Let the Race begin! Mit und ohne Blaulicht

BGE 6B_931/2019: Rasen ohne Blaulicht

Der Beschwerdeführer war ausserorts mit 143km/h unterwegs und überschritt das Tempolimit um 63km/h. Dafür wurde er wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung verurteilt. Er verlangt vor BGer wegen grober Verkehrsregelverletzung dranzukommen.

Meinungen der Parteien:

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass er ohne Vorsatz gehandelt habe, da es keine konkrete oder unmittelbare abstrakte Gefährdung Dritter gegeben habe. Ein Unfallrisiko mit Schwerverletzten oder Toten habe nicht bestanden. Eigengefährdung sowie Tiere werden von Art. 90 Abs. 3 SVG nicht erfasst. Zudem habe perfekten Raserwetter geherrscht. Gute Sicht, niemand zu sehen, bolzengerade Strecke (E. 1.1).

Die Vorinstanz stellt sich, kurz gesagt, auf den Standpunkt, dass man schon alleine an der vorbeiflitzenden Umgebung erkennen kann, wie schnell man ist und insofern das damit zusammenhängende Unfallrisiko in Kauf nimmt. Zudem kannte der Beschwerdeführer die Strecke und war nach eigener Aussage in Eile, um zu einer Verwaltungsratssitzung zu kommen (E. 1.2).

Das BGer:

Das Tempolimit ist eine wichtige Verkehrsregel für die Verkehrssicherheit. Das nach Art. 90 Abs. 3 SVG geforderte Risiko muss sich auf einen Unfall mit Todesopfern oder Schwerverletzten beziehen und somit ein qualifiziertes Ausmass erreichen. Der Erfolgseintritt muss vergleichsweise nahe liegen; gefordert ist ein „hohes“ Risiko. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine höhere als die in Art. 90 Abs. 2 SVG geforderte „ernstliche“ Gefahr handeln muss. Diese muss analog der Lebensgefährdung nach Art. 129 StGB unmittelbar, nicht jedoch unausweichlich sein. Da bereits die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist für die Erfüllung von Abs. 3 die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen (E. 1.3.1). Der subj. Tatbestand erfordert (Eventual)vorsatz, wobei dieser im SVG nicht leichthin angenommen werden darf, weil der Täter meistens selbst zum Opfer zu werden droht. Vorsatz kann nur dann angenommen werden, wenn sich der Täter bewusst gegen das geschützte Rechtsgut entscheidet (E. 1.3.2). Wer eine in Art. 90 Abs. 4 SVG erfasste Geschwindigkeitsüberschreitung begeht, handelt grds. vorsätzlich. Nur in Extremsituationen darf ein Richter von keiner vorsätzlichen Tatbegehung ausgehen, z.B. technischer Defekt am Fahrzeug, Geiselnahme, Notfallfahrt ins Spital. Vorliegend ist kein solcher Grund ersichtlich (E. 1.3.3). Der nichtige Grund der Verwaltungsratssitzung zählt jedenfalls nicht. Die Vorinstanz ging zu Recht von eventualvorsätzlicher Tatbegehung aus (E. 1.4).

BGE 6B_1224/2019: Rasen mit Blaulicht

Im Jahr 2016 trieb in Genf eine möglicherweise bewaffnete Bande ihr Unwesen, Einbrüche und Autodiebstähle gehörten zu ihrem Repertoire. Einer der Verdächtigen war in Frankreich sogar wegen Mordes verurteilt. Im Februar 2017 verliess ein Fahrzeug mit vermummten Personen die Schweiz nach Frankreich, um später wieder in die Schweiz zu fahren. Dabei wollte eine Spezialeinheit der Polizei das Fahrzeug kontrollieren. Dieses entzog sich der Kontrolle, eine Verfolgungsjagd resultierte, die Spezialeinheit forderte Verstärkung an, was der Polizeibeamte und Beschwerdeführer 2 und seine Beifahrerin ebenfalls mitbekamen. Als sie zwei Fahrzeuge sahen, eines mit Blaulicht, folgten sie diesen ebenfalls mit Blaulicht, davon überzeugt, dass eines davon zur Spezialeinheit gehörte. Das war aber gar nicht der Fall. Der Beschwerdeführer 2 wurde in einer Wohnzone mit 126km/h geblitzt.

Die erste Instanz ging von einer qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung aus, die obere Gerichtsinstanz hiess die Berufung gut und verurteilte den Beschwerdeführer wegen grober Verkehrsregelverletzung. Die Staatsanwaltschaft verlangt mit Beschwerde die Verurteilung wegen Rasens, der Polizist verlangt mit Beschwerde einen Freispruch.

Zum subjektiven und objektiven Tatbestand kann auf oben verwiesen werden. Die Vorinstanz nahm beim Polizisten einen Sachverhaltsirrtum an. Zudem habe seine Kollegin ihm geholfen, die Risiken des Schnellfahrens zu minimieren, wodurch man nicht von vorsätzlicher Tatbegehung sprechen könne (E. 2.4). Auf den Sachverhaltsirrtum kommt es laut BGer nicht an, denn dieser ändert nichts am hohen Unfallrisiko. Das BGer folgt der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Auch wenn die Beifahrerin des Polizisten ihn auf Gefahren hingewiesen hätte, wäre er von göttlicher Fahrkompetenz gesegnet, wenn er dann bei dem Tempo noch adäquat reagieren könnte. Zudem habe die Beifahrerin auch noch das Radio bedient und schaute gar nicht immer auf die Strasse. Auch ein spezielles Fahrtraining hat der Polizist nicht erhalten. Es gab insofern entgegen der Meinung der Vorinstanz keine aussergewöhnlichen Gründe, welche die gesetzliche Vermutung umstossen könnten, dass der subjektive Tatbestand nicht erfüllt sei (E. 2.5).

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird insofern gutgeheissen.

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