Kürzung von Genugtuung bei leichtem Selbstverschulden des Verunglückten

BGE 4A_290/2018:

Der Lenker eines Motorrades ist bei einem Selbstunfall tödlich verunglückt. Die hinterbliebene Familie fordert von der Haftpflichtversicherung Genugtuung. Die Vorinstanz ging von einem leichten Verschulden des Verunglückten aus und kürzte die Genugtuungsforderungen um 10%. Die Haftpflichtversicherung führt Beschwerde, weil sie von einem groben Selbstverschulden ausgeht, womit die Haftpflicht entfiele. Die Beschwerde wird abgewiesen.

E.2. Zum Verschulden: Der Verstorbene verunglückte in einer Linkskurve. Es handelte sich beim Fahrzeug um ein Mietfahrzeug, der Verunglückte war kein geübter Motorradahrer. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 80 km/h, wobei das Passieren der Kurve laut Gutachten für einen geübten Fahrer mit 70km/h problemlos möglich gewesen wäre. Die vorliegende Geschwindigkeit betrug im Kollisionszeitpunkt ca. 63 km/h und war insofern angemessen. Die Vorinstanz ging lediglich davon aus, dass der Verstorbene als ungeübter Lenker, der die Strecke nicht kannte, seine Geschwindigkeit noch weiter hätte reduzieren müssen. Sie nahm ein leichtes Verschulden an und kürzte die Leistung aus Haftpflicht um 10% [E. 2.1.-2.3.].

Auch ein grobes und damit kausalitätsunterbrechendes und haftungsausschliessendes Selbstverschulden lag nicht vor. Ebenso kann sich die Beschwerdeführerin nicht auf den sog. Anscheinsbeweis stützten, nach welchem mangels anderen Unfallursachen der Unfall einzig auf ein Fehlverhalten des Verunfallten zurückzuführen sei, womit die Ersatzpflicht entfiele [E. 2.4.].

Liegt kein grobes Selbstverschulden vor, bestimmt das Gericht gemäss Art. 59 Abs. 2 SVG die Ersatzpflicht unter Würdigung sämtlicher Umstände. In Ermessensentscheide greift das Bundesgericht nur mit grösster Zurückhaltung ein. Die Kürzung der Ersatzpflicht um 10% wegen leichtem Selbstverschulden war insofern richtig.

Drogen und ihre Grenzwerte

BGE 1C_147/2018:

Der Entscheid befasst sich exemplarisch mit den verschiedenen Grenzwerten, die bzgl. Drogen und Autofahren zur Anwendung gelangen.

Die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers enthält als Auflagen ein totale Drogen- und Alkoholabstinenz. Wegen einem mutmasslichen Unfall wurde ein pharmakologisch-toxikologisches Gutachten erstellt, mit welchem der Konsum von Kokain und Cannabis nachgewiesen wurde, woraufhin das Verkehrsamt SZ dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis sicherheitshalber nach Art. 17 Abs. 5 SVG entzog. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen den Sicherungsentzug, weil die in Art. 34 VSKV-ASTRA stipulierten Grenzwerte nicht erreicht wurden und damit ein Konsum nicht nachgewiesen sei.

E. 5 zu den Grenzwerten: Gemäss Art. 2 Abs. 2 VRV gilt eine Person unwiderlegbar als fahrunfähig, wenn eine der im Artikel genannten Substanzen im Blut nachgewiesen wird. Der Nachweis gilt als erbracht, wenn die Messwerte im Blut die in Art. 34 VSKV-ASTRA festgelegten Grenzwerte erreichen. „Bei diesen Grenzwerten handelt es sich um sogenannte Bestimmungsgrenzwerte, die unter Berücksichtigung der Eigenheiten des chemisch-analytischen Messverfahrens festlegen, ab welcher Konzentration eine Substanz in einer Probe zuverlässig quantitativ bestimmt werden kann. Bestimmungsgrenzwerte sind von den sogenannten Nachweisgrenzwerten zu unterscheiden. Diese bezeichnen die kleinste Konzentration eines Stoffes, die in einer Probe qualitativ noch erfasst werden kann. Zwischen der Nachweis- und der Bestimmungsgrenze liegt in der Regel die sogenannte Erfassungsgrenze, ab der eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die gesuchte Substanz tatsächlich vorhanden ist.“ Liegt ein Messwert unterhalb der Nachweisgrenze, gilt eine Abstinenz grds. als bewiesen (vgl. für Alkohol BGE 140 II 334 E. 7). Die Grenzwerte von Art. 34 VSKV-ASTRA beziehen sich auf den Nachweis der Fahrunfähigkeit und den Straftatbestand des Fahrens in fahrunfähigem Zustand nach Art. 91 SVG. Nur weil i.c. die Grenzwerte von Art. 34 VSKV-ASTRA nicht erreicht wurden, heisst das nicht, dass der Beschwerdeführer keine Betäubungsmittel konsumiert hat.

E. 6 zum Sicherungsentzug: Nach einem Sicherungsentzuges wegen einer Suchtkrankheit wird zum Nachweis der Heilung i.d.R. eine mind. einjährige kontrollierte Abstinenz verlangt, was als Auflage in die Fahrerlaubnis eingetragen wird. Verstösst der Autofahrer gegen die Auflagen, wird diese nach Art. 17 Abs. 5 SVG sofort entzogen, ohne dass weitere verkehrsmedizinische Abklärungen vorzunehmen wären.

Der Beschwerdeführer hat zwar kein Fahrzeug in fahrunfähigem Zustand gelenkt, der Nachweis des Betäubungsmittelkonsums lag aber trotzdem vor. Der Sicherungsentzug erfolgte zu Recht.

Das rechtlich geschützte Interesse (gutgh. Beschwerde)

BGE 1C_641/2017:

Beim Beschwerdeführer fiel bei einer Verkehrskontrolle der Drugwipe-Test positiv auf Cannabis aus. Nach einem vorsorglichen Führerscheinentzug und erfolgreicher Fahreignungsabklärung wurde im August 2015 der Ausweis wiedererteilt, mit der Auflage einer 12-monatigen Cannabisabstinenz, die mittels monatlichen Urinproben kontrolliert wird. Im März 2016 fiel eine Urinprobe wiederum positiv aus, woraufhin das Strassenverkehrsamt der sofortige Sicherungsentzug verfügte und die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wiederum von einer Fahreignungsabklärung abhängig machte. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Die Beschwerdeinstanz sistierte das Verfahren und schrieb das Verfahren als gegenstandslos ab, nachdem der Beschwerdeführer trotz hängigem Rechtsmittel die erneute Fahreignungsabklärung bestand. Gegen die Abschreibung wurde beim Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben, die abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer verlangt die Aufhebung dieses Urteils. Das ASTRA hat sich vernehmen lassen und beantragt die Gutheissung der Beschwerde.

E. 2.2 zur Rechtsverweigerung: Dem Rechtsuchenden wird ein gerechtes Verfahren verweigert, wenn sein ordnungsgemäss eingereichtes Begehren nicht regelmässig geprüft wird. Eine formelle Rechtsverweigerung liegt vor, wenn eine Behörde auf eine Eingabe fälschlicherweise nicht eintritt oder eine solche ausdrücklich bzw. stillschweigend nicht behandelt, obwohl sie dazu verpflichtet wäre. Ob eine formelle Rechtsverweigerung vorliegt, prüft das Bundesgericht frei.

E. 2.3. zur Meinung der Vorinstanz: Die Vorinstanz ist der Auffassung, mit der Wiedererteilung des Führerausweises am 28. Februar 2017 sei das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers an der Behandlung seiner beim Departement gegen den Sicherungsentzug vom 23. März 2016 erhobenen Beschwerde entfallen.

E. 2.4. zur Meinung des BGer: Administrativmassnahmen werden im ADMAS-Register eingetragen, so auch der Sicherungsentzug vom März 2016. Gemäss der ADMAS-Register-VO bliebe dieser Eintrag mind. 10 Jahre bestehen bis er automatische gelöscht würde. Das Verwaltungsgericht war der Ansicht, dass der Beschwerdeführer durch diesen Eintrag nicht beschwert würde. Das sieht das BGer nicht so: „Auf der Hand liegt jedenfalls, dass der Eintrag für den Beschwerdeführer nachteilige Folgen haben könnte, wenn sich die Frage eines neuerlichen Sicherungsentzugs namentlich wegen Cannabismissbrauchs stellte. Darauf weist zutreffend auch das ASTRA hin. Könnte sich der Eintrag des am 23. März 2016 verfügten Sicherungsentzugs – wie die Vorinstanz anzunehmen scheint – in keiner Hinsicht nachteilig für den Beschwerdeführer auswirken, wäre nicht einzusehen, weshalb der Gesetz- und Verordnungsgeber den Eintrag überhaupt vorgesehen hätten. Der Eintrag des Sicherungsentzugs im ADMAS kann demnach für den Beschwerdeführer in einem allfälligen neuerlichen Administrativverfahren nachteilige Folgen haben. Schon deshalb hat der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Behandlung der beim Departement gegen den Sicherungsentzug eingereichten Beschwerde.“ Auch könnte ein Arbeitgeber einen ADMAS-Auszug verlangen. Zudem muss niemand fehlerhafte Registereinträge hinnehmen, was sich aus dem Recht über informationelle Selbstbestimmung ergibt. Der Beschwerdeführer hat insofern nach wie vor ein schutzwürdiges Interesse auf Behandlung seiner Beschwerde. Zudem bestreitet der Beschwerdeführer auch die Richtigkeit der Urinprobe, die zum Sicherungsentzug führte. „In Anbetracht dessen ist es schlechthin unhaltbar, wenn die Vorinstanz annimmt, aufgrund der Wiederteilung des Führerausweises am 28. Februar 2017 habe der Beschwerdeführer kein schutzwürdiges Interesse an seiner gegen den Sicherungsentzug vom 23. März 2016 erhobenen Beschwerde mehr“.

Das Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kt. AG hat es sich hier zu einfach gemacht. Auch wenn die Fahrerlaubnis zwischenzeitlich wiedererteilt wurde, hat der Beschwerdeführer eine Vielzahl von schutzwürdigen Interessen, die die Behandlung seiner Beschwerde rechtfertigen.

Der unaufmerksame Fussgänger (gutgh. Beschwerde)

BGE 6B_1294/2017

Im Dezember 2014 überfuhr der Beschwerdeführer bei schlechten Wetter- und Sichtverhältnissen einen Fussgänger, wofür er von den kantonalen Instanzen wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Das BGer hingegen heisst seine Beschwerde gut.

E. 1.1./2. zu den Meinungen der Parteien: Der Beschwerdeführer beruft sich auf den Vertrauensgrundsatz und rügt, dass er nicht damit habe rechnen müssen, dass ein Fussgänger unvermittelt auf die Fahrbahn tritt, wo es keinen Fussgängerstreifen hat. Konkrete Anzeichen für ein Fehlverhalten des Fussgängers habe es nicht gegeben. Die Vorinstanz hingegen geht davon aus, dass der Beschwerdeführer den Fussgänger hätte bemerken und schon früher bremsen müssen.

E. 1.3.-5. zum Rechtlichen: Der Autofahrer muss sein Fahrzeug gemäss Art. 31 SVG stets so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Nach dem Vertrauensgrundsatz in Art. 26 SVG darf er aber davon ausgehen, dass sich sämtliche Verkehrsteilnehmer korrekt verhalten. Wo es keine Fussgängerstreifen hat, ist der Autofahrer gegenüber dem Fussgänger grds. vortrittsberechtigt (vgl. Art. 47 Abs. 5 VRV). „Das Mass der Sorgfalt, die vom Fahrzeuglenker verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen.“

E. 1.6./7. Zur Subsumption: Der Fussgänger überquerte die Fahrbahn 6.5m vor dem Fussgängerstreifen. Er hörte Musik und war unaufmerksam. Die Witterungs- und Sichtverhältnisse waren schlecht, der Fussgänger war dunkel gekleidet. Der Beschwerdeführer hingegen machte trotz Ortskundigkeit keine Kontrollblicke nach links und rechts. Er sah den Fussgänger erst, als dieser auf der Fahrbahn war. Allerdings gab es keine Anzeichen dafür, dass der Fussgänger unvermittelt auf die Fahrbahn treten würde. Insofern liegt i.c. keine Sorgfaltspflichtsverletzung vor. Zwischen dem Betreten der Fahrbahn und der Kollision liegen lediglich 0.8 Sekunden, was nicht einmal der durchschnittlichen Reaktionszeit von einer Sekunde entspricht. Es gab keine Kommunikation zwischen den beiden Verkehrsteilnehmern, da der Fussgänger mit dem Rücken zum Beschwerdeführer lief. Das blosse Vorhandensein von erwachsenen Fussgängern auf dem Trottoir erfordert kein Bremsmanöver. Kausale Ursache für den Unfall war das unvorhersehbare Beschreiten der Fahrbahn durch den Fussgänger, womit der Unfall für den Beschwerdeführer nicht vermeidbar war. Der Autofahrer wird freigesprochen.

Freizeitführerscheinentzug?

BGE 1C_178/2018: Ausnahmen für Selbstständigerwerbende? (Repetitorium)

Der Entscheid bringt eigtl. nichts Neues. Ist aber trotzdem interessant, dass es wieder mal jemand versucht hat. Dank zwei schweren Widerhandlungen droht dem Beschwerdeführer ein 12-monatiger Kaskadenentzug. Der Beschwerdeführer verlangt den Verzicht des Entzuges und die Auflage, dass er nur zu beruflichen Zwecken ein Fahrzeug führen darf.

E. 2.2 zur Meinung des Beschwerdeführers: Dieser sieht sich als selbstständiger Bodenleger ohne Angestellte mit einer höchst unverhältnismässigen Massnahme konfrontiert, die einem Berufsverbot gleich komme. Aus diesem Grund verlangt er den Vollzug der Massnahme mittels der obigen Auflage.

E. 3 zur Meinung des Bundesgerichts: Ein auf die Freizeit beschränkter Entzug entfaltet nach dem gesetzgeberischen Willen nicht die erwünschte erzieherische Wirkung (E. 3.1). Eine Praxisänderung ist aus diesen Gründen nicht angezeigt, insb. weil der Gesetzgeber mit der Entzugskaskade genau die strenge Sanktionierung von Wiederholungstätern erreichen wollte (E. 3.2). Die Massnahme sei auch nicht unverhältnismässig hart, er könne ja einen Chauffeur anstellen. Zudem würden Berufschauffeure noch härter getroffen und auch bei diesen gibt es keine Ausnahmen (E. 3.3).

Eine Änderung zu Gunsten von Berufstätigen ist nur auf dem politischen Parkett erreichbar.

Beschleunigungsgebot

BGE 1C_190/2018: Lange Verfahrensdauer

Wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 39km/h innerorts im Jahr 2009 drohte dem Beschwerdeführer kaskadenbedingt ein 12-monatiger Ausweisentzug. Nachdem das Strafverfahren (vorerst) vor zweiter Instanz im Mai 2014 rechtskräftig abgeschlossen wurde, verfügte das Strassenverkehrsamt die erwähnte Massnahme. Dagegen reichte der Beschwerdeführer Rekurs ein und verlangte im Strafverfahren zugleich die Revision des zweitinstanzlichen Entscheides. Die Rekurskommission sistierte daraufhin das Verfahren. Die Revision wurde abgewiesen, was das BGer im Januar 2016 bestätigte. Im Oktober 2017 nahm die Rekurskommission ihre Arbeit wieder auf und bestätigte den Ausweisentzug. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer. Nach seiner Ansicht sei das Beschleunigungsgebot verletzt, da die ganze Geschichte 9 Jahre und 3 Monate dauerte.

E. 3 zur Meinung der Parteien: Zunächst stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass die Verjährungsregelungen des StGB im Administrativrecht analog angewendet werden müssen. Zudem hätte eine Warnmassnahme aufgrund der langen Verfahrensdauer keine erzieherische Wirkung mehr. Gemäss dem vorinstanzlichen Entscheid besteht kein Grund für einen Verzicht auf die Massnahme. Lediglich die Dauer vom Januar 2016 bis Oktober 2017 bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Rekurskommission sei zu lange gewesen. Allerdings sei dies nicht genug intensiv, um einen Massnahmeverzicht zu rechtfertigen.

E. 4 zur gefestigten Rechtsprechung: Die Unterschreitung der Mindestentzugsdauer ist seit der Revision des SVG vom 1.1.2005 nicht mehr möglich (vgl. Art. 16 Abs. 3 SVG). Die aktuelle Rechtslage widerspricht damit der Rechtsprechung von BGE 120 IB 504, nach welcher eine Unterschreitung noch möglich war. Offengelassen wurde bis jetzt, ob von einer Massnahme gänzlich abgesehen werden kann. Alle bisherigen Begehren wurden allerdings vom Bundesgericht abgelehnt.

E. 5 zur Meinung des Bundesgerichtes: Die Verfahrensdauer von 9 Jahren und 3 Monaten ist klar zu lang. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes kann aber nur dort geortet werden, wo die Rekurskommission die Wiederaufnahme des Verfahrens um ca. 20 Monate vertändelte. Allerdings rechtfertigt sich dadurch noch ein Massnahmeverzicht, zumal „der Beschwerdeführer ein vermindertes Interesse an einem raschen Entscheid hatte, da er sein Fahrzeug weiterhin lenken durfte“. Die restliche Verfahrensdauer ist auf die Erhebung der Rechtsmittel des Beschwerdeführers zurückzuführen und kann den Behörden nicht angelastet werden (E. 5.1).

Auch wenn die Widerhandlung weit zurückliegt, geht die erzieherische Wirkung nicht verloren – trotz zwischenzeitlichem Wohlverhalten. Eine schwere Verletzung des Beschleunigungsgebotes liegt auch nicht vor. Der Führerscheinentzug ist nicht bundesrechtswidrig.

Diabetes und Fahrunfähigkeit

BGE 6B_1450/2017: Verkehrsunfall wegen Diabetes (Gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer ist Diabetiker. Im September 2016 verursachte er einen Unfall. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau warf ihm Fahren in fahrunfähigem Zustand vor, weil er vor der Abfahrt seinen Blutzuckerwert nicht gemessen habe. Das Bezirksgericht sprach in frei, das Obergericht hingegen hiess die Berufung der Staatsanwaltschaft gut. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

E. 1.1 Meinung des Beschwerdeführers: Die Vorinstanz hat ihren Schuldspruch lediglich mit Richtwerten aus einem Merkblatt für Fahrzeuglenker mit Diabetes mellitus des Kantonsspitals Aarau und aus Richtlinien bezüglich Fahreignung und Fahrfähigkeit bei Diabetes mellitus der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) begründet. Eine konkrete Einzelfallabklärung habe die Vorinstanz aber unterlassen, v.a. weil Sie einen Blutzuckerwert von 5 mmol/l als Minimum für Fahrtauglichkeit einsetzt. Der Beschwerdeführer fühlte sich vor der Fahrt gut und fahrfähig. Zudem hat er vor der Fahrt noch ein Langzeit-Insulin eingenommen.

E. 1.2. Meinung der Vorinstanz: Das Obergericht war der Meinung, dass der Beschwerdeführer mind. eventualvorsätzlich handelte, da er vor der Fahrt einen Blutzuckerwert von 4.8mmol/l gemessen hatte und keine Vorsichtsmassnahmen getroffen habe.

E. 1.3 Meinung des Bundesgerichts: Die Vorinstanz hat nicht gewürdigt, dass der Beschwerdeführer vor Fahrtbeginn ein Langzeit-Insulin eingenommen hat. Zudem hat sie die Richtlinien für Diabetiker generell angewendet und nicht auf den vorliegenden Einzelfall abgestimmt (vgl. auch BGE 1C_840/2013 E. 2.2). Aus diesen Gründen ist der vorinstanzliche Schuldspruch bundesrechtswidrig.

Da hat das Obergericht relativ schludrig gearbeitet und den Sachverhalt willkürlich festgestellt.

Zweifel an den Zweifel?

BGE 1C_232/2018: Die ernsthaften Zweifel (teilw. gutgh. Beschwerde)

Das StVA BE entzog dem Beschwerdeführer vorsorglich den Fahrausweis, weil ein Arzt die Fahreignung verneinte aufgrund eines unkontrollierten Alkoholkonsums und einer maniformen Störung. Interessanterweise führte das ASTRA in einer Stellungnahme vor Bundesgericht aus, dass es fraglich sei, ob aufgrund einer ärztliche Meldung genügend begründete ernsthafte Zweifel für einen vorsorglichen Entzug bestünden.

E. 2 zu den Meinungen der Verfahrensbeteiligten: Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Massnahme nicht verhältnismässig sei. Es fehle der Konnex zum Strassenverkehr (E. 2.1). Für das Strassenverkehrsamt hingegen ist eine ärztliche Meldung immer Grund genug, um ernsthaft an der Fahreignung einer Person zu zweifeln (E. 2.2).

E. 3 zur Fahreignungsabklärung: Die Grundregel lautet, dass im Falle der Anordnung einer Fahreignungsabklärung der FA vorsorglich entzogen werden muss, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten (E. 3.1). Ernsthafte Zweifel liegen namentlich vor, in den Fällen von Art. 15d Abs. 1 lit. a-e SVG, also auch, wenn ein Arzt eine Meldung gemäss lit. e macht (E. 3.2). Die Meldungen von Ärzten können i.d.R. nicht angezweifelt werden, da zwischen diesen und den Patienten ein Vertrauensverhältnis vorliegt und solche Meldungen eher zurückhaltend gemacht werden (E. 3.3).

E. 4 zum vorsorglichen Entzug: Der Beschwerdeführer konnte bis jetzt zwischen Alkoholkonsum und Strassenverkehr trennen, ein verkehrsrelevanter Vorfall hat es insofern nie gegeben. Aus diesem Grund sind keine ernsthaften Zweifel vorhanden, welche einen vorsorglichen Ausweisentzug gemäss Art. 30 VZV rechtfertigen.

Die Meldung eines Arztes gemäss Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG hat eine Fahreigungsabklärung zur Folge. Liegt allerdings kein verkehrsrelevanter Vorfall vor, ist ein vorsorglicher Entzug unverhältnismässig. Der Entscheid relativiert etwas die behördliche Übermacht bzgl. Sicherheitsmassnahmen im Strassenverkehr, womit das ganze ein klein wenig verhältnismässiger wird.

 

Ist ein Ausweisentzug diskriminierend für körperlich Beeinträchtigte?

BGE 1C_184/2018: Ausweisentzug trotz körperlicher Beeinträchtigung

Der Beschwerdeführer ist körperlich beeinträchtigt. Er hat mit langsamer Geschwindigkeit einen Fussgänger angefahren und wehrt sich gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung. Strafrechtlich ist er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt worden.

E. 2 zur Winderhandlungsschwere: Auch mit langsamer Geschwindigkeit jemanden anzufahren, erfüllt ohne Weiteres den Tatbestand von Art. 16b SVG.

E. 3 zur Diskriminierung körperlich beeinträchtigter Personen: Der Beschwerdeführer bringt hervor, dass er durch den Ausweisentzug als in seiner Mobilität beeinträchtigte Person diskriminiert wird. Bereits in BGE 6A.38/2016 hat das BGer entschieden, dass ein dreimonatiger Entzug einen Paraplegiker nicht mehr belastet, als andere Personen. Die Auswirkungen der Massnahme sind hauptsächlich wirtschaftlicher Natur, indem man die Kosten für den ÖV bezahlen muss. Insofern sei eine körperlich beeinträchtigte Person nicht mehr belastet, als andere Personen, die durch die Massnahme aus persönlichen, geografischen, finanziellen oder auch wegen den Arbeitszeiten beschwert sind. Grds. kann die Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden, auch nicht bei Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind (E. 3.1).

Im Folgenden untersucht das BGer, ob eine indirekte Diskriminierung gemäss Art. 8 Abs. 2 BV vorliegen könnte. Diese liegt vor, wenn Zugehörige einer best. Personengruppe durch ein Gesetz einen Nachteil erleiden, ohne dass dies aus objektiver Sicht gerechtfertigt wäre. Durch seine persönliche Situation ist der Beschwerdeführer durch den Ausweisentzug sicher mehr betroffen, wie ein anderer Autofahrer. Er kann z.B. nicht zur etwa einen Km entfernten ÖV-Station gehen oder radeln. Diese Auswirkungen der Massnahme treffen aber nicht nur Handikapierte. Auch andere Bürger, z.B. altersbedingt oder aus persönlichen Gründen, treffen ähnliche Nachteile. Ein Ausweisentzug hat insofern keine übertriebene Auswirkungen auf körperlich beeinträchtigte Personen (E. 3.2).

Ein Ausweisentzug trifft alle Bürger gleich und ist insofern nicht für einzelne Gruppen diskriminierend.

Keine Ordnungsbussen für juristische Personen

Urteil 6B_252/2017: Keine Ordnungsbussen für die Firma (gutgh. Beschwerde)

Der Entscheid dreht sich um die Frage, ob juristische Personen aufgrund der im Ordnungsbussengesetz stipulierten Halterhaftung zu Übertretungsbussen verdonnert werden können, wenn sie den Lenker des auf sie eingelösten Fahrzeug nicht bezeichnen können.

E. 1. zur Halterhaftung: Zunächst beschäftigt sich das BGer damit, ob die Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG gegen die Unschuldsvermutung und damit gegen Art. 6 EMRK verstösst. Dieser garantiert ein faires Verfahren und zwingt damit die Anklagebehörde grds. die erforderlichen Beweismittel zu erbringen (E. 1.2.1). Die Unschuldsvermutung gilt allerdings nicht absolut. Bei leichteren Widerhandlungen, die mit geringen Bussen bestraft werden, verstösst eine Halterhaftung nicht gegen Art. 6 EMRK, solange die EMRK-Vertragsstaaten innerhalb vernünftiger Grenzen bleiben (vgl. O’Halloran und Francis gegen Grossbritannien, Urteil vom 29. Juni 2007; Falk gegen Niederlande, Urteil vom 19. Oktober 2004; E. 1.2.2).

Fahrzeughalter akzeptieren grds. die Strassenverkehrsgesetzgebung, aus welcher sich gewisse Obliegenheiten ergeben, z.B. Auskunftspflichten gegenüber Behörden. Weigert sich der Halter, den Lenker anzugeben, kann man ihn nicht dazu zwingen, er hat aber die Konsequenzen daraus zu tragen (E. 1.2.3). Einem Fahrzeughalter ist zuzumuten, die Identität der Person zu kennen, der er sein Fahrzeug anvertraut. Dies gilt auch für juristische Personen. Es entspricht denn auch dem Willen des Gesetzgebers, die Verantwortung des Fahrzeughalters zu stärken und die Behörden von aufwändiger, unverhältnismässiger Ermittlungsarbeit im Bereich ausgesprochener Bagatelldelikte, wie sie im Ordnungsbussenverfahren beurteilt werden, zu entlasten (vgl. E. 1.3.1).

Art. 6 EMRK wird durch die Halterhaftung des OBG nicht verletzt.

E. 2. zur Haltereigenschaft: Die Beschwerdeführerin rügt, dass sie als juristische Person gar kein Auto fahren könne und schon deshalb nicht strafbar sei. Für die Halterhaftung ist gemäss der Rechtsprechung auf den formellen Halterbegriff abzustellen (vgl. Urteil 6B_432/2017 E. 2.2). Da die Beschwerdeführerin im Fahrzeugausweis eingetragen ist, gilt sie als Halterin nach OBG.

E. 3. zur Strafbarkeit des Unternehmens: Gemäss Art. 102 StGB werden Unternehmen Straftaten zugerechnet, wenn sie aufgrund mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner natürlichen Person zugerechnet werden können, wobei nur Verbrechen und Vergehen genannt werden. Bei Übertretungen haften juristische Personen nur, wenn dies ausdrücklich im Gesetz geregelt ist (E. 3.1.1). Im Strafrecht muss das Legalitätsprinzip streng angewendet werden. Ohne Gesetz gibt es keine Strafe („nulla poena sine lege“; Art. 1 StGB). Ebenso enspringt dem Legalitätsprinzip das Bestimmtheitsgebot, das besagt, dass Strafnormen so präzise fomuliert sein müssen, dass sich ein Durchschnittsbürger danach auch richten kann („nulla poena sine lege certa“). Der Gesetzgeber wollte mit Art. 6 OBG den Halter bei geringen Straftaten im Verkehr in die Pflicht nehmen. Eine ausdrückliche Bestrafung von juristischen Personen für Übertretungen wird darin aber nicht stipuliert. Insofern verletzt eine Ordnungsbusse, welche einer juristischen Person auferlegt wird, das Legalitätsprinzip (E. 3.2).

Mangels gesetzlicher Grundlage können juristische Personen damit nicht mit verkehrsrechtlichen Ordnungsbussen bestraft werden.