Dashcam

BGE 6B_1188/2018: Dashcam-Aufnahmen sind nicht verwertbar (gutgh. Beschwerde)

Die Beschwerdeführerin wurde wegen einem Spurwechsel auf der Autobahn wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt. Der Hauptbelastungsbeweis war eine Dashcamaufnahme einer Privatperson. Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, dass diese Aufnahme ein rechtswidrig erlangter Beweis ist.

E. 2 zur Beweiserhebung:

Von Privatpersonen rechtswidrig ermittelte Beweise sind nur verwertbar wenn (E.2.1),

  1. die Beweise von den Strafbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ
  2. eine Interessensabwägung für die Verwertung der Beweise spricht.

Bei der Interessensabwägung gibt es einen Konflikt zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und dem privaten Interesse der angeklagten Person, nicht bestraft zu werden. Von den Strafbehörden rechtswidrig erlangte Beweise dürfen gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO nur dann verwertet werden, wenn sie für die Aufklärung einer schweren Straftat unabdingbar sind. Diese Regelung kann analog auf private Beweise angewendet werden (E. 2.2).

Dashcamaufnahmen im öffentlichen Raum fallen unter den Anwendungsbereich von Art. 3 DSG. Ist für Dritte nicht erkennbar, dass eine Dashcam filmt, dann liegt gemäss Art. 12 DSG eine Persönlichkeitsverletzung vor (E. 3.1). Für andere Autofahrer dürfte kaum je erkennbar sein, dass man von einer Dashcam gefilmt wird, da man seine Aufmerksamkeit auf den Verkehr zu richten hat (E. 3.2). Die Persönlichkeitsverletzung kann auch nicht gemäss Art. 13 DSG durch ein privates Interesse des Dashcaminhabers gerechtfertigt werden. Im Strafverfahren geht es um das Interesse des Staates an seinem Strafanspruch und dem Interesse der beschuldigten Person an einem fairen Verfahren. Die Interessen des Datenbearbeiters bzw. Dashcaminhabers treten dabei zurück (E. 3.3).

Die Dashcamaufnahme erfolgte damit widerrechtlich. Die einfache und grobe Verkehrsregelverletzungen sind keine schweren Delikte, die eine Verwertung rechtfertigen würden. Offenbleiben kann dabei, ob die Strafbehörden den Beweis rechtmässig hätten erheben können.

Das BGer folgt damit inhaltlich der Begründung des Entscheids des Kantonsgericht SZ vom 20.06.2017 und verhindert damit, dass unsere Strassen noch mehr durch Hobbydetektive verstopft werden, die sich gegenseitig anzeigen.

Die Dashcam-Odysee geht weiter…

BGE 6B_758/2017: Die Dashcam-Odyssee geht weiter

Der Beschwerdeführer wurde aufgrund von Indizienbeweisen wegen zu geringem Abstand und dem Überfahren einer doppelten Sicherheitslinie auf kantonaler Ebene Verurteilt. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Feststellung des Sachverhaltes. Zu seinen Ungunsten wirken sich hauptsächlich die Aussage des vorfahrenden Lenkers aus, dass er das Fahrzeug zu ca. 90% selber lenkt und Dashcam-Aufnahmen, die im erstinstanzlichen Verfahren noch berücksichtigt wurden, vor der Rechtsmittelinstanz jedoch nicht mehr. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2. zu den Ausführungen der Vorinstanz: Zunächst wird festgehalten, dass die Aussagen des anderen Fahrers glaubhaft seien und eine Verwechslung ausgeschlossen werden könne. Auch wenn theoretisch andere Personen mit dem Auto des Beschwerdeführers fahren können, so fahre er nach eigenen Angaben doch zu 90-95% das Auto selbst. Auch ein schlüssiges Alibi konnte der Beschwerdeführer nicht liefern. „Zu den Dashcamaufzeichnungen hält die Vorinstanz fest, es erscheine zumindest problematisch, das Geschehen auf der Strasse ständig zu filmen. Der Anzeigeerstatter sei aber berechtigt gewesen, die Dashcam in Betrieb zu nehmen bzw. laufen zu lassen, nachdem ihn der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug bedrängt habe. Mit anderen Worten habe die Aufzeichnung des Überfahrens der doppelten Sicherheitslinie durch den ersten deutlich gewichtigeren Verstoss einen Anlassbezug erhalten, sodass keine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung und damit auch kein Beweisverwertungsverbot für den zweiten Verstoss vorliege (vgl. angefochtenes Urteil, E. 4.5.4 S. 8 f.).“

E. 1.3. zum Willkürverbot

E. 1.4.1f. zur vorinstanzlichen Beweiswürdigung: “ Ausschlaggebend war, dass er der Hauptlenker des Tatfahrzeugs war, die Täterbeschreibung des Anzeigeerstatters auf ihn zutrifft, Ersterer ihn auch als Täter identifizierte und er nichts vorbrachte, was für seine Abwesenheit am Tatort zur Tatzeit sprechen könnte.“ „Kommt die Vorinstanz anhand von Indizien zum Schluss, der Beschwerdeführer sei der Lenker des Fahrzeugs gewesen, ist auch dessen Vorwurf unbegründet, der Grundsatz „in dubio pro reo“ sei verletzt.“

E. 1.4.3 zur Dashcam: „Die Dashcamaufzeichnungen des Anzeigeerstatters erachtet die Vorinstanz lediglich für den Zeitraum nach der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung von Art. 34 Abs. 4 SVG bzw. für den Schuldspruch der im Nachhinein erfolgten einfachen Verletzung der Verkehrsregeln durch Überfahren der doppelten Sicherheitslinie als verwertbar. Die Frage der Verwertbarkeit der Aufzeichnungen für den Zeitraum vor dem Bedrängen durch den Beschwerdeführer lässt sie entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers offen und stellt im Sinne seiner vor den Vorinstanzen noch vertretenen Auffassung nicht darauf ab (vgl. angefochtenes Urteil, E. 4.5.4 S. 8 f.). Konsequenterweise würdigt die Vorinstanz die Aufzeichnungen für diesen Zeitraum nicht. Darin liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da die Vorinstanz begründet, weshalb sie auf die Aufzeichnungen insoweit nicht abstellt. Die Frage der Verwertbarkeit der Dashcamaufzeichnungen kann auch vor Bundesgericht offenbleiben. Entscheidend wäre von vornherein nicht die Reaktion bzw. Einschätzung der Situation durch den Anzeigeerstatter, sondern die durch den ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren geschaffene erhöhte abstrakte Gefahr.

Zwar lässt das Bundesgericht die Frage der Dashcamaufnahmen als Beweis offen, es scheint aber in die Richtung zu gehen, dass wenn die Aufnahme ab einem Anfangsverdacht beginnt, diese Verwertbar sein soll, zumindest nach der Meinung der Vorinstanz. Die Frage nach der Verhältnismässigkeit wird nicht beantwortet. Auch wenn dies im Rahmen der Beweisverwertung sinnvoll sein mag, besteht hier immer noch ein grosses Missbrauchspotential. Wer garantiert, dass die Aufnahme einer dauernd laufenden Dashcam nicht nachträglich am Computer zurecht geschnitten wird mit der nachträglichen Behauptung, dass mit der Videoaufnahme erst mit dem Anfangsverdacht begonnen wurde…

Von Rasern und Dashcams

BGE 6B_67/2017: Gefährdung des Lebens durch SVG-Widerhandlungen

Der Beschwerdeführer flüchtete mit qualifizierter BAK und ohne Fahrberechtigung vor der Polizei, wobei er in einem Tunnel dermassen schnell in eine Kurve fuhr, dass das Fahrzeug nur noch auf den rechten Rädern fuhr und die Dachkannte des Wagens entlang der Tunnelwand schrammte. Sämtliche Mitfahrer waren nicht angegurtet und schrien dabei panisch. Das BGer bestätigt u.a. den Schuldspruch wegen Art. 129 StGB.

E. 2.2.: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Eine solche liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt (BGE 133 IV 1 E. 5.1; 121 IV 67 E. 2b/aa). Dies setzt indes nicht voraus, dass die Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Rechtsguts grösser sein muss als jene ihres Ausbleibens (BGE 121 IV 67 E. 2b/aa; 94 IV 60 E. 2). Die Gefahr muss mithin unmittelbar, nicht aber unausweichlich erscheinen (BGE 94 IV 60 E. 2).

Der subjektive Tatbestand verlangt in Bezug auf die unmittelbare Lebensgefahr direkten Vorsatz.“

E. 2.3. Subsumption: Das BGer bejaht danach die Erfüllung des Tatbestandes, u.a. weil der Beschwerdeführer ausgesagt habe, „sein Leben sei ihm durch den Kopf gegangen, als er auf den beiden Rädern gestanden sei.“

Ein Raserentscheid ohne Rasertatbestand…

 

KGE SZ vom 20.06.2017: Unverwertbarkeit von privaten Dashcam-Aufnahmen

Private Dashcam-Aufnahmen sind nicht verwertbar, weil der Datenschutz, auch bei groben Verkehrsregelverletzungen, höher zu gewichten ist, als das Strafverfolgungsbedürfnis des Staates.

E. 3. zur Beweiserhebung durch Private: „Das Bundesgericht hält es für überzeugend, von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur dann als verwertbar zu betrachten, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für die Verwertung spricht (BGer 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E.2.4.4).“ Es besteht zwar kein staatliches Beweismonopol, trotzdem sind private Beweise nur äusserst zurückhaltend zu verwerten.

E. 3 b) zum Datenschutz: „Wird ein aufgezeichnetes Kennzeichen durch Vergrösserung zur Identifikation des Fahrzeughalters ablesbar gemacht, wird die informationelle Integrität des den Wagen lenkenden Halters beeinträchtigt und damit seine Persönlichkeit verletzt (dazu vgl. etwa Aebi-Müller, CHK 3, ZGB 28 N 3; Wermelinger, DSG SHK, 2015, Art. 12 DSG N 2;auch BGE 138 II 146 E. 10.2 und 10.6.2).“

E. 3 b) cc) zur Interessensabwägung Strafverfolgung vs. Datenschutz: “ Allein aufgrund der Anzeige des Fahrlehrers hätte ohne die rechtswidrig beschafften bzw. bearbeiteten Aufzeichnungen kein Strafverfahren gegen einen identifizierbaren Täter eröffnet werden können. Da der Fahrlehrer zur Datenbeschaffung keine privaten Interessen hatte (oben lit. bb) und die Verkehrsregelverletzungen, obwohl sie mutmasslich grob waren, keine schwerwiegenden Straftaten sind (vgl. unten E. 4.b), ist die Verwertung der für die Polizei nicht erhältlichen (oben lit. aa) Aufzeichnungen nicht gerechtfertigt. Ansonsten würde in Kauf genommen, dass Private den verfassungsmässigen Schutz vor Datenmissbrauch aushebeln (Art. 13 Abs. 2 und Art. 35 Abs. 3 BV). Zudem würden im Vorfeld des staatlichen Strafmonopols für Personen falsche Anreize zur privaten Beweiserhebung geschaffen, ohne dass sie einem entsprechenden Verfahren an diesen Beweisen je selber ein Interesse haben könnten. Die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine justizförmige Strafverfolgung (siehe ebenfalls Art. 2 StPO) und die Interessen des in seiner Privatheit bzw. Freiheit rechtlich geschützten Beschuldigten an einem fairen Verfahren überwiegen bei nicht schweren Straftaten diejenigen der Strafverfolgung an der Wahrheitsfindung (dazu vgl. auch Gless, a.a.O., Art. 139 StPO N15 f. und 28) und der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.“

Ein wichtiges Urteil, welches die Bürger davor schützt, dass einerseits „Hobbydetektive“ aus Langeweile Jagd auf andere machen und andererseits die Strafbehörden in Umgehung der strafprozessualen Voraussetzungen an Beweise gelangen können.