Aquaplaning

Urteil 1C_135/2022: Qualifikation von Aquaplaning im Administrativverfahren

Mit „etwas“ Verspätung widmen wir uns diesem französischen Urteil, welches sich mit der Frage befasst, wie ein Aquaplaning auf der Autobahn sanktioniert werden kann. Für die Feinschmecker unter uns bietet das Urteil keine bahnbrechenden Erkenntnisse. Trotzdem ist es immer wieder interessant zu sehen, welche Sachverhalte von den Administrativ- und Strafbehörden unterschiedlich beurteilt werden.

Die Beschwerdeführerin fuhr auf der Autobahn A12 von Lausanne nach Fribourg bei regnerischem Wetter und nasser Fahrbahn. Als sie mit etwa 100km/h ein anderes Auto überholte, verlor sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug und kollidierte mit dem auf der rechten Fahrbahn fahrenden Fahrzeug. Dieses kollidierte in der Folge frontal mit der Mittelleitplanke. Die KAM des Kt. FR beurteilte den Sachverhalt als schwere Widerhandlung und ordnete einen Warnentzug von drei Monaten an. Von der Strafbehörde wurde die Beschwerdeführerin mit einer Busse wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung bestraft. Die Beschwerdeführerin beruft sich darauf, dass eine mittelschwere Widerhandlung vorliegt und beantragt eine Warnmassnahme von einem Monat. Sie bringt vor, dass sie nicht rücksichtslos gehandelt habe.

Das Bundesgericht führt zunächst die exemplarisch die Voraussetzungen für die Widerhandlungen nach Art. 16a bis 16c SVG auf und konkludiert, dass die mittelschwere Widerhandlung ein Auffangtatbestand ist. Die für eine Warnmassnahme vorausgesetzte Gefährdung muss nicht konkret, sondern lediglich erhöht abstrakt sein. Ob eine erhöht abstrakte Gefährdung vorliegt, beurteilt sich anhand des Einzelfalles. Der Tatbestand der schweren Widerhandlung setzt objektiv eine ernstliche Gefahr und subjektiv eine rücksichtsloses Vorgehen voraus. Der subjektive Tatbestand ist mit jenem der groben Verkehrsregelverletzung identisch. Rücksichtslos verhält sich z.B., wer sich der Gefahr seiner Fahrweise bewusst ist, diese aber nicht anpasst.. Rücksichtslos ist es aber auch, wenn man sich der gefährlichen Fahrweise gar nicht bewusst ist, also unbewusst fahrlässig handelt. In diesen Fällen ist aber zurückhaltend von einer Rücksichtslosigkeit auszugehen. Von grober Fahrlässigkeit bzw. Rücksichtslosigkeit ist nur dann auszugehen, wenn die Unkenntnis der Gefährdung besonders schuldhaft („particulièrement blamable“) ist. Je schlimmer die Folgen der Widerhandlung, desto eher kann von einer Rücksichtslosigkeit ausgegangen werden (äusserst ausführlich E. 2.1).

Ein mittelschweres Verschulden i.S.v. Art. 16b SVG ist dann anzunehmen, wenn nach den Einzelfallumständen keine hohe Vorsicht gefordert wird. Ebenso kann das Verschulden mittelschwer sein, wenn Unfallrisiken nicht berücksichtigt werden, die von einer durchschnittlich vorsichtigen Person erkennbar waren.

Gemäss Art. 31 SVG muss die fahrende Person ihr Fahrzeug stets so beherrschen, dass sie ihren Vorsichtspflichten nachkommen kann. Dazu muss man seine Aufmerksamkeit stets der Strasse widmen, um allfällige Gefahren frühzeitig zu identifizieren und damit man die Geschwindigkeit den Umständen anpassen kann. Das Nicht-Beherrschen des Fahrzeuges muss nicht immer eine schwere Widerhandlung sein. Beim Aquaplaning gibt es allerdings viele Präjudizien von Fällen, in welchen eine Widerhandlung als schwer qualifiziert wurde. Das Phänomen des Aquaplanings ist nach Ansicht des Bundesgericht auch jedem bekannt, insb. dass es auf der Autobahn bereits ab Geschwindigkeiten von weniger als 80km/h eintreten kann. Ob die Geschwindigkeit den Umständen korrekt angepasst wurde ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei überprüfen kann, wobei es dies mit einer gewissen Zurückhaltung tut (ausführlich E. 2.2).

Die Beschwerdeführerin gab zu, dass sie um die Gefahr von Aquaplaning wusste. Sie habe aber nicht rücksichtslos gehandelt, da sie ihre Geschwindigkeit auf 90-100km/h reduziert habe. Bei den vorherrschenden Wetterverhältnissen trifft alle Verkehrsteilnehmer nach Ansicht des Bundesgerichts eine erhöhte Vorsichtspflicht. Jeder sollte wissen, dass man bei Regen und nasser Fahrbahn auf der Autobahn nicht schneller als 80km/h fahren sollte. Da die Beschwerdeführerin schneller fuhr, hat sie ein offensichtliches Risiko verkannt. Unter diesen Bedingungen mit mehr als 80km/h zu überholen erscheint als besonders schuldhaft, insb. weil auf der Autobahn hohe Geschwindigkeiten gefahren werden. Auch dass im Strafverfahren nur auf eine einfache Verkehrsregelverletzung erkannt wurde, hilft der Beschwerdeführerin nicht weiter, da die Administrativbehörde in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts frei ist (ausführlich E. 2.3f).