Die rasende Polizistin (und mehr)

Urteil 1C_667/2024: Milderung der Massnahme nach dringlicher Dienstfahrt (zur amtl. Publ. vorgesehen)

Der Sommer ist vorbei, das Laub fällt und die Motorräder werden eingemottet. Die Zeit der Gemütlichkeit beginnt, im Cheminée lodert das Feuer und nach einigen Nichteintretens- und Willkürentscheiden hat das Bundesgericht genau zur richtigen Zeit wieder ein richtig gutes Urteil rausgehauen.

Es beantwortet nämlich die spannende Frage, ob die Entzugsbehörde die Mindestentzugsdauer einer Massnahme unterschreiten oder gar eine mildere Massnahme anordnen muss, wenn die Strafe nach einer Verkehrsregelverletzung auf einer dringlichen Dienstfahrt nach Art. 100 Ziff. 4 SVG gemildert wurde.

Das hört sich wirklich spannend an!

Die Beschwerdeführerin ist Gruppenchefin in der Genfer Polizei. Im Januar 2017 fuhr sie auf einer Dienstfahrt mit Blaulicht, aber ohne Sirene innerorts mit abzugsbereinigten 102 km/h. Von der kantonalen Berufungsinstanz wurde Sie wegen qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung schuldig gesprochen. Die Strafe wurde in Anwendung von Art. 100 Ziff. 4 aSVG gemildert. Sie wurde bedingt zu 280 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

Die Fahrerlaubnis wurde der Beschwerdeführerin im Februar 2023 gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. abis SVG für 24 Monate entzogen. Nach einem gutgeheissenen Rekurs wurde die Entzugsdauer auf 12 Monate reduziert, weil das Recht zwischenzeitlich milder wurde. Die Betroffene reicht dagegen Beschwerde ein und verlangt eine Verwarnung. Sie macht geltend, dass der Grundsatz der lex mitior gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB verletzt wurde, welcher – wie wir alle wissen – auch im Administrativmassnahmen-Verfahren Anwendung findet.

Das Bundesgericht setzt sich zunächst mit den gesetzlichen Bestimmungen auseinander, nach welchen Verkehrsregelverstösse auf dringlichen Dienstfahrten sanktioniert werden. Im Strafverfahren erfolgt eine allfällige Milderung der Strafe gemäss Art. 100 Ziff. 4 und 5 SVG, wobei die Regeln am 1. Oktober 2023 in Kraft traten bzw. angepasst wurden. Ebenfalls per 1. Oktober 2013 wurde Art. 16c Abs. 2 lit. abis SVG angepasst, nach welchem die Mindestentzugsdauer von 24 Monaten reduziert werden darf (vgl. dazu den Beitrag vom 6. Juni 2025). Nicht angepasst hingegen wurde Art. 16 Abs. 3 SVG, nach welchem die Mindestentzugsdauer grundsätzlich nicht unterschritten werden darf, ausser wenn die Strafe nach Art. 100 Ziff. 4 SVG gemildert wurde.

Im Gegensatz zur Vorinstanz stellt das Bundesgericht fest, dass vorliegend kein Anwendungsfall der lex mitior vorliegt, weil Art. 16 Abs. 3 SVG seit 1. August 2016 in Kraft ist.

Obligatorische Unterschreitung der Mindestentzugsdauer?

Im Folgenden prüft das Bundesgericht, ob eine Strafmilderung nach Art. 100 Ziff. 4 SVG obligatorisch zu einer Reduktion der Administrativmassnahme führen muss. Es legt deshalb Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG nach dem gängigen Methodenpluralismus aus, wobei die grammatikalische Auslegung den Vorzug geniesst. Nach letzterer handelt es sich um eine Kann-Vorschrift. Auch die historische Auslegung, nach welcher eine Unterschreitung der Mindestentzugsdauer nur in Ausnahmefällen erfolgen soll, stützt die grammatikalische Auslegung. Und schliesslich ergeben die teleologische sowie systematische Auslegung, dass die Entzugsbehörde schon immer ein grosses Ermessen hatte bei der Anordnung von Führerausweis-Entzügen. Mit Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG wollte der Gesetzgeber den Entzugsbehörden dieses Ermessen bei Dienstfahrten noch erweitern und nicht etwa durch ein Obligatorium vermindern.

Daraus ergibt sich, dass die Reduktion einer Strafe gemäss Art. 100 Ziff. 4 SVG nicht bedeutet, dass die Entzugsbehörde die Mindestentzugsdauer unterschreiten muss. Sie kann dies im Rahmen der Einzelfallbeurteilung im Rahmen ihres Ermessens tun (zum Ganzen E. 2.5).

Auch wenn die Mindestentzugsdauer hätte unterschritten werden können, war im vorliegenden Fall die Anordnung einer 12-monatigen Warnungsmassnahme verhältnismässig. Insb. stellt das Bundesgericht fest, dass die strafrechtlichen Regeln zur Strafzumessung in Art. 47f. StGB nicht analog auf das Administrativmassnahmen-Verfahren Anwendung finden. Die Dauer des Entzugs wird nach den Kriterien in Art. 16 Abs. 3 SVG festgelegt, welche mit den Regeln zur Strafzumessung nicht deckungsgleich sind. Sicherlich können sich die Entzugsbehörden vom Strafurteil «inspirieren» lassen, gebunden sind sie aber nicht, weil die strafrechtlichen Strafen und die verwaltungsrechtlichen Massnahmen unterschiedliche Ziele verfolgen (zum Ganzen ausführlich E. 3).

Verwarnung statt Entzug?

Die Beschwerdeführerin erachtet es schliesslich als willkürlich, dass vorliegend in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG keine Verwarnung angeordnet wurde. Auch hier kommt das Bundesgericht – stark zusammengefasst – nach Auslegung des Gesetzestextes zum Schluss, dass die Anordnung einer Verwarnung anstatt eines Führerausweis-Entzugs nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen würde, auch wenn das Gesetz eine Unterschreitung auf Null Tage nicht explizit ausschliesst. Nicht beantwortet wird die Frage, ob auf eine Massnahme gänzlich hätte verzichtet werden können.


Bonus: Urteil 6B_1041/2023: Rendez-Vous mit einem Velofahrer

Wer mit seinem Auto im Rückwärtsgang gut 280 Meter einem Velofahrer nachjagt, weil dieser beim Passieren auf den Seitenspiegel schlug und diesen beschädigte, schliesslich mit dem Heck mit dem Velofahrer kollidiert, sodass dieser unter das Auto gerät, macht sich nicht der Gefährdung des Lebens schuldig, sondern nur der groben Verkehrsregelverletzung. Das Verhalten des Autofahrers war vorliegend nicht skrupellos, womit dieses Tatbestandselement für die Erfüllung des Tatbestandes der Gefährdung des Lebens gemäss Art. 129 StGB fehlte. Das Bundesgericht erwägt, dass die Rückwärts-Nachfahrt zwar eine Überreaktion und der Beschwerdegegner hemmungslos war, der Zweck des Nachfahrens – die Schadensregulierung – aber irgendwie auch nachvollziehbar war.

Gefährdung des Lebens, Halterhaftung im OBG

BGE 6B_303/2017: „Mich kontrolliert keiner!“ (teilw. Gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Fahrzeug eine Verkehrskontrolle durchbrochen, wofür er u.a. von den kantonalen Instanzen wegen Gefährdung des Lebens verurteilt wurde. Seine Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

E. 4. zur Gefährdung des Lebens: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Vorausgesetzt ist dabei eine Gefahr für das Leben; eine Gefahr bloss für die Gesundheit genügt nicht.“ Durch das Verhalten des Täters muss für dritte Lebensgefahr bestehen, wobei subjektiv direkter Vorsatz gefordert ist. Damit für eine Person Lebensgefahr durch ein Fahrzeug besteht, muss dieses mit einer gewissen Geschwindigkeit fahren. Sofern „nur“ die Möglichkeit einer schweren Körperverletzung besteht, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Weil die kantonalen Instanzen es versäumten, die vom Beschwerdeführer gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln, kann nicht gesagt werden, ob für die Polizisten tatsächlich Lebensgefahr bestand. Das BGer heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

E. 6. Zur fahrlässigen Körperverletzung: Diese bedingt stets ein ordentlich gestellter Strafantrag. Aus der Konstituierung als Privatklägerschaft kann kein Strafantrag abgeleitet werden.

E. 7. Zur groben Verkehrsregelregelverletzung: Die Weisungen der Polizei gemäss SVG 27 sind stets wichtige Verkehrsregeln und wenn man diese missachtet bzw. wenn man eine Verkehrskontrolle durchbricht, verhält man sich rücksichtslos.

Die Gefährdung des Lebens ist also von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Als Beschuldigter ist es empfehlenswert, keine Angaben zur Geschwindigkeit zu machen, die Strafbehörden wiederum sollten diese unbedingt ermitteln.

 

BGE 6B_432/2017: Bussen bezahlen für andere… (Bestätigung Rechtsprechung)

Die Beschwerdeführerin hat als formelle Halterin eines Fahrzeuges mehrere Ordnungsbussen erhalten, obwohl sie mit diesem nicht mehr fährt. Das BGer verdonnert sie dazu, diese zu bezahlen.

E. 2.2: In der Botschaft vom 20. Oktober 2010 zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr (BBl 2010 8447 ff.) wird klargestellt, dass es nicht – wie im Haftpflichtrecht – auf die materielle Eigenschaft des Halters ankommt, sondern auf die formelle der im Fahrzeugausweis eingetragenen Person (BBl 2010 8517; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.4). Bei den Angaben des Halters nach Art. 6 Abs. 4 OBG darf es sich nicht um eine wenig plausible Information handeln. Name und Adresse des Fahrzeugführers müssen vollständig sein. Es müssen genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers gemacht werden, so dass dieser individualisierbar ist (BBl 2010 8487; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.5).

Es zählt also, was im Fahrzeugausweis steht und nicht, wer konkret mit dem Auto unterwegs ist.

Rasen wie im Game

BGE 6B_698/2017: Neues Raserurteil

Der Beschwerdeführer vollzog ganz in GTA-Manier mehrere haarsträubende Überholmanöver auf der Autobahn, bei welchen er u.a. einem vorfahrenden Fahrzeug über eine Strecke von zwei Kilometern bis auf eine Handbreite, Stossstange an Stossstange folgte. Als ihm die Geduld ausging, fuhr er leicht auf das Auto auf, um die Lenkern zum Wechseln auf den Normalstreifen zu bewegen. Ebenfalls überholt er ein anderes Auto in Rennfahrermanier rechts. Der Beschwerdeführer wehrt sich im Wesentlichen gegen die Schuldsprüche wegen Gefährdung des Lebens und qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 129 StGB: „In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Sie liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt.“ Subjektiv verlangt der Tatbestand direkter Vorsatz.

E. 4.3. Subsumtion: „Der Tatbestand von Art. 129 StGB ist bereits beim eingeräumten ungenügendem Abstand „während lediglich weniger Sekunden“ erfüllt“. Durch das Touchieren des vorfahrenden Fahrzeuges, musste er mit einem folgenschweren Unfall rechnen, vertraute aber darauf, dass dieser nicht eintritt.

E. 5.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 90 Abs. 3 SVG: „Da bereits die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist für die Erfüllung von Art. 90 Abs. 3 SVG die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen. Die Gefahr muss mithin unmittelbar sein.“

E. 5.3. zum Rechtsüberholen: Rechtsüberholen ist im Normalfall eine grobe Verkehrsregelverletzung. „Das zu beurteilende Rechtsüberholen war hochgradig riskant und gefährlich und ist damit als waghalsig einzustufen und nicht vergleichbar mit einem „einfachen“ Rechtsvorbeifahren (erstinstanzliches Urteil S. 29). Der Schuldspruch im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist nicht zu beanstanden.“

E. 5.4./5. Zum Abstand: Der Beschwerdeführer verhielt sich wie im Actionfilm, weshalb auch das Abstandsvergehen unter Art. 90 Abs. 3 SVG zu subsumieren ist.

E. 6ff. Zur Konkurrenz zwischen Art. 129 StGB und Art. 90 Abs. 3 SVG: StGB 129 schützt das Rechtsgut „Leben“, SVG 90 III jenes der „Verkehrssicherheit“, mittelbar allerdings auch das Leben. SVG 90 III ist zwar lex specialis zu StGB 129 und ginge diesem vor, ebenso lässt sich argumentieren, dass das höchstrangige Rechtsgut Leben der Verkehrssicherheit vorgehe. Als abstraktes Gefährdungsdelikt setzt der mittelbare Lebensschutz von SVG 90 III früher ein, als jener des konkreten Gefährdungsdeliktes von StGB 129. Allerdings erfasst StGB 129 wiederum verschuldensmässig weniger schwere und schwerere Straftaten als SVG 90 III in Bezug auf das Strafmass. Ob nun der eine den anderen Tatbestand konsumiere, könne nicht abschliessend beurteilt werden. Da weder Spezialität noch Konsumtion in Frage kommt, liegt ein Fall von „Alternativität“ vor (gemäss Stratenwerth). Das BGer urteilt aber nicht abschliessend, da es nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstossen will.

Wer also seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben will, sollte dies zu Hause mit dem Spielemedium seiner Wahl machen und nicht auf öffentlichen Strassen.

Von Rasern und Dashcams

BGE 6B_67/2017: Gefährdung des Lebens durch SVG-Widerhandlungen

Der Beschwerdeführer flüchtete mit qualifizierter BAK und ohne Fahrberechtigung vor der Polizei, wobei er in einem Tunnel dermassen schnell in eine Kurve fuhr, dass das Fahrzeug nur noch auf den rechten Rädern fuhr und die Dachkannte des Wagens entlang der Tunnelwand schrammte. Sämtliche Mitfahrer waren nicht angegurtet und schrien dabei panisch. Das BGer bestätigt u.a. den Schuldspruch wegen Art. 129 StGB.

E. 2.2.: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Eine solche liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt (BGE 133 IV 1 E. 5.1; 121 IV 67 E. 2b/aa). Dies setzt indes nicht voraus, dass die Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Rechtsguts grösser sein muss als jene ihres Ausbleibens (BGE 121 IV 67 E. 2b/aa; 94 IV 60 E. 2). Die Gefahr muss mithin unmittelbar, nicht aber unausweichlich erscheinen (BGE 94 IV 60 E. 2).

Der subjektive Tatbestand verlangt in Bezug auf die unmittelbare Lebensgefahr direkten Vorsatz.“

E. 2.3. Subsumption: Das BGer bejaht danach die Erfüllung des Tatbestandes, u.a. weil der Beschwerdeführer ausgesagt habe, „sein Leben sei ihm durch den Kopf gegangen, als er auf den beiden Rädern gestanden sei.“

Ein Raserentscheid ohne Rasertatbestand…

 

KGE SZ vom 20.06.2017: Unverwertbarkeit von privaten Dashcam-Aufnahmen

Private Dashcam-Aufnahmen sind nicht verwertbar, weil der Datenschutz, auch bei groben Verkehrsregelverletzungen, höher zu gewichten ist, als das Strafverfolgungsbedürfnis des Staates.

E. 3. zur Beweiserhebung durch Private: „Das Bundesgericht hält es für überzeugend, von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur dann als verwertbar zu betrachten, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für die Verwertung spricht (BGer 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E.2.4.4).“ Es besteht zwar kein staatliches Beweismonopol, trotzdem sind private Beweise nur äusserst zurückhaltend zu verwerten.

E. 3 b) zum Datenschutz: „Wird ein aufgezeichnetes Kennzeichen durch Vergrösserung zur Identifikation des Fahrzeughalters ablesbar gemacht, wird die informationelle Integrität des den Wagen lenkenden Halters beeinträchtigt und damit seine Persönlichkeit verletzt (dazu vgl. etwa Aebi-Müller, CHK 3, ZGB 28 N 3; Wermelinger, DSG SHK, 2015, Art. 12 DSG N 2;auch BGE 138 II 146 E. 10.2 und 10.6.2).“

E. 3 b) cc) zur Interessensabwägung Strafverfolgung vs. Datenschutz: “ Allein aufgrund der Anzeige des Fahrlehrers hätte ohne die rechtswidrig beschafften bzw. bearbeiteten Aufzeichnungen kein Strafverfahren gegen einen identifizierbaren Täter eröffnet werden können. Da der Fahrlehrer zur Datenbeschaffung keine privaten Interessen hatte (oben lit. bb) und die Verkehrsregelverletzungen, obwohl sie mutmasslich grob waren, keine schwerwiegenden Straftaten sind (vgl. unten E. 4.b), ist die Verwertung der für die Polizei nicht erhältlichen (oben lit. aa) Aufzeichnungen nicht gerechtfertigt. Ansonsten würde in Kauf genommen, dass Private den verfassungsmässigen Schutz vor Datenmissbrauch aushebeln (Art. 13 Abs. 2 und Art. 35 Abs. 3 BV). Zudem würden im Vorfeld des staatlichen Strafmonopols für Personen falsche Anreize zur privaten Beweiserhebung geschaffen, ohne dass sie einem entsprechenden Verfahren an diesen Beweisen je selber ein Interesse haben könnten. Die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine justizförmige Strafverfolgung (siehe ebenfalls Art. 2 StPO) und die Interessen des in seiner Privatheit bzw. Freiheit rechtlich geschützten Beschuldigten an einem fairen Verfahren überwiegen bei nicht schweren Straftaten diejenigen der Strafverfolgung an der Wahrheitsfindung (dazu vgl. auch Gless, a.a.O., Art. 139 StPO N15 f. und 28) und der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.“

Ein wichtiges Urteil, welches die Bürger davor schützt, dass einerseits „Hobbydetektive“ aus Langeweile Jagd auf andere machen und andererseits die Strafbehörden in Umgehung der strafprozessualen Voraussetzungen an Beweise gelangen können.