Einhaltung von Rechtsmittelfristen im Ausland

BGE 6B_315/2019 (gutgh. Beschwerde, amtl. Publ.)

Die STA Zürich-Limmat stellte ein Strafverfahren wegen Diebstahl gegenüber dem polnischen Beschwerdeführer ein und sendete diesem die Einstellungsverfügung. Wegen den Kostenfolgen erhob dieser Beschwerde beim Obergericht. Dieses war der Meinung, dass die Beschwerde verspätet sei. Der Beschwerdeführer erhielt die Einstellungsverfügung am 18.12.2018. Neun Tage später übergab er seine Beschwerde der polnischen Post. Bei der schweizerischen ging die Beschwerde allerdings erst am 2.1.2019 ein, nach Meinung des Obergerichts verspätet. Das BGer korrigiert:

E. 1. Zur Einhaltung der Frist:

Die Beschwerdefrist beträgt gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO 10 Tage. Die Frist gilt als eingehalten, wenn die Eingabe gemäss Art. 91 Abs. 2 StPO bei der Strafbehörde, zu Handen der Schweizerischen Post oder einer konsularischen oder diplomatischen Vertretung übergeben wird. Die Rechtsmittelbelehrung der Einstellungsverfügung enthielt keinen Hinweis darauf, wo die Beschwerde eingereicht werden muss.

Im Sozialversicherungsrecht muss der im Ausland wohnhafte Anspruchsteller ausdrücklich auf Art. 21 Abs. 1 VwVG hingewiesen werden. Fehlt der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung und würde danach dem Rechtsmittelerhebenden vorgeworfen, er habe eine Frist nicht eingehalten, würde dies gegen den Grundsatz der Fairness und der Waffengleichheit verstossen. Für die StPO spricht sich die Lehre für eine ähnliche Pflicht der ergänzten Rechtsmittelbelehrung aus (E. 1.4.2).

Das Bundesgericht stimmt dem zu. Es seien keine Gründe ersichtlich, wieso diese im Sozialversicherungsrecht entwickelte Rechtsprechung nicht auch im Strafverfahren anwendbar sei. Die Rechtsmittelbelehrung soll es den Parteien ermöglich, ihre Rechtsmittel effektiv zu erheben. Dies ist insb. wegen den Postdiensten im Ausland nicht immer möglich, weshalb die betroffenen Personen ausdrücklich auf Art. 91 Abs. 2 StPO in der Rechtsmittelbelehrung hinzuweisen sind (E. 1.4.3).

Vorliegend fehlte der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung. Art. 91 Abs. 2 StPO kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Bemessung von Strafbefehlsgebühren

BGE 6B_253/2019: Strafbefehlsgebühren

Der Beschwerdeführer überschritt ausserorts die Geschwindigkeit um 32km/h, wofür mit einer bedingten Geldstrafe und einer Verbindungsbusse von CHF 1’100.00 bestraft wurde. Zudem wurden ihm CHF 928.00 an Verfahrenskosten auferlegt, Strafbefehlsgebühr CHF 900.00, Polizeikosten CHF 28.00. Nach Erhebung der Einsprache bzgl. Strafbefehlskosten senkte das Gericht erster Instanz die Gebühren auf CHF 600.00. Der Beschwerdeführer verlangt vor BGer, dass die Kosten auf CHF 300.00 festgesetzt werden.

E. 3 zur Strafbefehlsgebühr:

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass insb. bei Geschwindigkeitsüberschreitungen die Fallbearbeitung nach schematischen Grundsätzen erfolgt, insofern nicht besonders komplex sei und deshalb eine Strafbefehlsgebühr von CHF 300.00 angemessen sei. Zudem moniert er, dass der Kt. AG keine Pauschalgebühren nach Art. 424 Abs. 2 StPO festgelegt hat (E. 3.1). Angefochten ist das aargauische Verfahrenskostendekret. Kantonales Recht überprüft das BGer nur auf Willkür und die verfassungsmässigen Rechte. Zudem haben die kantonalen Behörden einen grossen Spielraum beim Festsetzen von Gebühren (E. 3.2). Die beschuldigte Person muss die Verfahrenskosten tragen, wenn sie verurteilt wird. Die StPO enthält allerdings keine Regeln über die Bemessung von staatlichem Aufwand. Gemäss Verfahrenskostendekret können im Strafbefehlsverfahren Gebühren von CHF 200.00 – 10’000.00 verlangt werden (E. 3.3).

Strafbefehlskosten sind Kausalabgaben, die dem Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip unterliegen. Erfahrungsgemäss decken die von den Gerichten erhobenen Gebühren den staatlichen Aufwand bei Weitem nicht. Nach dem Äquivalenzprinzip darf eine Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis stehen zur objektiven Bedeutung des hoheitlichen Akts, für den sie erhoben wird. Der „finanzielle Wert“ eines Strafverfahrens kann nur grob geschätzt werden. Der Aufwand für ein einzelnes Strafverfahren muss anhand des Gesamtaufwandes der Strafbehörden berechnet werden. So sollen alle Personen gleich behandelt werden, die gleichviel staatlichen Aufwand generieren (E. 3.4).

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass nur der zeitliche Aufwand für die Gebühren zu beachten ist. Die STA hingegen ist der Meinung, dass auch das Strafmass bei der Gebührenberechnung berücksichtigt werden darf. Tatschwere und Verschulden können als alternative Bemessungsweise für die Kostenauflage herangezogen werden. War der Aufwand für die Behörden hoch, das Verschulden und/oder die Tatschwere klein, ist eine unterproportionale Gebühr angezeigt und vice versa. Eine Gebühr darf aber keinen pönalen Charakter haben (E. 3.5). Die Gebühren orientieren sich also am Arbeitsaufwand einerseits (quantitativer Aspekt) und dem Strafmass bzw. der Bedeutung des Verfahrens (qualitativer Aspekt; E. 3.6). Grds. ist das Strafmass also als korrektives Kriterium heranzuziehen, bei schematisch beurteilter Massendelinquenz, i.e. Geschwindigkeitsüberschreitungen, wird das Strafmass gar zum Leitkriterium. Eine schematische Erhebung von Schreibgebühren ist insofern nicht bundesrechtswidrig (E. 3.7).

Im Kt. AG werden die Kosten der Verfahren empirisch ausgewertet, woraus wiederum die Durchschnittskosten für bestimmte typische Verfahren errechnet werden. Da die effektiven Verfahrenskosten grds. nicht errechnet werden, macht die Erhebung der Gebühren aufgrund des Strafmasses Sinn. Freilich wird bei Geschwindigkeits-überschreitungen nicht der gesamte Gebührenrahmen bis CHF 10’000.00 ausgenutzt. Gemäss kantonaler Weisung liegt die Obergrenze bei CHF 1’700.00. Die vorliegend strittigen Verfahrenskosten erscheinen nach dem BGer bei einer Strafe von 20 Tagessätzen als vergleichsweise hoch. Da allerdings eine grobe Verkehrsregelverletzung vorliegt, ist die Strafbefehlsgebühr nicht missbräuchlich (E. 3.8). Zum tatsächlichen behördlichen Aufwand äussert sich das BGer nur kurz, weil sich die Gebühren i.c. ja am Strafmass zu orientieren haben (E. 3.9).

Mofas und Saufen

BGE 6B_451/2019:

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen im Februar und Juni 2018 diverse Widerhandlungen mit einem Mofa gemacht zu haben: Führen eines Motorfahrzeug mit qualifizierter BAK (1.2mg/L; SVG 91 Abs. 2), obwohl seine Fahrerlaubnis entzogen war (SVG 95 Abs. 1). Zudem war das Fahrzeug nicht eingelöst und ohne Haftpflichtversicherung (SVG 96 Abs. 1 und 2) und es wurden missbräuchlich Schilder eines anderen Fahrzeuges verwendet und am Mofa angebracht (SVG 97 Abs. 1). Das Strafregister des Beschwerdeführers enthält zwischen 2011 und Juli 2018 vierzehn Einträge bzgl. SVG-Widerhandlungen. Fünfzehn Administrativmassnahmen wurden in dieser Zeit ausgesprochen.

Vor der ersten Instanz wurde der Beschwerdeführer grösstenteils freigesprochen, die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde gutgeheissen. Der Beschwerdeführer verlangt vor BGer die Aufhebung des Berufungsentscheides und Gutheissung des erstinstanzlichen Urteils. Vorliegend ist streitig, ob Mofafahrer nach Fahren mit qualifizierter BAK gemäss SVG 91 Abs. 1 oder Abs. 2 zu bestrafen sind bzw. ob Mofas zu den motorlosen Fahrzeugen zu zählen sind.

E. 1 zur Qualifikation des Mofa und FiaZ:

Nach Art. 31 Abs. 2 SVG darf man nicht Autofahren, wenn man wegen Alkohol oder sonstigen Genussmittel fahrunfähig ist. Bei der Bestrafung wird unterschieden, ob man mit qualifizierter BAK ein motorloses Fahrzeug führt, oder eben ein motorisiertes. Erstere Widerhandlung wird als Übertretung, letztere als Vergehen geahndet (E. 1.2). Das BGer muss also herausfinden, ob das Mofa ein motorloses Fahrzeug ist oder nicht.

Art. 7 Abs. 1 SVG stipuliert, dass Motorfahrzeuge Fahrzeuge sind, die einen eigenen Antrieb haben und sich auf dem Boden unabhängig von Schienen fortbewegen. Art. 18 VTS wiederum enthält eine Legaldefinition der „Motorfahrräder“. Die Mofas dürfen höchstens 30km/h fahren, haben höchstens eine Leistung von 1kW und einen Verbrennungsmotor von höchstens 50cm3. Die Zulassungsmodalitäten für Mofas sind in Art. 90 VZV geregelt. Gemäss Art. 42 Abs. 4 VRV gelten für Mofas die gleichen Vorschriften wie für Radfahrer (E. 1.3.1). In der älteren Rechtsprechung aus den 1960er wurde das Mofa zu den motorlosen Fahrzeugen gezählt. Allerdings hat das BGer das Mofafahren mit qualifizierter BAK aus administrativrechtlicher Sicht in BGE 1C_766/2013 als schwere und nicht mittelschwere Widerhandlung qualifiziert (E. 1.3.2). Die Lehre wiederum zählt das Mofa eher zu den motorisierten Fahrzeugen (E. 1.3.3). Unter Berücksichtigung der neueren Gesetzgebung eruiert das BGer, dass das Mofa nicht generell zu den Fahrrädern gezählt werden kann, auch wenn für die Mofafahrer grds. die Regeln für Velofahrer gelten (E. 1.3.4). Daraus folgt, dass die Mofas nicht zu den motorlosen Fahrzeugen gezählt werden können. Die Verurteilung des Mofafahrers nach Art. 91 Abs. 2 SVG ist korrekt.

E. 2 zum Fahren trotz Entzug der Fahrberechtigung:

Aufgrund den gleichen Überlegungen ist auch die Verurteilung gemäss Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG (Vergehen) und nicht Art. 95 Abs. 4 lit. a SVG (Übertretung) korrekt, zumal man für das Mofafahren eine Fahrberechtigung der Kat. M benötigt (E. 2).

E. 3 zum Fahren ohne Haftpflichtversicherung und missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern:

Bzgl. Fahren ohne Zulassung und Haftpflichtversicherung sowie dem missbräuchlichen Verwenden von Schildern stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass dies gemäss Art. 145 VZV als Busse strafbar ist, die Vorinstanz hingegen erachtet die Tatbestände von Art. 96 Abs. 1 lit. a und 2 SVG sowie Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG als erfüllt. Das BGer differenziert:

Bzgl. Fahren ohne Nummernschilder und ohne Haftpflichtversicherung geht Art. 145 VZV als lex specialis Art. 96 SVG vor. Das BGer heisst deshalb die Beschwerde in diesem Punkt gut, der Beschwerdeführer wurde zu Unrecht mit einem Vergehen bestraft. Korrekt wäre eine Busse nach Art. 145 Abs. 3 und 4 VZV (E. 3.3.1).

Die missbräuchliche Verwendung von Nummernschildern wiederum wird von der lex specialis in Art. 145 VZV nicht erfasst. Wer also am Mofa Nummernschilder anbringt, die nicht zu diesem Fahrzeug gehören, wird zu Recht nach Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG bestraft (E. 3.3.2).

Im Fazit kann gesagt werden, dass Mofafahrer heute gleich streng behandelt werden wie die Autofahrer, dass also auch hier rechtspolitisch eine Verschärfung stattfindet. Nur beim Fahren ohne Zulassung und ohne Haftpflichtversicherung gibt es eine mildere lex specialis in Art. 145 VZV.