Sperrfrist für immer wegen Fahren trotz Entzug

Urteil 1C_372/2022: Es ist eigentlich gar nicht so gefährlich…

Der Beschwerdeführer wehrt sich im vorliegenden Fall gegen eine Sperrfrist für immer. Die Fahrerlaubnis wurde bereits vorher wegen Zweifeln an der verkehrsmedizinischen Fahreignung sicherheitshalber entzogen und ein 24-monatiger Entzug gestützt auf Art. 16c Abs. 2 lit. d SVG wurde auch schon verfügt. Auslösend für die Sperrfrist für immer war, dass bei einer Zollkontrolle in Castasegna festgestellt wurde, dass der von Italien herkommende Beschwerdeführer trotz des Entzugs ein Fahrzeug lenkte. Dass bei einer Grenzabfertigung das SVG angewendet wird, wissen wir ja seit dem letzten Beitrag.

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass der kaskadenbedingte Entzug für immer bei ihm unverhältnismässig sei, denn aus seiner Sicht hat er mit seiner Einfahrt beim Zoll niemand gefährdet. Er verweist dabei auch darauf, dass ein verkehrsmedizinisches Gutachten mittlerweile seine Fahreignung unter Auflagen bejahte. Zudem stelle das Fahren trotz Entzug aus seiner Sicht ein Verstoss gegen eine amtliche Anordnung dar und keine Verkehrsregelverletzung, durch welche andere gefährdet werden (E. 3.3).

Mit der Teilrevision des SVG vom 1. Januar 2005 wurden die Massnahmen bei wiederholten Widerhandlungen verschärft. Ziel war es natürlich, Personen aus dem Verkehr zu ziehen, die immer wieder gegen die Verkehrsregeln verstossen. Zudem gilt ab einer gewissen Delikts-Frequenz die gesetzliche Vermutung, dass die charakterliche Fahreignung der betroffenen Person angezweifelt werden muss (Art. 16c Abs. 2 lit. d und e und Art. 16b Abs. 2 lit e und f SVG). Fährt man trotz Sicherungsentzung, muss eine Sperrfrist angeordnet werden, die sich nach den Mindestentzugsdauern des Kaskadensystems bemisst (E. 3.1).

Die vom Strassenverkehrsamt Kt. ZH angeordnete Sperrfrist für immer ist aus diesen Gründen nicht zu beanstanden. In der Lehre wird zwar teilweise postuliert, dass das Fahren trotz Entzug nicht mit anderen Verkehrsregelverletzungen, die eine Gefährdung mit sich bringen, vergleichbar sei und deshalb die Kaskade nicht in jedem Fall angewendet soll. Das Bundesgericht lässt diesen Einwand aber nicht gelten, denn den Materialien kann klar entnommen werden, dass das Fahren trotz Entzug eine schwere Widerhandlung ist (Art. 16c Abs. 1 lit. f SVG) und die betroffene Person damit nach Fahren trotz Entzug im Kaskadensystem unittelbar eine Stufe weiter nach unten fällt. An diese klare bundesgesetzliche Regelung ist das Bundesgericht gemäss Art. 190 BV gebunden. Das gilt auch für die Grundregel von Art. 16 Abs. 3 SVG, nach welcher die Mindestentzugsdauern grds. nicht unterschritten werden dürfen (E. 3.5).

Bonus:
Urteil 1C_579/2022: Eine Vortrittsmissachung bei der Einfahrt in eine vortrittsberechtigte Strasse mit Unfallfolge ist eine mittelschwere Widerhandlung. Mit entsprechenden Vorbelastungen führt diese zu einem Entzug für immer.

War das noch in der Schweiz?

Urteil 6B_1133/2021: Zollkontrolle und Überwachung im Flughafen

In diesem Urteil werden zwei interessante Fragen beantwortet, nämlich

1. Ist Fahren trotz Entzug beim Schweizer Zoll auf deutschem Staatsgebiet nach CH-Recht strafbar?
2. Dürfen Videos der Überwachungsanlage eines Flughafens als Beweise verwertet werden?

Dem Beschwerdeführer wird neben weiteren Straftaten zweimal Fahren trotz entzogener Fahrerlaubnis vorgeworfen. Im April 2017 wurde er am Grenzübergang Laufenburg bei der Einreise in die Schweiz dabei erwischt, ein Fahrzeug trotz entzogenem Führerausweis gelenkt zu haben. Im Juni 2017 fuhr der Beschwerdeführer mit demselben Auto zu einem Flughafen, wo er von den Überwachungskameras gefilmt wurde.

Zur Widerhandlung vom April 2017 bringt der Beschwerdeführer vor, dass sich die Zollanlage, wo er kontrolliert wurde, auf deutschem Staatsgebiet befindet und damit ausserhalb des Geltungsbereich des Strassenverkehrsgesetzes. Allfällige bilateralen Abkommen fänden hier aus seiner Sicht auch keine Anwendung.

Zwischen der Schweiz und Deutschland gibt es ein Rahmenabkommen, welches die Grenzabfertigung zwischen den Ländern regelt. Im Rahmen der Grenzabfertigung dürfen Zollbeamte das Recht des eigenen Staates anwenden, auch wenn sich der eigentliche Kontrollort im Gebiet des anderen Staates befindet. Begeht eine Person im Rahmen der Grenzabfertigung also beim Schweizer Zoll, der auf deutschem Boden liegt, eine Straftat, so ist Schweizer Recht anwendbar (Art. 4 des Rahmenabkommens). Der Begriff der Grenzabfertigung wird dabei weit ausgelegt. Er umfasst nicht nur zollrechtliche Themen. Es sind auch verkehrspolizeiliche KOntrollen möglich, zu welchen Grenzbeamte gemäss Art. 4 SKV ausdrücklich ermächtigt sind. Entscheidend ist letztlich der Zusammenhang des strafbaren Verhaltens mit dem Grenzübertritt (zum Ganzen E. 1.3). Die verkehrspolizeiliche Kontrolle fand vorliegend auf deutschem Staatsgebiet statt. Die Grenzbeamten durften eine Verkehrskontrolle durchführen und ein Strafverfahren gemäss Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG einleiten.

Zum zweiten Vorwurf bringt der Beschwerdeführer vor, dass die Verurteilung seiner Straftaten vom Juni 2017 aufgrund einer privaten Videoüberwachung eines Flughafens erfolgte. Diese Aufnahmen und damit auch alle Folgebeweise sind aus seiner Sicht gemäss Art. 141 Abs. 2 und 4 StPO nicht verwertbar. Insbesondere stört sich der Beschwerdeführer daran, dass die Videoüberwachung nirgends gekennzeichnet ist und er damit nicht (konludent) in das Aufnehmen seiner Personendaten bzw. seines Kontrollschildes einwilligen konnte (E. 2.1).

Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel sind nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Die Beweismittel müssen zur Aufklärung von schweren Straftaten dienen, wobei darunter nicht nur Verbrechen, sondern auch Vergehen fallen können. Wer Kontrollschilder filmt, bearbeitet Personendaten im Sinne von Art. 3 DSG. Es gelten dabei die Grundsätze von Art. 4 DSG, z.B. dass eine Videoaufnahme erkennbar sein muss, wobei die Verletzung der vorgenannten Grundsätze gemäss Art. 12 DSG zu einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung führt. Die Persönlichkeitsverletzung kann allerdings gemäss Art. 13 DSG gerechtfertigt sein. Dann sind die privaten Beweise uneingeschränkt verwertbar (E. 2.3).

Um es kurz zu machen: Ob im Flughafenparking aufgrund der Umstände erkennbar war, ob man gefilmt wird, kann aus Sicht des Bundesgerichts offenbleiben. Für die meisten Leute wäre dies wohl sowieso offensichtlich. Der Flughafen hat ein überwiegendes und damit rechtfertigendes Interesse an der Überwachung seiner Parkhäuser, denn er kann damit für Sicherheit sorgen und allenfalls sogar Straftaten verhindern. Die Datenbearbeitung des Flughafens erweist sich damit im Sinne von Art. 13 DSG gerechtfertigt, womit die belastenden Videoaufnahmen gegen den Beschwerdeführer verwendet werden konnten.