Ihr macht da nicht mit!

Urteil 7B_167/2022: Ausstand einer ganzen Behörde

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen eines Raserdelikts. Das Obergericht des Kt. ZH ordnete im Verfahren ein Gutachten betreffend die Geschwindigkeitsmessung an. Für die Erstattung des Gutachtens wurden Testfahrten mit dem Originalradargerät auf dem Flughafen Dübendorf organisiert, wofür der Gutachter Mitarbeiter der Kantonspolizei Zürich als Hilfspersonen beizog.

Das passt dem Beschwerdeführer gar nicht. Er ist der Meinung, dass die Polizei ein Interesse daran hat, dass das Gutachten gegen ihn ausfalle und will deshalb, dass die Mitarbeiter der Kantonspolizei Zürich und insb. deren Verkehrsabteilungen in Ausstand treten müssen. Nur so könne eine faire Begutachtung erfolgen. Er beruft sich dabei auf Art. 56 StPO. Die Polizisten hätten aus seiner Sicht ein Eigeninteresse (lit. a) am Ausgang des Strafverfahrens, seien in der gleichen Sache tätig gewesen (lit. b) und es gäbe auch noch andere Gründe für den Ausstand der gesamten Polizei (lit. f). Aus Sicht der Vorinstanz ging es aber nur um die Nachstellung der automatischen Erfassung der gefahrenen Geschwindigkeit durch das Messgerät, worauf Polizisten keinen Einfluss haben. Zudem sei die Mitwirkung der Polizei bei den Testfahrten nachvollziehbar.

Der Beschwerdeführer übersieht in seiner Rüge, dass sich Ausstandsbegehren nur gegen Einzelpersonen, aber nicht gegen ganze Behörden richten können. Wenn man ein Ausstandsbegehren gegen eine Behörde richtet, muss trotzdem ersichtlich sein, welches Mitglied der Behörde konkret befangen sein soll. Bei der Erstellung des Gutachtens waren zudem andere Polizisten behilflich, als jene, die die fragliche Geschwindigkeitsmessung durchführten. Eine Vorbefassung gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. b StPO liegt damit nicht vor (E. 3).

Auch ein Eigeninteresse müsste bei einer Einzelpersonen vorliegen, damit ein Ausstandsgesuch erfolgreich sein kann. Die generelle Behauptung, dass die Polizei daran interessiert sei, mutmasslich schlechte Geschwindigkeitsmessgeräte im Einsatz zu halten, reicht natürlich nicht, um ein Eigeninteresse gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. a StPO zu begründen (E. 4).

Und schliesslich bestand entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers auch kein anderer Ausstandsgrund gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. f StPO. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass die Polizei für die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft Aufträge ausführe und deshalb der Anschein einer Abhängigkeit und/oder Parteilichkeit bestehe. Da aber die Kantonspolizisten vom Gutachter als Hilfspersonen herbeigezogen wurden, liegt eine solche Parteilichkeit eben nicht vor. Zudem können Mitglieder von Polizeikorps gemäss Art. 183 Abs. 2 StPO als Sachverständige eingesetzt werden.

Bonus: Parkbusse von CHF 40 aufgehoben

Urteil 7B_205/2022: Nicht genau hingeschaut

In diesem kuriosen Fall wird eine Parkbusse von CHF 40 aufgehoben, weil der Sachverhalt willkürlich festgestellt wurde. Die Zivilperson, welche im oberen Fricktal die Busse ausstellte, sagte vor Gericht aus, dass sie sich die parkierten Fahrzeuge sowie deren Radstellungen ohne Notizen merken könne und deshalb genau wusste, dass der Beschwerdeführer zu lange parkierte. In einem vergleichbaren Verfahren sagte die gleiche Person allerdings diametral das Gegenteil, nämlich dass sie sich nie merke welche Autos wo und wie parkieren würden. Die Akten dieses anderen Verfahrens wurde aber trotz Antrags des Beschwerdeführers nicht beigezogen, damit die Glaubhaftigkeit der Aussagen der die Bussen austellenden Person hätte überprüft werden können. Damit wurde der Untersuchungsgrundsatz verletzt und der Sachverhalt willkürlich festgestellt. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Grobe Verkehrsregelverletzung als „schwere Straftat“ gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO

Urteil 6B_821/2021: Wenn das Rasen in der Familie liegt (tlw. gutgh. Beschwerde)

Dieses Urteil befasst sich mit der Frage, welche Anforderungen an Zwangsmassnahmen wie Hausdurchsuchungen zu stellen sind. Zudem konkretisiert es die Rechtsprechung dahingehend, was im SVG-Bereich eine „schwere Straftat“ ist, welche eine Verwertung unrechtmässig erlangter Beweise trotzdem möglich macht (Art. 141 Abs. 2 StPO), insb. wenn es sich bei der schweren Tat um eine grobe Verkehrsregelverletzung bzw. ein Vergehen handelt.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde von der Polizei dabei erwischt, wie er mit einem Motorrad ausserorts die Geschwindigkeit um 79km/h überschritt. Die Staatsanwaltschaft ordnete danach eine Hausdurchsuchung an, bei welcher ein Go-Pro gefunden wurde, auf welcher Video-Aufnahmen diverser SVG-Delikte des Beschwerdeführers gespeichert waren, u.a. auch Raserdelikte. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass die Hausdurchsuchung nicht hätte angeordnet werden dürfen, weil das Raserdelikt seines Vaters erwiesen war und es keinen hinreichenden Anfangsverdacht auf weitere Delikte gab. Die Hausdurchsuchung war aus seiner Sicht eine „fishing expedition“, weshalb die gefundenen Videos nicht als Beweise verwertet werden dürfen. Die kantonalen Instanzen allerdings waren den Meinung, dass Raserfahrten fast immer auf weitere Straftaten schliessen lassen und dass es notorisch sei, dass Raser ihre Fahrten oftmals audiovisuell festhalten, weshalb die Hausdurchsuchung rechtens war.

Eine Hausdurchsuchung ist eine Zwangsmassnahme, weshalb für ihre Durchführung die Voraussetzungen von Art. 197 Abs. 1 StPO erfüllt sein müssen. Insb. ist für die Anordnung ein hinreichender Tatverdacht vorausgesetzt. Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen erheblich und konkreter Natur sein, um einen hinreichenden Tatverdacht begründen zu können. Eine reine Vermutung, ein Generalverdacht oder eine Beweisaufnahme aufs Geratewohl genügen zur Begründung einer Hausdurchsuchung jedoch nicht. Werden bei einer rechtmässig angeordneten Hausdurchsuchung Beweismittel gefunden, die auf weitere Straftaten hinweisen, kann ohne Weiteres ein neues Strafverfahren hinsichtlich der Zufallsfunde eröffnet werden (Art. 243 StPO). Bestand allerdings für die ursprüngliche Zwangsmassnahme, i.e. der Hausdurchsuchung, kein genügender Anfangsverdacht, gilt diese als „fishing expedition“. Auf diese Weise erlangte Beweismittel sind grds. nicht verwertbar (zum Ganzen ausführlich E. 1.3).

Um es kurz zu machen: Das Raserdelikt des Vaters des Beschwerdeführers war grds. bewiesen. Es gab keine konkrete Hinweise oder Indizien auf weitere SVG-Delikte. Gemäss Vorinstanz wurde die Hausdurchsuchung aufgrund „unspezifischer Vermutungen“ angeordnet. Das reicht allerdings nicht aus, um „auf gut Glück“ nach Beweisen für weitere SVG-Delikte des Vaters zu forschen. Die Hausdurchsuchung war insofern unrechtmässig und bei den Video-Aufnahmen der SVG-Delikte des Beschwerdeführers handelt es sich somit um „fruits of a poisonous tree“, also grds. nicht verwertbare Beweismittel (E. 1.4). Gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO dürfen Beweise aber trotzdem verwertet werden, wenn damit schwere Straftaten aufgeklärt werden können. In erster Linie kommen bei der schweren Straftat Verbrechen in Frage. Allerdings wird die schwere Straftat nicht abstrakt, sondern an den Umständen des Einzelfalles eruiert. Auch Vergehen können schwere Straftaten gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO sein (E. 1.5.1).

Die sichergestellten Video-Aufnahmen beinhalten div. SVG-Delikte. Der Beschwerdeführer wurde im Strafverfahren u.a. wegen mehrfacher qualifiziert grober, mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung sowie dem Fahren ohne Berechtigung verzeigt. Für die qualifiziert groben Verkehrsregelverletzungen (Tempoexzess ausserorts um 62km/h auf einer kurvigen und unübersichtlichen Bergstrasse sowie Tempoexzess innerorts um 57km/h) können die Videoaufnahmen ohne weiteres verwendet werden, da es sich dabei um schwere Straftaten handelt (E. 1.5.3).

Teilweise anders verhält es sich bei den groben Verkehrsregelverletzungen. Eine solche wurde bisher vom Bundesgericht noch nicht als „schwere Straftat“ bewertet. Zwei der Vergehen des Beschwerdeführers hebt das Bundesgericht hervor:

Just nach dem oben erwähnten Raserdelikt (Tempoexzess um 57km/h) überholte der Beschwerdeführer ein drittes Fahrzeug und beendete das Überholen nur knapp vor einem entgegenkommenden Motorradfahrer. Bei einer anderen Fahrt fuhr der Beschwerdeführer in einer unübersichtlichen Rechtskurve vollständig auf der linken Fahrbahn. Wäre ein Fahrzeug entgegengekommen, wäre eine Kollision unausweichlich gewesen. Dabei fuhr er auch ohne Berechtigung. Auch wenn die Vorinstanz diese beiden Manöver als grobe Verkehrsregelverletzung qualifizierte, handelt es sich dabei um „schwere Straftaten“. Zwar unterscheiden sich die Tatbestände von Art. 90 Abs. 2 und 3 SVG hinsichtlich des Ausmasses der Rechtsgutgefährdung. Während die grobe Verkehrsregelverletzung eine ernstliche Gefahr voraussetzt, fordert Abs. 3 das Risiko eines Unfalles mit Todesopfern oder Schwerverletzten. Beide oben genannten groben Verkehrsregelverletzungen hätten aber schlimme Folgen haben können. Bei einer Frontalkollision mit dem Motorradfahrer bzw. einem anderen Verkehrsteilnehmer auf der linken Fahrbahn ist es notorisch, dass es Schwerverletzte oder Tote geben kann. Deshalb betrachtet das Bundesgericht auch diese groben Verkehrsregelverletzungen als „schwere Straftaten“ gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO. Die Videoaufnahmen durften also bzgl. diesen Vergehen (und dem Fahren ohne Berechtigung) verwertet werden, nicht aber für die übrigen groben Verkehrsregelverletzungen, weil es bei diesen keine „besonderen Vorkommnisse“ gab (E. 1.5.4).

Drei neue Urteile des Bundesgerichts zum Schnellfahren in gedrängter Form

Urteil 6B_410/2023: Quasi-Halterschaft bei Einzelfirmen

Bei diesem Urteil geht es um etwas, das täglich tausendmal auf Schweizer Strassen geschieht, nämlich eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Haltereigenschaft ist grds. ein Indiz für die Lenkerschaft. Gilt das aber auch für Inhaber von Einzelfirmen, auf welche ein Fahrzeug eingelöst ist?

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Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen auf der Autobahn im 80er-Bereich 32km/h zu schnell gefahren zu sein. Obwohl auf dem Lenkerermittlungs-Formular der Polizei eine andere Person angegeben wurde, wurde ihm die Busse auferlegt. Diesbzgl. rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, denn aus seiner Sicht hätte die Strafbehörde Ermittlungen zur angegebenen in Italien lebenden Person treffen müssen. Da der Beschwerdeführer aber keine weiteren Angaben zu dieser Person machte und aufgrund des Radarfotos ziemlich klar war, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug lenkte, mussten in antizipierter Beweiswürdigung keine weiteren Ermittlungen mehr aufgenommen werden (E. 3).

Der Beschwerdeführer ist sodann der Meinung, dass die Vorinstanz die Beweise falsch würdigt, wenn sie von einer frappanten Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Radarfoto ausgeht. Dazu legt der Beschwerdeführer auch zwei Privatgutachten aus Deutschland vor. Da aber der Beweiswert von Privatgutachten relativ klein und mit einer Parteibehauptung zu vergleichen ist und die Vorinstanz an der Berufungsverhandlung sich persönlich einen Eindruck vom Beschwerdeführer machen konnte, durfte sich davon ausgehen, dass er auf dem Radarfoto ist (E. 4.2).

Sodann rügt der Beschwerdeführer es als fehlerhaft, dass man ihn als Quasi-Halter des Fahrzeuges bezeichnet. Das Auto ist auf seine Firma eingelöst. Im Handelsregister ist er die einzige eingetragene Person. Die Rechtsprechung, nach welcher die Haltereigenschaft ein Indiz für die Lenkerschaft bei einer Widerhandlung ist, bezieht sich grds. auf natürliche Personen. Die Firma des Beschwerdeführers beschäftigt nach seiner Aussage zwei bis fünf Personen, wobei er für die Geschäftsfahrzeuge verantwortlich sei und nicht jeder Mitarbeiter einfach einen Fahrzeugschlüssel nehmen könnte. Daraus folgert die Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer seine Firma alleine beherrscht. Damit rechtfertigt sich eine analoge Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach bei natürlichen Personen die Haltereigenschaft ein Indiz für die Täterschaft sein kann. Die „Quasi-Haltereigenschaft“ des Beschwerdeführers darf also als Indiz für seine Lenkerschaft berücksichtigt werden (E. 4.3).

Schliesslich wurde i.c. auch der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ nicht verletzt. Der Beschwerdeführer schwieg sich im Strafverfahren mehrheitlich aus, auch wenn er zum Lenker allenfalls noch mehr Angaben hätte machen können. Aufgrund der Beweiswürdigung zum Foto und der Quasi-Haltereigenschaft durfte die Vorinstanz von der Täterschaft des Beschwerdeführers ausgehen (E. 4.4).



Urteil 7B_131/2022: Wenn das Messgerät falsch eingesetzt wird… (gutgh. Beschwerde)

Auch in diesem Urteil geht es um eine Geschwindigkeitsmessung. Es setzt sich mit den rechtlichen Folgen auseinander, wenn die Polizei Zubehör von einem Geschwindigkeitsmessgerät nicht richtig einsetzt.

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Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, ausserorts die Tempolimite von 80km/h um 53km/h überschritten zu haben. Er rügt aber, dass der Sachverhalt falsch festgestellt wurde (ausführlich zu den Voraussetzungen zur Willkür-Rüge in E. 2.1) bzw. das Resultat der Geschwindigkeitsmessung zu Unrecht von der Vorinstanz als Beweis verwertet wurde. Bei der Geschwindigkeitsmessung wurde ein Robot Traffistar SR 590 eingesetzt. Dieses Gerät war auch vom METAS geeicht. Die Polizisten setzten bei der Messung auch eine mobile Messkabine ein. Gemäss einer Stellungnahme vom METAS wurde diese Kabine nicht so eingesetzt, wie es das Zulassungszertifikat vorschreibt. Die Messkabine wurde modifiziert, wobei gemäss einer Stellungnahme der Polizei keine eichungsrelevanten Teile betroffen waren. Trotzdem war das METAS der Ansicht, dass die Modifikation bedenklich war, weil Geschwindigkeitsmesssysteme grundsätzlich so eingesetzt werden müssen, wie sie zugelassen wurden. Das METAS führte aber auch aus, dass durch eine gutachterliche Auswertung des Bildmaterials die gefahrene Geschwindigkeit ausgewertet werden könnte. Darauf ging die Vorinstanz allerdings gar nicht ein. Aus diesem Grund erachtet es das Bundesgericht als unhaltbar, wenn die Vorinstanz die Geschwindigkeitsmessung mit dem modifizierten Gerät als zweifelsfrei bezeichnet. Es gibt aber keinen Freispruch, sondern die Sache wird an die Vorinstanz zur Ergänzung des Beweisverfahrens zurückgewiesen.


Urteil 6B_68/2023: Social Media als Fundgrube für Raserdelikte (gutgh. Beschwerde)

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob Videos von sozialen Netzwerken als Beweise für den Nachweis von Raserdelikten herhalten können, auch wenn der gefilmte Lenker wohl nicht mit der Veröffentlichung des Videos im Internet einverstanden war. Es geht um eine massive Beschleunigungsfahrt.

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Dem Urteil liegt eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung zu Grunde, wobei der Lenker und Beschwerdegegner 2 ausserorts bis zu 198km/h beschleunigte, während sein Beifahrer und Beschwerdegegner 1 ihn dabei filmte. Letzterer veröffentlichte ein Video der Tat auf einem sozialen Netzwerk. Die Vorinstanz war der Meinung, dass das Video nicht verwertet werden könne und sprach die Beschuldigten frei. Dagegen führt die Staatsanwaltschaft erfolgreich Beschwerde.

Rechtswidrig erlangte Beweise dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich (Art. 141 Abs. 2 StPO). Zunächst geht das Bundesgericht ausführlich auf seine Rechtsprechung ein, wann von Privaten rechtswidrig erlangte Beweise trotzdem verwertet werden dürfen. Um es kurz zu machen, es braucht (E. 2.1)

1. Strafbehörden hätten die Beweise auch rechtmässig erlangen können.
2. Interessensabwägung zwischen Strafverfolgungs- und privaten Interessen spricht für Verwertung
3. Es liegt eine schwere Straftat vor (Grds. Verbrechen, aber Einzelfall massgeblich)

Die Vorinstanz ging davon aus, dass das Video rechtswidrig aufgenommen wurde, weil der Lenker zwar bemerkt haben muss, dass er gefilmt wird, aber nicht damit rechnen musste, dass das Video im Internet landet. Nach Ansicht der Vorinstanz hätte die Polizei das Video bzw. ein vergleichbares Beweismittel auch nicht rechtmässig erlangen können, da die Geschwindigkeitsüberschreitung nur 13 Sekunden gedauert habe, zu kurz, um ein Video aufzunehmen. Und die Raserfahrt war – trotz hohem Tempo – keine schwere Straftat, da die Beschleunigungsfahrt auf gerader und übersichtlicher Strecke stattfand, kein Verkehr und gute Strassenbedingungen herrschten.

Das lässt das Bundesgericht nicht gelten. Zunächst sind Raserdelikte als Verbrechen schwere Straftaten gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO. Sodann bezeichnet das Bundesgericht das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Raserdelikts als viel grösser, als das private Interesse des Lenkers, dass das wohl mit seiner Zustimmung aufgenommene Video nicht auf sozialen Medien geteilt wird. Diese allfällige datenschutzrechtliche Persönlichkeitsverletzung bezeichnet das Bundesgericht gar als marginal. Und zudem traut das Bundesgericht einer allfälligen Polizeipatrouille auch zu, trotz kurzer Deliktsdauer, ein Video davon zu machen.

Das Video ist verwertbar, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird gutgeheissen.

Zwei neue Urteile zur StPO mit SVG-Touch

Urteil 6B_791/2023: Kostenauflage bei Anwendung von Opportunitätsgründen

Verkehrsunfälle können schlimme Folgen haben, auch für die fehlbare Person. Verletzt sich jemand bei einem Verkehrsunfall, kann von einer Strafe Umgang genommen werden, wenn die betroffene Person durch die Verletzungen schon bestraft genug ist (Art. 54 StGB). Dieses Urteil beschäftigt sich mit der Frage, ob der betroffenen Person danach die Verfahrenskosten auferlegt werden können oder nicht.

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Die Beschwerdeführerin verunfallte mit einem Motorrad und verletzte sich dabei. Nachdem Sie von der Straatsanwaltschaft noch mit CHF 250 Busse bestraft wurde, sah das Bezirksgericht auf Einsprache hin von einer Bestrafung ab gemäss Art. 54 StGB, auferlegte ihr aber die Verfahrenskosten. Die Beschwerdeführerin ist damit nicht einverstanden, denn aus ihrer Sicht verursachte die Staatsanwaltschaft das ganze gerichtliche Verfahren, da diese nicht von Beginn weg von einer Strafe Umgang nahm.

Das Bundesgericht stellt klar, dass Art. 8 StPO keine Grundlage für eine Einstellung ist, in den Fällen in welchen gemäss Art. 52ff. StGB von einer Bestrafung abgesehen wird. Ist ein Straftatbestand erfüllt, muss man auch schuldig gesprochen werden. Das gilt sowohl für das gerichtliche, als auch für das Strafbefehlsverfahren (E. 1.2).

Im folgenden prüft das Bundesgericht, ob die Kosten der Beschwerdeführerin zu Recht auferlegt wurden. Die Verfahrenskosten müssen grds. von der beschuldigten Person getragen werden, wenn sie verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 StPO). Zwar hat der Staat die Kosten für unnötige oder fehlerhafte Verfahrenshandlungen zu tragen (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO). Als Urteilsvorschlag fällt ein „fehlerhafter“ Strafbefehl aber nicht darunter. Da die Einsprache ein Rechtsbehelf ist, gelangen auch nicht die Regeln von Rechtsmittelverfahren zur Anwendung. Die Kosten sind vielmehr so zu verlegen, wie wenn ohne vorgängigen Strafbefehl sogleich Anklage erhoben worden wäre. Das bedeutet, dass man die Verfahrenskosten zu tragen hat, auch wenn im Rahmen von Opportunitätsgründen von einer Strafe abgesehen wurde. Abschliessend verweist das Bundesgericht noch darauf, dass bei einer Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft die Kosten der Beschwerdeführerin dennoch gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO hätten auferlegt müssen (E. 1.3).

Urteil 6B_990/2022: Wenn die notwendige Verteidigung vergessen geht (gutgh. Beschwerde)

Dieses Urteil befasst sich kurz und knackig damit, was passiert, wenn die Vorinstanz vergisst, eine notwendige Verteidigung zu stellen.

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Der Beschwerdegegner fuhr beim Ausparkieren gegen einen Pfosten und danach beim Rückwärtsfahren noch in ein parkiertes Auto. Nachdem er den Schaden begutachtete, entfernte er sich von der Unfallstelle. Dafür wurde er von der Staatsanwaltschaft wegen einfacher Verkehrsregelverletzung sowie Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit bestraft. Vom zweiten Vorwurf aber wurde er in erster Instanz freigesprochen. Gegen den Freispruch erhob die Staatsanwaltschaft Berufung, die aber auch abgewiesen wurde. Vor Bundesgericht verlangt die Staatsanwaltschaft die Bestätigung des Schuldspruchs wegen Vereitelung. Im Rahmen der Vernehmlassungen informierte die Vorinstanz darüber, dass vergessen wurde, dem Beschwerdegegner eine notwendige Verteidigung zu stellen.

Das Bundesgericht stellt fest, dass vorliegend ein Fall von notwendiger Verteidigung vorlag (Art. 130 lit. d i.V.m. Art. 405 Abs. 3 lit. b StPO). Da die Beschuldigte Person aber keine Verteidigung hatte, wurde der Grundsatz der Waffengleichheit verletzt. Der Grundsatz soll sicher stellen, dass die beschuldigte Person in einem Strafverfahren keinem Nachteil ausgesetzt ist. Erhebt die Staatsanwaltschaft Berufung, muss sie persönlich zur Verhandlung erscheinen. Es liegt dann automatisch ein Fall von notwendiger Verteidigung vor, auch wenn dies im erstinstanzlichen Verfahren vieleicht noch nicht der Fall war. Da im vorliegenden Fall die Vorinstanz irrtümlich nicht dafür sorgte, dass die beschuldigte Person angemessen verteidigt war, wurde der Grundsatz der Waffengleichheit verletzt. Damit erfüllt das Urteil die Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht, da der Sachverhalt unter der Verletzung der Verteidigungsrechte ermittelt wurde. Deshalb darf es den Vorentscheid auch nicht in rechtlicher Hinsicht prüfen.

Die Beschwerde wird gutgeheissen, aber wohl nicht so, wie es sich die Staatsanwaltschaft vorgestellt hat.

War das noch in der Schweiz?

Urteil 6B_1133/2021: Zollkontrolle und Überwachung im Flughafen

In diesem Urteil werden zwei interessante Fragen beantwortet, nämlich

1. Ist Fahren trotz Entzug beim Schweizer Zoll auf deutschem Staatsgebiet nach CH-Recht strafbar?
2. Dürfen Videos der Überwachungsanlage eines Flughafens als Beweise verwertet werden?

Dem Beschwerdeführer wird neben weiteren Straftaten zweimal Fahren trotz entzogener Fahrerlaubnis vorgeworfen. Im April 2017 wurde er am Grenzübergang Laufenburg bei der Einreise in die Schweiz dabei erwischt, ein Fahrzeug trotz entzogenem Führerausweis gelenkt zu haben. Im Juni 2017 fuhr der Beschwerdeführer mit demselben Auto zu einem Flughafen, wo er von den Überwachungskameras gefilmt wurde.

Zur Widerhandlung vom April 2017 bringt der Beschwerdeführer vor, dass sich die Zollanlage, wo er kontrolliert wurde, auf deutschem Staatsgebiet befindet und damit ausserhalb des Geltungsbereich des Strassenverkehrsgesetzes. Allfällige bilateralen Abkommen fänden hier aus seiner Sicht auch keine Anwendung.

Zwischen der Schweiz und Deutschland gibt es ein Rahmenabkommen, welches die Grenzabfertigung zwischen den Ländern regelt. Im Rahmen der Grenzabfertigung dürfen Zollbeamte das Recht des eigenen Staates anwenden, auch wenn sich der eigentliche Kontrollort im Gebiet des anderen Staates befindet. Begeht eine Person im Rahmen der Grenzabfertigung also beim Schweizer Zoll, der auf deutschem Boden liegt, eine Straftat, so ist Schweizer Recht anwendbar (Art. 4 des Rahmenabkommens). Der Begriff der Grenzabfertigung wird dabei weit ausgelegt. Er umfasst nicht nur zollrechtliche Themen. Es sind auch verkehrspolizeiliche KOntrollen möglich, zu welchen Grenzbeamte gemäss Art. 4 SKV ausdrücklich ermächtigt sind. Entscheidend ist letztlich der Zusammenhang des strafbaren Verhaltens mit dem Grenzübertritt (zum Ganzen E. 1.3). Die verkehrspolizeiliche Kontrolle fand vorliegend auf deutschem Staatsgebiet statt. Die Grenzbeamten durften eine Verkehrskontrolle durchführen und ein Strafverfahren gemäss Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG einleiten.

Zum zweiten Vorwurf bringt der Beschwerdeführer vor, dass die Verurteilung seiner Straftaten vom Juni 2017 aufgrund einer privaten Videoüberwachung eines Flughafens erfolgte. Diese Aufnahmen und damit auch alle Folgebeweise sind aus seiner Sicht gemäss Art. 141 Abs. 2 und 4 StPO nicht verwertbar. Insbesondere stört sich der Beschwerdeführer daran, dass die Videoüberwachung nirgends gekennzeichnet ist und er damit nicht (konludent) in das Aufnehmen seiner Personendaten bzw. seines Kontrollschildes einwilligen konnte (E. 2.1).

Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel sind nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Die Beweismittel müssen zur Aufklärung von schweren Straftaten dienen, wobei darunter nicht nur Verbrechen, sondern auch Vergehen fallen können. Wer Kontrollschilder filmt, bearbeitet Personendaten im Sinne von Art. 3 DSG. Es gelten dabei die Grundsätze von Art. 4 DSG, z.B. dass eine Videoaufnahme erkennbar sein muss, wobei die Verletzung der vorgenannten Grundsätze gemäss Art. 12 DSG zu einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung führt. Die Persönlichkeitsverletzung kann allerdings gemäss Art. 13 DSG gerechtfertigt sein. Dann sind die privaten Beweise uneingeschränkt verwertbar (E. 2.3).

Um es kurz zu machen: Ob im Flughafenparking aufgrund der Umstände erkennbar war, ob man gefilmt wird, kann aus Sicht des Bundesgerichts offenbleiben. Für die meisten Leute wäre dies wohl sowieso offensichtlich. Der Flughafen hat ein überwiegendes und damit rechtfertigendes Interesse an der Überwachung seiner Parkhäuser, denn er kann damit für Sicherheit sorgen und allenfalls sogar Straftaten verhindern. Die Datenbearbeitung des Flughafens erweist sich damit im Sinne von Art. 13 DSG gerechtfertigt, womit die belastenden Videoaufnahmen gegen den Beschwerdeführer verwendet werden konnten.

Kleiner Wochenrückblick

Diese Woche sind einige Urteile gefallen, wobei aber keine Blockbuster darunter sind. Deshalb fassen wir diese Urteile summarisch zusammen:

Urteil 6B_1430/2021: Rechtliches Gehör im Berufungsverfahren (gutgh. Beschwerde)

Dem Beschwerdeführer wird eine einfache Verkehrsregelverletzung vorgeworfen, weil er im November 2017 mit einem Sattelschlepper einen Selbstunfall verursachte. Nachdem er bereits im Urteil 6B_1177/2019 wegen willkürlicher Beweiswürdigung vor Bundesgericht reüssierte, gelangt er in dieser Sache ein weiteres Mal vor Bundesgericht. Er rügt dabei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil die kantonale Berufungsinstanz zunächst eine mündliche Berufungsverhandlung ansetzte und dann doch plötzlich das schriftliche Verfahren anordnete.

Die Berufungsverhandlung ist grds. mündlich durchzuführen. Das schriftliche Verfahren kann nur in den Fällen von Art. 406 StPO angeordnet werden, z.B. wenn Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils bilden und keine reformation in peius droht (Art. 406 Abs. 1 lit. c StPO). Die schriftliche Durchführung des Verfahrens muss mit Art. 6 EMRK zu vereinbaren sein, d.h. sich auf Fragen beschränken, die eine Anhörung der beschuldigten Person unnötig erscheinen lassen. Das Gericht muss dies von Amtes wegen prüfen (zum Ganzen E. 1.2.1). Das schriftliche Verfahren richtet sich nach Art. 406 Abs. 3 StPO, d.h. die appellierende Person muss die Gelegenheit haben, ihre Berufung schriftlich zu begründen. Es ist offensichtlich, dass die Gerichte im Rahmen des rechtlichen Gehörs die beschuldigte Person anhören müssen. Ist ein kantonales Urteil mangelhaft begründet, weist das Bundesgericht diesen zurück (Art. 112 Abs. 3 BGG).

Im vorliegenden Fall ordnete die Vorinstanz zunächst eine mündliche Verhandlung an, verlangte vom Beschwerdeführer eine schriftliche Berufungsbegründung, wobei sie darauf hinwies, dass dieser an der Verhandlung noch Ergänzungen anbringen könne. Der Beschwerdeführer reichte daraufhin eine „summarische“ Berufungsbegründung ein. Darauf wechselte die Vorinstanz in schriftliche Verfahren, ohne dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, sich zu äussern oder seine Berufungsbegründung zu ergänzen. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Urteil 6B_26/2022: Kein milderes Recht für Personenwagen mit Anhänger

Seit Januar 2021 dürfen Personenwagen mit Anhänger auf der Autobahn 100 km/h schnell fahren (Art. 5 Abs. 2 lit. c VRV). Der Beschwerdeführer überschritt im März 2019 auf der Autobahn mit einem Anhänger die damals für diese Fahrzeugkombination geltende Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 36 km/h, wofür er zunächst wegen grober, dann im Rechtsmittelverfahren wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit Busse von CHF 600.00 bestraft wurde. Da mittlerweile die Bestimmungen für Personenwagen mit Anhänger änderten, verlangt der Beschwerdeführer die Bestrafung mit einer Ordnungsbusse von CHF 180.00. Da man mit Anhängern bis 3.5 t heute 100 km/h fahren darf, überschritt er die Geschwindigkeit nach heutigem und milderem Recht nur noch um 16km/h, womit aus seiner Sicht eine Ordnungsbusse fällig würde (Ziffer 303.3.d).

Die Anwendung des milderen Rechts nach Art. 2 Abs. 2 StGB gilt nicht uneingeschränkt. Damit die lex mitior angewendet wird, muss die Gesetzesänderung aufgrund einer ethischen Neubewertung des verbotenen Verhaltens erfolgt sein (zum Ganzen E. 1.2.2; s. auch der Beitrag vom August 2022). Auch wenn das Bundesgericht der Begründung der Vorinstanz nicht folgt (E. 1.3), weist es die Beschwerde dennoch ab, denn aus seiner Sicht erfolgte die Änderung der Höchstgeschwindigkeit für Anhänger nicht wegen einer „ethischen Neubewertung“. Es verweist auch auf einen älteren Entscheid, nach welchem die Änderung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn nicht bedeutet, dass Widerhandlungen vor der Änderung nicht trotzdem bestraft werden müssen (BGE 123 IV 84 E. 3b).

Urteil 6B_1201/2021: Die Havarie des modernen Autos

Der Beschwerdeführer überschritt innerorts die Geschwindigkeit um 27 km/h, wofür er wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer verlangt einen Freispruch, subsidiär die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung, weil sein Fahrzeug einer „Havarie“ unterlegen sei. Das Bundesgericht verweist natürlich zunächst auf den bei Geschwindigkeitsüberschreitungen geltenden Schematismus, wonach die vorliegende Schnellfahrt grds. den objektiven und subjektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt. Liegen allerdings aussergewöhnliche Umstände vor, ist es möglich, dass der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung nicht erfüllt ist.

Der Beschwerdeführer behauptete, dass die „automatische Geschwindigkeitserkennung“ seines Autos, auf welche er sich bis jetzt immer verlassen konnte, nicht funktionierte und er, weil er so total von der „Havarie“ seines Autos überrascht war, erst einige Sekunden später reagieren konnte. Sein Verhalten war insofern nicht rücksichtslos, womit der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG nicht erfüllt sei. Einen Beweis für die „Havarie“ brachte der Beschwerdeführer allerdings nicht bei. Ebensowenig wandte er sich nachher an einen Garagisten. Auch wenn sein Fahrzeug eine Fehlfunktion erlitt, hätte der Beschwerdeführer viel schneller reagieren müssen, denn man muss trotz Assistenzsysteme stets aufmerksam sein und Signale beachten.

Rückzug der Einsprache bei geänderter Sach- und/oder Rechtslage

Urteil 6B_222/2022: „Die Einsprache, die ich bereute.“ (zur amtl. Publikation vorgesehen)

Im Bereich einer Baustelle innerorts überschritt der Beschwerdeführer die Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h um 49 km/h. Er wurde dafür wegen grober Verkehrsregelverletzung mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen bestraft. Gegen diesen Strafbefehl erhob der Beschwerdeführer Einsprache, mit welcher er die Genauigkeit der Geschwindigkeitsmessung in Frage stellte. Das von der Staatsanwaltschaft dazu veranlasste Gutachten kam allerdings zum Schluss, dass der Beschwerdeführer 50 km/h oder schneller gefahren ist. Trotz Rückzugs der Einsprache erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen krasser Geschwindigkeitsüberschreitung, also wegen dem Rasertatbestand. Die kantonalen Instanzen verurteilten den Beschwerdeführer wegen Rasens. Der Beschwerdeführer widersetzt sich dieser Verurteilung, da er aus seiner Sicht seine Einsprache zurückgezogen hatte und damit der ursprüngliche Strafbefehl rechtskräftig geworden sei.

Wird gegen einen Strafbefehl Einsprache erhoben, hat die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 355 StPO folgende Möglichkeiten, nachdem sie die weiteren Beweise abgenommen hat:

a. am Strafbefehl festhalten.
b. das Strafverfahren einstellen.
c. einen neuen Strafbefehl erlassen.
d. Anklage erheben.
e. nicht vom Gesetz erfasst wird die Möglichkeit, den Strafbefehl zu ergänzen (zum Ganzen der Beitrag vom 21.10.2019)

Ergibt die Untersuchung bzw. die Abnahme der Beweise nach der Einsprache, dass sich die Sach- oder Rechtslage anders präsentiert und damit auch das Strafmass oder die Sanktionen ändern, ist die Staatsanwaltschaft nicht mehr an den ursprünglichen Strafbefehl gebunden. Das Gebot der „reformatio in peius“ gilt dann nicht mehr. Die Staatsanwaltschaft muss danach einen neuen Strafbefehl erlassen oder Anklage erheben, je nachdem ob das Strafmass nach der neuen Sach- oder Rechtslage noch strafbefehlstauglich ist. Für so neu entdeckte Delikte muss gemäss Art. 309 StPO eine neue Untersuchung eröffnet werden. Sie werden vom ursprünglichen Strafbefehl nicht mehr umfasst, womit auch der Rückzug einer allfälligen Einsprache diese Delikte nicht tangiert (E. 1.1.2 f.).

Daraus folgt, dass die Staatsanwaltschaft trotz Rückzugs der Einsprache Anklage erheben durfte, da diese aufgrund der neuen Beweise bzw. des Gutachtens nun davon ausgehen musste, dass der Rasertatbestand erfüllt war. Das BGer verweist auch darauf, dass die Einsprache ein Rechtsbehelf und kein Rechtsmittel ist. Nach einer Einsprache kann die betroffene Person diese grds. nicht einfach zurückziehen. Vielmehr ist, wenn Einsprache erhoben wurde, die Verfügungsmacht der beschuldigten Person bis zum Entscheid der Staatsanwaltschaft über den neuen Verfahrensausgang nach Art. 355 Abs. 3 lit. a-d StPO entzogen.

Strafprozessual lief also alles rechtens ab.

Im Sinne einer Eventualbegründung bringt der Beschwerdeführer vor, dass er nicht vorsätzlich gehandelt habe. Dem subjektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 4 SVG haben wir uns bereits im Beitrag vom 4. November 2022 ausführlich gewidmet. Deshalb machen wirs hier kurz: Wer i.S.v. Art. 90 Abs. 4 SVG rast, erfüllt grds. auch den subjektiven Tatbestand. Nur in absoluten Ausnahmefällen, wie z.B. einem technischen Defekt am Gaspedal, einer Drohung oder Geiselnahme, kann der subjektive Tatbestand entfallen bzw. ein Rechtfertigungsgrund für das Rasen vorliegen. Das Argument des Beschwerdeführers, dass die Signalisation nicht ausreichend war, verwarf die Vorinstanz zu Recht. Auch die Angabe eines technischen Problems mit dem Turbolader erwies sich als unglaubwürdig.

Somit wird die Beschwerde abgewiesen.

Subjektiver Tatbestand beim Rasen

Urteil 6B_1188/2021: Versehentlich Rasen gemäss Art. 90 Abs. 4 SVG möglich?

In diesem zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil werden einerseits strafprozessuale Fragen geklärt zur mündlichen Berufungsverhandlung (E. 2). Andererseits beschäftigt sich das Bundesgericht mit der Frage, ob es möglich ist, in fahrlässiger Weise viel zu schnell zu Fahren, womit der Rasertatbestand als Vorsatzdelikt in subjektiver Hinsicht nicht erfüllt wäre (E. 4).

Der Beschwerdeführer wurde im September 2020 auf dem Gebiet der Gemeinde Raron mit abzugsbereinigten 143 km/h geblitzt, überschritt die dort zulässige Geschwindigkeit von 80 km/h also um 63 km/h. Er überholte andere Fahrzeuge.

Der Beschwerdeführer rügt in strafprozessualer Hinsicht, dass die Staatsanwaltschaft nicht an der mündlichen Berufungsverhandlung teilgenommen hat. Aus seiner Sicht sei das nötig gewesen, da ein Fall von notwendiger Verteidigung nach Art. 130 lit. b StPO vorlag.

Gemäss Art. 405 Abs. 3 StPO wird die Staatsanwaltschaft zur mündlichen Berufungsverhandlung vorgeladen, wenn

– sie eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder eine freiheitsentziehende Massnahme beantragt (Art. 337 Abs. 3 StPO);
– die Verfahrensleitung dies für nötig erachtet (Art. 337 Abs. 4 StPO);
– die Staatsanwaltschaft Berufung oder Anschlussberufung erklärt (Art. 405 Abs. 3 lit. a StPO).

Der Wortlaut der Strafprozessordnung ist eindeutig. Es gibt deshalb in der Lehre keine auseinandergehenden Meinungen. Vereinzelt wird festgehalten, dass wenn die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von einem Jahr beantrage, diese nur dann vorzuladen sei, wenn das Gericht eine höhere Strafe in Erwägung ziehe. Nach einer anderen Meinung bestehe für die Staatsanwaltschaft ein Anwesenheitsrecht, nicht aber eine Anwesenheitspflicht, wenn sie eine Freiheitsstrafe von einem Jahr beantragt. Auch für das Bundesgericht ist nach der grammatikalischen Auslegung der StPO klar, dass gemäss Art. 337 Abs. 3 StPO eine Anwesenheitspflicht erst besteht, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und einem Tag beantragt wird. Da vorliegend das gesetzliche Minimum von einem Jahr beantragt wurde, musste die Staatsanwaltschaft also am mündlichen Berufungsverfahren nicht teilnehmen (zum ganzen E. 2).

Der Beschwerdeführer stellt sich sodann auf den Standpunkt, dass er mit seiner Fahrweise kein hohes Unfallrisiko mit Schwerverletzten oder Todesopfern geschaffen oder in Kauf genommen habe. Im Zeitpunkt des Überholmanövers habe er gar nicht auf den Tacho geschaut und war sich gar nicht bewusst, wie schnell er war. Wer beim Überholen den Tacho nicht beachtet, nimmt aber nach Meinung der Vorinstanz eine Geschwindigkeitsüberschreitung billigend in Kauf. Zudem hätte dem Beschwerdefüherer der erhebliche Geschwindigkeitsunterschied zwischen ihm und den überholten Fahrzeugen auffallen müssen.

Gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG macht sich strafbar, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen. Absatz 3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um mindestens 60 km/h überschritten wird (Art. 90 Abs. 4 lit. c SVG; zum hohen Risiko im objektiven Tatbestand ausführlich E. 4.3.1).

Der subjektive Tatbestand des Raserdeliktes erforert Vorsatz bzgl. der Verletzung einer elementaren Verkehrsregel und der Risikoverwirklichung, wobei Eventualvorsatz genügt. Da die beschuldigte Person – wie auch vorliegend – selten geständig ist, muss das Gericht anhand der Umstände entscheiden, ob der Täter (eventual)vorsätzlich gehandelt hat. Da Autofahrer bei krassen Verkehrsregelverletzungen bzw. -unfällen meistens auch selber zu den Verletzten gehören, darf nicht leichthin angenommen werden, dass die Täter sich vorsätzlich gegen das Rechtsgut Leib und Leben entschieden haben. Eventualvorsatz in Bezug auf Verletzungs- und Todesfolgen ist im Strassenverkehr nur mit Zurückhaltung und in krassen Fällen anzunehmen, in denen sich die Entscheidung gegen das geschützte Rechtsgut aus dem gesamten Geschehen ergibt. In BGE 142 IV 137 entschied das Bundesgericht bereits, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung nach Art. 90 Abs. 4 SVG der subjektive Tatbestand des Rasertatbestandes grundsätzlich erfüllt ist. Allerdings müssen die Gerichte die Möglichkeit haben, in besonderen Einzelfällen den subjektiven Tatbestand bei krassen Geschwindigkeitsüberschreitungen auszuschliessen. Als Beispiele solcher Situationen werden in der Lehre etwa das Vorliegen eines technischen Defekts am Fahrzeug (Fehlfunktion der Bremsen oder des Tempomats), eine äusserliche Drucksituation (Geiselnahme, Drohung) oder eine Notfallfahrt ins Spital genannt, wobei gewisse Autoren von Rechtfertigungsgründen sprechen. Ein Notstand allerdings kann eine Raserfahrt wohl nicht rechtfertigen, wie wir kürzlich gesehen haben (ausführlich zum subjektiven Tatbestand E. 4.3.2.1).

Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sog. innere Tatsachen und ist damit Tatfrage. Diese prüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substantiiert werden. Der Beschwerdeführer setzt sich mit dem Urteil der Vorinstanz nicht auseinander. Seine Vorbringen erschöpfen sich in appellatorischer Kritik. Insbesondere der grosse Geschwindigkeitsunterschied zwischen dem Beschwerdeführer und den überholten Fahrzeugen, dürfte Ersterem kaum entgangen sein. Die Vorinstanz durfte deshalb willkürfrei von einem eventualvorsätzlichen Handeln seitens des Beschwerdeführers ausgehen. Dieser machte auch keine besonderen Umstände geltend, wieso er die Geschwindigkeit dermassen krass überschritt. Vom Grundsatz, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung gemäss Art. 90 Abs. 4 SVG auch den subjektiven Tatbestand erfüllt, musste vorliegend also nicht ausnahmsweise abgewichen werden.

Faksimilie-Unterschrift auf Strafbefehl

Urteil 6B_684/2021: Die Tücken des Massengeschäfts (gutgh. Beschwerde, für Publikation vorgesehen)

Dieses Urteil ist höchstinteressant, weil es aufzeigt, welche Fallstricke das Massengeschäft in der Verwaltung haben kann. Die Strafbehörden müssen stets aufpassen, dass sie im Bereich der Massendelinquenz und trotz speditiver Fallbearbeitung stets die gesetzlichen Vorgaben der Strafprozessordnung einhalten. Nicht jeder formeller Fehler kann nachträglich geheilt werden.

Wegen einem Rechtsüberholmanöver im Juli 2018 wurde der Beschwerdeführer zunächst wegen grober und schliesslich vom Appelationsgericht BS wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass der Strafbefehl wegen einem Formmangel nichtig sei. Der Strafbefehl war mit einem Unterschriftenstempel („Faksimilie-Stempel“) unterzeichnet. Ohne handschriftliche Unterschrift sei die Urheberschaft des Strafbefehls unklar gewesen. Die Vorinstanz stimmt dem Beschwerdeführer zu, dass ein Strafbefehl von der ausstellenden Person unterzeichnet werden muss und dass der Strafbefehl einen Formfehler hatte. Allerdings sei dieser Fehler nach der Einsprache des Beschwerdeführers mit der Überweisungsverfügung an das Gericht geheilt worden, weil sich mit dieser Verfügung die Staatsanwältin ausdrücklich als Ausstellerin des Strafbefehls bekannt habe. Zudem vertritt die Vorinstanz die Auffassung, dass die Benutzung von Faksimilie-Stempel im Bereich des strafprozessualen Massengeschäfts generell zulässig sei.

Gemäss Art. 353 Abs. 1 lit. k StPO enthält der Strafbefehl die Unterschrift der ausstellenden Person.

Bei schriftlichen Eingaben von Parteien reicht gemäss Art. 110 Abs. 1 StPO eine fotokopierte oder faksimilierte Unterschrift nicht. Gleiches gilt gemäss Art. 80 Abs. 2 StPO auch für Entscheide, was letztlich der Rechtssicherheit dient. Auch für Strafbefehle gilt, dass Aussteller und Unterzeichner identisch sein müssen. Weder darf eine unzuständige Person unterschreiben, noch darf der Strafbefehl „in Vertretung“ unterschrieben werden (zum Ganzen ausführlich E. 1.3).

Daraus folgt, dass die eigenhändige Unterschrift auf einem Strafbefehl bezeugt, dass dieser bzgl. Schuld und Strafe dem Willen des Staatsanwaltes oder der Staatsanwältin entspricht. Bei der Unterschrift handelt es sich insofern um ein Gültigkeitserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit. Ergänzend kommt hinzu, dass bei fehlender Einsprache ein Strafbefehl zum Urteil wird, weshalb ein Strafbefehl wie ein Entscheid gemäss Art. 80 StPO eine eigenhändige Unterschrift zu enthalten hat. Damit überzeugt die Vorinstanz nicht, wenn sie ausführt, dass im Bereich des strafprozessualen Massengeschäfts mittels Faksimilie-Unterschrift vom Formerfordernis der eigenhändigen Unterschift abgewichen werden darf, auch wenn die Anwendung der Faksimilie-Stempel „streng reglementiert“ sei (vgl. E. 1.4.1).

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist ein Strafbefehl mit einer Faksimilie-Unterschrift aber nicht nichtig, sondern lediglich ungültig. Nur krass fehlerhafte Verfahrenshandlungen führen zur Nichtigkeit eines Entscheides, z.B. wenn die entscheidende Behörde weder funktionell noch sachlich zuständig war. Deshalb prüft das Bundesgericht, ob der Mangel mit der Überweisungsverfügung an das Gericht geheilt wurde (vgl. E. 1.4.2).

Nach dem Grundsatz der Formstrenge müssen Verfahren innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Form durchgeführt werden. Erhebt die Staatsanwaltschaft nach Einsprache der beschuldigten Person Anklage an das Gericht, gilt der Strafbefehl als Anklageschrift (Art. 356 Abs. 1 StPO und 325 StPO). Im Hauptverfahren ist die Staatsanwaltschaft Partei (Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO), womit ihre schriftlichen Eingaben datiert und unterzeichnet werden müssen (Art. 110 Abs. 1 StPO). Das Gericht prüft sodann die Anklage. Bestehen formelle Mängel wird die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen (Art. 329 StPO). In der Folge nimmt das Bundesgericht eine interessante Differenzierung vor:

Wenn der Strafbefehl bewusst im Sinne einer eigentlich Praxis – wie vorliegend zur Bewältigung des Massengeschäfts – ungültig mittels Faksimilie-Unterschrift ausgestellt wird, kann der Mangel durch die Überweisung an das Gericht nicht geheilt werden. Eine Heilung des Mangels einer ungültigen Unterschrift ist nur dann möglich, wenn auf die (eigenhändige) Unterschrift nicht bewusst verzichtet worden, sondern diese namentlich versehentlich unterblieben ist und damit die Nichteinhaltung des Gültigkeitserfordernisses nicht auf einer eigentlichen Praxis beruht (E. 1.5.2).

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Damit ist klar, dass die Strafbehörden bei der Straffung ihrer Prozesse im Namen der Effizienz stets darauf bedacht sein müssen, dass sie die Formvorschriften der StPO einhalten.

Begründungspflicht der oberen kantonalen Instanz

Urteil 6B_1462/2021: Schlecht begründet… (gutgh. Beschwerde)

Dieses Urteil dreht sich um einen Teilgehalt des rechtlichen Gehörs, nämlich der Begründungspflicht der Gerichte und insb. wie sich die obere Instanz mit dem Urteil der unteren sowie den Vorbringen der beschuldigten Person auseinanderzusetzen hat.

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, dass er mit 1.09 Promille in einer Rechtskurve einen Lastwagen überholte. Ein entgegenkommendes Fahrzeug musste stark abbremsen und nach rechts ausweichen, um eine Frontalkollision zu vermeiden. Zudem konnte der Beschwerdeführer das Überholmanöver nur abschliessen, weil der LKW-Fahrer geistesgegenwärtig abbremste. Das erstinstanzliche Gericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen einer groben Verkehrsregelverletzung, vom Vorwurf des Rasertatbestandes hingegen wurde er freigesprochen. Das Obergericht Kt. AG bestätigte dieses Urteil. Der Beschwerdeführer gelangt mit Beschwerde ans Bundesgericht und beantragt eine Busse wegen einfacher Verkehrsregelverletzung bzw. die Rückweisung der Sache. Er rügt, dass sich die kantonalen Gerichte nicht mit seinen Rügen zum Sachverhalt auseinandergesetzt hätten. Ebenso würdige das Obergericht die Beweise nur selektiv. Daraus resultiere für ihn ein Urteil, dass er gar nicht sachgerecht anfechten könne.

Die Begründungspflicht der Gerichte entspringt dem grundlegenden Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Vorbringen der betroffenen Person müssen in der Entscheidfindung berücksichtigt werden, sodass der Entscheid nachvollziehbar ist und allenfalls weitergezogen werden kann. Gerichte können sich allerdings auf die wesentlichen Punkten beschränken. Im Berufungsverfahren kann die obere kantonale Instanz durchaus auf den erstinstanzlichen Entscheid verweisen, auch wenn es den angefochtenen Entscheid umfassend prüfen muss. Aufgrund der umfassenden Sach- und Rechtskognition des Berufungsgerichts kommt ein Verweis aber in erster Linie bei nicht streitigen Sachverhalten und abstrakten Rechtsausführungen in Betracht oder wenn die Rechtsmittelinstanz sich die vorinstanzlichen Erwägungen vollumfänglich zu eigen macht. Andernfalls ist ein Verweis unzulässig (zum Ganzen einleuchtend E. 1.2.1). Genügt ein Entscheid den Begründungsanforderungen nicht, weist das Bundesgericht diesen an die Vorinstanz zurück.

In der Folge setzt sich das Bundesgericht mit den kantonalen Entscheiden auseinander und stellt dabei fest, dass nicht klar ist, von welchem Sachverhalt die Vorinstanz ausgeht. Ebenso geht die Vorinstanz mit keinem Wort auf die Vorbringen des Beschwerdeführers ein. Die Vorinstanz weicht zudem vom erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt ab, legt aber nicht dar, von welchen Beweisen sie ausgeht. Schliesslich würdigt die Vorinstanz ein vom Beschwerdeführer eingereichtes Privatgutachten nur mangelhaft, wodurch sowohl der Untersuchungsgrundsatz, als auch das rechtliche Gehör verletzt wird (ausführlich zur Gegenüberstellung des erst- und zweitinstanzlich festgestellten Sachverhalts E. 1.3ff.).

Die Sache wird zur Verbesserung zurückgewiesen.