Rückwärtsfahren auf Autobahneinfahrt, Einstellung Strafverfahren

BGE 1C_165/2017: Rückwärtsfahren auf Autobahneinfahrt (Bestätigung Rechtsprechung)

Um einer Verkehrskontrolle wegen fehlender Autobahnvignette zu entgehen, fuhr der Beschwerdeführer etwa eine Wagenlänge rückwärts auf der Autobahneinfahrt, wofür er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Das BGer weist die Beschwerde gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung ab. Der Entscheid fasst exemplarisch die Rechtsprechung zur  Widerhandlung im Massnahmenrecht zusammen.

E. 2.1 und 2.2 zur Widerhandlungsschwere und den strafrechtlichen Pendandts SVG 90 I und II.

E. 2.3 zur Bindung der Administrativbehörde an das Strafurteil.

E. 3: „Wer unter diesen Gegebenheiten verbotenerweise rückwärts fährt, schafft ohne Zweifel eine erhöhte abstrakte Gefährdung für die Verkehrssicherheit, weil andere Verkehrsteilnehmer – etwa nachfolgende Fahrzeuge, insbesondere aber auch Fussgänger auf dem Fussgängerstreifen – nicht mit einem derart verkehrswidrigen Verhalten rechnen müssen. Das reicht für die Annahme einer mittelschweren Verkehrsregelverletzung aus, gleichgültig darum, ob der Beschwerdeführer durch sein Manöver ein nachfolgendes Fahrzeug konkret gefährdet hat oder nicht. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer dieses Manöver vorsätzlich ausführte, um dem Stau (und/oder der Verkehrskontrolle) auszuweichen, weshalb auch sein Verschulden nicht bagatellisiert werden kann.“

 

BGE 6B_1055/2016: Voraussetzungen für die Einstellung im Strafverfahren (gutgeheissene Beschwerde)

Im Kanton Luzern zog sich ein Badegast eines Strandbades eine komplette Tetraplegie zu nach einem Kopfsprung von einem Steg in ca. 1,2 m tiefes Wasser. Am Steg war keine Kopfsprung-Verbotstafel angebracht. Nachdem die kantonalen Instanzen die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Strandbadbetreiber (fahrlässige schwere KV) bestätigten, heisst das BGer die dagegen erhobene Beschwerde gut.

E. 2.1 zur Einstellung: „Nach Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens, u.a. wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). In diesem Zusammenhang gilt der aus dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 1 StGB) fliessende Grundsatz „in dubio pro duriore“. Danach darf eine Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Bei der Beurteilung dieser Frage verfügen die Staatsanwaltschaft und die oberen kantonalen Instanzen über einen gewissen Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft. Hingegen ist (sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt) Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Halten sich die Wahrscheinlichkeiten diesbezüglich in etwa die Waage, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, ebenfalls eine Anklageerhebung auf (BGE 138 IV 186 E. 4.1 S. 190 mit Hinweisen; Urteil 1B_248/2012 vom 2. Oktober 2012, in: RtiD 2013 I S. 160).“

E. 2.3 f. zur Fahrlässigkeit: Das Kantonsgericht war der Ansicht, dass die strafbewehrte Pflicht des Betreibers einer öffentlichen Badeanstalt, seine Gäste vor Gefahren zu schützen, nur soweit gehe, als sie für diesen nicht vorhersehbar oder nicht ohne Weiteres erkennbar seien. Der Betreiber dürfe vom Badegast erwarten, dass er sich auf die einem Badebetrieb typischen Gefahren einstelle und sich des verbleibenden Restrisikos und der daraus folgenden Selbstverantwortung bewusst sei. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Grundsatzes „in dubio pro duriore“ und dass das Merkmal der Vorhersehbarkeit falsch beurteilt wurde.

E. 2.5: In Bezug auf Strandbäder gibt es keine ausdrückl. Vorschriften über die Beschilderung von Stegen. Um allfällige Sorgfaltspflichten des Strandbadbetreibers zu finden, setzen sich die Richter deshalb mit bfu-Empfehlungen auseinander. Die bfu führt in einer Fachdokumentation auch aus, dass die meisten Unfälle in Natürbädern wegen Sprüngen in zu seichtes Wasser passieren. Der Zweck eines Steges ist, dass man nicht vom Ufer aus in den See schwimmen muss, das Springen vom Steg wird als zweckwidrig bezeichnet. Trotzdem räumt der Beschwerdegegner ein, dass der Steg immer wieder für einen Kopfsprung benutzt wurde. Insofern kann das Tatbestandsmerkmal der Vorhersehbarkeit nicht ohne Weiteres verneint werden. Ebenso sind gemäss BGer die Ausführungen der kantonalen Instanz zum erlaubten Risiko nicht gänzlich nachvollziehbar.

Das Strafverfahren wurde also zu Unrecht eingestellt.

Zwar liegt hier noch kein Endentscheid vor, allerdings wurde dieser in gewisser Weise durch das Bundesgericht bereits präjudiziert. Den Schweizer Gartenbädern ist zu empfehlen, dass sie an sämtlichen Stegen, wo die Wassertiefe nicht unbedingt ausreichend ist, Spungverbotstafeln anbringen.

Es scheint, als nähere man sich langsam US-amerkanischen Verhältnissen, wo sich der für jede erdenkbare Gefahrenquelle Verantwortliche durch Verbote, Sicherheitshinweise etc. schützen muss. So tragisch, dass der Unfall ist, die Selbstverantwortung scheint zurückgedrängt. Dass man ohne den Seegrund zu sehen oder vorgängig die Wassertiefe zu überprüfen einen Kopfsprung in ein natürliches Gewässer wagt, widerspricht elementaren Vorsichtspflichten, die einem zumindest im Schwimmunterricht und bei den Pfadi eingetrichtert wurden.

 

Rechtsüberholen, Fristlose Kündigung

BGE 6B_127/2017: Das klassische Rechtsüberholen ist und bleibt eine grobe Verkehrsregelverletzung (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Beschwerdeführer führt ein klassisches Rechtsüberholmanöver durch. Auf einer dreispurigen Autobahn überholt er zunächst auf der mittleren Spur, wechselt dann auf die Normalspur, überholt weitere Fahrzeuge rechts und wechselt anschliessend wieder auf die mittlere Spur. Er wehrt sich gegen die kantonale Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung, insb. im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung bzgl. Rechtsvorbeifahren (BGE 142 IV 93). Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.2: “ Gemäss Art. 35 Abs. 1 SVG ist links zu überholen. Eine Ausnahme von dem daraus abgeleiteten Verbot des Rechtsüberholens sieht Art. 8 Abs. 3 Satz 1 VRV allgemein und Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV für Autobahnen „beim Fahren in parallelen Kolonnen“ vor. Gestattet ist, rechts an anderen Fahrzeugen unter Wechsel des Fahrstreifens vorbeizufahren (sog. Vorfahren), wenn dies ohne Behinderung des übrigen Verkehrs möglich ist (vgl. Art. 44 Abs. 1 SVG). Das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist hingegen gemäss Art. 8 Abs. 3 Satz 2 VRV ausdrücklich untersagt. Beim Fahren in parallelen Kolonnen auf Autobahnen darf deshalb in keinem Falle durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen rechts überholt werden. Dies ist namentlich der Fall, wenn ein Fahrzeuglenker die Lücken in den parallelen Kolonnen ausnützt, um auf der rechten Fahrbahn zu überholen (BGE 142 IV 93 E. 3.3 S. 97 mit Hinweisen).“

E. 3: Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen von SVG 90 II.

Bzgl. klassischem Rechtsüberholen bleibt die Rechtsprechung also hart.

 

BGE 4A_625/2016: Grobe Verkehrsregelverletzung rechtfertigt fristlose Kündigung des LKW-Fahrers (Exkurs Arbeitsrecht)

The more you know: Nicht nur erwarten fehlbare Berufsfahrer Strafen und Massnahmen, nun müssen LKW-Fahrer grds. mit einer fristlosen Entlassung rechnen, da ein Unfall mit Personenschaden zu einem „Imageschaden“ des Arbeitgebers führt und damit das Vertrauensverhältnis erschüttern kann.

Aberkennung ausl. Ausweis

BGE 1C_556/2016: Aberkennung ausl. Ausweis bzw. kein Umtausch

Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger Deutschlands, erwarb in D 1995 seine Fahrerlaubnis. Diese wurde ihm 1998 wieder entzogen. Trotz entzogener Fahrerlaubnis gelang es dem Beschwerdeführer einen AT-Ausweis zu erlangen. Im Jahr 2003 tauschte er den AT-Ausweis wiederum in einen CH-Ausweis um. Dann wiederum wurde der CH-Ausweis gestohlen, ein neuer AT-Duplikatsausweis ausgestellt, den er nunmehr wiederum im 2016 in einen CH-Ausweis umtauschen wollte. Das StVA verweigert den CH-Ausweis und aberkennt den ausländischen. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.2. zum internationalen Recht: „Dem Inhaber eines gültigen nationalen ausländischen Ausweises wird der schweizerische Führerausweis der entsprechenden Kategorie erteilt, wenn er auf einer Kontrollfahrt nachweist, dass er die Verkehrsregeln kennt und Fahrzeuge der Kategorien, für die der Ausweis gelten soll, sicher zu führen versteht (Art. 44 Abs. 1 VZV; die Kontrollfahrt entfällt, wenn der Ausweis von einem Staat gemäss der Länderliste nach Art. 150 Abs. 5 lit. e VZV ausgestellt worden ist).“

E. 4.3: „Nach Art. 16 Abs. 1 SVG sind Ausweise und Bewilligungen zu entziehen [bzw. abzuerkennen], wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zu deren Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen.“

Fazit: Da sämtliche Ausweise auf dem entzogenen D-Ausweis beruhen, musste der ausländische Ausweis aberkannt werden – trotz langjähriger Fahrpraxis des Beschwerdeführenden.

Fahreignung, neue Führerprüfung, Geschwindigkeit, Abstand

BGE 1C_76/2017: Fahreignungsabklärung und vorsorglicher Führerausweisentzug (Bestätigung Rechtsprechung)

Alkohol und Drogen (u.a. Kokain) sowie Suizidversuche berechtigen zu ernsthaften Zweifeln und demnach zu einem vorsorglichen Führerausweisentzug.

E. 5: „Wecken konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen, ist eine verkehrsmedizinische Untersuchung durch einen Arzt und/oder eine psychologische Abklärung durch einen Verkehrspsychologen anzuordnen (Art. 15d Abs. 1 SVG und Art. 28a Abs. 1 VZV). Wird eine verkehrsmedizinische Abklärung angeordnet, so ist der Führerausweis nach Art. 30 VZV im Prinzip vorsorglich zu entziehen (BGE 125 II 396 E. 3 S. 401; Urteil 1C_434/2016 vom 1. Februar 2017 E. 2.1 mit Hinweisen).“

 

BGE 1C_13/2017: Fahreignung und Alkohol  (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Entscheid ist interessant, weil das BGer hervorhebt, dass die Voraussetzungen von SVG 15d und VZV 30 nicht die gleichen sind, obwohl die Massnahmen meist. in einem Zug verfügt werden.

Nachdem das Auto des Beschwerdeführers mit Beschädigungen auf einem Trottoir gefunden wurde, wurde dieser von der Polizei zuhause angetrunken aufgefunden. Die Blutprobe ergab einen Wert von 2.12 bis 2.34 Gewichtspromille. Das StVA ordnete eine Fahreignungsabkärung sowie einen vorsorglichen Führerausweisentzug an. Nachdem bereits im kant. Instanzenzug festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen des vorsorglichen Ausweisentzuges nicht erfüllt sind, wehrt sich der Beschwerdeführer noch gegen die Fahreignungsabklärung. Während dem Verfahren verursacht der Beschwerdeführer einen Selbstunfall mit einem E-Bike in angetrunkenem Zustand. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 3.1. zur Trunksucht: “ [Bei einer Sucht] kann der Ausweisentzug selbst ohne Vorliegen einer konkreten Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften erfolgen (Urteil 1C_101/2015 vom 8. Juli 2015 E. 3.1). Trunksucht wird nach der Praxis des Bundesgerichts bejaht, wenn der Fahrzeugführer regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er keine Gewähr bietet, den Alkoholkonsum zu kontrollieren und ihn ausreichend vom Strassenverkehr zu trennen, so dass die Gefahr nahe liegt, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (BGE 129 II 82 E. 4.1 S. 86 f.; 127 II 122 E. 3c S. 126). “

E. 3.2. zu den Voraussetzungen der Fahreignungsabklärung und des vorsorglichen Ausweisentzuges: „Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die Anforderungen an die Anordnung einer Fahreignungsuntersuchung nicht dieselben wie für den vorsorglichen Führerausweisentzug, obschon diese beiden Massnahmen häufig zusammen ergehen: Während für Erstere hinreichende Anhaltspunkte ausreichen, welche die Fahreignung in Frage stellen, setzt der vorsorgliche Führerausweisentzug voraus, dass ernsthafte Zweifel an der Fahreignung einer Person bestehen, wie dies namentlich bei konkreten Hinweisen auf eine Alkoholabhängigkeit der Fall ist (zum Ganzen: Urteil 1C_531/ 2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.4.2 mit Hinweisen). Die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung setzt nicht zwingend voraus, dass der Fahrzeugführer tatsächlich unter dem Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln gefahren ist (vgl. Urteile 1C_111/2015 vom 31. Mai 2015 E. 4.6; 1C_328/2013 vom 18. September 2013 E. 3.2; 1C_445/2012 vom 26. April 2013 E. 3.2).“

Die hohe, für eine Gewöhnung sprechende BAK, die Angaben von Drittpersonen über Trinkgewohnheiten, das beschädigte Auto und der E-Bike-Unfall begründen in ihrer Gesamtheit genug Zweifel, damit eine Fahreignungsabklärung gerechtfertigt ist.

 

BGE 1C_135/2017: Langer Zeitraum ohne Fahrpraxis rechtfertigt neue Führerprüfung

Im Dezember 2006 wurde dem Beschwerdeführer der deutsche Führerausweis abgenommen wegen einer Trunkenheitsfahrt und die Wiedererteilung wegen fehlender Fahreignung abgelehnt. Im April 2014 wurde in der Schweiz ein Gesuch um Erteilung des Lernfahrausweis mangels Fahreignung abgelehnt. im Januar 2016 wurde die Fahreignung in Deutschland begutachtet und bejaht. Daraufhin bewilligte das StVA AG die Anmeldung an die Führerprüfung. im März 2016 meldete sich der Beschwerdeführer in der CH ab und in D an, wo er den deutschen Führerschein erhielt. Bereits im Juni 2016 meldete sich der Beschwerdeführer in D wieder ab und in der CH an, woraufhin er den Umtasch des deutschen Ausweises beantragte. Das StVA aberkannte den deutschen Ausweis und machte die Erteilung des CH-Ausweises von einer Führerprüfung abhänging. Der Beschwerdeführer beantragt die Erteilung des CH-Ausweises, eventualiter nach Bestehen einer Kontrollfahrt.

E. 2.3.1 zur Umgehung der Zuständigkeitsbestimmungen: „Ausländische Führerausweise sind auf unbestimmte Zeit abzuerkennen, wenn sie in Umgehung der schweizerischen oder ausländischen Zuständigkeitsbestimmungen im Ausland erworben worden sind (Art. 45 Abs. 1 Satz 2 VZV). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung umgeht die Zuständigkeitsbestimmungen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 Satz 2 VZV nicht nur, wer einen Führerausweis im Ausland erwirbt, obwohl er ihn in der Schweiz hätte erwerben müssen, und den so erworbenen ausländischen Ausweis in der Schweiz verwenden will; es genügt vielmehr bereits, wenn aufgrund objektiver Umstände mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass der betreffende Inhaber den Ausweis in der Schweiz widerrechtlich benützen könnte (BGE 129 II 175 E 2.5 S. 179 f.; vgl. auch Hans Giger, Kommentar SVG, 8. Auflage 2014, N. 4 zu Art. 22 SVG).“

E. 4.2. ff. zur Kontrollfahrt als milderes Mittel: „Bestehen Zweifel an der Fahrkompetenz einer Person, so kann diese einer Kontrollfahrt, einer Theorieprüfung, einer praktischen Führerprüfung oder einer andern geeigneten Massnahme wie einer Aus- oder Weiterbildung oder einer Nachschulung unterzogen werden (Art. 15d Abs. 5 SVG).“

„Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können Zweifel an der Fahrkompetenz gerechtfertigt sein, wenn ein Führer längere Zeit kein Fahrzeug mehr gelenkt hat. Dabei darf nicht schematisiert werden. Zu würdigen sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.“

„Die bundesgerichtliche Rechtsprechung wird in der Lehre zum Teil als zu streng kritisiert. Es wird die Auffassung vertreten, allein gestützt auf die Fahrabstinenz dürfe erst bei einer Dauer von mehr als sechs Jahren gänzlich fehlender Fahrpraxis eine neue Führerprüfung verlangt werden; andernfalls sei zuerst eine Kontrollfahrt anzuordnen. Hiervon könne nur – sowohl nach unten als auch nach oben – abgewichen werden, wenn konkrete weitere Umstände die Zweifel erhärteten oder entkräfteten (Philippe Weissenberger, Kommentar SVG, 2. Auflage 2015, N. 111 zu Art. 15d SVG).“

Fazit: Bei Fahrabstinenz zwischen fünf und sechs Jahren genügt eine Kontrollfahrt, ansonsten ist eine Führerprüfung notwendig.

 

BGE 1C_507/2016: Geschwindigkeitsüberschreitung (Bestätigung Rechtsprechung)

Wegen erneut schwerer Widerhandlung wird dem Beschwerdeführer der Ausweis für 12 Monate entzogen. Keine der angeführten Standardargumente (Ausserortscharakter, Doppelbestrafung, lange Verfahrensdauer) überzeugen das Bundesgericht.

E. 2. zum Ausserortscharakter

E. 3.2. zur langen Verfahrensdauer: „In der Praxis hat das Bundesgericht einen Zeitbedarf von gut 4 bzw. 5 Jahren zwischen Delikt und bundesgerichtlichem Urteil über die Administrativmassnahme als kritisch beurteilt (Urteil 1C_486/2011 vom 19. März 2012 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen).“ I.c. allerdings nur drei Jahre.

E. 3.4. zum ne bis in idem-Prinzip: „In Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Rüge, der Warnungsentzug verstosse gegen das Verbot der Doppelbestrafung gemäss Art. 4 Ziff. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 22. November 1984 (SR 0.101.07) ist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte  Rivard gegen die Schweiz vom 4. Oktober 2016, Nr. 21563/12, Ziff. 23 ff., zu verweisen. Darin wurde festgestellt, dass der im Administrativverfahren ausgesprochene Warnungsentzug eine Zusatzstrafe zur strafrechtlichen Verurteilung (Busse) darstellt und insoweit nicht gegen den Grundsatz  ne bis in idem verstösst.“

 

BGE 1C_98/2017: Abstand (Bestätigung Rechtsprechung)

Bei einer Geschwindigkeit von 90km/h auf der Autobahn einen Abstand von 5-10 Metern (0.4s) zu halten, ist eine grobe Verkehrsregelverletzung bzw. eine schwere Widerhandlung.

 

Vorsichtspflichten bei Bushaltestellen, Parteientschädigung

BGE 6B_1056/2016: Vorsichtspflichten bei Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel (gutgeheissene Beschwerde)

An einer Bushaltestelle macht eine Fussgängerin unvermittelt einen Schritt nach vorne und wird dadurch vom Aussenspiegel eines Trolleybusses erfasst. Die obere kantonale Instanz (SG) verurteilte den Busfahrer wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das BGer heisst die dagegen erhobene Beschwerde gut.

E.1.3.2: „An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen (Art. 33 Abs. 3 SVG). Das Trottoir ist den Fussgängern, der Radweg den Radfahrern vorbehalten (Art. 43 Abs. 2 SVG). Muss mit einem Fahrzeug das Trottoir benützt werden, so ist der Führer gegenüber den Fussgängern und Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten zu besonderer Vorsicht verpflichtet; er hat ihnen den Vortritt zu lassen (Art. 41 Abs. 2 VRV).“

E. 1.4: „Zuzustimmen ist dem Beschwerdeführer, dass sich die Rücksichtspflicht gemäss Art. 33 Abs. 3 SVG primär an Fahrzeugführer richtet, die an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel vorbeifahren und die aufgrund von sich dort befindlichen Bussen oder Strassenbahnen mit unvorsichtig auf die Strasse hinaustretenden Personen zu rechnen haben (vgl. BGE 97 IV 242 E. 2 S. 244 f.; Urteile 6B_541/2016 vom 23. Februar 2017 E. 1.5; 1C_604/2012 vom 17. Mai 2013 E. 6.2; 1C_425/2012 vom 17. Dezember 2012 E. 3.1; 4A_479/2009 vom 23. Dezember 2009 E. 5.2). Aus dieser Bestimmung lässt sich folglich keine besondere Vorsichtspflicht für an die Haltestelle heranfahrende Buschauffeure ableiten.“

 

BGE 6B_193/2017: Parteientschädigung bei Übertretungen

Dem Beschwerdeführer wurde ein Verstoss gegen die VTS vorgeworfen. Das Strafbefehlsverfahren wurde eingestellt, eine Parteientschädigung wurde nicht zugesprochen. Entgegen den kantonalen Instanzen spricht sich das BGer für eine PE aus.

E 2.5: „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist einem Beschuldigten in der Regel der Beizug eines Anwalts zuzubilligen, jedenfalls wenn dem Deliktsvorwurf eine gewisse Schwere zukommt. Es ist zu beachten, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat. Im Übrigen sind beim Entscheid über die Angemessenheit des Beizugs eines Anwalts neben der Schwere des Tatvorwurfs und der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Falls insbesondere auch die Dauer des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu berücksichtigen (BGE 142 IV 45 E. 2.1; 138 IV 197 E. 2.3.5).“

Fahreignung, Wenden auf Autobahnzufahrt, prov. def. Führerausweis

BGE 1C_144/2017: Keine Fahreignungsabklärung bei LilZ (Laufen in laufunfähigem Zustand), gutgeheissene Beschwerde

Der Beschwerdeführer stürzt in Döttingen in betrunkenem Zustand und bricht sich dabei den Fuss. Der Atemalkoholtest ergibt einen Wert von 2.27g/kg. Da der Beschwerdeführer eine Vorgeschichte mit wiederholten FiaZ-Widerhandlungen hat, meldet der Polizist den Vorfall dem Strassenverkehrsamt. Dieses verfügt eine verkehrspsychologische Begutachtung, aber keinen vorsorglichen Ausweisentzug.

E. 2.1: bzgl. Verkehrsmedizinischer Suchtbegriff

E. 2.2: bzgl. Zweifel an Fahreignung

E. 2.3: bzgl. vorsorglichem Ausweisentzug

E. 3.3: „Besteht ein begründeter Verdacht, dass ein Lenker solche Fahrten unternehmen könnte, ist ihm der Ausweis vorsorglich abzunehmen und seine Fahreignung abzuklären. Die Auffassung des Strassenverkehrsamts, dieses Risiko sei kurz- und mittelfristig – bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Anordnung der verkehrspsychiatrischen Abklärung, was bei zwei Rechtsmittelinstanzen im Kanton und einer im Bund Monate oder sogar Jahre dauern kann – tragbar, ist nicht nachvollziehbar. Besteht ein ernsthafter Grund zur Annahme, dass einem Lenker wegen verkehrsrelevanten Alkoholmissbrauchs die Fahreignung abgeht, so besteht das Risiko, dass er sich (stark) betrunken ans Steuer setzt, jederzeit bzw. ab sofort. Ihm ist diesfalls der Ausweis vorsorglich zu entziehen, bis durch ein verkehrsmedizinisches Gutachten feststeht, dass die Befürchtung unbegründet ist.“

E. 3.4: „Damit erscheint es plausibel, dass es sich beim Rauschtrinken vom 19. Dezember 2015, welches keinen Bezug zu einer allfälligen Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr hatte, um ein isoliertes Ereignis handelt und damit auch nicht die Annahme rechtfertigt, dass der Beschwerdeführer erneut einen verkehrsrelevanten Alkoholüberkonsum betreiben könnte. Nachdem das Strassenverkehrsamt den Beschwerdeführer nach dem Vorfall unbehelligt weiterfahren liess und er dies offenbar seit rund 1 ½ Jahren auch tut, ohne dass er Anlass zu Beanstandungen geboten hätte, haben sich die Zweifel an seiner Fahreignung jedenfalls soweit zerstreut, dass sich die Anordnung einer verkehrspsychiatrischen Abklärung nicht (mehr) rechtfertigen lässt. Die Beschwerde ist begründet. “

 

BGE 6B_316/2017: Wenden auf Autobahnzufahrt entspricht SVG 90 II

Der Beschwerdeführer wendete sein Lieferwagen auf einer Autobahnzufahrt in Thun, nachdem er sah, dass auf der Autobahn stockender Verkehr herrschte. Staatsanwaltschaft verurteil wegen SVG 90 II, erste Instanz wegen SVG 90 I, obere Instanz wegen SVG 90 II und das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.4 zur subj. Komponente von SVG 90 II: „Der Beschwerdeführer hat die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer keineswegs nicht bedacht, sondern hat diese aufgrund der ausgezeichneten Strassen- und Wetterverhältnisse an diesem Tag, der Verkehrssituation im relevanten Zeitpunkt sowie der guten Übersichtlichkeit der Örtlichkeit ausgeschlossen“ (Beschwerde S. 14). Er anerkennt damit vor Bundesgericht ein überlegtes und damit zumindest bewusst fahrlässiges Handeln, das entgegen seiner Argumentation nach der Rechtsprechung als grobe Fahrlässigkeit zu qualifizieren ist. Denn grobe Fahrlässigkeit ist immer zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist (oben E. 1.2.2).“

 

BGE 6B_370/2016: Nachträgliche Kostentragung des Opfers im Strafverfahren

Im vorliegenden Fall wurde der Täter vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Dagegen legte das Opfer Berufung ein.

E. 2.3.4: „Wer bedürftig ist und eine unmittelbare Beeinträchtigung in seiner körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität durch eine Straftat dartut, hat Anspruch darauf, seine Vorwürfe im Rahmen eines strafprozessualen Untersuchungs- und erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens abklären zu lassen, ohne dabei das Risiko einzugehen, im Falle eines Freispruchs die Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung zurückerstatten zu müssen. Art. 30 Abs. 3 OHG kommt daher auch zum Tragen, wenn die geltend gemachte Straftat im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren nicht nachgewiesen werden kann.“

E. 2.3.5: Anders verhält es sich bezüglich der Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung im Rechtsmittelverfahren, wenn es wie vorliegend bereits erstinstanzlich zu einem Freispruch kam, der Freispruch auch im Berufungsverfahren bestätigt wurde und schliesslich in Rechtskraft erwuchs. In solchen Fällen muss es möglich sein, von der Privatklägerschaft, welche als Opfer im Sinne von Art. 116 StPO Berufung erhob, bei verbesserten wirtschaftlichen Verhältnissen die Rückerstattung der Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung im Berufungsverfahren zu verlangen, auch wenn das Rechtsbegehren auf Schuldigsprechung nicht aussichtslos erschien (was Voraussetzung dafür ist, dass der Privatklägerschaft überhaupt ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt werden kann, vgl. Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO). Insoweit geht die in Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO statuierte Pflicht zur Rückerstattung der Kosten der unentgeltlichen Verbeiständung im Rechtsmittelverfahren Art. 30 Abs. 3 OHG vor.

 

BGE 1C_95/2017: Der provisorische definitive Fahrausweis

Der Sachverhalt auf einer Zeitachse:

19.08.2011: Erteilung des Führerausweises auf Probe, Kat. B etc.
31.05.2012: Erweiterung des Führerausweises auf Probe, Kat. C etc.

22.05.2013: Verkehrsunfall, mangelnder Abstand, SVG 90 I
07.10.2013: Strafbefehl
16.12.2013: Warnentzug 1 Mt., Verlängerung Probezeit, angefochten

19.08.2014: Erteilung definitiver Ausweis

17.04.2015: Bestätigung Ausweisentzug, obere kantonale Instanz, rechtskräftig
Vollzug Massnahme: 28.01.-27.02.2016

11.03.2016: Mitteilung durch StVA, dass der wiedererteilte Ausweis wieder auf Probe mit Probezeit von einem Jahr ab Ende der Massnahme.

Gesetzliche Grundlagen: Art. 15a Abs. 3 SVG, Art. 35 VZV, Art. 16 Abs. 1 SVG

Der Beschwerdeführer möchte die Erteilung eines definitiven Ausweises mit Gültigkeit ab 19.08.2015, also rückwirkende Anrechnung der Probezeitverlängerung. Die Beschwerde wird abgewiesen, das BGer stellt aber fest, dass hier ein im Gesetz nicht vorgesehener Fall vorliegt.

E. 4.4: Grds. besteht ein Rechtsanspruch auf den def. Führerausweis, wenn die Voraussetzungen dazu erfüllt sind (s. BGE 6B_1019/2016). „Le permis à l’essai est alors échu (cf. art. 95 al. 2 LCR par opposition à l’art. 95 al. 1 let. c LCR; voir également Rapport de la Commission des transports et des télécommunications du Conseil national du 22 avril 2010, in FF 2010 3584 ch. 4) et l’autorité administrative est tenue de délivrer un permis de conduire définitif, à tout le moins provisoirement, si l’intéressé à suivi la formation complémentaire prescrite et déposé le certificat en attestant“.

Tritt danach der Fall ein, dass die Probezeit hätte verlängert werden müssen, so sind gemäss Art. 16 Abs. 1 SVG die Voraussetzungen für den definitiven Ausweis nicht erfüllt: „A l’issue d’une telle procédure judiciaire, en cas de confirmation de la décision de retrait du permis de conduire à l’essai et de la prolongation de la période probatoire, l’une des conditions nécessaire à l’octroi d’un permis définitif – à savoir l’écoulement complet de la période d’essai (cf. art. 15b al. 2 LCR; Message, FF 1999 4130) – n’est plus réalisée de sorte que ce permis définitif doit être retiré en application de l’art. 16 al. 1 LCR (dans le même sens, cf. CÉDRIC MIZEL, op.cit., n. 83.1.5, p. 635 s.).“

Die verlängerte Probezeit muss ab dem Ende der Massnahme beginnen (Art. 35 Abs. 2 VZV): „quant à la prolongation de la période probatoire, qui se matérialise par la délivrance d’un nouveau permis de conduire à l’essai (cf. art. 35 al. 2 OAC) d’une durée d’une année, celle-ci doit impérativement commencer à courir dès la fin de l’exécution de la mesure de retrait sanctionnant la première infraction, en application des art. 15a al. 3 2e phrase LCR et 35 al. 2 OAC.“

E. 4.5: Das Bundesgericht hat erkannt, dass hier ein Systemfehler im Gesetz vorliegt. Die kantonalen Behörden haben keine Möglichkeit, mit der Erteilung des def. Ausweises zuzuwarten, wenn noch Verfahren bzgl. Administrativmassnahmen hängig sind: „Cette solution est certes insatisfaisante et présente une certaine incohérence: elle a pour effet d’entrecouper la période probatoire, soumises à des règles particulières liées au but éducatif poursuivi (cf. ATF 136 II 447 consid. 5.1 p. 454), par un régime de permis définitif. Elle s’impose toutefois pour des motifs de sécurité du droit, l’intéressé étant, d’une part, formellement titulaire d’un permis définitif lors de la commission de la seconde infraction et, d’autre part, la décision portant sur sa première infraction n’étant, par définition, pas encore définitive et exécutoire; cette solution s’impose également d’un point de vue systématique, la loi ne permettant pas la prolongation du permis à l’essai au motif d’une procédure pendante (cf. consid. 4.4), le législateur n’ayant d’ailleurs pas voulu que la période probatoire de trois ans soit prolongée de plus d’une année (cf. Message p. 4130).“

 

Haftpflicht, Feuersbrunst

BGE 4A_26/2017: SVG-Haftpflicht

Einfach ein gutes Lehrstück zu den Schadenpositionen bei Unfall mit Körperverletzung:

E. 3.3: „Vielmehr kann der Geschädigte gegen die Haftpflichtige den Ersatz von Schaden geltend machen, der durch eine widerrechtliche Körperverletzung adäquat kausal (schuldhaft) verursacht worden ist, namentlich die Heilungskosten und Nachteile aus Arbeitsunfähigkeit (Art. 46 OR) sowie immaterielle Unbill (Art. 47 OR). Dabei werden in Rechtsprechung (vgl. etwa BGE 132 III 321 E. 2.2.1 S. 323; 131 III 360 E. 5.1 S. 363, E. 8.1 S. 369 mit Hinweisen) und Lehre mögliche Schäden unterschiedlich zusammengefasst etwa in Kosten (Aufwendungen zur Behebung oder Einschränkung der Körperschädigung), Erwerbsausfall infolge temporärer oder künftiger Arbeitsunfähigkeit, Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens, Einschränkung in der Haushaltführung, Verlust von Rente (nach alter Praxis Teil des Erwerbsausfalls) sowie Kosten für Pflege- und Betreuungsaufwand (vgl. nur ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 4. Aufl. 2013, N. 7 ff. zu Art. 46 OR, FELLMANN/KOTTMANN, a.a.O., S. 74 ff. Rz. 191 ff.; ROBERTO, a.a.O., S. 206 ff. Rz. 27.21 ff.). Für immateriellen Schaden kann der Geschädigte unter Umständen ausserdem einen Anspruch auf Genugtuung ableiten (Art. 47 OR).“

 

BGE 6B_1091/2016: Exkurs: Fahrlässige Verursachung einer Feuersbrunst (in der Sache gutgeheissen)

Eine Putzfrau benutzt frei erhältliche Putzmittel und Möbelpolituren, welche sich durch eine chemische Reaktion selbst entzünden. Gemäss dem Bundesgericht hat die Putzfrau keine Sorgfaltspflicht verletzt.

E. 3.2.1: Ausführungen zur Fahrlässigkeit: „Die Zurechenbarkeit des Erfolgs bedingt die Vorhersehbarkeit nach dem Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Diese Frage ist ex ante, d.h. vom Zeitpunkt des Handelns aus, zu entscheiden. Ob der Erfolg vorhersehbar war, ist als Rechtsfrage einer bundesgerichtlichen Überprüfung zugänglich (BGE 116 IV 182 E. 4b; Urteil 6B_601/2016 vom 7. Dezember 2016 E. 1.1; je mit Hinweisen). Weitere Voraussetzung ist die Vermeidbarkeit des Erfolges (BGE 140 II 7 E. 3.4; Urteile 6B_1163/2016 vom 21. April 2017 E. 5.2; 6B_1031/2016 vom 23. März 2017 E. 6.2 f.; je mit Hinweisen).“

E. 3.2.3: „Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Politur frei erhältlich war und dass das Putzen oder Polieren von Möbeln eine übliche Tätigkeit darstellt. Die damit einhergehende Gefährdung gehört daher zu den normalen Bedingungen des Lebens. An nicht ungefährliche, aber generell übliche Tätigkeiten dürfen nicht überspannte Anforderungen gestellt werden (Urteil 6S.728/1999 vom 6. März 2001 E. 3 mit Hinweisen). Eine Überschreitung des erlaubten Risikos ist nicht ersichtlich.“

Def. Führerausweis

BGE 6B_1019/2016: Voraussetzungen für die Erteilung des definitiven Führerausweises (teilw. Gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer, Inhaber des Führerausweises auf Probe, fährt im Juli 2014 im Kanton Zürich ein Auto, obwohl ihm der Führerausweis auf Probe im Februar 2014 in Italien entzogen wurde. Im Zeitpunkt der Fahrt war der Führerausweis auf Probe abgelaufen. Die kantonalen Instanzen verurteilen den Beschwerdeführer u.a. wegen Fahrens nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des auf Probe ausgestellten Führerausweises gemäss Art. 95 Abs. 2 SVG. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

E. 1.4.4: Grundsätzlich hat ein Autofahrer einen Rechtsanspruch auf Erteilung des definitiven Ausweises, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind:

–       Die Probezeit ist abgelaufen.
–       Die Weiterbildungskurse wurden besucht.
–       Das Gesuch um Erteilung des def. Ausweises wurde gestellt bzw. die elektronische Bestätigung des Kursveranstalters wurde an das StVA geschickt.

Vorliegend hat das StVA ZH einfach zugewartet mit Erteilung des def. Fahrausweises, weil die italienischen Behörden den Ausweis dorthin geschickt haben. Dieses Vorgehen ist im Gesetz nicht vorgesehen. Steht der Verfall des Führerausweises auf Probe im Sinne von Art. 15a Abs. 4 SVG zur Debatte, ist der Führerausweis nach der Rechtsprechung aus Gründen der Verkehrssicherheit grundsätzlich umgehend vorsorglich zu entziehen, wobei das Annullierungsverfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens sistiert werden kann (E. 1.4.3).

Fazit: Das StVA hätte den Ausweis auf Probe vorsorglich entziehen müssen und nicht einfach zuwarten dürfen.

Geschwindigkeit

BGE 6B_95/2017: Schematismus GÜ (tlw. Gutgeheissene Beschwerde, allerdings kassatorisch)

Der Beschwerdeführer fuhr in einer 30er Zone 22km/h zu schnell, wofür er von den kantonalen Instanzen – entgegen dem Schematismus – wegen SVG 90 II verurteilt wurde. Das BGer heisst die Beschwerde gut, weist die Sache allerdings an die Vorinstanz zurück, da diese den Sachverhalt ungenügend ermittelt habe und somit nicht festgestellt werden konnte, ob die strengen Voraussetzungen von SVG 90 II erfüllt sind.

Fazit: Gewisse Tendenzen sind erkennbar, dass die Strafbehörden eine Verschärfung des Schematismus zu erreichen versuchen.

Strafbarkeit des Begleiters einer Lernfahrt

BGE 6B_1387/2016: Strafbarkeit des Begleiters auf Lernfahrt (Bestätigung Rechtsprechung)

Ein junges Pärchen gerät ins Visier der Strafbehörden. Sie fährt mit einem Lernfahrausweis, er sitzt daneben mit dem Führerausweis auf Probe und 1.57% Blutalkoholkonzentration. Am Auto war kein L-Zeichen angebracht. Das BGer bestätigt die kantonale Urteile u.a. wegen Übernahme der Funktion einer Begleitperson ohne die Voraussetzungen zu erfüllen und FiaZ.

E. 2.2: Für strafbare Handlungen auf Lernfahrten ist der Begleiter verantwortlich, wenn er die Pflichten verletzt hat, die ihm als Folge der Übernahme der Begleitung oblagen. Der Fahrschüler ist verantwortlich, soweit er eine Widerhandlung nach dem Stand seiner Ausbildung hätte vermeiden können (Art. 100 Ziff. 3 SVG). Dabei kommt es nach der Doktrin nicht darauf an, ob der Mitfahrer die tatsächlichen Anforderungen an eine Begleitperson tatsächlich erfüllt. Es genügt, dass er die Aufgabe des Begleiters effektiv übernimmt. Erfüllt er die Voraussetzungen von Art. 15 Abs. 1 SVG nicht, macht er sich zusätzlich nach Art. 95 Abs. 3 lit. b SVG schuldig.

Des Führens eines Motorfahrzeuges im angetrunkenen Zustand im Sinne von Art. 91 SVG macht sich nach der Rechtsprechung auch der Begleiter bei einer Lernfahrt schuldig. Dieser ist von Gesetzes wegen an der Führung des Fahrzeuges durch den Fahrschüler beteiligt.