Rücksicht auf schwächere Verkehrsteilnehmer – Part III

Urteil 6B_658/2022: Vorsicht Spaziergänger (gutgh. Beschwerde der Staatsanwaltschaft)

Dieses Urteil befasst sich mit einem tragischen Unfall, bei welchem ein Fussgänger verstarb, nachdem er von einem Fahrrad erfasst wurde. Der Fussgänger und seine Frau gingen auf einer Strasse in der Region Lavaux am rechten Rand einer Mauer entlang. In gleicher Richtung befuhr der Beschwerdegegner mit seinem Fahrrad die Strasse mit ca. 50 km/h. Als er in eine leichte Rechtskurve fuhr, sah er plötzlich den Spaziergänger, welcher dabei war, von rechts auf die linke Strassenseite zu wechseln. Der Beschwerdegegner schrie, um die Aufmerksamkeit des Fussgängers auf sich zu ziehen. Der Beschwerdegegner wollte dann zwischen dem Fussgänger und der Mauer durchfahren, wobei er immer noch ca. 46 km/h fuhr. Im gleichen Moment entschied sich der Fussgänger wieder nach rechts an die Mauer zu gehen. Der Fahrradfahrer kollidierte mit dem Fussgänger. Dieser vertarb später im Spital, der Fahrradfahrer zog sich schwere Verletzungen zu. In zweiter Instanz wurde der Fahrradfahrer vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Dagegen wehren sich die Witwe sowie die Staatsanwaltschaft.

Wie schon in Part I und II setzt auch die fahrlässige Tötung gemäss Art. 117 StGB eine Sorgfaltspflichtsverletzung voraus. Diese bemisst sich im Strassenverkehr nach den Verkehrsregeln. Auch in Part III stellt sich die Frage, ob dieser Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang für den Fahrradfahrer vorherseh- sowie vermeidbar war oder ob er die grenze des erlaubten Risikos noch nicht überschritten hat. Ebenso stellt sich hier die Frage, ob das Verhalten des Verstorbenen den Kausalverlauf unterbrechen konnte. Das Bundesgericht verweist auch hier wieder darauf, dass es nicht total unverhersehbar ist, dass sich Menschen auf der Fahrbahn befinden, auch wenn sie komische Dinge tun, wie z.B. aus einem Sack gefallene Herdöpfel aufsammeln (E. 2.1).

Die Verkehrsregeln gelten grds. auch für Fahrradfahrer (Art. 1 Abs. 2 SVG), so auch dass man seine Geschwindigkeit stets den Umständen anpassen muss (Art. 32 Abs. 1 SVG). Das bedeutet, dass man die Höchstgeschwindigkeit (als Motorfahrzeugführer) nicht immer ausreizen darf. Man muss sich u.a. am Verkehrsaufkommen und den Sichtverhältnissen orientieren. Die Geschwindigkeit muss so angepasst sein, dass man stets innerhalb der überblickbaren Distanz anhalten kann (vgl. Art. 4 Abs. 1 VRV). Auch auf grossen Durchgangsstrassen muss man als Verkehrsteilnehmer grds. damit rechnen, dass in einer nicht einsehbaren Kurve ein langsames Landwirtschaftsfahrzeug oder ein stehendes Auto mit Panne auftauchen kann (zum Ganzen ausführlich E. 2.2.2). An Expertisen sind Gerichte grds. gebunden. Wären die Schlussfolgerungen eines Experten aber überhaupt nicht nachvollziehbar, würde das Abstellen auf die Expertise gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung verstossen (E. 2.2.3).

Die Vorinstanz war (stark zusammengefasst) der Meinung, dass der Unfall letztlich aufgrund unglücklicher Zusammenhänge geschah, insb. im Umstand, dass der Spaziergänger in letzter Sekunde wieder einen Schritt zurückmachte und sich damit in die Fahrbahn des Beschwerdegegners begab. Eine Sorgfaltspflichtsverletzung nahm sie nicht an (E. 2.3). Eine Expertise kam (ebenfalls stark zusammengefasst) zu Schluss, dass eine Notbremsung nicht gereicht hätte, um den Unfall zu vermeiden. Die Aufprallgeschwindigkeit wäre aber nicht ca. 46 km/h, sondern 29 km/h gewesen. Mit einer Geschwindigkeit von 37.5 km/h hätte der Fahrradfahrer noch bremsen können. Die Expertise bezeichnete es als nachvollziehbar, dass unter diesen Umständen ein Ausweichmanöver versucht wurde. Allerdings hätte es gemäss Expertise wohl auch einen Unfall gegeben, wenn der Beschwerdegegner gar nicht reagiert hätte und der Verstorbene normal weitergelaufen wäre (E. 2.4).

Darauf stützt sich schliesslich auch das Bundesgericht. Wenn es den Verkehrsunfall so oder so gegeben hätte, dann war die Geschwindigkeit des Beschwerdegegners nicht angepasst. Der Beschwerdegegner hätte eine nicht einsehbare Rechtskurve nicht mit knapp 50 km/h befahren dürfen, so dass er nicht mehr auf Sicht anhalten konnte. Der Beschwerdegegner kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Expertise sein Ausweichmanöver als nachvollziehbar bezeichnete. Denn er selbst hat sich durch das Nichtanpassen der Geschwindigkeit erst in diese Gefahrensituation gebracht (ausführlich und umschweifend E. 2.6). Letztlich war es auch nicht dermassen ausserordentlich, dass ein Spaziergänger auf einer touristischen Route im Lavaux an einem Sonntagabend die Strassenseite wechselt. Insofern wurde der adäquate Kausalzusammenhang durch das Verhalten des Verstorbenen nicht unterbrochen. Das gleiche gilt für den Ausweichschritt in die Fahrbahn des Beschwerdegegners (E. 2.7).

Der Freispruch der Vorinstanz verstösst damit gegen Bundesrecht, womit die Beschwerden gutgeheissen werden.

Rücksicht auf schwächere Verkehrsteilnehmer – Part II

Urteil 6B_239/2022: Vorsicht Lotsen (teilw. gutgh. Beschwerde)

Weil es gut zum aktuellen Thema passt, holen wir dieses bereits etwas ältere Urteil aus dem Backlog und fassen es hier auch kurz zusammen.

Der Beschwerdeführer wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung veruteilt. Er fuhr am Morgen in Basel auf der Missionsstrasse. Dabei sahr er, wie der Geschädigte auf die Strasse trat, um einen Lieferwagen auf die Strasse zu lotsen. Der Beschwerdeführer passierte den Geschädigten dann mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 35 km/h mit so geringem Abstand, dass dessen Bein vom Fahrzeug erfasst wurde. Der Geschädigte stürzte zu Boden und erlitt einen Bruch des Sprunggelenks. Die kantonalen Instanzen hiessen zudem die Zivilforderung des Geschädigten im Grundsatze gut und auferlegten dem Beschwerdeführer eine Haftungsquote von 100%.

Der Geschädigte bringt zunächst vor, dass der Beschwerdeführer bzgl. der zivilrechtlichen Haftungsquote gar kein rechtlich geschütztes Interesse mehr habe, denn dessen Motorhaftpflichtversicherung gab bereits eine Haftungsanerkennung zur vollen Quote ab, aus reiner Kausalhaftung. Auch wenn dem so wäre, hat der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesgerichts aber trotzdem ein rechtlich geschütztes Interesse an der Behandlung seiner Beschwerde bzgl. den zivilrechtlichen Folgen des Unfalles, auch wenn seine MFH die Haftung zur vollen Quote anerkannte. Es kann nämlich sein, dass die MFH nach der Schadenregulierung gegenüber dem Beschwerdeführer Regressansprüche geltend macht (Art. 65 Abs. 3 SVG i.V.m. Art. 14 Abs. 2 VVG), worauf sich die gerichtlich festgestellte Haftungsquote auswirkt (E. 3.3).

Neben einer Verletzung des Anklageprinzips (E. 4) und einer willkürlichen Sachverhaltsdarstellung (E. 5) rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 125 StGB. Aus seiner Sicht trägt der Geschädigte die Schuld am Unfall bzw. seiner Körperverletzung, denn dieser sei nicht zur Verkehrsregelung berechtigt gewesen, sei grundlos auf die Strasse gestanden und habe sich rückwärts und damit unvorsichtig in den Verkehr hineinbewegt (E. 6.1).

Eine fahrlässige Körperverletzung setzt eine Sorgfaltspflichtsverletzung voraus, die sich im Strassenverkehr nach dem Strassenverkehrsgesetz bemisst. Strafbar ist das Verhalten des Unfallverursachers, wenn dieser den Unfall vorhersehen und insofern vermeiden hätte können. Trägt das Opfer eine Mitschuld am Unfall in Form eines Verhaltens, mit welchem schlicht nicht gerechnet werden muss, kann dies den adäquaten Kausalverlauf unterbrechen (zum Ganzen E. 6.2.2).

Gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Verkehrsteilnehmern ausreichend Abstand zu wahren. Zudem muss man die Geschwindigkeit den Umständen anpassen. Man darf zwar darauf vertrauen, dass sich alle Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten. Der Vertrauensgrundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt (Art. 26 SVG).

Laut der Vorinstanz bemerkte der Beschwerdeführer den Lotsen auf der Strasse und er interpretierte die Situation auch richtig. Tortzdem setzte er seine Fahrt mit 30 bis 35 km/h fort und fuhr am Geschädigten nur mit 50 cm vorbei. Dabei wurde der Geschädigte vom Fahrzeug des Beschwerdeführers erfasst. Der Beschwerdeführer hätte den Unfall ohne weiteres vermeiden können, wenn er gestoppt und das Manöver der Lieferwagen abgewartet hätte oder zumindest sein Tempo massiv reduziert und in grösserem Abstand am Lotsen vorbeigefahren wäre. Eine „eigenverantwortlich gewollte Selbstgefährdung“ des Lotsen, die den Kausalverlauf unterbrechen würde, nahm die Vorinstanz nicht an (E. 6.3).

Das Bundesgericht stimmt der Vorinstanz grds zu. Es verweist aber auch darauf, dass die Grösse des seitlichen Abstands, der gegenüber Fussgängern einzuhalten ist, nicht allgemein zahlenmässig festgelegt werden kann. Sie richtet sich vielmehr unter anderem nach der Breite der Fahrbahn, den Verkehrs- und Sichtverhältnissen, der Geschwindigkeit des Fahrzeugs sowie dem Alter und dem Verhalten der Fussgänger. In einer engen Gasse in einem tessiner Bergdorf kann ein halber Meter bei entsprechend langsamem Tempo ausreichend sein. In anderen Konstellationen, höhere Geschwindigkeit, grosse Strasse sowie dem Umstand, dass sich ein Fussgänger auf ein nahes Vorbeifahren nicht gefasst ist, sind 50 cm dann wieder zu wenig. Der Beschwerdeführer hätte also entweder warten, oder den Abstand oder sein Tempo anpassen müssen. Der Unfall war vermeidbar, womit eine Sorgfaltspflichtsverletzung vorliegt (E. 6.4.2).

Das Bundesgericht setzt sich dann noch mit der Frage auseinander, ob bei Selbstgefährdungen durch Fussgänger im Strassenverkehr stets von einer stillschweigenden Einwilligung in Körperverletzungen ausgegangen werden kann. Im Gegensatz zu gewissen Sportarten ist dies im Strassenverkehr allerdings nicht der Fall. Wer sich als Fussgänger verkehrsregelwidrig auf die Fahrbahn begibt, willigt daher nicht ein, von einem Fahrzeug angefahren und verletzt zu werden (E. 6.4.3).

Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung ist also korrekt. Die Beschwerde wurde aber gutgeheissen, weil die Vorinstanz ohne hinreichende Begründung von einer Haftungsquote von 100% zu Lasten des Beschwerdeführers ausging (E. 7) und weil die festgesetzte Parteientschädigung für den Privatkläger nicht nachvollziehbar war (E. 8).

Rücksicht auf schwächere Verkehrsteilnehmer – Part I

Urteil 6B_286/2022: Vorsicht Kinder (gutgh. Beschwerde von den Privatklägern und der Staatsanwaltschaft)

Der Sachverhalt stark zusammengefasst: Der Beschwerdegegner und Unfallverursacher fuhr mit seinem Fahrzeug trotz Entzug des Führerausweises und in angetrunkenem Zustand (0.97%) nach Hause. Bei einer Schule und obwohl er Kinder am Strassenrand bemerkte, reduzierte der Beschwerdegegner seine Geschwindigkeit nicht und fuhr ca. 45 bis 50 km/h. Weil er von den Scheinwerfern eines nachfolgenden Fahrzeuges via Rückspiegel geblendet wurde, bemerkte er nicht, dass ein fünfjähriges Kind vor ihm mit seinem Trottinet einen Fussgängerstreifen passierte, von rechts nach links. Der Beschwerdeführer erfasste das Kind ungebremst, wodurch es 25 m weggeschleudert wurde. Es wurde lebensgefährlich verletzt. Gemäss einem unfallanalytischen Gutachten kam das Kind hinter einer Mauer hervor, von welcher es vor dem Unfall ca. 1-5s partiell verdeckt wurde. Ganz verdeckt war das Kind aber nicht. Wenn der Beschwerdegegner 35 km/h gefahren wäre, hätte es wohl kein Unfall gegeben. Zudem habe die Angetrunkenheit keinen Einfluss auf die Reaktionsfähigkeit gehabt. Von der ersten Instanz wurde der Beschwerdegegner u.a. wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verurteilt. Im Berufungsverfahren hingegen wurde der Beschwerdegegner aber von diesem Vorwurf freigesprochen. Dagegen wehrt sich die Privatklägerschaft sowie die Staatsanwaltschaft.

Die fahrlässige schwere Körperverletzung ist ein Offizialdelikt (Art. 125 Abs. 2 StGB). Es wird eine Sorgfaltspflichtsverletzung vorausgesetzt, die bei Strassenverkehrsdelikten anhand der Verkehrsregeln beurteilt wird. Man stellt sich die Frage, ob der Verkehrsunfall für den Verursacher vorhersehbar und insofern vermeidbar war (zum Ganzen ausführlich E 4.1).

Im Strassenverkehr gilt der Vertrauengrundsatz, d.h. man darf grundsätzlich davon ausgehen, dass sich alle Verkehrsteilnehmer an die Verkehrsregeln halten (Art. 26 Abs. 1 SVG). Gegenüber Kinder gilt aber eine erhöhte Sorgfaltspflicht, womit der Vertrauensgrundsatz ihnen gegenüber grundsätzlich nicht gilt („Le principe de la confiance ne s’applique donc pas à l’égard de ces personnes“; E: 4.2.1; Art. 26 Abs. 2 SVG).

Ein Fahrzeuglenker muss sein Auto stets beherrschen (Art. 31 Abs. 1 SVG), seine Geschwindigkeit den Umständen anpassen (Art. 32 Abs. 1 SVG), wobei bei Fussgängerstreifen wiederum eine erhöhte Sorgfaltspflicht gilt (Art. 33 Abs. 2 SVG). Dass bedeutet, dass der Autofahrer den Fussgängerstreifen und angrenzenden Trottoirs eine erhöhte Aufmerksankeit schenken, so dass er Fussgängern den Vortritt gewähren kann. Die erhöhte Sorgfaltspflicht geht sogar soweit, dass der Autofahrer darauf gefasst sein muss, dass sich Fussgänger regelwidrig verhalten und z.B. bei einem mit Mittelinsel getrennten Fussgängerstreifen ohne anzuhalten einfach durchlaufen (E. 4.2.4).

Der Verkehrsunfall geschah um 20.45 Uhr. Deshalb ging die Vorinstanz davon aus, dass der Beschwerdegegner nicht unbedingt mit einem Kind auf einem Trottinett rechnen musste. Auch dass das Kind partiell von einer Mauer verdeckt war und mit 11 km/h um einiges schneller unterwegs war, als ein Fussgänger, liess den Unfall als unvermeidbar erscheinen. Autofahrer müssten aus Sicht der Vorinstanz am Unfallort generell 35k km/h fahren oder systematisch anhalten am Fussgängerstreifen. Insofern lag aus vorinstanzlicher Sicht keine Sorgfaltspflichtsverletzung vor bzw. war der adäquate Kausalverlauf unterbrochen (E. 4.3).

Das Bundesgericht sieht das anders. Wenn ein Autofahrer in eine Verkehrssituation kommt, wo er aufgrund der Umstände bzw. schlechten Sichtverhältnissen Fussgänger eher spät sehen kann, muss er seine Geschwindigkeit anpassen. Der Beschwerdegegner kannte zudem die Unfallstelle und sah zuvor auch noch spielende Kinder, obwohl bereits 20.45 Uhr war. Auch dass der Unfallort in der Nähe eines Schul-Sportplatzes war, spricht gegen den Beschwerdegegner. Unter diesen Umständen hätte der Beschwerdegegner seine Geschwindigkeit anpassen müssen, sodass er einem Fussgänger hätte den Vortritt gewähren können. Der Unfall war für ihn vorherseh- und insofern auch vermeidbar. Das gilt auch, wenn ein Kind mit einem Trottinett schneller als Schrittgeschwindigkeit unterwegs war.

Der Beschwerdegegner hätte also als ortskundiger seine Geschwindigkeit anpassen müssen. Die Beschwerden der Staatsanwalt- und Privatklägerschaft werden gutgeheissen.

Von der Sonne geblendet

BGE 6B_1318/2019: Fussgänger anfahren ist grds. rücksichtslos

Der Beschwerdeführer wurde ca. 14 Meter vor einem Fussgängerstreifen dermassen von der Sonne geblendet, dass er trotz heruntergeklappter Sonnenblende kaum mehr etwas gesehen hat. Aus diesem Grund hat er einen Fussgänger auf dem Streifen zu spät wahrgenommen. Trotz Vollbremsung hat der Beschwerdeführer den Fussgänger noch touchiert, wodurch dieser umgefallen ist und sich Prellungen zugezogen hat.

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung. Er habe nicht rücksichtslos gehandelt und möchte wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung verurteilt werden.

Zunächst äussert sich das BGer zu den Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung (E. 2.3.2) und zur Aufmerksamkeit (E. 2.3.3). Sodann äussert es sich zu den Pflichten, die Autofahrer gegenüber Fussgängern haben. Art. 33 SVG stipuliert, dass vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren ist und den Fussgängern der Vortritt zu lassen ist. Dazu muss die Geschwindigkeit gemässigt und nötigenfalls angehalten werden, wobei die Geschwindigkeit stets den Umständen anzupassen ist. Der Fahrzeugführer muss insoweit Sicht auf die gesamte Strasse und den Gehsteig in der Nähe des Fussgängerstreifens haben und hat – sofern dies nicht der Fall ist – die Geschwindigkeit so zu verlangsamen, dass er bei überraschend auftauchenden Fussgängern jederzeit anhalten kann (E. 2.3.3).

Die Missachtung des Fussgängervortritts ist i.d.R. sowohl objektiv als auch subjektiv eine schwere Verletzung von Verkehrsregeln. Schon bei geringer Kollisionsgeschwinigkeit können Fussgänger schwer verletzt werden (E. 2.4.2). Der Beschwerdeführer war ortskundig und bremste trotz der blendenden Sonne erst kurz vor dem Fussgängerstreifen. Dass er schon nur ca. 20-30 km/h gefahren sei, nützt ihm nichts, denn innerorts darf die Höchstgeschwindigkeit nur bei günstigen Verhältnissen ausgefahren werden. Wer trotz tiefstehender Sonne seine Geschwindigkeit nicht anpasst bzw. nicht anhält und auf einen Fussgängerstreifen zufährt, der gefährdert Dritte in hohem Masse und erfüllt den obj. Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG (E: 2.4.3). Indem der Beschwerdeführer „nur“ Bremsbereitschaft erstellte und sein Tempo nicht anpasste, handelte er bewusst grobfahrlässig, zumal er als Ortskundiger den Fussgängerstreifen kannte. Damit handelte er rücksichtslos. Der subj. Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG ist damit erfüllt.

Die Beschwerde wird abgewiesen. Die einzigen Fälle, in welchen wohl von einer Rücksichtslosigkeit abgesehen werden kann, sind jene, wo die Fussgänger selber überraschend die Fahrbahn betreten und damit wiederum die Regeln für Fussgänger nicht einhalten.

Der unaufmerksame Fussgänger (gutgh. Beschwerde)

BGE 6B_1294/2017

Im Dezember 2014 überfuhr der Beschwerdeführer bei schlechten Wetter- und Sichtverhältnissen einen Fussgänger, wofür er von den kantonalen Instanzen wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Das BGer hingegen heisst seine Beschwerde gut.

E. 1.1./2. zu den Meinungen der Parteien: Der Beschwerdeführer beruft sich auf den Vertrauensgrundsatz und rügt, dass er nicht damit habe rechnen müssen, dass ein Fussgänger unvermittelt auf die Fahrbahn tritt, wo es keinen Fussgängerstreifen hat. Konkrete Anzeichen für ein Fehlverhalten des Fussgängers habe es nicht gegeben. Die Vorinstanz hingegen geht davon aus, dass der Beschwerdeführer den Fussgänger hätte bemerken und schon früher bremsen müssen.

E. 1.3.-5. zum Rechtlichen: Der Autofahrer muss sein Fahrzeug gemäss Art. 31 SVG stets so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Nach dem Vertrauensgrundsatz in Art. 26 SVG darf er aber davon ausgehen, dass sich sämtliche Verkehrsteilnehmer korrekt verhalten. Wo es keine Fussgängerstreifen hat, ist der Autofahrer gegenüber dem Fussgänger grds. vortrittsberechtigt (vgl. Art. 47 Abs. 5 VRV). „Das Mass der Sorgfalt, die vom Fahrzeuglenker verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen.“

E. 1.6./7. Zur Subsumption: Der Fussgänger überquerte die Fahrbahn 6.5m vor dem Fussgängerstreifen. Er hörte Musik und war unaufmerksam. Die Witterungs- und Sichtverhältnisse waren schlecht, der Fussgänger war dunkel gekleidet. Der Beschwerdeführer hingegen machte trotz Ortskundigkeit keine Kontrollblicke nach links und rechts. Er sah den Fussgänger erst, als dieser auf der Fahrbahn war. Allerdings gab es keine Anzeichen dafür, dass der Fussgänger unvermittelt auf die Fahrbahn treten würde. Insofern liegt i.c. keine Sorgfaltspflichtsverletzung vor. Zwischen dem Betreten der Fahrbahn und der Kollision liegen lediglich 0.8 Sekunden, was nicht einmal der durchschnittlichen Reaktionszeit von einer Sekunde entspricht. Es gab keine Kommunikation zwischen den beiden Verkehrsteilnehmern, da der Fussgänger mit dem Rücken zum Beschwerdeführer lief. Das blosse Vorhandensein von erwachsenen Fussgängern auf dem Trottoir erfordert kein Bremsmanöver. Kausale Ursache für den Unfall war das unvorhersehbare Beschreiten der Fahrbahn durch den Fussgänger, womit der Unfall für den Beschwerdeführer nicht vermeidbar war. Der Autofahrer wird freigesprochen.

Verfahrensdauer, Kollision mit Nichthalter

BGE 1C_542/2016: Selbstverschuldete lange Verfahrensdauer

Im August 2011 fuhr der Beschwerdeführer innerorts 30 km/h zu schnell. Gegen die Verurteilung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln wehrt er sich bis vor Bundesgericht. Dieses weist seine Beschwerde im September 2014 ab. Aufgrund der Kaskade ordnet das StVA AG einen sechsmonatigen Ausweisentzug an. Das vorliegende Urteil folgt fünfeihalb Jahre später. Der Beschwerdeführer rügt die Beurteilung innert angemessener Frist. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.4: Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Ein solches Recht ergibt sich auch aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

E. 2.6: Die besonderen Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen, sollen neu nur bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestentzugsdauer berücksichtigt werden können (vgl. Art. 16 Abs. 3 Satz 1 SVG). Zu den bei der Festsetzung des Führerausweisentzugs zu berücksichtigenden Umständen zählt wie unter dem früheren Recht auch die Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK).

E. 2.7: Im zu beurteilenden Fall erscheint zweifelhaft, ob das Beschleunigungsgebot überhaupt verletzt worden ist bei einer Gesamtbearbeitungsdauer von rund fünfeinhalb Jahren und insgesamt sieben Instanzen (vgl. E. 2.3 hiervor).

Die Frage braucht jedoch nicht vertieft zu werden. Im Wesentlichen hat der Beschwerdeführer selber durch Ausschöpfen aller zur Verfügung stehenden Rechtsmittel (inklusive Bestreitung der Verlässlichkeit des Geschwindigkeitsmessgeräts, seiner Installation und des Betriebs sowie diverser Fristverlängerungen) für die lange Verfahrensdauer gesorgt.

 

BGE 1C_490.2016: Der übersehene Fussgänger

In Zürich befährt der Beschwerdeführer eine Kreuzung gerade als die Ampel von grün auf gelb wechselt. Da er mit langsamer Geschwindigkeit (ca. 20km/h) unterwegs war und nicht aufmerksam war, tütscht er eine Fussgängerin, die grün hatte und bereits auf dem Fussgängerstreifen ging. Im Strafverfahren wird er wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das BGer bestätigt in der Folge den einmonatigen Ausweisentzug.

E. 3.4: Nach Art. 33 Abs. 2 SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten (vgl. auch Art. 6 VRV [SR 741.11]). Der Fahrzeugführer hat zudem allgemein sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten genügt (Art. 31 Abs. 1 SVG), was unter anderem voraussetzt, dass er seine Aufmerksamkeit dem Verkehr zuwendet (vgl. Art. 3 Abs. 1 VRV).

E. 3.5: Die Missachtung dieser Regeln bei der Anfahrt zu einem Fussgängerstreifen ruft eine ernstliche Gefahr für die Fussgänger hervor, da diese bei einer Kollision mit einem Auto selbst bei relativ geringer Fahrgeschwindigkeit schwere und schwerste Verletzungen davontragen können.

Nichts Neues, aber als Repetitorium auch nicht schlecht.