Drei neue Urteile des Bundesgerichts zum Schnellfahren in gedrängter Form

Urteil 6B_410/2023: Quasi-Halterschaft bei Einzelfirmen

Bei diesem Urteil geht es um etwas, das täglich tausendmal auf Schweizer Strassen geschieht, nämlich eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Haltereigenschaft ist grds. ein Indiz für die Lenkerschaft. Gilt das aber auch für Inhaber von Einzelfirmen, auf welche ein Fahrzeug eingelöst ist?

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Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen auf der Autobahn im 80er-Bereich 32km/h zu schnell gefahren zu sein. Obwohl auf dem Lenkerermittlungs-Formular der Polizei eine andere Person angegeben wurde, wurde ihm die Busse auferlegt. Diesbzgl. rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, denn aus seiner Sicht hätte die Strafbehörde Ermittlungen zur angegebenen in Italien lebenden Person treffen müssen. Da der Beschwerdeführer aber keine weiteren Angaben zu dieser Person machte und aufgrund des Radarfotos ziemlich klar war, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug lenkte, mussten in antizipierter Beweiswürdigung keine weiteren Ermittlungen mehr aufgenommen werden (E. 3).

Der Beschwerdeführer ist sodann der Meinung, dass die Vorinstanz die Beweise falsch würdigt, wenn sie von einer frappanten Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Radarfoto ausgeht. Dazu legt der Beschwerdeführer auch zwei Privatgutachten aus Deutschland vor. Da aber der Beweiswert von Privatgutachten relativ klein und mit einer Parteibehauptung zu vergleichen ist und die Vorinstanz an der Berufungsverhandlung sich persönlich einen Eindruck vom Beschwerdeführer machen konnte, durfte sich davon ausgehen, dass er auf dem Radarfoto ist (E. 4.2).

Sodann rügt der Beschwerdeführer es als fehlerhaft, dass man ihn als Quasi-Halter des Fahrzeuges bezeichnet. Das Auto ist auf seine Firma eingelöst. Im Handelsregister ist er die einzige eingetragene Person. Die Rechtsprechung, nach welcher die Haltereigenschaft ein Indiz für die Lenkerschaft bei einer Widerhandlung ist, bezieht sich grds. auf natürliche Personen. Die Firma des Beschwerdeführers beschäftigt nach seiner Aussage zwei bis fünf Personen, wobei er für die Geschäftsfahrzeuge verantwortlich sei und nicht jeder Mitarbeiter einfach einen Fahrzeugschlüssel nehmen könnte. Daraus folgert die Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer seine Firma alleine beherrscht. Damit rechtfertigt sich eine analoge Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach bei natürlichen Personen die Haltereigenschaft ein Indiz für die Täterschaft sein kann. Die „Quasi-Haltereigenschaft“ des Beschwerdeführers darf also als Indiz für seine Lenkerschaft berücksichtigt werden (E. 4.3).

Schliesslich wurde i.c. auch der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ nicht verletzt. Der Beschwerdeführer schwieg sich im Strafverfahren mehrheitlich aus, auch wenn er zum Lenker allenfalls noch mehr Angaben hätte machen können. Aufgrund der Beweiswürdigung zum Foto und der Quasi-Haltereigenschaft durfte die Vorinstanz von der Täterschaft des Beschwerdeführers ausgehen (E. 4.4).



Urteil 7B_131/2022: Wenn das Messgerät falsch eingesetzt wird… (gutgh. Beschwerde)

Auch in diesem Urteil geht es um eine Geschwindigkeitsmessung. Es setzt sich mit den rechtlichen Folgen auseinander, wenn die Polizei Zubehör von einem Geschwindigkeitsmessgerät nicht richtig einsetzt.

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Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, ausserorts die Tempolimite von 80km/h um 53km/h überschritten zu haben. Er rügt aber, dass der Sachverhalt falsch festgestellt wurde (ausführlich zu den Voraussetzungen zur Willkür-Rüge in E. 2.1) bzw. das Resultat der Geschwindigkeitsmessung zu Unrecht von der Vorinstanz als Beweis verwertet wurde. Bei der Geschwindigkeitsmessung wurde ein Robot Traffistar SR 590 eingesetzt. Dieses Gerät war auch vom METAS geeicht. Die Polizisten setzten bei der Messung auch eine mobile Messkabine ein. Gemäss einer Stellungnahme vom METAS wurde diese Kabine nicht so eingesetzt, wie es das Zulassungszertifikat vorschreibt. Die Messkabine wurde modifiziert, wobei gemäss einer Stellungnahme der Polizei keine eichungsrelevanten Teile betroffen waren. Trotzdem war das METAS der Ansicht, dass die Modifikation bedenklich war, weil Geschwindigkeitsmesssysteme grundsätzlich so eingesetzt werden müssen, wie sie zugelassen wurden. Das METAS führte aber auch aus, dass durch eine gutachterliche Auswertung des Bildmaterials die gefahrene Geschwindigkeit ausgewertet werden könnte. Darauf ging die Vorinstanz allerdings gar nicht ein. Aus diesem Grund erachtet es das Bundesgericht als unhaltbar, wenn die Vorinstanz die Geschwindigkeitsmessung mit dem modifizierten Gerät als zweifelsfrei bezeichnet. Es gibt aber keinen Freispruch, sondern die Sache wird an die Vorinstanz zur Ergänzung des Beweisverfahrens zurückgewiesen.


Urteil 6B_68/2023: Social Media als Fundgrube für Raserdelikte (gutgh. Beschwerde)

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob Videos von sozialen Netzwerken als Beweise für den Nachweis von Raserdelikten herhalten können, auch wenn der gefilmte Lenker wohl nicht mit der Veröffentlichung des Videos im Internet einverstanden war. Es geht um eine massive Beschleunigungsfahrt.

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Dem Urteil liegt eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung zu Grunde, wobei der Lenker und Beschwerdegegner 2 ausserorts bis zu 198km/h beschleunigte, während sein Beifahrer und Beschwerdegegner 1 ihn dabei filmte. Letzterer veröffentlichte ein Video der Tat auf einem sozialen Netzwerk. Die Vorinstanz war der Meinung, dass das Video nicht verwertet werden könne und sprach die Beschuldigten frei. Dagegen führt die Staatsanwaltschaft erfolgreich Beschwerde.

Rechtswidrig erlangte Beweise dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich (Art. 141 Abs. 2 StPO). Zunächst geht das Bundesgericht ausführlich auf seine Rechtsprechung ein, wann von Privaten rechtswidrig erlangte Beweise trotzdem verwertet werden dürfen. Um es kurz zu machen, es braucht (E. 2.1)

1. Strafbehörden hätten die Beweise auch rechtmässig erlangen können.
2. Interessensabwägung zwischen Strafverfolgungs- und privaten Interessen spricht für Verwertung
3. Es liegt eine schwere Straftat vor (Grds. Verbrechen, aber Einzelfall massgeblich)

Die Vorinstanz ging davon aus, dass das Video rechtswidrig aufgenommen wurde, weil der Lenker zwar bemerkt haben muss, dass er gefilmt wird, aber nicht damit rechnen musste, dass das Video im Internet landet. Nach Ansicht der Vorinstanz hätte die Polizei das Video bzw. ein vergleichbares Beweismittel auch nicht rechtmässig erlangen können, da die Geschwindigkeitsüberschreitung nur 13 Sekunden gedauert habe, zu kurz, um ein Video aufzunehmen. Und die Raserfahrt war – trotz hohem Tempo – keine schwere Straftat, da die Beschleunigungsfahrt auf gerader und übersichtlicher Strecke stattfand, kein Verkehr und gute Strassenbedingungen herrschten.

Das lässt das Bundesgericht nicht gelten. Zunächst sind Raserdelikte als Verbrechen schwere Straftaten gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO. Sodann bezeichnet das Bundesgericht das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Raserdelikts als viel grösser, als das private Interesse des Lenkers, dass das wohl mit seiner Zustimmung aufgenommene Video nicht auf sozialen Medien geteilt wird. Diese allfällige datenschutzrechtliche Persönlichkeitsverletzung bezeichnet das Bundesgericht gar als marginal. Und zudem traut das Bundesgericht einer allfälligen Polizeipatrouille auch zu, trotz kurzer Deliktsdauer, ein Video davon zu machen.

Das Video ist verwertbar, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird gutgeheissen.