GoPro: The saga continues

BGE 6B_1282/2019: Beweisverwertung (gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerderführer wurde vom Polizeigericht in Lausanne wegen einfacher und grober Verkehrsregelverletzung verurteilt. Im Mai 2018 überholte der Beschwerdeführer in Denantou ein Elektro-Moped, nachdem er dieses anhupte. Als der hintere rechte Teil seines Autos etwa auf der Höhe des Mopeds war fuhr er aprubt auf die rechte Strassenseite und bremste dann stark ab. Der Mopedfahrer musste ebenfalls stark bremsen und schlug zweimal auf das Heck des Fahrzeuges des Beschwerdeführers. Zwischen dem Auto und dem Randstein waren noch etwa 70cm. Nach diesem Manöver setzte der Beschwerdeführer seine Fahrt fort. Der Mopedfahrer hielt die Szene mit einer GoPro fest. Der Beschwerdeführer verlangt einen Freispruch.

Er stellt sich auf den Standpunkt, dass das GoPro-Video als Beweis nicht verwertbar ist. Nach Art. 141 StPO dürfen widerrechtlich erhobene Beweise grds. nicht verwertet werden. Sie dürfen nur dann verwertet werden, wenn sie von den Strafbehörden korrekt hätten erhoben werden können und wenn eine Interessensabwägung für die Verwertung spricht (E. 1, die die ganze Thematik und Rechtsprechung gut zusammenfasst).

In E. 2 setzt sich das Bundesgericht mit der datenschutzrechtlichen Problematik von privaten Filmaufnahmen in der Öffentlichkeit auseinander. Das Datenschutzgesetz ist Teil des Persönlichkeitsschutzes. Niemand muss sich konstant beobachtet fühlen. Die Persönlichkeitsverletzung kann allerdings gemäss Art. 13 DSG gerechtfertigt sein.

Sodann setzt sich das BGer mit dem allseits bekannten BGE 6B_1188/2018 „Dashcam-Entscheid“ auseinander, der hier auch schon gefeatured wurde. In diesem wurde die Verwertung von Dashcam-Aufnahmen bei einer groben Verkehrsregelverletzung als widerrechtlich befunden. U.a. geht es darum, zu verhindern, dass Privatpersonen im Strassenverkehr „Sheriff“ spielen, denn diese Aufgabe obliegt dem Staat (E. 3.3). Allerdings könne eine Interessensabwägung auch für die Verwertung von widerrechtlich erlangten Beweisen sprechen (E. 4), denn im „Dashcam-Entscheid“ liess das BGer offen, ob Rechtfertigungsgründe nach Art. 13 DSG vorliegen könnten. Insofern sieht sich das BGer nunmehr dazu verpflichet, diese Frage zu klären. Läge ein Rechtfertigungsgrund vor, wären die GoPro-Aufnahmen verwertbar (E. 5).

Art. 141 Abs. 2 StPO besagt, dass die Verwertung rechtswidrig erlanger Beweise möglich ist, wenn „schwere“ Straftaten aufgeklärt werden müssen, worunter man bisher Verbrechen verstand. In BGE 6B_1468/2019 E. 1.4 entschied das BGer allerdings, dass beim unbestimmten Rechtsbegriff der „schweren Straftat“ die gesamten Tatumstände zu berücksichtigen sind und nicht nur das abstrakte Strafmass. Damit ist bei garvierenden Fällen auch bei Vergehen eine Verwertung möglich (E. 6).

Vorliegend ging die Vorinstanz von der Verwertung der GoPro-Aufnahmen aus aufgrund der Tatumstände (E. 7). Da die GoPro kontinuierlich filmte und kein Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 13 DSG vorliegt, taxiert das BGer die Aufnahmen als widerrechtlich, da sie das Datenschutzgesetz verletzen (E. 7.1). Sodann prüft das BGer ob die Aufnahme nicht doch aufgrund der Tatumstände verwertet werden kann. Das Überholmanöver stellt aber nach Ansicht des BGer keine „schwere“ Straftat i.S.v. Art. 141 Abs. 2 StPO dar, u.a. weil es keinen Unfall oder Verletzte gab (E. 7.2).

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Video und sämtliche Folgebeweise daraus dürfen nicht verwertet werden. Das BGer verfasste i.c. eine riesige Abhandlung, nur um nachher eine relative kurze Subsumption folgen zu lassen. Nichts desto trotz scheint ein kleines Hintertürchen geöffnet für die Verwertung privater Beweise bei SVG-Widerhandlungen, die zwar „nur“ als grobe Verkehrsregelverletzung gewertet werden, aber aufgrund der Tatumstände dennoch als „krass“ bzw. „schwer“ i.S. der StPO zu gelten haben.

P.S.: Ein äusserst komplizierter, französischer Entscheid. Falls sich Fehler eingeschlichen haben, einfach kommentieren.

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