Widerruf der bedingten Raserstrafe

BGE 6B_808/2018:

Im Juli 2014 wurde der Beschwerdeführer mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten bestraft wegen „Rasen“. Der FA wurde auf unbestimmte Zeit sicherheitshalber entzogen. Im März 2016 fuhr der Beschwerdeführer mit dem Auto der Freundin zur Arbeit, trotz fehlender Fahrberechtigung. Erstinstanzlich wurde er wegen Fahren ohne Führerausweis bestraft, wobei die bedingte Freiheitsstrafe nicht widerrufen wurde. Der Beschwerdeführer wurde verwarnt und die Probezeit verlängert. Auf Berufung bzw. Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin wurde der Beschwerdeführer vom Obergericht AG mit 300 Tagessätzen bestraft. Zudem wiederrief es die bedingt gewährte Freiheitsstrafe, wogegen sich der Beschwerdeführer natürlich wehrt:

E. 1 zur Höhe der Geldstrafe

E. 2 zum Widerruf der Freiheitsstrafe: Nach der Meinung der Vorinstanz muss beim Beschwerdeführer von einer Schlechtprognose ausgegangen werden. Nicht nur sei er uneinsichtig, auch mehrfach einschlägige Vorstrafen hinderten den Beschwerdeführer nicht an erneuter Delinquenz (E. 2.2). Art. 46 Abs. 1 StGB regelt den Widerruf bedingter Strafen. Nicht jede Probezeittat führt zum Widerruf des bedingten Strafaufschubes. Nur wenn eine Schlechtprognose besteht, sind die Voraussetzungen des Widerrufs erfüllt. Die Bewährungsaussichten sind anhand einer Gesamtwürdigung der Tatumstände, des Vorlebens, des Leumunds sowie aller weiteren Tatsachen zu beurteilen, die gültige Schlüsse etwa auf den Charakter des Täters sowie Entwicklungen in seiner Sozialisation und im Arbeitsverhalten bis zum Zeitpunkt des Widerrufsentscheids zulassen. Bei der Beurteilung dieser Fragen verfügt das Sachgericht über einen Ermessensspielraum, in welchen das Bundesgericht nur eingreift, wenn das Ermessen in nicht vertretbarer Weise ausgeübt wurde (E. 2.3; BGE 134 IV 140 E. 4). Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er sich einerseits 14 Monate wohlverhalten habe, andererseits Vater geworden sei. Er beruft sich auch auf ein verkehrspsychologisches Gutachten. Da aber die Tochter während der Fahrten ohne FA schon auf der Welt war und das Gutachten ebenfalls vor den Fahrten erstellt wurde, erblickt das BGer keine Willkür bei der Strafzumessung. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Verwertung rechtswidrig erlangter Beweise bei Sicherungsmassnahmen

BGE 1C_318/2018:

Beim Beschwerdeführer wurde nach einem Unfall ein THC-COOH-Wert von 240 µg/L festgestellt. Es wurde ein Fahreignungsabklärung angeordnet. Zwischenzeitlich wurde der Beschwerdeführer im Strafverfahren freigesprochen, weil die Blutprobe mangels korrekter Anordnung nicht verwertbar war. Wiedererwägungsweise verlangt er die Aufhebung der Verfügung, mit welcher die Fahreignungsabklärung angeordnet wird. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.5 zur Beweisverwertung: Bei der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweise wird unterschieden zwischen den Verfahren, in welchen die Fahreignung in Frage steht und jenen, in welchen dies nicht der Fall ist. Das Bundesgericht wies ausdrücklich darauf hin, dass rechtswidrig erhobene Beweismittel zur Prüfung der Frage, ob sich die Einleitung eines Verfahrens zur Abklärung der Fahreignung rechtfertige, berücksichtigt werden können. Das öffentliche Interesse am Schutz der Verkehrsteilnehmer überwiegt in dieser Hinsicht (vgl. BGE 139 II 95 E. 3.5).

Besonders leichter Fall


BGE 1C_577/2018:

Der Beschwerdeführer musste ausserorts einem Fahrzeug ausweichen, das rückwärts auf die Strasse fuhr. Zunächst gelang es ihm, nach rechts auszuweichen, durch die nachfolgenden Lenkbewegungen geriet er aber ins Schleudern. Dafür wurde er im Strafverfahren mit Busse von CHF 100.00 wegen Nichtbeherrschen verurteilt. Er wehrt sich gegen die Annahme einer leichten Widerhandlung, aufgrund welcher kaskadenbedingt ein einmonatiger Ausweisentzug ausgesprochen wurde.

E. 2 zum Nichtbeherrschen: Das BGer bestätigt seine Rechtsprechung, dass man in Gefahrensituationen keine allzugrossen Anforderungen an Autofahrer stellen darf. Wer blitzschnelle Entscheidungen treffen muss, weil z.B. ein Tier auf die Strasse rennt, muss sich rückblickend nicht vorhalten lassen, dass eine anderes Verhalten besser gewesen wäre, es sei denn diese Lösung hätte sich geradezu aufgezwungen (E. 2.2). Die Vorinstanz erachtete das erste Ausweichen als adäquat, die folgenden Lenkbewegungen allerdings qualifizierte es als Nichtbeherrschen, was vom BGer bestätigt wird.

E. 3.1 zur bes. leichten Widerhandlung: Diese liegt vor, wenn die Gefährdung des Strassenverkehrs besonders leicht war und das Verschulden des Lenkers besonders vernachlässigbar ist. Eine Widerhandlung ist m.a.W. besonders leicht, wenn sie vom Gefährdungspotential mit den Tatbeständen der Ordnungsbussenverordnung vergleichbar sind. Die besonders leichte Widerhandlung generell und schematisch nach der Bussenhöhe anzunehmen, dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Art. 16a Abs. 4 SVG entspricht prinzipiell Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG. Der dort geregelte besonders leichte Fall wird allerdings nicht schon generell angewendet, wenn eine Straftat als nichtig erscheint. Falschparkieren wird ja auch bestraft. Der besonders leichte Fall ist ein Bagatellfall, dessen Bestrafung als „schockierend“ angesehen werden müsste (E. 3.1). Den Behörden steht bei der Beurteilung der Widerhandlungsschwere eine grosses Ermessen zu. Dieses wurde vorliegend mit der Annahme einer leichten Widerhandlung nicht verletzt (E. 3.2).

Vorsorglicher Entzug, Cannabisöl

BGE 1C_41/2019:

Bei der Beschwerdeführerin wurde bei einer Polizeikontrolle Marihuanageruch im Auto festgestellt, sowie äussere Anzeichen, die auf einen Cannabiskonsum hindeuteten. Die Blutprobe ergab später einen THC-Wert von mind. 7.7 µg/L. Die MFK SO ordnet einen vorsorglichen Entzug sowie eine Fahreignungsabklärung an. Dagegen wehrt sich die Beschwerdeführerin, weil Sie eine Ausnahmebewilligung des BAG für den Konsum von Cannabisöl hat.

E. 2 zum Cannabis: Cannabis beeinträchtigt bei Sucht die Fahreignung generell und bei gelegentlichem Konsum die Fahrfähigkeit unmittelbar nach der Einnahme der Droge. Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber kontrollierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht den Schluss auf eine fehlende Fahreignung. Ob die Fahreignung gegeben ist, kann ohne Angaben der betroffenen Person über ihre Konsumgewohnheiten nicht beurteilt werden. Bestehen Zweifel an der Fahreignung, muss diese abgeklärt werden. Prinzipiell ist der Fahrausweis bis zum Ergebnis der Abklärung zu entziehen (E. 2.1).

Die Fahrunfähigkeit einer Person gilt grds. als erwiesen, wenn die Messwerte im Blut bei THC 1.5 µg/L erreichen. Eine Ausnahme besteht gemäss Art. 2 Abs. 2ter VRV wenn die betroffene Person die zur Frage stehende Substanz gemäss ärztlicher Verschreibung einnimmt. Die Beschwerdeführerin verweist auf ihre Ausnahmebewilligung des BAG, dass sie Cannabisöl konsumieren darf. Sie betrachtet die Anordnungen der MFK deshalb als rechtswidrig und willkürlich. Gegen die Beschwerdeführerin sprach allerdings, dass in ihrem Auto auch ein Joint gefunden wurde (gehört ihrem Sohn), dass die Polizisten Anzeichen für THC-Konsum feststellten, dass ihr THC-COOH-Wert mit 61 µg/L hoch und dass der THC-Gehalt mit 7.7 µg/L eher hoch war. Deshalb sei gemäss Vorinstanz auch nicht sicher, ob die Beschwerdeführerin mehr Cannabisöl, als verschrieben zu sich nimmt, oder nicht doch auch kifft. Unter dem Strich bestanden genug Zweifel für die Anordnung der Abklärung bzw. des vorsorglichen Entzuges, zumal in der BAG-Ausnahmebewilligung explizit darauf hingewiesen wird, dass der betroffenen Person der Nachweis der Fahrfähigkeit obliegt, z.B. mittels ärztlichem Zeugnis.

A-Post-Plus und Zustellfiktion

BGE 1C_532/2018:

Die Rechtsprechung über die Zustellfiktion und A-Post-Plus dürfte uns allen bekannt sein. Der Entscheid ist fasst die Rechtsprechung gut zusammen. Die Beschwerdeführerin hat eine Verfügung bzgl. Fahrverbot nicht erhalten, weil sie gezügelt ist. Auf ihre dagegen erhobene Beschwerde wird nicht eingetreten, weil die Instanzen diese als verspätet betrachten. Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, dass sie ja gar nie Kenntnis hatte von der Verfügung und diese deshalb nicht fristauslösend war. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 3 zur Zustellfiktion: Art. 44 VRPG Kt. BE regelt die Zustellfiktion. Spät. am 7. Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellversuch gilt die Sendung als zugestellt. Gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung gelten Verfügungen als eröffnet, sobald sie ordnungsgemäss zugestellt sind und die betroffene Person davon Kenntnis nehmen kann. Dass sie davon tatsächlich Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich. Die Zustellfiktion ist gerechtfertigt, weil von einer Bürgerin nach Treu und Glauben erwartet werden darf, dass sie in Kenntnis eines Verfahrens, den Behörden eine neue Adresse oder Abwesenheiten mitteilt. Das BGer sieht darin sogar eine Pflicht (E. 3.3).

E. 5 zur A-Post-Plus: Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin vom Verfahren Kenntnis hatte, weil Sie vom StVA ein Schreiben „rechtliches Gehör“ erhielt, das mit A-Post-Plus versandt wurde. Die Beschwerdeführerin hingegen ist der Meinung das ihr das Schreiben nicht zugestellt wurde (E. 4). Praxisgemäss besteht bei der A-Post-Plus die natürliche Vermutung, dass die Zustellung ordnungsgemäss erfolgte. Eine fehlerhafte Postzustellung ist allerdings nicht zu vermuten, sondern nur anzunehmen, wenn sie aufgrund der Umstände plausibel erscheint. Dafür müssen aber konkrete Anzeichen für einen Fehler seitens Post vorhanden sein (E. 5.2).

Fazit: Das „rechtliche Gehör“ wurde zugestellt, die Beschwerdeführerin konnte deshalb vom Verfahren Kenntnis haben, insofern greift die Zustellfiktion, womit die Beschwerde nicht mehr fristgerecht eingereicht wurde.