In der letzten Woche hat das Bundesgericht einige interessante Entscheide gefällt, wobei die absoluten Blockbuster ausblieben. Aus diesem Grund schauen wir auf diese Woche produktiver bundesgerichtlicher Arbeit zurück und fassen die Entscheide kurz zusammen. Für die jeweilige Zusammenfassung klicken.
Urteil 1C_262/2023: Aufschiebende Wirkung bei Sicherungsmassnahmen
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Dieser Fall lag bereits zum dritten Mal beim Bundesgericht. Wegen einem Verdacht auf eine Alkoholproblematik wurde die Fahreignung des Beschwerdeführers abgeklärt. Das Gutachten fiel negativ aus und es wurde ein Sicherungsentzug angeordnet. Dagegen erhobene Beschwerden hiess das Bundesgericht in den Urteilen 1C_128/2020 und 1C_174/2020 (siehe auch Beitrag vom 22.03.2022) gut, weil die Begutachtung mangelhaft war und weil kein Obergutachten eingeholt wurde. Im nunmehr eingeholten Obergutachten kam der Gutachter zum Schluss, dass die Fahreignung momentan nicht abschliessend beurteilt werden könne. Der Betroffene beantragt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sowie ein prioritäres behandeln seines Falles. Der Antrag um aufschiebende Wirkung wurde aber abgelehnt, wogegen sich der Beschwerdeführer nun vor Bundesgericht wehrt. Zudem habe die Vorinstanz aus seiner Sicht gegen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung verstossen.
Der Beschwerdeführer rügt vorliegend (wieder) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil die Vorinstanz die Ablehnung seines Gesuchs um Erteilung der aufschiebenden Wirkung aus seiner Sicht zu kurz, bzw. gar nicht begründete. Das Bundesgericht pflichtet dem Beschwerdeführer zwar zu, dass die von der Vorinstanz vorgenommene Interessensabwägung (Verkehrssicherheit vs. persönliche Freiheit) sehr kurz ausfiel. Es erinnert aber daran, dass verfahrensleitende Verfügungen zur aufschiebenden Wirkung knapp begründet werden können. Zudem ist im Rahmen eines Verfahrens betreffend Sicherungsentzug die aufschiebende Wirkung praxisgemäss in der Regel zu verneinen, da konkrete Anhaltspunkte für eine fehlende Fahreignung ausreichen. Auch dies rechtfertigt, einen den Regelfall abbildenden Entscheid lediglich kurz zu begründen (E. 2.4). Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung verletzt auch keine verfassungsmässigen Rechte, da sich aus dem Obergutachten genug Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers ergeben, auch wenn dieser einen ungetrübten Leumund hat (E. 3). Das Bundesgericht gibt dem Beschwerdeführer nur darin Recht, dass die Vorinstanz das Verfahren unrechtmässig verzögerte. Diese gab als Grund für gewisse Bearbeitungslücken an, dass man auf die Akten habe warten müssen, welche sich beim Bundesgericht befanden. Das lässt das Bundesgericht nicht gelten. Die Akten hätten ja kopiert werden können (E. 4).
Urteil 1C_194/2022: Massnahmedauer und Qualifikation von Widerhandlungen
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Der Beschwerdeführer verursachte im März 2020 auf der Gurnigelstrasse, einer kurvenreichen Passtrasse, wegen nicht angepasster Geschwindigkeit zwei Verkehrsunfälle, wofür er wegen mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung sowie Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges mit Strafbefehl verurteilt wurde. Das zuständige Strassenverkehrsamt sanktionierte den Betroffenen mit einem Führerausweis-Entzug von fünf Monaten, wogegen er sich wehrt. Drei Monate seien genug.
Der Beschwerdeführer begründet dies damit, dass die Vorinstanz zu Unrecht die beiden Unfallereignisse je als schwere Widerhandlung qualifiziert hatte. Das Bundesgericht untersucht deshalb, ob die Qualifizierung korrekt war und listet in E. 5.4 exemplarisch bereits gefällte Urteile zur Qualifikation von Widerhandlungen bei nicht angepasster Geschwindigkeit auf:
Schwere Widerhandlung:
Urteil 1C_135/2022: Aquaplaning beim Überholen auf der Autobahn mit 90-100km/h (vgl. auch Beitrag vom 8.10.2022)
Urteil 1C_302/2011: Schleudern auf nasser Autobahneinfahrt wegen zu starker Beschleunigung
Urteil 1C_38/2011: Schleudern mit Unfall auf Autobahn wegen Schneeglätte
Mittelschwere Widerhandlung:
Urteil 1C_525/2012: Unfall auf nasser Autobahn ohne erschwerende Umstände
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung war es in diesem Fall korrekt, dass beide Unfälle als schwer qualifiziert wurden, denn beim ersten Unfall fuhr der Beschwerdeführer mit einer für eine kurvenreiche Passstrasse viel zu hohen Geschwindigkeit. Beim zweiten Unfall kam neben der nicht angepassten Geschwindigkeit noch hinzu, dass das Auto des Beschwerdeführers Unfallschäden hatte, Flüssigkeiten ausliefen und er zu schnell fuhr, um der Polizei zu entfliehen. Die fünfmonatige Warnmassnahme war insofern korrekt.
Urteil 1C_354/2022: Verhältnis zwischen Regeln zum FAP und der Auslandtat
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Der Beschwerdeführer ist vorbelastet mit einer mittelschweren Widerhandlung, weil er ein Kleinmotorrad der Kat. A1 lenkte, obwohl er nur im Besitz der Fahrberechtigung der Kat. M war. Im Juli 2020 überschritt der Beschwerdeführer, zwischenzeitlich im Besitz des Führerausweises auf Probe für die Kat. A und B, in Österreich die innerorts geltende Geschwindigkeit von 40 km/h um 57 km/h. Dafür wurde er mit einem Fahrverbot von zwei Wochen belegt. Dafür wurde er mit einem Fahrverbot von fünf Monaten wegen einer schweren Widerhandlung sanktioniert. Der Beschwerdeführer geht aber von einer mittelschweren Widerhandlung aus und möchte eine 14-tägige Warnmassnahme.
Begeht eine Person eine Widerhandlung im Ausland wird der Führerausweis gemäss Art. 16cbis SVG entzogen, wenn im Ausland ein Fahrverbot angeordnet wurde und die Widerhandlung nach CH-Recht mittelschwer oder schwer war. Die Bemessung der Entzugsdauer richtet sich nach Art. 16cbis Abs. 2 SVG. Die Auswirkungen des ausländischen Fahrverbotes auf die betroffene Person sind angemessen zu berücksichtigen. Die Mindestentzugsdauer darf unterschritten werden. Die Entzugsdauer darf bei Personen, zu denen im Informationssystem Verkehrszulassung keine Daten zu Administrativmassnahmen enthalten sind, die am Begehungsort im Ausland verfügte Dauer des Fahrverbots nicht überschreiten. Von dieser Sonderregelung profitieren allerdings nur Ersttäter. Sobald man einen auch nicht kaskadenwirksamen Eintrag im IVZ-Massnahmen hat, darf die zuständige Behörde über das im Ausland angeordnete Fahrverbot hinausgehen (E. 3; s. dazu auch den Beitrag vom 22.09.2022).
Zunächst bestätigt das Bundesgericht die Vorinstanz mit Verweis auf seine gefestigte Rechtsprechung zum Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts ab 25 km/h grds. eine schwere Widerhandlung vorliegt (E. 4.2/3).
Der Beschwerdeführer stellt sich sodann auf den Standpunkt, dass er als Inhaber eines Führerausweises auf Probe nach Art. 15a SVG zu beurteilen sei. Nur wer als Inhaber eines Führerausweises auf Probe Widerhandlungen während der Probezeit begeht, muss mit den Konsequenzen von Art. 15a SVG rechnen. Art. 16cbis SVG könne nach seinem Rechtsverständnis nur bei definitiven Führerausweisen angewendet werden. Dass im vorliegenden Fall aber auch Widerhandlungen berücksichtigt wurden, welche der Beschwerdeführer vor dem Erhalt des Führerausweises auf Probe beging, hält er für rechtswidrig. Das Bundesgericht hält dem entgegen, dass Art. 15a SVG für Inhaber des Führerausweises auf Probe hinsichtlich der Bemessung einer Massnahme nur eine teilweise spezifische Regelung enthält. Sie geht zwar der Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG vor, nicht aber den übrigen Bestimmungen von Art. 16 ff. SVG. Da es aber für die Privilegierung von Ersttätern bzw. für die Bindung der zuständigen Behörde an das ausländische Fahrverbot nicht darauf ankommt, ob die Vorbelastung kaskadenwirksam ist, kann der Beschwerdeführer aus Art. 15a SVG nichts zu seinen Gunsten ableiten.
Das bedeutet konkret: Nur eigentliche Ersttäter kommen in den Genuss der privilegierenden Regelung von Art. 16cbis Abs. 2 SVG. Sobald man eine Vorbelastung hat, egal ob als Inhaber des probehaften oder definitiven Führerausweises, ist die Behörde nicht an die Dauer des ausländischen Fahrverbotes gebunden.
Urteil 7B_180/2022: „Ich stand unter Schock!“
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Der Beschwerdeführer verursachte einen Verkehrsunfall, indem er mit einem Inselschutzpfosten kollidierte. Nach dem Unfall fuhr er mit seinem stark beschädigten Auto einfach weiter, ohne sich um den Schaden zu kümmern. Er wurde deshalb u.a. wegen pflichtwidrigen Verhalten sowie Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit bestraft. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer. Er stellt sich auf den Standpunkt, aufgrund eines durch die Kollision hervorgerufenen schweren Schockzustandes oder zumindest einer schweren akuten Belastungsreaktion nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, die Situation richtig einzuschätzen und einer entsprechenden Einsicht gemäss richtig zu handeln. Nach seiner Ansicht war er nicht schuldfähig (Art. 19 StGB), was von den Strafbehörden gutachterlich hätte festgestellt werden müssen (Art. 20 StGB).
Ein Gutachten zur Schuldfähigkeit muss nur angeordnet werden, wenn ernsthafte Zweifel an dieser bestehen. Bei der Prüfung dieser Zweifel ist zu berücksichtigen, dass für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, genügt. Der Betroffene muss vielmehr, zumal der Begriff des normalen Menschen nicht eng zu fassen ist, in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen. Seine Geistesverfassung muss mithin nach Art und Grad stark vom Durchschnitt nicht bloss der „Rechts-„, sondern auch der „Verbrechensgenossen“ abweichen. Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen beizuziehen, ist daher erst gegeben, wenn Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder ein völlig unübliches Verhalten. Zeigt das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an wechselnde Erfordernisse der Situation anpassen, auf eine Gelegenheit zur Tat warten oder diese gar herbeiführen konnte, so hat keine schwere Beeinträchtigung vorgelegen (E. 4.1).
Vorliegend ging die Vorinstanz von einem „heftigen Schreck“ des Beschwerdeführers aus, welche sie als normale Reaktion auf einen Unfall bezeichnete. Ein blosser Schreck reicht aber noch nicht aus, um ernsthaft an der Schuldfähigkeit einer Person zu zweifeln.