Von Empathie beim Telefonieren und fehlenden Unterlagen bei Geschwindigkeitsdelikten

Urteil 1C_672/2024: Das unfreundliche Telefonat

Egal ob beim Staat oder in der Privatwirtschaft, immer mal wieder hat man es mit nervigen Menschen zu tun. Ist ein Richter befangen, wenn ihn eine Prozesspartei nervt und er ein Telefonat etwas unprofessionell führt und unwirsch beendet?

Hier die Antwort:

Die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers wurde für einen Monat entzogen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer ein Rechtsmittel und ersuchte um unentgeltliche Prozessführung. Wegen Aussichtslosigkeit wurde das Gesuch abgewiesen. Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht SG gutgeheissen und an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Im Laufe des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer mit Zwischenverfügung aufgefordert darzutun, wie er sich Ferien (2x 2 Wochen) leisten könne, wenn er finanziell in einer schlechten Lage sei. In dieser Abklärung erblickte der Beschwerdeführer eine «voreingenommene und unerhörte Gemeinheit in aller Form» und stellte ein Ausstandsbegehren gegen die verfahrensleitende Richterin beim Abteilungspräsident. Im Laufe des Verfahrens führte der Beschwerdeführer mit dem Abteilungspräsident ein Telefonat, bei welchem dieser dem Beschwerdeführer durch die Blume sagte, dass Telefonieren mit ihm mühselig sei («jetzt hanich das au mol dörfe erläbe, meh bringt Sie würkli chum usem Telefon…»). Natürlich erblickte der Beschwerdeführer auch darin eine Befangenheit und erhebt Beschwerde, nachdem die Vorinstanz urteilte, dass keine Ausstandsgründe vorlagen.

Bürgerinnen und Bürger haben in der Schweiz ein Recht auf ein faires Verfahren. Das bedingt natürlich, dass eine Sache durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht beurteilt wird (Art. 30 Abs. 1 BV). Die Unabhängigkeit eines Gerichtes bemisst sich nicht nach dem Empfinden der betroffenen Person, denn dann wären wahrscheinlich alle Gerichte befangen. Massgeblich ist, ob das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit in objektiver Weise begründet erscheint. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter oder die Richterin tatsächlich befangen ist (zum Ganzen ausführlich E. 2).

Auch wenn der Richter im vorliegenden Fall aufgrund seiner Aussagen «genervt» erschien, kann daraus noch keine Befangenheit konstruiert werden. Der Beschwerdeführer erklärte selbst, dass er zuvor schon mehrere Male mit dem Sekretariat telefonierte. Das habe sich wohl herumgesprochen. Von einer Gerichtsperson wird seitens Bundesgerichts erwartet, dass sie unparteiisch urteilen kann, auch wenn sie sich über die Prozessführung einer Partei nervt (z.B. wegen unnötiger, zu langer oder repetitiver Eingaben). Auch wenn das Telefonat des Abteilungspräsidenten vlt. nicht besonders empathisch geführt wurde, er hängte einfach auf, war er deswegen noch nicht befangen (E. 3). Gleiches gilt für die verfahrensleitende Richterin, welche sich mit den Ferien des Beschwerdeführers befasste. Dieser selber gab gegenüber den Behörden an, dass er in den Ferien sei. Deshalb handelte es sich nicht um eine «infame Mutmassung» der Behörden, wenn diese genauere Abklärungen zu eben diesen Ferien treffen wollten (E. 4).


Urteil 6B_1057/2023: Fehlende Unterlagen bei der Geschwindigkeitsüberschreitung (gutgh. Beschwerde)

Es ist immer eine kleine Sensation, wenn eine Beschwerde bei einem Geschwindigkeitsdelikt gutgeheissen wird. Das Schnellfahren gehört zur absoluten Massendelinquenz und die Gerichte urteilen hier traditionell extrem zurückhaltend. Wenn aber zu einer Geschwindigkeitsmessung jegliche Unterlagen fehlen, reicht das für eine Verurteilung?

Hört sich interessant an!

Der Beschwerdeführer wurde mit einer Busse von CHF 600 bestraft, weil er innerorts das Tempolimit von 50 km/h um 22 km/h überschritten hatte. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Feststellung des Sachverhalts. Einerseits moniert er, dass er nicht der Lenker war, auch wenn er sich auf dem polizeilichen Formular zur Lenkerermittlung als Halter und Lenker bezeichnete. Andererseits fehlen in den Akten das Messprotokoll sowie das Logbuch und die einwandfreie Funktionsfähigkeit des Messgerätes sei auch nicht erstellt. Damit ist die Geschwindigkeitsmessung aus Sicht des Beschwerdeführers nicht verwertbar.

Geschwindigkeitsmessungen erfolgen nach den Modalitäten von Art. 6 ff. VSKV-ASTRA. Die Messgeräte müssen geeicht (Art. 3 VSKV-ASTRA) und das Kontrollpersonal entsprechend geschult sein (Art. 2 VSKV-ASTRA). Zudem gibt es Weisungen des ASTRA zu Geschwindigkeitskontrollen, die aber kein Bundesgericht darstellen und die freie Beweiswürdigung der Gerichte unberührt lassen. Gemäss den Weisungen ist bei stationären bemannten Geschwindigkeitsmessungen ein Messprotokoll zu erstellen. Bei autonomen Geschwindigkeitsmessungen ist zusätzlich ein Logbuch zu führen. Das Bundesgericht hat wiederholt entschieden, dass Fehler in den Messprotokollen grundsätzlich nicht dazu führen, dass die Geschwindigkeitsmessung nicht als Beweis verwertet werden kann. Im vorliegenden Fall fehlen aber Messprotokoll, Logbuch sowie das Eichzertifikat des Messgeräts gänzlich. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz nicht davon ausgehen, dass das Messgerät einwandfrei funktionierte (E. 3.1-4 mit vielen weiteren Urteilen zur Thematik des korrekten Messprotokolls). Es war also willkürlich anzunehmen, dass der Beschwerdeführer zu schnell gefahren war.

Die Vorinstanz durfte aber immerhin davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt der Lenker war. Sie würdigte nicht nur die Angabe des Beschwerdeführers auf der Lenkerermittlung, dass er selber gefahren ist, sie setzte sich auch mit seinem Aussageverhalten auseinander (E. 3.5).

Da allerdings die Korrektheit der Messung nicht erstellt ist, wird die Beschwerde gutgeheissen.