden bestehen im Moment, wo der Überholende nach Abschluss des Manövers wieder komplett auf seine Spur gewechselt hat. Vorliegend betrug der Abstand allerdings lediglich 1.5s, was die Vorinstanz willkürfrei annehmen durfte.

E. 2 zur groben Verkehrsregelverletzung: Zunächst äussert sich das BGer zu den allseits bekannten Voraussetzungen von Art. 90 Abs. 2 SVG (E. 2.1.1). Überholen und Vorbeifahren an Hindernissen ist gemäss Art. 35 Abs. 2 SVG nur gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Überholen auf Strassen mit Gegenverkehr ist extrem gefährlich. Nicht nur die für den Überholvorgang benötigte Strecke muss übersichtlich und frei sein, sondern zusätzlich jene, die ein entgegenkommendes Fahrzeug bis zu jenem Zeitpunkt zurücklegt, wo der Überholende die linke Strassenseite freigegeben haben wird (E. 2.1.2). Vorliegend entstand durch die (zu) kurze einsehbare Strecke und die Unterschreitung des Mindestabstandes von zwei Sekunden zum Gegenverkehr eine ernstliche Gefahr. Wer in einer solchen Situation überholt, verhält sich rücksichtslos (E. 2.2.1). Die Verurteilung erfolgte zu Recht.

Bedenkt man, dass man beim Nachfahren einen Sicherheitsabstand von zwei Sekunden haben muss, aber auch nicht zu früh wieder auf seine Spur einbiegen darf wegen der Rücksicht gegenüber dem Überholten und man auch noch den zwei Sekundenabstand zum Gegenverkehr berechnen muss, können wir nur hoffen, dass wir die Menschen bald in Cyborgs umbauen können, die im Auge ein Laserdistanzmessgerät haben und gleichzeitig einen Taschenrechner in der Birne, damit die Überholstrecken einwandfrei berechnet werden können.

Ungerechtfertigte Parkbusse

BGE 6B_422/2018:

Eine Laienbeschwerde ist vor BGer erfolgreich. Die Beschwerdeführerin parkierte zweimal Ihr Auto auf dem Besucherparkplatz des Grundstückes in Genf, wo sie auch eine Wohnung gemietet hat. Dies ist gemäss Reglement der Immobilie verboten. Von den kantonalen Instanzen ist sie wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit einer Busse von CHF 120.00 verurteilt worden. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.4. zum Sachverhalt: Die Vorinstanz hat willkürfrei angenommen, dass die Beschwerdeführerin wusste, dass sie auf dem Besucherparkplatz als Mieterin nicht parkieren darf.

E. 2. zur Rechtslage: Die Beschwerdeführerin rügt, dass sie gegen kein Gesetz verstossen hat. Zunächst fragt sich das BGer, ob das SVG auf dem Parkplatz anwendbar ist. Zwar liegt dieser auf einem Privatgrundstück. Da er aber einem unbestimmten Personenkreis zur Verfügung steht, findet das SVG Anwendung. Art. 90 SVG bestraft jene, die gegen das SVG oder seine Vollziehungsvorschriften verstossen. Die Vorinstanz begründete die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit kantonalen Bestimmungen, was aber nicht möglich ist (E. 2.2). Auch fällt eine Widerhandlung gegen Art. 30 Abs. 1 SSV ausser Betracht, weil eine entsprechende Verbotstafel fehlt. Auch ein gerichtliches Parkverbot nach Art. 258ff. ZPO fehlt.

Die Beschwerdeführerin hat sich nicht strafbar gemacht. Der kantonale Entscheid wird aufgehoben.

Braucht der Anwalt einen Anwalt?

BGE 6B_1136/2018:

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Ein Strafverfahren wegen div. einfacher Verkehrsregelverletzungen, z.B. Überfahren einer Sicherheitslinie, wurde eingestellt. Eine Lohnausfall- sowie Parteientschädigung wurde allerdings abgelehnt. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer erfolglos.

E. 1. zur Entschädigung: Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte. Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (E. 1.1.1). Das BGer prüft die Auslegung von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO frei, allerdings auch mit einer gewissen Zurückhaltung gegenüber den kantonalen Behörden. Diese haben einen grossen Ermessensspielraum (E. 1.1.2).

Der Sachverhalt bot keine Schwierigkeiten wie z.B. haftpflichtrechtliche oder administrativrechtliche Fragen. Dies gilt umso mehr, weil der Beschwerdeführer Rechtsanwalt und erfahrener Strafverteidiger ist. Er konnte an allen Einvernahmen teilnehmen und auch selber Fragen stellen, sein rechtliches Gehör konnte er stets wahrnehmen. Dafür war kein Rechtsvertreter nötig (E. 1.2.1). Auch die vom Beschwerdeführer zitierten Urteile finden keine Anwendung, weil in jenen stets juristische Laien auf der Anklagebank sassen (E. 1.2.2).

Des Rechtlichen Mächtige können sich also die Kosten für einen Verteidiger sparen. Sie können sich alleine dem übermächtigen Staatsapparat entgegenstellen.