Rückblick: Tödlicher Unfall und Entscheide zur Geschwindigkeit

Die erste Strafkammer des Bundesgerichts hat wieder mal Vollgas gegeben und es sind einige neue Entscheide ergangen. Diesen Urteilen widmen wir uns hier aus Zeitgründen in teilweise stark zusammengefasster Form.

Urteil 6B_16/2023: Fahrlässige Tötung oder qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung (Vorsatz vs. Fahrlässigkeit)

Dieses Urteil befasst sich exemplarisch mit der Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bei krassen Verkehrsdelikten. Die Beschwerde der beschuldigten Person bzgl. Strafmass wird zudem gutgeheissen.

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Dieses Urteil befasst sich mit einem tödlichen Verkehrsunfall. Der Betroffene überholte im Januar 2017 unter dem Einfluss von THC wegen einem am Vorabend gerauchten Joints auf der Kantonsstrasse zwischen Chur und Domat/Ems zwei andere Fahrzeuge. Dabei übersah er einen Motorroller, kollidierte mit diesem. Die Lenkerin des Rollers starb noch auf der Unfallstelle. Von der ersten Instanz noch wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung verurteilt, änderte das Kantonsgericht GR dieses Urteil auf Berufung hin u.a. auf fahrlässige Tötung. Dagegen erhebt die Staatsanwaltschaft Beschwerde. Sie beantragt, dass der Beschwerdegegner wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung schuldig zu sprechen sei. Aus ihrer Sicht hat der Beschwerdegegner den Tod der Rollerfahrerin in Kauf genommen. Auch der Betroffene erhebt Beschwerde bzgl. dem Strafmass.

Das Bundesgericht setzt sich exemplarisch mit der Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit (E. 2.2.2) sowie den Strassenverkehrsregeln zum Überholen (E. 2.2.3) auseinander. Es hält auch daran fest, dass Eventualvorsatz bei Unfällen mit Todesfolge nur zurückhaltend und in krassen Fällen anzunehmen ist. Es muss sich aus den Einzelfallumständen ergeben, dass sich der oder die Täterin gegen das geschützte Rechtsgut von Leib und Leben entschieden hat (E. 2.2.4). Im vorliegenden Fall verhielt es sich so, dass hinter dem Motorroller noch ein weiteres Fahrzeug dem Beschwerdegegner entgegen fuhr. Für ihn „verschmolzen“ die beiden Fahrzeuge optisch in der Morgendämmerung. Da der Beschwerdegegner die Rollerfahrerin in pflichtwidriger Weise nicht wahrgenommen hat, entschied er sich im Lichte der Rechtsprechung nicht gegen Leib und Leben. Er handelte nicht eventualvorsätzlich (zum Ganzen ausführlich E. 2.4). Auch die weiteren Rügen der Staatsanwaltschaft werden abgelehnt. Sie machte geltend, dass das Überholmanöver auch gegenüber den überholten Fahrzeugen eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung war. Das Bundesgericht bestätigt aber den Schuldspruch wegen grober Verkehrsregelverletzung (E. 3).

Gutgeheissen wird aber die Beschwerde des Betroffenen. Er wurde mit einer Freiheitsstrafe von 34 Monaten bestraft. Aus Sicht des Bundesgerichts begründete die Vorinstanz diese hohe Strafe zu wenig. Zudem wurde die lange Verfahrensdauer bzw. eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht berücksichtigt (E. 5).


Urteil 6B_1065/2023: Regeln zur Nachfahrmessung ohne kalibriertes Messsystem

Dieses französische Urteil setzt sich exemplarisch mit den Regeln zur Geschwindigkeitskontrolle gemäss Art. 6ff. der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung (VSKV-ASTRA) auseinander, insb. welche Regeln bzgl. der Nachfahrmessung nach Tacho gelten und wann ein „massiver“ Fall gemäss Art. 7 Abs. 3 VSKV-ASTRA vorliegt.

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Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung. Gemäss einer polizeilichen Nachfahrmessung fuhr er auf einer Autostrasse mit Tempolimite 80 km/h auf einer Strecke von 200 Metern gemäss Tacho des Polizeifahrzeuges mit 145 km/h. Abzugsbereinigt ergab sich daraus eine gefahrenes Tempo von 122 km/h bzw. Geschwindigkeitsüberschreitung von 42 km/h. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass 200m für eine Nachfahrmessung nicht ausreichend seien.

Art. 6 VSKV-ASTRA listet die Messarten auf, welche grundsätzlich für die Messung von Fahrzeug-Geschwindigkeit zu verwenden sind. Die Nachfahrmessung ist eine davon (lit. c Ziff. 2). Gemäss Art. 7 Abs. 3 VSKV-ASTRA sind Nachfahrmessungen ohne kalibriertes Nachfahrmesssystem auf Fälle von massiver Geschwindigkeitsüberschreitung zu beschränken. Die Regeln zu Geschwindigkeitsmessungen werden wiederum durch die „Weisungen über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung im Strassenverkehr“ konkretisiert. Gemäss Kapitel 20 muss nach Nachfahrmessungen ohne kalibriertes Messsystem zunächst die Genauigkeit des Tachos des Polizeifahrzeuges geprüft und danach noch der Abzug gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. i VSKV-ASTRA vorgenommen werden. Dabei handelt es sich um Empfehlungen, welche das Gericht nicht binden (E. 1.1.4). Knackpunkt ist vorliegend, dass die Weisungen unter Ziff. III.10.1 sagen, dass bei Nachfahrkontrollen u.a. eine genügend lange Messstrecke vorausgesetzt ist, wobei sie auf Anhang 1 der VSKV verweist. Bei 200m ist dort kein Sicherheitsabzug angegeben.

Die kantonalen Instanzen waren der Meinung, dass 200m als Strecke für eine Nachfahrmessung ausreichen, auch weil die Weisungen des ASTRA nicht verbindliches Recht sind und das Gericht die Beweise frei würdigen kann. Der Beschwerdeführer sieht das natürlich diametral anders. Insb. die Messtrecke von nicht mal 200m sei zu kurz, weshalb diese Messung nicht verwertet werden dürfe.

Zunächst hält das Bundesgericht fest, dass Anhang 1 der VSKV-ASTRA nicht auf Nachfahrmessungen ohne kalibriertes Messsystem anwendbar ist (vgl. Art. 8 Abs. 1 lit. h vs. lit i; E. 1.4.1). Ebenfalls stellt es klar, dass Ziffer III.10 der Weisungen des ASTRA nicht auf Nachfahrmessungen ohne kalibriertes Messsystem anwendbar ist, sondern nur die Regeln in Ziffer III.20. Entgegen den Vorbringen braucht es keine Mindeststrecke für die Messung und das Gericht muss die Beweise frei würdigen (E. 1.4.2).

Der Beschwerdeführer rügt sodann, dass keine massive Geschwindigkeitsüberschreitung gemäss Art. 7 Abs. 3 VSKV-ASTRA vorläge. Aus seiner Sicht kann es sich bei dieser Formulierung nur um Raserdelikte handeln. Dem widerspricht das Bundesgericht. Es geht hier darum „wichtige Fälle“ von Geschwindigkeitsdelikten zu erfassen. Wenn man, wie im vorliegenden Fall, die Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50% überschreitet und eine grobe Verkehrsregelverletzung vorliegt, ist die Voraussetzungen eines „wichtigen“ bzw. massiven Falles erfüllt (zur ausführlichen Auslegung E. 2.4).


Urteile 6B_13-16/2024: Wo steht denn hier ne Tafel? (gutgh. Beschwerde)

Diese Urteile wurden auch schon in der Presse erwähnt, z.B. 20min. Es geht um eine Geschwindigkeitstafel bei einer Baustelle am Kerenzerberg, die nach Ansicht des Obergerichts Kt. GL so platziert war, dass sie von den Verkehrsteilnehmern nicht habe wahrgenommen werden können. Das Bundesgericht sieht das anders, weshalb wohl ca. 600 geblitzte Motorfahrzeugführer ihre Busse doch bezahlen müssen.

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Wir machen es hier besonders kurz: Signale müssen von den Verkehrsteilnehmern beachtet werden (Art. 27 Abs. 1 SVG). Das geht soweit, dass man auch rechtswidrig aufgestellte Signale (z.B. wenn Signale nicht ordentlich gemäss Art. 107ff. SSV veröffentlicht wurden) beachten muss. Signale vermögen Fahrzeuglenker nur zu verpflichten, wenn sie so aufgestellt sind, dass sie leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Der Standort von Signalen richtet sich nach Art. 103 SSV.

Die fragliche Signaltafel zur Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit ausserorts auf 50 km/h stand im vorliegenden Fall am rechten Strassenrand etwas nach der Mitte einer Haarnadelkurve. Die Vorinstanz war der Meinung, dass insb. Motorradfahrer beim Befahren einer Linkskurve ihren Blick auf die weiterführende Strasse und nicht auf den rechten Fahrbahnrand richten. Zudem spreche der Umstand, dass ca. ein Viertel aller kontrollierten Lenker zu schnell waren, dafür, dass die Tafel schlecht sichtbar war. Das Bundesgericht sieht das anders. Die Tafel sei schon von weitem ersichtlich gewesen und auch wenn sie rechtswidrig aufgestellt worden wäre, hätte die Signalisationstafel wegen dem Vertrauensgrundsatz trotzdem beachtet werden müssen. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird insofern gutgeheissen.


Urteil 6B_731/2022: Das trügerische Radarfoto (gutgh. Beschwerde)

Auch in diesem Fall wehrt sich der Beschwerdeführer gegen die Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Vorinstanz verfiel in Willkür, als sie davon ausging, dass das Radarfoto den Beschwerdeführer zeige.

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Vorliegend geht es um eine Tempoüberschreitung von 22 km/h innerorts, also um eine einfache Verkehrsregelverletzung bzw. eine Übertretung. Das Bundesgericht prüft hier, ob der Sachverhalt von der Berufungsinstanz willkürfrei festgestellt wurde (Art. 398 Abs. 4 StPO).

Der Beschwerdeführer bestreitet, das Auto im Zeitpunkt der Verkehrsregelverletzung gefahren zu sein. Das Radarfoto zeigt eine männliche Person mit einer Gesichtsmaske. Im Verlaufe des Verfahrens musste der Beschwerdeführer Passfotos sämtlicher männlicher Mitarbeiter einreichen, die mit dem geblitzten Auto fahren durften. Das erstinstanzliche Gericht stellte zunächst fest, dass anhand der Passfotos nicht zweifelsfrei festgestellt werden könne, ob der Beschwerdeführer selber gefahren sei. Bei der Hauptverhandlung war das Gericht allerdings der Meinung, ihn anhand eines Passfotos als Lenker erkannt zu haben. Dieses Passfoto zeigte aber den Bruder des Beschwerdeführers. Der Umstand, dass die erste Instanz den Beschwerdeführer auf einem Passfoto zu erkennen glaubte, das nachweislich einen der anderen potentiellen Fahrer abbildet, muss gleichzeitig und unweigerlich massgebliche Zweifel an der Richtigkeit der Identifikation auf dem Radarbild begründen. Damit wurde der Sachverhalt aber willkürlich festgestellt. Die Sache wird zurückgewiesen.

Vertrauensgrundsatz und die unklare Verkehrssituation

Urteil 6B_272/2024: Vertrau mir doch!

Ein Busfahrer wehrt sich gegen eine Busse wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung. Er ist mit seinem Linienbus in Rapperswil-Jona auf einen Kreuzungsbereich eingefahren, ohne zu bremsen oder zu verlangsamen. Dabei handelt es sich um eine Kreuzung, von welcher bekannt ist und die Buschauffeure auch entsprechend geschult werden, dass andere Verkehrsteilnehmer sich nicht immer an Lichtsignale halten. Es kam, wie es kommen musste, es gab auf der Kreuzung ein Kollision und der Busfahrer wurde wegen einer Vortrittsmissachtung bestraft. Er habe sich in dieser speziellen Situation nicht auf den Vertrauensgrundsatz gemäss Art. 26 Abs. 1 SVG verlassen dürfen. Im Gegenteil lag aus Sicht der Vorinstanz ein Anwendungsfall von Art. 26 Abs. 2 SVG vor. Der Buschauffeur hätte nämlich besonders vorsichtig sein müssen, weil es Anzeichen dafür gab, dass sich Verkehrsteilnehmer nicht richtig verhalten würden. Das sieht dieser natürlich überhaupt nicht so, obwohl er einige Verkehrsteilnehmer wahrnahm, die sich nicht an die Lichtsignale hielten. Den von links kommenden Unfallgegner sah er aber nicht (stark zusammengefasst E. 1.1 – 1.2).

Die Frage hier lautet also, wann liegt eine Situation vor, in welcher man sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen kann, obwohl man kein Fehlverhalten eines Unfallbeteiligten feststellt?

Grundsätzlich darf man ja darauf vertrauen, dass sich auf der Strasse alle richtig verhalten (Art. 26 Abs. 1 SVG). Dieser Grundsatz wird aber dadurch relativiert, dass dies nicht gilt, wenn sich jemand nicht richtig verhält. Dann muss man besondere Vorsicht walten lassen (Art. 26 Abs. 2 SVG). Es gibt aber Situationen, die so unübersichtlich sind, dass man generell defensiv fahren muss bzw. sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen kann. Das BGer definiert das so (E. 1.3.1):

„Ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers kann sich aber auch aus der Unklarheit oder Ungewissheit einer bestimmten Verkehrslage aufdrängen, die nach allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit fremden Fehlverhaltens unmittelbar in die Nähe rückt. In solchen Situationen liegen zwar keine konkreten Anzeichen für unrichtiges Verhalten vor, doch ist angesichts der besonderen Gefahrenneigung risikoarmes Verhalten gefordert.“

Vorliegend fuhr der Beschwerdeführer ungebremst in eine Kreuzung, bei welcher bekannt ist, dass sich andere Verkehrsteilnehmer nicht immer an die Regeln halten. Aus diesem Grund durfte der Busfahrer nicht darauf vertrauen, dass sich alle richtig verhalten, auch wenn er den Unfallgegner nicht gesehen hat. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Freiheits- vs. Geldstrafe und deren Aufschub

Urteil 6B_1332/2023: Die besonders günstigen Umstände nach Art. 42 Abs. 2 StGB (tlw. gutgh. Beschwerde)

Bei einem Überholmanöver verursachte der Beschwerdeführer einen Verkehrsunfall, bei welchem die Lenkerin und drei Insassen des anderen Fahrzeuges verletzt wurden. Ohne sich um den Sachschaden oder die verletzten Personen zu kümmern floh der Beschwerdeführer von der Unfallstelle. Sein Fahrzeug war bei seiner Flucht stark beschädigt und entsprach nicht mehr den Vorschriften. Am folgenden Tag stellte sich der Beschwerdeführer bei der Polizei.

Wegen dem Unfall wurde der Beschwerdeführer zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 90 Tagen und einer Busse verurteilt wegen grober Verkehrsregelverletzung, Führerflucht und Lenken eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges. Grund dafür: Seine Vorstrafen. Mit seiner Beschwerde verlangt der Beschwerdeführer die Bestrafung mit einer bedingten Geldstrafe und einer Busse.

Die grobe Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Abs. 2 SVG) sowie die Führerflucht (Art. 92 Abs. 2 SVG) sind Vergehen, die mit Freiheitsstrafe bis drei Jahren oder Geldstrafe sanktioniert werden können. Ein Gericht richtet sich bei der Strafzumessung nach den Grundsätzen von Art. 47 StGB, wobei es über ein grosses Ermessen verfügt. Das Bundesgericht greift in die Strafzumessung deshalb nur ein, wenn

– die Strafe gesetzlich nicht vorgesehen ist,
– wenn sie auf anderen Kriterien als Art. 47 StGB gründet,
– wenn wichtige Elemente nicht berücksichtigt wurden,
– oder wenn ein Ermessensmissbrauch wegen zu milder oder harter Strafe vorliegt.

Das Gericht muss bei der Strafzumessung begründen, welche Elemente für die Strafe relevant waren, wobei es unwichtige Elemente nicht unbedingt erwähnen muss.

Das Gericht kann anstelle von Geldstrafen auch kurze Freiheitsstrafen anordnen, wenn die Voraussetzungen gemäss Art. 41 StGB erfüllt sind. Die Geldstrafe hat aber bei kleiner und mittlerer Kriminalität nach wie vor Vorrang. Nur wenn der Staat die öffentliche Sicherheit nicht anders garantieren kann, soll der Freiheitsstrafe der Vorrang gewährt werden. Sprechen sowohl gute Gründe für eine Geldstrafe, als auch Freiheitsstrafe, muss im Rahmen der Verhältnismässigkeit der Geldstrafe den Vorzug gegeben werden. Bei der Wahl der Strafe ist schliesslich nicht das Verschulden massgebend, sondern die spezialpräventive Wirkung der Strafe. Wählt es die Freiheitsstrafe, muss das Gericht dies ausführlich begründen (E. 1.1).

Das kantonale Gericht begründete die Wahl der Freiheitsstrafe im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer nur drei Monate vor dem Unfall aus einer Freiheitsstrafe (wegen versuchtem Mord) entlassen wurde. Zudem ist er mehrfach vorbelastet und erhielt auch schon Geldstrafen. Unter diesen Umständen durfte die kantonale Instanz davon ausgehen, dass eine Geldstrafe vorliegend keine Wirkung mehr habe. Die Dauer der Freiheitsstrafe begründete es zudem nachvollziehbar nach den Grundsätzen von Art. 47 StGB (zum Ganzen E. 1.2-1.4).

Der Beschwerdeführer verlangt, dass die Freiheitsstrafe bedingt auszusprechen sei, weil besonders günstige Umstände gemäss Art. 42 Abs. 2 StGB vorlägen. Wenn eine Person vorbestraft ist, entfällt grundsätzlich die Vermutung einer günstigen Legalprognose. Im Gegenteil sind die Vorstrafen ein Indiz dafür, dass die betroffene Person weiterhin delinquieren wird. Eine besonders günstige Prognose kann unter Würdigung aller Umstände vorliegen, wenn

– die zu beurteilende Straftat nicht mit den Vorstrafen zusammenhängt,
– oder sich die Lebensumstände der betroffenen Person besonders positiv verändert haben.

Auch bei dieser Beurteilung hat das Gericht einen grossen Ermessenspielraum. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn das Gericht hauptsächlich auf die Vorstrafen abstellt und übrige Einzelheiten ausser Acht lässt (E. 2.1).

Die kantonale Instanz hob zwar viele positive Entwicklungen des Beschwerdeführers hervor. Allerdings waren die Vorstrafen zu gravierend, als dass man nach Ansicht der Vorinstanz von einem besonders günstigen Fall hätte ausgehen können. Darin erblickt das Bundesgericht einen Ermessensmissbrauch. Aus Sicht der Bundesrichter wurde im kantonalen Verfahren zu sehr auf die Vorstrafen abgestellt. Denn der Beschwerdeführer führt mittlerweile wieder ein stabiles und strukturiertes Leben. Zudem bezieht sich das SVG-Delikt nicht auf seine Vorstrafen. Das Bundesgericht geht also von einem besonders günstigen Fall aus. Die Sache wird zur Festlegung der Probezeit an die Vorinstanz zurückgewiesen (E. 2.2 – 2.3).

Falsche Geschwindigkeitsmessung!

Urteil 7B_246/2022: Bitte etwas mehr Reflexion! (gutgh. Beschwerde)

Schnellfahren gehört zur Massendelinquenz im Strassenverkehr. Die pragmatische Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Geschwindigkeitsüberschreitung sowie der Schematismus zum Schnellfahren sorgen dafür, dass Beschwerden bei Geschwindigkeitsüberschreitungen regelmässig abgelehnt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass es i.c. dem Beschwerdeführer gelungen ist, vor Bundesgericht zu reüssieren. Aus seiner Sicht wurde die Messung falsch durchgeführt, denn auf den Fotos des mobilen Blitzkastens sei eine Reflexion zu sehen, die die Messung fehlerhaft macht.

Im kantonalen Verfahren verlangte der Beschwerdeführer also ein Gutachten darüber, ob die Messung korrekt war und damit auch als Beweis verwertbar. Indem aber die kantonalen Behörden dieses Gutachten nicht einholten, wurde aus Sicht des Beschwerdeführers aber das rechtliche Gehör sowie das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verletzt.

Kontrollen im Strassenverkehr richten sich nach der Strassenverkehrs-Kontrollverordnung (Art. 1 SKV). Bei diesen Kontrollen können technische Hilfmittel, wie eben Blitzkästen bei Geschwindigkeitsmessungen, eingesetzt werden, wobei das ASTRA die Einzelheiten zu diesen Messungen regelt (Art. 9 SKV). Für Geschwindigkeitsmessungen hat das ASTRA die „Weisung über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung im Strassenverkehr“ vom 22. Mai 2008 erlassen. In Ziffer 6.1 heisst es zum Einsatzort unter anderem:

„Radargeräte sind so aufzustellen und zu betreiben, dass Reflexionsfehlmessungen, verursacht durch metallische Flächen oder Gitter, vermieden werden. Dieser Möglichkeit ist bei der Aufstellung und Wahl der Empfindlichkeit des Gerätes durch die Kontrollperson besondere Beachtung zu schenken.“

Im vorliegenden Fall war erstellt, wo der Blitzkasten stand (E. 3.4.1), das Gerät war geeicht und funktionierte korrekt. Ebenso war die Messung ohne Zweifel dem Auto des Beschwerdeführers zuzuordnen (E. 3.4.3).

Nun kommt aber die Krux zur Reflexion: Der Beschwerdeführer machte zu Recht geltend, dass einer der Polizisten angab, dass die Radarbilder eine geringfügige Reflexion zeigten, die mutmasslich wegen einer Kilometrierungstafel entstanden. Da Reflexionen gemäss den obigen Weisungen zu einer Fehlmessung führen können, verletzte die Vorinstanz das rechtliche Gehör, indem sie auf dieses Vorbringen des Beschwerdeführers nicht weiter einging. Die Beschwerde wird gutgeheissen, damit ein Gutachten Aufschluss darüber geben kann, ob die Messung der Geschwindigkeit fehlerhaft war.

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Endspurt zum Jahresende mit spannenden Bundesgerichtsurteilen

Zum Jahresende hat das Bundesgericht noch einmal Vollgas gegeben und einige interessante Urteile zum Strassenverkehrsrecht veröffentlicht. Einige davon dürften die SVG-Cracks hier weniger überraschen. Als Lektüre ist aber insb. Urteil 1C_550/2022 zu empfehlen, da es sich zu einer interessanten Konstellation im Zusammenhang mit der charakterlichen Fahreignung beim Kaskadensicherungsentzug äussert. Viel Spass beim Lesen und gutes (metaphorisches) Rutschen.

Urteil 1C_550/2022: Der Entzug der Spezialkategorien und die Folgen in der Kaskade

Dieses Urteil beantwortet die Frage, ob ein Entzug der Spezialkategorien F, G und M gemäss Art. 33 Abs. 2 VZV ebenfalls mitzuzählen ist, wenn aufgrund der Kaskade ein Kaskadensicherungs-Entzug ansteht.

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Der Beschwerdegegner blickt auf eine reichhaltige SVG-Geschichte zurück:

25. November 2009 – Geschwindigkeitsüberschreitung – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1 Monat
24. Juni 2013 – Geschwindigkeitsüberschreitung – leichte Widerhandlung – Verwarnung
26. Mai 2014 – Auffahrkollision – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1.5 Monate
11. Oktober 2014 – nicht gesicherte Ladung auf Anhänger von Traktor – mittelschwere Widerhandlung – Zusatzmassnahme zur vorgenannten Massnahme, Entzug der Spezialkategorien F, G und M, Kat. B weiterhin fahrberechtigt.
19. Oktober 2019 – Lenken eines nicht betriebssicheren Traktors – mittelschwere Widerhandlung – Kaskadensicherungsentzug gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG.

Die kantonalen Instanzen hoben den Kaskadensicherungsentzug auf. Dagegen führt das Strassenverkehrsamt Beschwerde beim Bundesgericht. Es stellt sich auf den Standpunkt, dass dem Beschwerdegegner gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG der Führerausweis nun zum vierten Mal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen werde, weshalb ein Kaskadensicherungsentzug angeordnet werden muss. Bei diesem besteht sodann die gesetzliche Vermutung der fehlenden charakterlichen Fahreignung gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG. Das Strassenverkehrsamt stützte sich bei seiner Begründung für den Sicherungsentzug auch auf das Urteil 1C_248/2020, gemäss welchem auch Zusatzmassnahmen bei der Anordnung eines Kaskadensicherungsentzugs berücksichtigt werden müssen (E. 4.3).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich zum im Urteil 1C_248/2020 behandelten Sachverhalt aber darin, dass vorliegend bei der mittelschweren Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 nur die Spezialkategorien entzogen wurden.

Ein (Kaskaden)Sicherungsentzug aus charakterlichen Gründen greift schwer in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person ein. Deshalb darf ein Sicherungsentzug nur dann angeordnet werden, wenn aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person klar ist, dass diese auch künftig gegen die Verkehrsregeln verstossen wird. In anderen Worten muss eine Rückfallgefahr bestehen. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG so auszulegen, dass die Vorbelastungen nur zu einem Kaskadensicherungsentzug führen können, wenn sie mit einer Hauptkategorie, also z.B. Kat. A oder B, begangen wurden. Denn nur dann kommt der Warnmassnahme „generelle Wirkung“ zu, indem der erzieherische Warnentzug gemäss Art. 33 Abs. 1 VZV über sämtliche Kategorien erfolgt. Im vorliegenden Fall betraf der Warnentzug bzgl. der Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 aber nur die Spezialkategorien F, G und M. Weil dabei die Kat. B nicht entzogen wurde, hatte die Massnahme keine „generelle Wirkung“ bzw. nur eine sehr eingeschränkte erzieherische Wirkung, weshalb sie bei der Prüfung eines Kaskadensicherungsentzugs gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG nicht berücksichtigt werden darf.

Die Beschwerde des Strassenverkehrsamtes wird deshalb abgewiesen.

Vorsicht Meinung: Dieser Entscheid ist nur schwierig nachvollziehbar. Denn einerseits stellt sich die Frage, wie diese Rechtsprechung handzuhaben ist, wenn jemand nur im Besitz von Spezialkategorien ist, denn dort hätte ein Warnentzug wiederum „generelle Wirkung“. D.h. theoretisch wäre es möglich, dass eine Person, die nur Spezialkategorien hat, anders behandelt würde, als jene, die noch über Hauptkategorien verfügt. Zudem können Widerhandlungen mit einem landwirtschaftlichen Fahrzeug der Kat. G weitaus gefährlicher sein, als solche mit einem Fahrzeug der Kat. B. Im vorliegenden Fall hat die betroffene Person ohne weiteres bewiesen, dass sie nicht gewillt ist, die Verkehrsregeln einzuhalten. Eine sichernde Massnahme wäre angebracht gewesen.


Urteil 6B_500/2023: Zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit

Dieses Urteil befasst sich mit der Abgrenzung zwischen (eventual)vorsätzlicher und (bewusst) fahrlässiger Tötung nach einem Strassenverkehrsdelikt.

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Der Beschwerdegegner fuhr im September 2021 ausserorts hinter einem anderen Auto her. Als dieses wegen zwei Fussgängern auf der rechten Strassenseite und einem entgegenkommenden Lieferwagen seine Fahrt verlangsamte, setzte der Beschwerdegegner zum Überholen an. Beim Überholmanöver gab es zunächst eine Streifkollision zwischen dem Beschwerdegegner und dem Lieferwagen. Als der Beschwerdegegner wieder auf die rechte Fahrbahn einbog, kollidierte er frontal mit den beiden Fussgängern. Eine Person starb an den Verletzungen. Im kantonalen Verfahren wurde der Beschwerdegegner u.a. wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung, der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung und Fahren in fahrunfähigem Zustand verurteilt. Dagegen erhebt die Staatsanwaltschaft Beschwerde. Der Beschwerdegegner sei wegen (versuchter) eventualvorsätzlicher Tötung schuldig zu sprechen.

Bei krassen Verkehrsunfällen kann die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und der bewussten Fahrlässigkeit schwierig sein. Eventualvorsätzlich handelt, wer mit dem Eintritt eines Taterfolges – also hier dem Tod eines Menschen – rechnet, aber dennoch handelt, weil man den Taterfolg in Kauf nimmt bzw. sich damit abfindet. Die bewusst fahrlässig handelnde Person rechnet zwar auch mit dem Eintritt des Taterfolgs, vertraut aber in pflichtwidriger Weise darauf, dass der Erfolg nicht eintritt. Ohne Geständnis der beschuldigten Person, muss der Richter anhand der Einzelfallumstände entscheiden, ob der Täter oder die Täterin den Taterfolg billigte. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Der Richter darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (E. 2.3.2). Bei Strassenverkehrsdelikten darf eine eventualvorsätzliche Tatbegehung aber nicht leichthin angenommen werden. Nur in krassen Fällen darf davon ausgegangen werden, dass sich der Täter oder die Täterin gegen das geschützte Rechtsgut von Leib und Leben entschieden hat (zum Ganzen E. 2.3.5).

Im vorliegenden Fall fuhr der Beschwerdegegner in fahrunfähigem Zustand (Art. 31 Abs. 2 SVG) und überholte ein anderes Fahrzeug in waghalsiger Art und Weise (Art. 35 Abs. 3 i.V.m. Art. 90 Abs. 3 SVG). Da er aber zu Beginn des Überholmanövers die Fussgänger auf der Fahrbahn noch nicht erblickte, konnte er nicht vorhersehen, dass sich ein Unfall mit Todesfolge ergeben könnte. Deshalb konnte vorliegend nicht darauf geschlossen werden, dass er erkennen musste, dass ein Unfall mit Todesfolge droht. Insofern kann dem Beschwerdegegner auch nicht angelastet werden, dass er mit dem krassen Überholmanöver den Tod der Fussgänger in Kauf nahm.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird in diesem Punkt abgewiesen.


Urteil 6B_85/2023: Ein Ausweichemanöver als grobe Verkehrsregelverletzung

Wenn man zuwenig Abstand einhält aufgrund eines verkehrsbedingten Anhaltens des vorfahrenden Autos ausweichen muss und einen Unfall verursacht, liegt eine grobe Verkehrsregelverletzung vor.

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Der Beschwerdeführer fuhr nachmittags einem anderen Auto nach. Dieses musste anhalten, um dem Gegenverkehr das Kreuzen zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, wich nach rechts auf eine Wiese aus, touchierte leicht das Heck des vorfahrenden Fahrzeuges, fuhr durch einen Holzzaun in einen Graben und kam schliesslich bei einer Scheune zum Stillstand.

Die kantonalen Instanzen verurteilten ihn wegen grober Verkehrsregelverletzung. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht das hier eine einfache Verkehrsregelverletzung vorliegt. Die sich in diesem Fall stellende Frage ist, ob sich der Beschwerdeführer rücksichtslos verhalten hat und damit den subjektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung erfüllte. Rücksichtslos i.S.v. Art. 90 Abs. 2 SVG handelt der Täter auch, wenn er sich grobfahrlässig verhält. Dies ist auch bei unbewusst fahrlässigem Verhalten möglich. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen. Je schwerer die Unfallfolgen, desto eher kann auch von Rücksichtslosigkeit ausgegangen werden, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen. Allerdings muss die Annahme restriktiv erfolgen und nicht jede Unaufmerksamkeit wiegt automatisch auch schwer (zum Ganzen ausführlich E. 1.2.1).

Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer nicht aufmerksam (Art. 31 Abs. 1 SVG) und hielt zuwenig Abstand ein zum vorfahrenden Fahrzeug (Art. 34 Abs. 4 SVG). Als Fahrzeuglenker muss man grds. immer genug Abstand haben, sodass man auch rechtzeitig anhalten kann, wenn das vorfahrende Auto eine Notbremsung einleitet (zu diesen beiden Verkehrsregeln ausführlich E. 1.2.2). Bei beiden Regeln handelt es sich um wichtige Regeln. Der Beschwerdeführer wandte seinen Blick seiner Beifahrerin zu und achtete nicht auf die Strasse, obwohl diese relativ schmal war, wegen Blütenstaub rutschig und auch noch Velofahrer unterwegs waren. Unter diesen Umständen liegt entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers keine „normale“ Auffahrkollision vor, die als einfache Verkehrsregelverletzung hätte bestraft werden können. Die durch den Beschwerdeführer geschaffene Gefahr erfüllte ohne weiteres den objektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG. Da es im vorliegenden Fall keine besonderen Gegenindizien gab, durfte die Vorinstanz von der objektiv groben Verkehrsregelverletzung auf ein grobfahrlässiges Handeln des Beschwerdeführers schliessen.


Urteil 1C_168/2022: Unfall im Kreisel – Qualifikation der Widerhandlung

Wenn man die Kreiselvorfahrt missachtet und einen Verkehrsunfall verursacht, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor.

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Die Beschwerdeführerin wurde mit einer Busse von CHF 300.00 bestraft, weil sie beim Einfahren in einen Kreisel einen Velofahrer übersah und mit diesem kollidierte. Daraufhin wurde ihr der Führerausweis wegen einer mittelschweren Widerhandlung für einen Monat entzogen. Damit ist sie aber nicht einverstanden und verlangt als Massnahme eine Verwarnung. Aus ihrer Sicht habe man zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nur Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Ebenfalls habe man das Fahrverhalten des Unfallgegners nicht mitberücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin muss sich anlasten lassen, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nicht aufmerksam war (Art. 31 Abs. 1 SVG). Dadurch missachtete sie den Vortritt des sich im Kreisel befindlichen Fahrradfahrers (Art. 41b VRV). Damit diese Verkehrsregelverletzung noch mit einer Verwarnung sanktioniert werden könnte, müsste durch das Verhalten der Beschwerdeführerin lediglich eine geringe Gefahr entstanden sein und ihr Verschulden leicht sein (E. 3.1.2.).

An den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt ist die Verwaltungsbehörde grds. gebunden, in der rechtlichen Würdigung einer Verkehrsregelverletzung ist sie hingegen frei (E. 3.2). Aus diesem Grund kann sich die Beschwerdeführerin nicht darauf stützen, dass sie im Strafverfahren wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer milden Busse von CHF 300.00 bestraft wurde. Massgeblich für die Administrativmassnahme ist die Gefährdung sowie das Verschulden. Auch wenn die Beschwerdeführerin langsam in den Kreisel gefahren sein sollte, war die von ihr geschaffene und konkrete Gefahr nicht mehr leicht. Der Velofahrer stürzte wegen den Kollision und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Da damit die Voraussetzungen der leichten Widerhandlung nicht erfüllt sind, kommt der Auffangtatbestand der mittelschweren Widerhandlung zum Zug. Auf das Verschulden wird im Entscheid nicht eingegangen.

Wochenrückblick… am Montag

In der letzten Woche hat das Bundesgericht einige interessante Entscheide gefällt, wobei die absoluten Blockbuster ausblieben. Aus diesem Grund schauen wir auf diese Woche produktiver bundesgerichtlicher Arbeit zurück und fassen die Entscheide kurz zusammen. Für die jeweilige Zusammenfassung klicken.


Urteil 1C_262/2023: Aufschiebende Wirkung bei Sicherungsmassnahmen

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Dieser Fall lag bereits zum dritten Mal beim Bundesgericht. Wegen einem Verdacht auf eine Alkoholproblematik wurde die Fahreignung des Beschwerdeführers abgeklärt. Das Gutachten fiel negativ aus und es wurde ein Sicherungsentzug angeordnet. Dagegen erhobene Beschwerden hiess das Bundesgericht in den Urteilen 1C_128/2020 und 1C_174/2020 (siehe auch Beitrag vom 22.03.2022) gut, weil die Begutachtung mangelhaft war und weil kein Obergutachten eingeholt wurde. Im nunmehr eingeholten Obergutachten kam der Gutachter zum Schluss, dass die Fahreignung momentan nicht abschliessend beurteilt werden könne. Der Betroffene beantragt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sowie ein prioritäres behandeln seines Falles. Der Antrag um aufschiebende Wirkung wurde aber abgelehnt, wogegen sich der Beschwerdeführer nun vor Bundesgericht wehrt. Zudem habe die Vorinstanz aus seiner Sicht gegen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung verstossen.

Der Beschwerdeführer rügt vorliegend (wieder) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil die Vorinstanz die Ablehnung seines Gesuchs um Erteilung der aufschiebenden Wirkung aus seiner Sicht zu kurz, bzw. gar nicht begründete. Das Bundesgericht pflichtet dem Beschwerdeführer zwar zu, dass die von der Vorinstanz vorgenommene Interessensabwägung (Verkehrssicherheit vs. persönliche Freiheit) sehr kurz ausfiel. Es erinnert aber daran, dass verfahrensleitende Verfügungen zur aufschiebenden Wirkung knapp begründet werden können. Zudem ist im Rahmen eines Verfahrens betreffend Sicherungsentzug die aufschiebende Wirkung praxisgemäss in der Regel zu verneinen, da konkrete Anhaltspunkte für eine fehlende Fahreignung ausreichen. Auch dies rechtfertigt, einen den Regelfall abbildenden Entscheid lediglich kurz zu begründen (E. 2.4). Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung verletzt auch keine verfassungsmässigen Rechte, da sich aus dem Obergutachten genug Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers ergeben, auch wenn dieser einen ungetrübten Leumund hat (E. 3). Das Bundesgericht gibt dem Beschwerdeführer nur darin Recht, dass die Vorinstanz das Verfahren unrechtmässig verzögerte. Diese gab als Grund für gewisse Bearbeitungslücken an, dass man auf die Akten habe warten müssen, welche sich beim Bundesgericht befanden. Das lässt das Bundesgericht nicht gelten. Die Akten hätten ja kopiert werden können (E. 4).


Urteil 1C_194/2022: Massnahmedauer und Qualifikation von Widerhandlungen

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Der Beschwerdeführer verursachte im März 2020 auf der Gurnigelstrasse, einer kurvenreichen Passtrasse, wegen nicht angepasster Geschwindigkeit zwei Verkehrsunfälle, wofür er wegen mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung sowie Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges mit Strafbefehl verurteilt wurde. Das zuständige Strassenverkehrsamt sanktionierte den Betroffenen mit einem Führerausweis-Entzug von fünf Monaten, wogegen er sich wehrt. Drei Monate seien genug.

Der Beschwerdeführer begründet dies damit, dass die Vorinstanz zu Unrecht die beiden Unfallereignisse je als schwere Widerhandlung qualifiziert hatte. Das Bundesgericht untersucht deshalb, ob die Qualifizierung korrekt war und listet in E. 5.4 exemplarisch bereits gefällte Urteile zur Qualifikation von Widerhandlungen bei nicht angepasster Geschwindigkeit auf:

Schwere Widerhandlung:
Urteil 1C_135/2022: Aquaplaning beim Überholen auf der Autobahn mit 90-100km/h (vgl. auch Beitrag vom 8.10.2022)
Urteil 1C_302/2011: Schleudern auf nasser Autobahneinfahrt wegen zu starker Beschleunigung
Urteil 1C_38/2011: Schleudern mit Unfall auf Autobahn wegen Schneeglätte

Mittelschwere Widerhandlung:
Urteil 1C_525/2012: Unfall auf nasser Autobahn ohne erschwerende Umstände

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung war es in diesem Fall korrekt, dass beide Unfälle als schwer qualifiziert wurden, denn beim ersten Unfall fuhr der Beschwerdeführer mit einer für eine kurvenreiche Passstrasse viel zu hohen Geschwindigkeit. Beim zweiten Unfall kam neben der nicht angepassten Geschwindigkeit noch hinzu, dass das Auto des Beschwerdeführers Unfallschäden hatte, Flüssigkeiten ausliefen und er zu schnell fuhr, um der Polizei zu entfliehen. Die fünfmonatige Warnmassnahme war insofern korrekt.


Urteil 1C_354/2022: Verhältnis zwischen Regeln zum FAP und der Auslandtat

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Der Beschwerdeführer ist vorbelastet mit einer mittelschweren Widerhandlung, weil er ein Kleinmotorrad der Kat. A1 lenkte, obwohl er nur im Besitz der Fahrberechtigung der Kat. M war. Im Juli 2020 überschritt der Beschwerdeführer, zwischenzeitlich im Besitz des Führerausweises auf Probe für die Kat. A und B, in Österreich die innerorts geltende Geschwindigkeit von 40 km/h um 57 km/h. Dafür wurde er mit einem Fahrverbot von zwei Wochen belegt. Dafür wurde er mit einem Fahrverbot von fünf Monaten wegen einer schweren Widerhandlung sanktioniert. Der Beschwerdeführer geht aber von einer mittelschweren Widerhandlung aus und möchte eine 14-tägige Warnmassnahme.

Begeht eine Person eine Widerhandlung im Ausland wird der Führerausweis gemäss Art. 16cbis SVG entzogen, wenn im Ausland ein Fahrverbot angeordnet wurde und die Widerhandlung nach CH-Recht mittelschwer oder schwer war. Die Bemessung der Entzugsdauer richtet sich nach Art. 16cbis Abs. 2 SVG. Die Auswirkungen des ausländischen Fahrverbotes auf die betroffene Person sind angemessen zu berücksichtigen. Die Mindestentzugsdauer darf unterschritten werden. Die Entzugsdauer darf bei Personen, zu denen im Informationssystem Verkehrszulassung keine Daten zu Administrativmassnahmen enthalten sind, die am Begehungsort im Ausland verfügte Dauer des Fahrverbots nicht überschreiten. Von dieser Sonderregelung profitieren allerdings nur Ersttäter. Sobald man einen auch nicht kaskadenwirksamen Eintrag im IVZ-Massnahmen hat, darf die zuständige Behörde über das im Ausland angeordnete Fahrverbot hinausgehen (E. 3; s. dazu auch den Beitrag vom 22.09.2022).

Zunächst bestätigt das Bundesgericht die Vorinstanz mit Verweis auf seine gefestigte Rechtsprechung zum Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts ab 25 km/h grds. eine schwere Widerhandlung vorliegt (E. 4.2/3).

Der Beschwerdeführer stellt sich sodann auf den Standpunkt, dass er als Inhaber eines Führerausweises auf Probe nach Art. 15a SVG zu beurteilen sei. Nur wer als Inhaber eines Führerausweises auf Probe Widerhandlungen während der Probezeit begeht, muss mit den Konsequenzen von Art. 15a SVG rechnen. Art. 16cbis SVG könne nach seinem Rechtsverständnis nur bei definitiven Führerausweisen angewendet werden. Dass im vorliegenden Fall aber auch Widerhandlungen berücksichtigt wurden, welche der Beschwerdeführer vor dem Erhalt des Führerausweises auf Probe beging, hält er für rechtswidrig. Das Bundesgericht hält dem entgegen, dass Art. 15a SVG für Inhaber des Führerausweises auf Probe hinsichtlich der Bemessung einer Massnahme nur eine teilweise spezifische Regelung enthält. Sie geht zwar der Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG vor, nicht aber den übrigen Bestimmungen von Art. 16 ff. SVG. Da es aber für die Privilegierung von Ersttätern bzw. für die Bindung der zuständigen Behörde an das ausländische Fahrverbot nicht darauf ankommt, ob die Vorbelastung kaskadenwirksam ist, kann der Beschwerdeführer aus Art. 15a SVG nichts zu seinen Gunsten ableiten.

Das bedeutet konkret: Nur eigentliche Ersttäter kommen in den Genuss der privilegierenden Regelung von Art. 16cbis Abs. 2 SVG. Sobald man eine Vorbelastung hat, egal ob als Inhaber des probehaften oder definitiven Führerausweises, ist die Behörde nicht an die Dauer des ausländischen Fahrverbotes gebunden.


Urteil 7B_180/2022: „Ich stand unter Schock!“

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Der Beschwerdeführer verursachte einen Verkehrsunfall, indem er mit einem Inselschutzpfosten kollidierte. Nach dem Unfall fuhr er mit seinem stark beschädigten Auto einfach weiter, ohne sich um den Schaden zu kümmern. Er wurde deshalb u.a. wegen pflichtwidrigen Verhalten sowie Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit bestraft. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer. Er stellt sich auf den Standpunkt, aufgrund eines durch die Kollision hervorgerufenen schweren Schockzustandes oder zumindest einer schweren akuten Belastungsreaktion nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, die Situation richtig einzuschätzen und einer entsprechenden Einsicht gemäss richtig zu handeln. Nach seiner Ansicht war er nicht schuldfähig (Art. 19 StGB), was von den Strafbehörden gutachterlich hätte festgestellt werden müssen (Art. 20 StGB).

Ein Gutachten zur Schuldfähigkeit muss nur angeordnet werden, wenn ernsthafte Zweifel an dieser bestehen. Bei der Prüfung dieser Zweifel ist zu berücksichtigen, dass für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, genügt. Der Betroffene muss vielmehr, zumal der Begriff des normalen Menschen nicht eng zu fassen ist, in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen. Seine Geistesverfassung muss mithin nach Art und Grad stark vom Durchschnitt nicht bloss der „Rechts-„, sondern auch der „Verbrechensgenossen“ abweichen. Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen beizuziehen, ist daher erst gegeben, wenn Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder ein völlig unübliches Verhalten. Zeigt das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an wechselnde Erfordernisse der Situation anpassen, auf eine Gelegenheit zur Tat warten oder diese gar herbeiführen konnte, so hat keine schwere Beeinträchtigung vorgelegen (E. 4.1).

Vorliegend ging die Vorinstanz von einem „heftigen Schreck“ des Beschwerdeführers aus, welche sie als normale Reaktion auf einen Unfall bezeichnete. Ein blosser Schreck reicht aber noch nicht aus, um ernsthaft an der Schuldfähigkeit einer Person zu zweifeln.

Wo sind die Kontrollschilder?

Urteil 6B_1020/2023: Mittäterschaft beim Nichtabgeben von Kontrollschildern trotz behördlicher Aufforderung nach Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG bei Geschäftsfahrzeugen durch GL-Mitglieder? (zur amtl. Publikation vorgesehen)

Der Beschwerdeführer ist Verwaltungsratsmitglied mit Einzelunterschrift einer Firma, auf welche ein Mercedes eingelöst war. Da die Verkehrsabgaben für dieses Fahrzeug nicht bezahlt wurden, setzte das Strassenverkehrsamt Kt. FR eine zehntägige Frist, um entweder die Steuern zu bezahlen oder die Kontrollschilder der Behörde zukommen zu lassen. Da der behördlichen Aufforderung keine Folge geleistet wurde, wurde der Beschwerdeführer mit einer bedingten Geldstrafe und einer Busse bestraft, wegen Mittäterschaft beim Missbrauch von Kontrollschildern. Der Beschwerdeführer ist aber der Ansicht, dass ihn keine Schuld träfe, weil nicht er, sondern ein Dritter materieller Halter des Fahrzeuges gewesen sei.

In objektiver Hinsicht setzt die Strafnorm von Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG voraus, dass ein Kontrollschild ungültig ist und dass eine Behörde die Rückgabe des Kontrollschildes fordert. Die Strafnorm dient der Durchsetzung dieser Aufforderung. Damit betroffene Personen die Kontrollschilder schnellstmöglich zurückgeben und nicht etwa noch weiter herumfahren, handelt es sich bei der Straftat um ein Vergehen und nicht etwa um eine Übertretung (E. 2.1). Bevor Kontrollschilder polizeilich eingezogen werden, muss eine kurze Frist angesetzt werden (Art. 107 Abs. 3 VZV). Der Halter eines Fahrzeuges ergibt sich gemäss Art. 78 Abs. 1 VZV aus den tatsächlichen Verhältnissen. Der Gesetzgeber geht also vom materiellen Halterbegriff aus, und nicht etwa vom formellen. Halter ist grundsätzlich, wer das Fahrzeug benutzt und z.B. auch Reparatur- oder Benzinkosten übernimmt. Formeller Halter ist die Person, die im Fahrzeugausweis steht (vgl. dazu auch BGE 144 II 281 E. 4.3.1).

Der Beschwerdeführer stellt sich im Wesentlichen auf den Standpunkt, dass er nicht materieller Halter des Fahrzeuges war. Dieses war im Besitz einer Drittperson, welche dies auch schriftlich bestätigte. Die kantonalen Instanzen waren zwar ebenfalls der Meinung, dass der Beschwerdeführer nicht materieller Halter des Autos war, aber dass er dennoch an der Straftat mitwirkte. Denn trotz mehrer Schreiben seitens der kantonalen Behörde, blieb der Beschwerdeführer während ca. fünf Monate untätig und teilte z.B. auch die Koordinaten des materiellen Halters nicht mit. Durch seine Untätigkeit nahm der Beschwerdeführer in Kauf, dass die Kontrollschilder nicht rechtzeitig zurückgegeben würden. Zudem trifft ihn als Verwaltungsratsmitglied der Firma auch eine Mitwirkungspflicht bei der Feststellung des Halters eines Geschäftsfahrzeuges (Art. 78 Abs. 2 VZV). Und schliesslich hätte der Beschwerdeführer besonders aufmerksam sein müssen, denn es war nicht das erste Mal, dass er in eine solche Geschichte verstrickt war (E. 2.3).

Der Beschwerdeführer ist der Meinung, dass nur der materielle Halter eines Fahrzeuges den Straftatbestand von Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG erfüllen kann. Dem widerspricht allerdings das Bundesgericht. Dem klaren Gesetzestext kann entnommen werden, dass die Strafnorm nicht nur von einem Halter erfüllt werden kann (wie z.B. Art. 93 Abs. 2 lit. b, 96 Abs. 3 oder 99 Abs. 2 SVG). Zudem würde die Rechtsansicht des Beschwerdeführers die kantonalen Behörden vor grosse Probleme stellen. Denn immer dort, wo die formelle und die materielle Halterschaft nicht übereinstimmen und die Behörde den materiellen Halter gar nicht kennt, würde dies eine Bestrafung nach Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG verunmöglichen. Vorausgesetzt ist – wir erinnern uns – dass der Halter aufgefordert wurde, die Kontrollschilder zurückzugeben. Kennt die Behörde wie i.c. den materiellen Halter gar nicht, könnte sie diesen auch nie auffordern, die Schilder zurückzugeben, was der ratio legis der Strafnorm widersprechen würde. Aus Sicht des Bundesgerichts hätte der Beschwerdeführer der kantonalen Behörde gemäss Art. 74 Abs. 5 VZV mitteilen müssen, dass seine Firma nicht materielle Halterin des Mercedes war, als die Behörde die Rückgabe der Schilder forderte. Indem der Beschwerdeführer den Behörden über mehrere Monate nicht dabei half, die Schilder einzuziehen, machte er sich nicht nur der Mittäterschaft schuldig, sondern er erfüllte Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG als unmittelbarer Täter.

Fazit: Juristische Personen, welche als formelle Halter in Fahrzeugausweisen von Geschäftsfahrzeugen eingetragen sind, müssen gut darüber Bescheid wissen bzw. den Behörden Auskunft darüber geben können, wer materieller Halter des Autos ist. Ansonsten macht sich die zuständige Person nach Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG strafbar, wenn die Kontrollschilder mangels Kooperation nicht eingezogen werden können.

Bonus-Urteile

Urteil 1C_179/2023: Wer mit einem Motorrad mangels genügendem Abstandes mit dem Heck eines vorfahrenden Fahrzeuges kollidiert, begeht eine mittelschwere Widerhandlung. Mit entsprechenden Vorbelastungen führt das zu einem Führerausweis-Entzug für immer.


Urteil 1C_139/2023: Wenn eine Person mit Kokain beim Autofahren erwischt wird und der Konsum ebenfalls erwiesen ist, muss deren Fahreignung abgeklärt und der Führerausweis vorsorglich entzogen werden. Ergibt die Abklärung, dass die Fahreignung nicht gegeben ist, muss der Führerausweis sicherheitshalber entzogen werden, bis die Voraussetzungen für die Wiederzulassung erfüllt sind. Die Behörden sind an entsprechende Gutachten gebunden. Es verstösst auch nicht gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip, wenn für die Wiederzulassung zum Strassenverkehr gefordert wird:

– Haaranalysen zum Nachweis einer Alkoholtotal- und einer Betäubungsmittelabstinenz
– Sozialtherapie bzgl. Alkohol- und Drogenkonsum während mind. 6 Monate.

Dass die Beschwerdeführerein beruflich auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen ist, spielt bei Sicherungsmassnahmen keine Rolle.


Urteil 6B_1082/2022: Wer in einem Fahrzeug als Beifahrer die Handbremse zieht, weil betroffene Person der Meinung ist, der Lenker fahre zu schnell, wodurch es zu einem Unfall kommt, begeht eine grobe Verkehrsregelverletzung. Auch wenn der Lenker stark alkoholisiert war, handelt man weder in rechtfertigendem, noch in entschuldbarem Notstand, wenn man die Handbremse zieht, um das Auto zu stoppen.

Rücksicht auf schwächere Verkehrsteilnehmer – Part II

Urteil 6B_239/2022: Vorsicht Lotsen (teilw. gutgh. Beschwerde)

Weil es gut zum aktuellen Thema passt, holen wir dieses bereits etwas ältere Urteil aus dem Backlog und fassen es hier auch kurz zusammen.

Der Beschwerdeführer wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung veruteilt. Er fuhr am Morgen in Basel auf der Missionsstrasse. Dabei sahr er, wie der Geschädigte auf die Strasse trat, um einen Lieferwagen auf die Strasse zu lotsen. Der Beschwerdeführer passierte den Geschädigten dann mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 35 km/h mit so geringem Abstand, dass dessen Bein vom Fahrzeug erfasst wurde. Der Geschädigte stürzte zu Boden und erlitt einen Bruch des Sprunggelenks. Die kantonalen Instanzen hiessen zudem die Zivilforderung des Geschädigten im Grundsatze gut und auferlegten dem Beschwerdeführer eine Haftungsquote von 100%.

Der Geschädigte bringt zunächst vor, dass der Beschwerdeführer bzgl. der zivilrechtlichen Haftungsquote gar kein rechtlich geschütztes Interesse mehr habe, denn dessen Motorhaftpflichtversicherung gab bereits eine Haftungsanerkennung zur vollen Quote ab, aus reiner Kausalhaftung. Auch wenn dem so wäre, hat der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesgerichts aber trotzdem ein rechtlich geschütztes Interesse an der Behandlung seiner Beschwerde bzgl. den zivilrechtlichen Folgen des Unfalles, auch wenn seine MFH die Haftung zur vollen Quote anerkannte. Es kann nämlich sein, dass die MFH nach der Schadenregulierung gegenüber dem Beschwerdeführer Regressansprüche geltend macht (Art. 65 Abs. 3 SVG i.V.m. Art. 14 Abs. 2 VVG), worauf sich die gerichtlich festgestellte Haftungsquote auswirkt (E. 3.3).

Neben einer Verletzung des Anklageprinzips (E. 4) und einer willkürlichen Sachverhaltsdarstellung (E. 5) rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 125 StGB. Aus seiner Sicht trägt der Geschädigte die Schuld am Unfall bzw. seiner Körperverletzung, denn dieser sei nicht zur Verkehrsregelung berechtigt gewesen, sei grundlos auf die Strasse gestanden und habe sich rückwärts und damit unvorsichtig in den Verkehr hineinbewegt (E. 6.1).

Eine fahrlässige Körperverletzung setzt eine Sorgfaltspflichtsverletzung voraus, die sich im Strassenverkehr nach dem Strassenverkehrsgesetz bemisst. Strafbar ist das Verhalten des Unfallverursachers, wenn dieser den Unfall vorhersehen und insofern vermeiden hätte können. Trägt das Opfer eine Mitschuld am Unfall in Form eines Verhaltens, mit welchem schlicht nicht gerechnet werden muss, kann dies den adäquaten Kausalverlauf unterbrechen (zum Ganzen E. 6.2.2).

Gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Verkehrsteilnehmern ausreichend Abstand zu wahren. Zudem muss man die Geschwindigkeit den Umständen anpassen. Man darf zwar darauf vertrauen, dass sich alle Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten. Der Vertrauensgrundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt (Art. 26 SVG).

Laut der Vorinstanz bemerkte der Beschwerdeführer den Lotsen auf der Strasse und er interpretierte die Situation auch richtig. Tortzdem setzte er seine Fahrt mit 30 bis 35 km/h fort und fuhr am Geschädigten nur mit 50 cm vorbei. Dabei wurde der Geschädigte vom Fahrzeug des Beschwerdeführers erfasst. Der Beschwerdeführer hätte den Unfall ohne weiteres vermeiden können, wenn er gestoppt und das Manöver der Lieferwagen abgewartet hätte oder zumindest sein Tempo massiv reduziert und in grösserem Abstand am Lotsen vorbeigefahren wäre. Eine „eigenverantwortlich gewollte Selbstgefährdung“ des Lotsen, die den Kausalverlauf unterbrechen würde, nahm die Vorinstanz nicht an (E. 6.3).

Das Bundesgericht stimmt der Vorinstanz grds zu. Es verweist aber auch darauf, dass die Grösse des seitlichen Abstands, der gegenüber Fussgängern einzuhalten ist, nicht allgemein zahlenmässig festgelegt werden kann. Sie richtet sich vielmehr unter anderem nach der Breite der Fahrbahn, den Verkehrs- und Sichtverhältnissen, der Geschwindigkeit des Fahrzeugs sowie dem Alter und dem Verhalten der Fussgänger. In einer engen Gasse in einem tessiner Bergdorf kann ein halber Meter bei entsprechend langsamem Tempo ausreichend sein. In anderen Konstellationen, höhere Geschwindigkeit, grosse Strasse sowie dem Umstand, dass sich ein Fussgänger auf ein nahes Vorbeifahren nicht gefasst ist, sind 50 cm dann wieder zu wenig. Der Beschwerdeführer hätte also entweder warten, oder den Abstand oder sein Tempo anpassen müssen. Der Unfall war vermeidbar, womit eine Sorgfaltspflichtsverletzung vorliegt (E. 6.4.2).

Das Bundesgericht setzt sich dann noch mit der Frage auseinander, ob bei Selbstgefährdungen durch Fussgänger im Strassenverkehr stets von einer stillschweigenden Einwilligung in Körperverletzungen ausgegangen werden kann. Im Gegensatz zu gewissen Sportarten ist dies im Strassenverkehr allerdings nicht der Fall. Wer sich als Fussgänger verkehrsregelwidrig auf die Fahrbahn begibt, willigt daher nicht ein, von einem Fahrzeug angefahren und verletzt zu werden (E. 6.4.3).

Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung ist also korrekt. Die Beschwerde wurde aber gutgeheissen, weil die Vorinstanz ohne hinreichende Begründung von einer Haftungsquote von 100% zu Lasten des Beschwerdeführers ausging (E. 7) und weil die festgesetzte Parteientschädigung für den Privatkläger nicht nachvollziehbar war (E. 8).

Der Zwei-Sekunden-Blick

Urteil 6B_27/2023: Das Handy im Auto (gutgh. Beschwerde)

Das Mobiltelefon ist heutzutage allgegenwärtig – leider auch am Steuer. Damit befasst sich dieses Urteil, wobei unser höchstes Gericht exemplarisch seine Rechtsprechung zur Aufmerksamkeit im Strassenverkehr zusammenfasst.

Die Beschwerdeführerin wehrt sich gegen einen Strafbefehl, mit welchem sie mit CHF 250 gebüsst wurde. Sie fuhr innerorts, wobei sie mit ca. 50 km/h auf einer Strecke von ca. 20 Metern während ein bis zwei Sekunden ihr Kopf senkte und auf ihr Mobiltelefon blickte. Es herrschte mittleres Verkehrsaufkommen. Die Strafbehörden warfen ihr vor, eine Verrichtung vorgenommen zu haben, welche die Bedienung des Fahrzeuges erschwerte (Art. 3 Abs. 1 VRV). Die Beschwerdeführerin sieht das natürlich ganz anders. Ihr Verhalten sei gar nicht tatbestandsmässig, denn ihre Aufmerksamkeit sei durch den Blick aufs Handy nicht beeinträchtigt worden. So sei auch die Nutzung der Fingerprint-Funktion oder der Face-ID zum Entsperren des Mobiltelefons nicht verboten. Auch wenn das blosse Halten eines Mobiltelefons erlaubt ist (vgl. Urteil 6B_1183/2014), war die Vorinstanz der Meinung das insb. durch das Senken des Kopfes die Aufmerksamkeit beeinträchtigt wurde.

Sein Auto beherrscht man nur, wenn man sich aufmerksam dem Verkehr widmet (Art. 31 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 VRV). Das Mass der Aufmerksamkeit richtet sich nach den Einzelfallumständen. Ist auf der Strasse „weniger los“, werden an die Aufmerksamkeit weniger hohe Ansprüche gestellt. Ob eine Verrichtung die Beherrschung über das Fahrzeug verunmöglicht, hängt von der Verkehrssituation ab und von der Dauer der Verrichtung. Eine weitere Rolle spielt es, ob man seine Körperhaltung ändern muss. Faustregel: Je kürzer die Verrichtung, desto eher legal (zum Ganzen E. 1.3).

Kasuistik – Erlaubt:
Urteil 1C_470/2020 E. 4.2: Blick auf Armaturenbrett, wenn Verkehr ok
Urteil 1C_183/2016 E. 2.1: Blick auf Uhr oder internes Navi, wenn Verkehr ok
Urteil 6P.68/2006 E. 3.3: Zeitunglesen im Stau bei Stillstehen erlaubt
Urteil 6B_1183/2014 E. 1.5: Handy für 15s halten auf Autobahn bei 100km/h erlaubt

Nicht erlaubt:
Urteil 6B_666/2009 E. 1.3: Längerer Blick auf Handy zum SMS schreiben
Urteil 1C_183/2016 E. 2.6: Navi beim Steuer halten und länger draufblicken
Urteil 1C_422/2016 E. 3.3: 7s Blick auf ein Blatt Papier
Urteil 6B_894/2016 E. 3.3: Rechts Mobilgerät bedienen, linke Hand am Kopf
Urteil 6B_1423/2017 E. 3: Lasermessgerät drei Sekunden bedienen
Urteil 1C_566/2018 E. 2.5.2: Papier auf Lenkrad beschreiben
Urteil 7B_221/2022 E. 4: Drei Sekunden-Blick und Manipulation mit Daumen 

Die Beschwerdeführerin hatte das Lenkrad im Griff. Auch wenn ihr Kopf leicht geneigt war, hatte sie den Verkehr noch im Blick. Die Verrichtung dauerte nur sehr kurz. Das Bundesgericht vergleicht den Blick mit einem Blick in die Seiten- oder den Rückspiegel, welcher auch in Innenstädten wegen Velos und Fussgängern nötig ist. Sofern es also die Verkehrssituation – wie vorliegend – zulässt, erfüllt ein kurzer Blick aufs Handy den Tatbestand von Art. 3 Abs. 1 VRV nicht (ausführlich E. 1.5).

Das Bundesgericht weist die Sache aber an die Vorinstanz zurück mit folgendem interessanten Hinweis:

Gemäss Ziffer 311 der Bussenliste in der OBV wird die Verwendung eines Telefons während der Fahrt mit einer Ordnungsbusse von CHF 100 bestraft. „Verwenden“ bedeutet aus Sicht von unseren Bundesrichtern nicht nur das Telefonieren, sondern auch die Nutzung von weiteren Funktionen, wie das Verfassen von Kurznachrichten oder E-Mails oder auch deren Lektüre (zum Ganzen ausführlich E. 2).

Die Beschwerdeführerin wird wohl mit einer Ordnungsbusse von CHF 100 davonkommen.

Kleiner Wochenrückblick

Diese Woche sind einige Urteile gefallen, wobei aber keine Blockbuster darunter sind. Deshalb fassen wir diese Urteile summarisch zusammen:

Urteil 6B_1430/2021: Rechtliches Gehör im Berufungsverfahren (gutgh. Beschwerde)

Dem Beschwerdeführer wird eine einfache Verkehrsregelverletzung vorgeworfen, weil er im November 2017 mit einem Sattelschlepper einen Selbstunfall verursachte. Nachdem er bereits im Urteil 6B_1177/2019 wegen willkürlicher Beweiswürdigung vor Bundesgericht reüssierte, gelangt er in dieser Sache ein weiteres Mal vor Bundesgericht. Er rügt dabei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil die kantonale Berufungsinstanz zunächst eine mündliche Berufungsverhandlung ansetzte und dann doch plötzlich das schriftliche Verfahren anordnete.

Die Berufungsverhandlung ist grds. mündlich durchzuführen. Das schriftliche Verfahren kann nur in den Fällen von Art. 406 StPO angeordnet werden, z.B. wenn Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils bilden und keine reformation in peius droht (Art. 406 Abs. 1 lit. c StPO). Die schriftliche Durchführung des Verfahrens muss mit Art. 6 EMRK zu vereinbaren sein, d.h. sich auf Fragen beschränken, die eine Anhörung der beschuldigten Person unnötig erscheinen lassen. Das Gericht muss dies von Amtes wegen prüfen (zum Ganzen E. 1.2.1). Das schriftliche Verfahren richtet sich nach Art. 406 Abs. 3 StPO, d.h. die appellierende Person muss die Gelegenheit haben, ihre Berufung schriftlich zu begründen. Es ist offensichtlich, dass die Gerichte im Rahmen des rechtlichen Gehörs die beschuldigte Person anhören müssen. Ist ein kantonales Urteil mangelhaft begründet, weist das Bundesgericht diesen zurück (Art. 112 Abs. 3 BGG).

Im vorliegenden Fall ordnete die Vorinstanz zunächst eine mündliche Verhandlung an, verlangte vom Beschwerdeführer eine schriftliche Berufungsbegründung, wobei sie darauf hinwies, dass dieser an der Verhandlung noch Ergänzungen anbringen könne. Der Beschwerdeführer reichte daraufhin eine „summarische“ Berufungsbegründung ein. Darauf wechselte die Vorinstanz in schriftliche Verfahren, ohne dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, sich zu äussern oder seine Berufungsbegründung zu ergänzen. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Urteil 6B_26/2022: Kein milderes Recht für Personenwagen mit Anhänger

Seit Januar 2021 dürfen Personenwagen mit Anhänger auf der Autobahn 100 km/h schnell fahren (Art. 5 Abs. 2 lit. c VRV). Der Beschwerdeführer überschritt im März 2019 auf der Autobahn mit einem Anhänger die damals für diese Fahrzeugkombination geltende Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 36 km/h, wofür er zunächst wegen grober, dann im Rechtsmittelverfahren wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit Busse von CHF 600.00 bestraft wurde. Da mittlerweile die Bestimmungen für Personenwagen mit Anhänger änderten, verlangt der Beschwerdeführer die Bestrafung mit einer Ordnungsbusse von CHF 180.00. Da man mit Anhängern bis 3.5 t heute 100 km/h fahren darf, überschritt er die Geschwindigkeit nach heutigem und milderem Recht nur noch um 16km/h, womit aus seiner Sicht eine Ordnungsbusse fällig würde (Ziffer 303.3.d).

Die Anwendung des milderen Rechts nach Art. 2 Abs. 2 StGB gilt nicht uneingeschränkt. Damit die lex mitior angewendet wird, muss die Gesetzesänderung aufgrund einer ethischen Neubewertung des verbotenen Verhaltens erfolgt sein (zum Ganzen E. 1.2.2; s. auch der Beitrag vom August 2022). Auch wenn das Bundesgericht der Begründung der Vorinstanz nicht folgt (E. 1.3), weist es die Beschwerde dennoch ab, denn aus seiner Sicht erfolgte die Änderung der Höchstgeschwindigkeit für Anhänger nicht wegen einer „ethischen Neubewertung“. Es verweist auch auf einen älteren Entscheid, nach welchem die Änderung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn nicht bedeutet, dass Widerhandlungen vor der Änderung nicht trotzdem bestraft werden müssen (BGE 123 IV 84 E. 3b).

Urteil 6B_1201/2021: Die Havarie des modernen Autos

Der Beschwerdeführer überschritt innerorts die Geschwindigkeit um 27 km/h, wofür er wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer verlangt einen Freispruch, subsidiär die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung, weil sein Fahrzeug einer „Havarie“ unterlegen sei. Das Bundesgericht verweist natürlich zunächst auf den bei Geschwindigkeitsüberschreitungen geltenden Schematismus, wonach die vorliegende Schnellfahrt grds. den objektiven und subjektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt. Liegen allerdings aussergewöhnliche Umstände vor, ist es möglich, dass der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung nicht erfüllt ist.

Der Beschwerdeführer behauptete, dass die „automatische Geschwindigkeitserkennung“ seines Autos, auf welche er sich bis jetzt immer verlassen konnte, nicht funktionierte und er, weil er so total von der „Havarie“ seines Autos überrascht war, erst einige Sekunden später reagieren konnte. Sein Verhalten war insofern nicht rücksichtslos, womit der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG nicht erfüllt sei. Einen Beweis für die „Havarie“ brachte der Beschwerdeführer allerdings nicht bei. Ebensowenig wandte er sich nachher an einen Garagisten. Auch wenn sein Fahrzeug eine Fehlfunktion erlitt, hätte der Beschwerdeführer viel schneller reagieren müssen, denn man muss trotz Assistenzsysteme stets aufmerksam sein und Signale beachten.