Neuer Leitfaden Fahreignung

Geschätzte, eingeschworene Leserschaft

Für einmal gelangt der Schreiberling nicht mit einem Bundesgerichtsentscheid an Euch, sondern mit der schon etwas alten News, dass die Vereinigung der Strassenverkehrsämter nach gut 20 Jahren (!) am 27.11.2020 einen neuen Leitfaden zur Fahreignung rausgebracht hat.

Das Dokument widmet sich natürlich wieder der Frage, ab wann grds. aus medizinischer Sicht an der Fahreignung gezweifelt werden sollte. Es fällt aber durchaus nuancierter aus, als noch sein Uhrahn. So wird im Detail darauf eingegangen, wann „nur“ Zweifel nach Art. 15d SVG vorliegen und wann die Zweifel eben ernsthaft sind. Es ist unterteilt in:

A. Alkohol, Betäubungsmittel, Medikamente
B. Charakter
C. Wiederholte Prüfungsmisserfolge
D. Körperliche und psychische Erkrankung

Eine grössere Neuerung gibt es gleich am Anfang (A.1.a). Bei einem FiaZ zw. 1.6% und 2.49% muss die Fahreignung abgeklärt werden. Ein vorsorglicher Entzug gehört grds. dazu. Neu aber ist, dass die ernsthaften Zweifel nach Art. 30 VZV mit einem Arztzeugnis entkräftet werden können. Den Behörden scheint doch klar geworden zu sein, dass ein Sicherungsentzug massive Auswirkungen auf das Privatleben einer Person haben kann, insb. wenn man beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist. Es stehen Existenzen auf dem Spiel. Man darf und muss sich natürlich stets fragen, wieso man dann überhaupt alkoholisiert Auto fährt. Eine nuanciertere und damit auch verhältnismässigere Herangehensweise ist aber dennoch begrüssenswert.

Ebenfalls interessant ist die Empfehlung zur Kostenfolge, wenn eine Untersuchung aufgrund einer anonymen Meldung durchgeführt wird, die Fahreignung aber positiv beurteilt wird. Dann soll der Staat die Kosten tragen.

Der Drei-Sekunden-Blick

BGE 1C_470/2020: Handy am Steuer, das wird teuer

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Annullation seines Führerausweises auf Probe. Grund für die Annullation ist der Vorwurf einer leichten Widerhandlung, die allerdings wegen einer vorbelastenden mittelschwerden Widerhandlung zur zweiten Widerhandlung wird, die einen Führerscheinentzug zur Folge hat. Logische Konsequenz ist die Annullation des FAP gemäss Art. 15a SVG. Konkret wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, dass er innerorts während drei Sekunden auf sein Mobiltelefon geschaut hat um ein Lied zu wechseln. Der Entscheid liest sich recht gut, weil er die Rechtsprechung zur Aufmerksamkeit und zum Vornehmen einer Verrichtung gut zusammenfasst. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass ein besonders leichter Fall vorliegt.

Die Vorinstanz war der Meinung, dass ein Blick für ca. drei Sekunden innerorts kein besonders leichter Fall mehr ist. Bei 50km/h legt man dabei ca. 40 Meter zurück. Eine Distanz, in welcher Fussgänger auf die Strasse laufen oder von Querstrassen andere Motorfahrzeuge einfahren könnten. Auch ein Bedienen der Auto-Stereoanlage für drei Sekunden wäre unter diesen Umständen verboten gewesen (E. 3.1). Der Beschwerdeführer bezieht sich auf den Strafbefehl, in welchem festgehalten wurde, dass keine Dritten gefährdet wurden, woraus er schliesst, dass lediglich eine abstrakte Gefahr vorlag, welche dem Autofahren immanent ist. Dem entgegnet das Bundesgericht, dass die Strafbehörde mit dem Fehlen einer Gefahr, eine konkrete meinte. Hätte es gar keine Gefährdung gegeben, hätte auch keine Bestrafung nach Art. 90 SVG erfolgen dürfen (E. 3.3).

Zur pflichtgemässen Beherrschung eines Motorfahrzeuges gehört, dass man seine Aufmerksamkeit der Strasse widmet. Das Mass der Aufmerksamkeit richtet sich stets nach den Einzelfallumständen, also der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht sowie den voraussehbaren Gefahrenquellen. Die lenkende Person darf während dem Autofahren keine Verrichtung vornehmen, welche die Bedienung des Fahrzeuges erschwert (vgl. Art. 3 VRV). Eine Hand muss stets am Steuer sein, wobei mit der anderen Hand geschaltet, geblinkt, gehupt usw. werden kann. Dauert eine solche Verrichtung nur sehr kurz und muss dabei weder der Blick vom Verkehr abgewendet noch die Körperhaltung geändert werden, so kann eine Erschwerung der Fahrzeugbedienung in der Regel verneint werden (E. 4.1).

Das Bundesgericht befasst sich sodann übersichtlich mit seiner bisherigen Rechtsprechung (E. 4.2). Erlaubt ist:

  • Kurzer Blick auf Armaturen, wenn es der Verkehr zulässt
  • Lesen einer Zeitung im Stau in den Phasen des Stillstandes
  • Halten eines Mobiltelefons mit einer Hand auf der Autobahn für 15s

Nicht erlaubt dagegen:

  • Schreiben einer SMS beim Fahren
  • Ein Papier auf dem Lenkrad beschreiben
  • Während 7s auf ein Papier auf dem Steuer schauen
  • Einige Sekunden auf ein Navi beim Steuer schauen
  • Ein Lasermessgerät während drei Sekunden bedienen
  • Mit der rechten Hand ein Handy bedienen und die linke Hand nicht am Steuer

Daraus schliesst das Bundesgericht, dass der Beschwerdeführer den Bogen überspannt hat und eine Verrichtung vorgenommen hat, die das Autofahren erschwerte (E. 4.3). Ein besonders leichter Fall liegt nicht vor. Zwar ist die Dauer von drei Sekunden relativ kurz. Trotzdem legte er dabei einen Weg von 40m zurück und widmete seine Aufmerksamkeit nicht uneingeschränkt dem Verkehr, auch wenn er die Strasse im Gesichtsfeld hatte.

Die Annullation des FAP erfolgte zu Recht. Das Handy gehört grds. ins Handschuhfach. Der Vollständigkeit halber wird hier noch darauf hingewiesen, dass in absehbarer Zukunft leichte Widerhandlungen, die kaskadenbedingt zu einem Führerscheinentzug führen, keine Annullation des FAP mehr zur Folge haben sollen. Die entsprechende Motion 15.3574 wurde im Parlament angenommen.