Faksimilie-Unterschrift auf Strafbefehl

Urteil 6B_684/2021: Die Tücken des Massengeschäfts (gutgh. Beschwerde, für Publikation vorgesehen)

Dieses Urteil ist höchstinteressant, weil es aufzeigt, welche Fallstricke das Massengeschäft in der Verwaltung haben kann. Die Strafbehörden müssen stets aufpassen, dass sie im Bereich der Massendelinquenz und trotz speditiver Fallbearbeitung stets die gesetzlichen Vorgaben der Strafprozessordnung einhalten. Nicht jeder formeller Fehler kann nachträglich geheilt werden.

Wegen einem Rechtsüberholmanöver im Juli 2018 wurde der Beschwerdeführer zunächst wegen grober und schliesslich vom Appelationsgericht BS wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass der Strafbefehl wegen einem Formmangel nichtig sei. Der Strafbefehl war mit einem Unterschriftenstempel („Faksimilie-Stempel“) unterzeichnet. Ohne handschriftliche Unterschrift sei die Urheberschaft des Strafbefehls unklar gewesen. Die Vorinstanz stimmt dem Beschwerdeführer zu, dass ein Strafbefehl von der ausstellenden Person unterzeichnet werden muss und dass der Strafbefehl einen Formfehler hatte. Allerdings sei dieser Fehler nach der Einsprache des Beschwerdeführers mit der Überweisungsverfügung an das Gericht geheilt worden, weil sich mit dieser Verfügung die Staatsanwältin ausdrücklich als Ausstellerin des Strafbefehls bekannt habe. Zudem vertritt die Vorinstanz die Auffassung, dass die Benutzung von Faksimilie-Stempel im Bereich des strafprozessualen Massengeschäfts generell zulässig sei.

Gemäss Art. 353 Abs. 1 lit. k StPO enthält der Strafbefehl die Unterschrift der ausstellenden Person.

Bei schriftlichen Eingaben von Parteien reicht gemäss Art. 110 Abs. 1 StPO eine fotokopierte oder faksimilierte Unterschrift nicht. Gleiches gilt gemäss Art. 80 Abs. 2 StPO auch für Entscheide, was letztlich der Rechtssicherheit dient. Auch für Strafbefehle gilt, dass Aussteller und Unterzeichner identisch sein müssen. Weder darf eine unzuständige Person unterschreiben, noch darf der Strafbefehl „in Vertretung“ unterschrieben werden (zum Ganzen ausführlich E. 1.3).

Daraus folgt, dass die eigenhändige Unterschrift auf einem Strafbefehl bezeugt, dass dieser bzgl. Schuld und Strafe dem Willen des Staatsanwaltes oder der Staatsanwältin entspricht. Bei der Unterschrift handelt es sich insofern um ein Gültigkeitserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit. Ergänzend kommt hinzu, dass bei fehlender Einsprache ein Strafbefehl zum Urteil wird, weshalb ein Strafbefehl wie ein Entscheid gemäss Art. 80 StPO eine eigenhändige Unterschrift zu enthalten hat. Damit überzeugt die Vorinstanz nicht, wenn sie ausführt, dass im Bereich des strafprozessualen Massengeschäfts mittels Faksimilie-Unterschrift vom Formerfordernis der eigenhändigen Unterschift abgewichen werden darf, auch wenn die Anwendung der Faksimilie-Stempel „streng reglementiert“ sei (vgl. E. 1.4.1).

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist ein Strafbefehl mit einer Faksimilie-Unterschrift aber nicht nichtig, sondern lediglich ungültig. Nur krass fehlerhafte Verfahrenshandlungen führen zur Nichtigkeit eines Entscheides, z.B. wenn die entscheidende Behörde weder funktionell noch sachlich zuständig war. Deshalb prüft das Bundesgericht, ob der Mangel mit der Überweisungsverfügung an das Gericht geheilt wurde (vgl. E. 1.4.2).

Nach dem Grundsatz der Formstrenge müssen Verfahren innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Form durchgeführt werden. Erhebt die Staatsanwaltschaft nach Einsprache der beschuldigten Person Anklage an das Gericht, gilt der Strafbefehl als Anklageschrift (Art. 356 Abs. 1 StPO und 325 StPO). Im Hauptverfahren ist die Staatsanwaltschaft Partei (Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO), womit ihre schriftlichen Eingaben datiert und unterzeichnet werden müssen (Art. 110 Abs. 1 StPO). Das Gericht prüft sodann die Anklage. Bestehen formelle Mängel wird die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen (Art. 329 StPO). In der Folge nimmt das Bundesgericht eine interessante Differenzierung vor:

Wenn der Strafbefehl bewusst im Sinne einer eigentlich Praxis – wie vorliegend zur Bewältigung des Massengeschäfts – ungültig mittels Faksimilie-Unterschrift ausgestellt wird, kann der Mangel durch die Überweisung an das Gericht nicht geheilt werden. Eine Heilung des Mangels einer ungültigen Unterschrift ist nur dann möglich, wenn auf die (eigenhändige) Unterschrift nicht bewusst verzichtet worden, sondern diese namentlich versehentlich unterblieben ist und damit die Nichteinhaltung des Gültigkeitserfordernisses nicht auf einer eigentlichen Praxis beruht (E. 1.5.2).

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Damit ist klar, dass die Strafbehörden bei der Straffung ihrer Prozesse im Namen der Effizienz stets darauf bedacht sein müssen, dass sie die Formvorschriften der StPO einhalten.

Auffahrkollision ist eine mittelschwere Widerhandlung

Urteil 1C_741/2021: Lieber leicht, als mittelschwer…

In letzter Zeit häufen sich die Entscheide, in welchen betroffene Personen im Administrativverfahren auf eine leichte Widerhandlung plädieren. Das ist auch verständlich, denn die Kaskade bei leichten Widerhandlungen ist wesentlich milder, als bei mittelschweren, sofern die charakterliche Fahreignung nicht generell in Zweifel gezogen werden muss. So wehrt sich die Betroffene auch im vorliegenden Fall gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung, welche zu einem Kaskadensicherungsentzug führte.

Die Beschwerdeführerin kollidierte wegen mangelnder Aufmerksamkeit mit einem vorfahrenden Fahrzeug, welches vor einem Fussgängerstreifen anhielt. Beide Insassen des vorfahrenden Autos wurden verletzt. Wegen einfacher Verkehrsregelverletzung erhielt die Beschwerdeführerin wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln eine Busse von CHF 300.

Nach der Grundregel von Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ein ausreichender Abstand zu wahren, u.a. auch beim Hintereinanderfahren. Die nachfahrende Person muss grds. auch bei überraschendem Abbremsen des vorderen Fahrzeuges rechtzeitig anhalten können (E. 2.1). Eine mittelschwere Widerhandlung liegt immer dann vor, wenn weder die privilegierenden Voraussetzungen der leichten, noch die qualifizierenden Voraussetzungen der schweren Widerhandlung erfüllt sind (E. 2.3).

Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass ihr Verschulden leicht gewesen sei, weil sie mit einer Busse von lediglich CHF 300 bestraft wurde. Aus ihrer Sicht sei auch die Gefährung gering gewesen, weil der Unfall durch eine Verkettung unglücklicher Umstände eingetreten ist. Aus ihrer Sicht, habe sie genügend Abstand gehabt, aber das Fahrzeug sei trotz blockierter Räder „nach vorne gerutscht“ (E. 3).

Das Bundesgericht sieht das anders. Die Beschwerdeführerin hat eine Auffahrkollision mit Sach- und Personenschaden verursacht, womit sie eine konkrete Gefahr geschaffen hat. Bereits ab einer Kollisionsgeschwindigkeit von 10km/h besteht die Gefahr von einem Schleudertrauma (sog. Harmlosigkeitsgrenze). Zudem bestand auch eine erhöht abstrakte Gefährdung für die Person, die sich auf dem Fussgängerstreifen befand. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin habe die Vorinstanz zudem den Sachverhalt willkürlich festgestellt. Die Vorinstanz begründete die konkrete Gefährdung mit dem Schleudertrauma des Lenkers des vorfahrenden Autos. Das Schleudertrauma wurde aber im Strafbefehl nicht erwähnt. Die Beschwerdeführerin ist aber der Ansicht, dass die Administrativbehörde an den Sachverhalt im Strafbefehl gebunden sei. Letztlich ist diese Argumentationskette irrelevant, denn für die Anordnung von Massnahmen gemäss Art. 16ff. SVG reicht bereits eine erhöht abstrakte Gefährdung. Konkrete Folgen einer Verkehrsregelverletzung, z.B. ein Unfall, müssen nicht eintreten.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Es ist mir bewusst, dass für die meisten der eingeschworenen Leserschaft dieses Urteil nichts Neues ist. Ich finde es aber trotzdem immer wieder interessant, mit welchen Argumenten betroffene Personen versuchen, ihrem rechtlichen Schicksal zu entfliehen.