Kontrollfahrt im Licht der Verfassung

BGE 1C_384/2019: Modalitäten der Kontrollfahrt

Das ist so eine Art Nischenentscheid, der sich mit einer Detailfrage beschäftigt, nämlich damit, wie genau ein Experte bei einer Kontrollfahrt arbeiten muss.

Der Beschwerdeführer wurde von der Polizei wegen zwei Vorfällen beim Strassenverkehrsamt Thurgau gemeldet. Einmal überquerte er die Mittellinie und kollidierte beinahe mit einem Polizeiauto, ein anderes Mal kam es zu einer gefährlichen Situation mit einem E-Bike. Das StVA TG ordnete daraufhin eine Kontrollfahrt nach Art. 29 VZV an. Die Kontrollfahrt bestand der Beschwerdeführer nicht, woraufhin ihm die Fahrerlaubnis sicherheitshalber entzogen wurde. Der Beschwerdeführer verlangt die Wiederaushändigung.

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass das StVA die Ausstandsregeln missachtet habe, da ihm die Namen des Experten und einer weiteren Begleitperson nicht genannt wurden (E. 3.1). Art. 29 Abs. 1 BV gewährt jeder Person gleiche und gerechte Behandlung in Verfahren vor Verwaltungsinstanzen. Ein Teilgehalt davon ist das Recht auf unbefangene Behördenmitglieder. Dies gilt auch für Experten, die in einem Verfahren mitwirken. Fraglich ist, wann deren Namen der betroffenen Person mitgeteilt werden müssen. Zumindest im Sozialversicherungsrecht müssen ExpertInnen vorab bekannt gegeben werden. Vorliegend lässt das Bundesgericht die Frage offen, weil die Rüge in den kantonalen Instanzen nicht vorgebracht wurde. Es scheint aber darauf hinauszulaufen, als müsste die expertisierende Person schon vor der Kontrollfahrt bekannt sein, zumal ein Nichtbestehen der Kontrollfahrt zum sofortigen FA-Entzug führt (E. 3.3).

Der Beschwerdeführer rügt sodann, dass das Festhalten des Prüfungsergebnisses per Kontrollfahrt-Formular nicht den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen genüge (E. 4). Das Ergebnis der Kontrollfahrt wird auf einem Formular durch Ankreuzen einzelner Positionen und weiteren handschriftlichen Notizen festgehalten. Die Rekurskommission musste einen Bericht des Experten einholen, woraus der Beschwerdeführer schliesst, dass die Begründungsdichte des Formulars ungenügend sei (E. 4.2). Art. 29 Abs. 2 BV enthält den Anspruch auf das rechtliche Gehör. Fahrprüfungsergebnisse sind so zu begründen, dass eine sachgerechte Anfechtung möglich ist. Während der Prüfung hat der Experte offensichtlich nicht genug Zeit, um einen genauen Bericht zu schreiben. Einen umfassenden Prüfungsbericht nachzuliefern, ist deshalb ohne weiteres zulässig. Der Experte muss lediglich in der Lage sein, aufgrund des Formulars und seinen Notizen den Bericht auch auszufertigen. Ohne Notizen wäre dies evtl. nicht möglich. Vorliegend hat aber der Experte festgehalten, dass z.B. ein Lenkradeingriff nötig war. Das rechtliche Gehör wurde nicht verletzt.

Ausstand im Strafverfahren der Staatsanwaltschaft

BGE 1B_375/379/2017: Ausstand im Strafverfahren (gutgh. Beschwerde)

Die Strafbehörden führen eine Untersuchung gegen die beschwerdeführenden Ehegatten wegen Menschenhandel. Letztere sollen mehrere Frauen illegal und in ausbeuterischer Weise v.a. aus Malaysia in die Schweiz geschlossen haben. Die Ehegatten wehren sich gegen den Vorwurf des Menschenhandels und verlangen aufgrund div. Verfahrensmängeln, dass die untersuchende Staatsanwältin in den Ausstand tritt.

E. 2. Zum Ausstand: „Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin oder eines Untersuchungsleiters ist nach der Praxis des Bundesgerichtes namentlich anzunehmen, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken.“

E. 4. Zu den Verfehlungen: Die Vorinstanz hat verschiedene Fehler der untersuchenden Staatsanwaltschaft festgestellt, u.a.:

– Ausübung von Druck auf die eingeschleusten Opfer bzgl. Aussagen.
– Versprechen von Privilegierungen, wenn Opfer belastende Aussagen machen.
– Verweigerung von Parteirechten bei Einvernahmen von Auskunftspersonen oder Zeugen.
– Kein Untersuchen von entlastenden Umständen.

E. 5. Zur Schlussfolgerung: Obwohl die Vorinstanz die Untersuchungsführung als „heikel, unglücklich und falsch“ bezeichnet, sieht sie keine Befangenheit der Staatsanwältin. Diese Schlussfolgerung bezeichnet das BGer als „schwer nachvollziehbar“. Die Verfehlungen der Untersuchungsbehörde können nicht geheilt werden. „Die von der Vorinstanz festgestellten diversen Verfahrensfehler, die sich allesamt zum Nachteil der Beschwerdeführer als beschuldigte Parteien ausgewirkt haben, erscheinen bei gesamthafter Betrachtung schwerwiegend. Bei objektiver Würdigung der von der Vorinstanz festgestellten Prozessgeschichte drängt sich der Eindruck auf, dass die Untersuchungsleiterin voreingenommen ist. Sie hat in geradezu systematisch anmutender Weise die Parteirechte der Beschwerdeführer missachtet und sich in unfairer Weise einseitig auf die Beschaffung von belastendem Beweismaterial konzentriert.“

Das BGer heisst das Ausstandsbegehren gut.