Zweifelhaftes Kiffen

BGE 1C_330/2020: Kein vorsorglicher Entzug fürs Kiffen (teilw. gutgh. Beschwerde)

Mit diesem interessanten Entscheid präzisiert das Bundesgericht seine Rechtsprechung zum Kiffen und Autofahren. Wer unter Drogeneinfluss autofährt, muss sich einer Fahreignungsabklärung stellen (Art. 15d Abs. 1 lit. b SVG). Nach gefestigter Rechtsprechung wird mit der Fahreignungsabklärung in der Regel auch ein vorsorglicher Entzug des Fahrausweises gemäss Art. 30 VZV angeordnet (vgl. z.B. BGE 1C_41/2019). Allerdings ist die Kombination der Massnahmen kein Automatismus, denn die Voraussetzungen der Fahreignungsabklärung und des vorsorglichen Entzugs sind nicht die gleichen. Für die Fahreignungsabklärung werden Zweifel, für den vorsorglichen Entzug ernsthafte Zweifel vorausgesetzt (vgl. dazu die Ausführungen in BGE 1C_184/2019 E. 2.1). Dieser Entscheid befasst sich mit der Frage, wann bei Kiffer ein vorsroglicher Entzug berechtigt ist.

Bei einer Verkehrskontrolle wurde beim Beschwerdeführer Cannabis im Auto gefunden, woraufhin eine Blut- und Urinentnahme angeordnet wurden. Das pharmakologisch-toxikologische Gutachten ergab einen THC-Wert von 1.8-3.6µg/L sowie einen THC-COOH-Wert von 41µg/L. Daraufhin entzog die MFK SO den zwischenzeitlich wieder ausgehändigten Fahrausweis vorsorglich und ordnete eine Fahreignungsabklärung an. Der Beschwerdeführer verlangt eventualiter die Aufhebung des vorsorglichen Entzuges.

Der Beschwerdeführer war mit mind. 1.8µg/L THC im Blut fahrunfähig im Sinne des Gesetzes, da die gesetzliche Vermutung von Art. 34 ASTRA-VO i.V.m. Art. 2 Abs. 2 VRV griff (E. 2.1). Der gemessene THC-COOH-Wert von 41µg/L lasse zudem auf einen mehr als gelegentlichen Cannabiskonsum schliessen, auch wenn in der kantonalen Rechtsprechung erst ab einem Wert von 75µg/L von Zweifeln im Sinne von Art. 15d SVG ausgegangen werden kann (vgl. z.B. Entscheid Verwaltungsgericht GL vom 29.6.2017). Zudem hat der Beschwerdeführer Cannabis im Auto mitgeführt. All dies berechtigt zu Zweifeln i.S.v. Art. 15d SVG, auch wenn der Beschwerdeführer seit der Kontrolle abstinent gewesen sein soll (E.2.2-4).

Der Beschwerdeführer stellt sich sodann auf den Standpunkt, dass Cannabis keine Droge sei, die nach Art. 15d SVG die Fahrfähigkeit „stark beeinträchtige“. Gemäss den Materialien des Gesetzgebers ist aber klar, dass das „Fahren unter Drogeneinfluss“ stets zu einer Fahreignungsabklärung führen soll. Nur das Mitführen weicher Drogen (wie Cannabis) führt von sich aus noch nicht zu Zweifeln an der Fahreignung. Da der Beschwerdeführer nachweislich unter dem Einfluss von Cannabis autofuhr, ist die Abklärung der Fahreingung nötig (E. 3).

Schliesslich wendet sich der Beschwerdeführer gegen den vorsorglichen Entzug der Fahrerlaubnis. Aus seiner Sicht sei es willkürlich, wenn diese zunächst wieder ausgehändigt werde, nur um danach wieder vorsroglich entzogen zu werden (E. 4.2). Ein vorsorglicher Entzug setzt ernsthafte Zweifel an der Fahreignung einer Person voraus. Solche Zweifel sind berechtigt, wenn konkrete Anhaltspunkte eine Person als besonderes Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer erscheinen lassen und es daher unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit nicht zu verantworten wäre, ihr den Führerausweis bis zur Beseitigung der Zweifel zu belassen. In der Regel berechtigt die Anordnung einer Fahreignungsabklärung auch einen vorsorglichen Entzug der Fahrerlaubnis. Rechtsmitteln wird zugunsten der Verkehrssicherheit die aufschiebende Wirkung entzogen. Von diesem Grundsatz kann abgewichen werden, wenn anzunehmen ist, dass die betroffene Person kein besonderes Risiko für die Verkehrssicherheit darstellt. So bestanden keine ernsthaften Zweifel bei:

Die Vorinstanz nannte keine differenzierten Gründe für die Anordnung des vorsorglichen Entzuges. Solche sind nach dem BGer auch nicht erkennbar. Der THC-COOH-Wert von vorliegend 41µg/L sei als Grenzfall zu werten. Die von der SGRM empfohlene Grenze, das ab einem Wert von 40µg/L eine Fahreingungsabklärung anzuordnen sei, wurde in der Lehre und Rechtsprechung zum Teil als zu Tief qualifiziert. Im aktuellen Leitfaden Fahreignung wird zwar ab einem THC-COOH-Wert von 40µg/L im Blut i.d.R. die Abklärung der Fahreignung empfohlen, allerdings ohne vorsorglichen Entzug. Aus dem festgestellten THC-COOH-Wert und dem tiefen THC-Wert von mind. 1.8µg/L schliesst das BGer, dass beim Beschwerdeführer keine ernsthaften Zweifel an der Fahreignung bestehen, zumal in Bezug auf Cannabis kein gesicherter THC-Grenzwert für die tatsächliche Fahrfähigkeit besteht, weshalb nicht ohne weiteres vom Nachweis von THC im Körper des Betroffenen auf fehlende Fahrfähigkeit geschlossen werden kann.

Somit war die Anordnung eines vorsorglichen Führerscheinentzuges vorliegend nicht korrekt.

Oster-Rundschau neue BGE

Liebe Verkehrsrechtsenthusiast*innen

In letzter Zeit musste der Schreiberling den Blog aus familiären Gründen etwas vernachlässigen. Deshalb fassen wir die Entscheide der letzten Wochen in einer Art Rundschau kurz zusammen.

BGE 1C_298/2020: Verkehrspsychologische Abklärung
Die Teilnahme an einem illegalen Rennen in Deutschland berechtigt zur Anordnung einer psychologischen Fahreignungsabklärung. Interessant: Der vorsorgliche Entzug wurde von der Vorinstanz aufgehoben.

BGE 1C_415/2020: Dauer der Massnahme, Bindung an das Strafurteil
Das Strassenverkehrsamt ist an den Strafbefehl gebunden. Man kann nicht erst im Administrativverfahren die Beweisverwertung einer privaten Dashcamaufnahme anprangern. Das hätte im Strafverfahren gemacht werden müssen.
In der Einzelfallbeurteilung zur Dauer der Massnahme war es gerechtfertigt, wegen mehrern groben Verkehrsregelverletzungen den Führerschein für fünf Monate zu entziehen, auch wenn der Beschwerdeführer einen unbescholtenen Leumund hatte und beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist.

BGE 1C_319/2020: Fahreignung aus medizinischen Gründen
Der Verdacht auf ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, eine Polyneuropathie (Erkrankung des Nervensystems) und erhöhter Alkoholkonsum berechtigen zur Anordnung einer Fahreignungsabklärung. Die Fahrerlaubnis war nicht vorsorglich entzogen.

BGE 6B_716/2020: Die abgeurteilte Sache in Europa
Dieses äusserst interessante und komplexe Urteil beschäftigt sich mit der Frage, wann nach dem Schengener Durchfühurngsübereinkommen in Europa eine abgeurteilte Sache vorliegt, also die Schweiz eine Person nicht mehr bestrafen kann, weil bereits ein ausländisches Urteil vorliegt. Grundlage ist ein Raserdelikt in der Schweiz. Zumindest über einen Teil des Sachverhalts (Fahren ohne Berechtigung) erliess die deutsche Staatsanwaltschaft ohne grössere Abklärungen eine Einstellung. Die Schweiz erklärte bei der Ratifikation des SDÜ gemäss Art. 55 SDÜ aber, nicht an Art. 54 SDÜ gebunden zu, wenn die Tat ganz in der Schweiz begangen wurde, was hier der Fall war. Die Schweizer Strafbehörden durften den Beschwerdeführer also wegen Rasens verurteilen.

BGE 6B_1125/2020: Tödliches Überholmanöver
Bei einem Überholmanöver übersieht der Beschwerdeführer ein entgegenkommendes Mofa. Dessen Lenker stirbt tragischerweise an den Unfallfolgen. Zu Recht wurde der Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Der Entscheid befasst sich exemplarisch mit den Voraussetzungen der Fahrlässigkeit und der Aufmerksamkeit nach Art. 31 SVG.

BGE 6B_1147/2019: Motorradunfall bei Nässe, angemessene Geschwindigkeit
Bei einem Überholmanöver auf regennasser Autobahn mit ca. 120km/h verlor der Beschwerdeführer die Kontrolle über sein Motorrad. Er stellt sich auf den Standpunkt wegen einer Asphaltfuge und nicht etwa wegen dem Regen gestürzt zu sein. Das sei nicht vermeidbar gewesen. Die Geschwindigkeit muss allerdings den Umständen angepasst werden. So verhielt sich der Beschwerdeführer pflichtwidrig, indem er die zulässige Geschwindigkeit bei nasser Fahrbahn und schlechter Sicht ausfuhr und just vor einer Kurve zu einem Überholmanöver ansetzte. Als erfahrener Motorradfahrer hätte er vorhersehen können, dass sein Motorrad bei nasser Fahrbahn wegrutschen kann. Mit einer Anpassung der Geschwindigkeit hätte der Unfall vermieden werden können.