Wo sind die Kontrollschilder?

Urteil 6B_1020/2023: Mittäterschaft beim Nichtabgeben von Kontrollschildern trotz behördlicher Aufforderung nach Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG bei Geschäftsfahrzeugen durch GL-Mitglieder? (zur amtl. Publikation vorgesehen)

Der Beschwerdeführer ist Verwaltungsratsmitglied mit Einzelunterschrift einer Firma, auf welche ein Mercedes eingelöst war. Da die Verkehrsabgaben für dieses Fahrzeug nicht bezahlt wurden, setzte das Strassenverkehrsamt Kt. FR eine zehntägige Frist, um entweder die Steuern zu bezahlen oder die Kontrollschilder der Behörde zukommen zu lassen. Da der behördlichen Aufforderung keine Folge geleistet wurde, wurde der Beschwerdeführer mit einer bedingten Geldstrafe und einer Busse bestraft, wegen Mittäterschaft beim Missbrauch von Kontrollschildern. Der Beschwerdeführer ist aber der Ansicht, dass ihn keine Schuld träfe, weil nicht er, sondern ein Dritter materieller Halter des Fahrzeuges gewesen sei.

In objektiver Hinsicht setzt die Strafnorm von Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG voraus, dass ein Kontrollschild ungültig ist und dass eine Behörde die Rückgabe des Kontrollschildes fordert. Die Strafnorm dient der Durchsetzung dieser Aufforderung. Damit betroffene Personen die Kontrollschilder schnellstmöglich zurückgeben und nicht etwa noch weiter herumfahren, handelt es sich bei der Straftat um ein Vergehen und nicht etwa um eine Übertretung (E. 2.1). Bevor Kontrollschilder polizeilich eingezogen werden, muss eine kurze Frist angesetzt werden (Art. 107 Abs. 3 VZV). Der Halter eines Fahrzeuges ergibt sich gemäss Art. 78 Abs. 1 VZV aus den tatsächlichen Verhältnissen. Der Gesetzgeber geht also vom materiellen Halterbegriff aus, und nicht etwa vom formellen. Halter ist grundsätzlich, wer das Fahrzeug benutzt und z.B. auch Reparatur- oder Benzinkosten übernimmt. Formeller Halter ist die Person, die im Fahrzeugausweis steht (vgl. dazu auch BGE 144 II 281 E. 4.3.1).

Der Beschwerdeführer stellt sich im Wesentlichen auf den Standpunkt, dass er nicht materieller Halter des Fahrzeuges war. Dieses war im Besitz einer Drittperson, welche dies auch schriftlich bestätigte. Die kantonalen Instanzen waren zwar ebenfalls der Meinung, dass der Beschwerdeführer nicht materieller Halter des Autos war, aber dass er dennoch an der Straftat mitwirkte. Denn trotz mehrer Schreiben seitens der kantonalen Behörde, blieb der Beschwerdeführer während ca. fünf Monate untätig und teilte z.B. auch die Koordinaten des materiellen Halters nicht mit. Durch seine Untätigkeit nahm der Beschwerdeführer in Kauf, dass die Kontrollschilder nicht rechtzeitig zurückgegeben würden. Zudem trifft ihn als Verwaltungsratsmitglied der Firma auch eine Mitwirkungspflicht bei der Feststellung des Halters eines Geschäftsfahrzeuges (Art. 78 Abs. 2 VZV). Und schliesslich hätte der Beschwerdeführer besonders aufmerksam sein müssen, denn es war nicht das erste Mal, dass er in eine solche Geschichte verstrickt war (E. 2.3).

Der Beschwerdeführer ist der Meinung, dass nur der materielle Halter eines Fahrzeuges den Straftatbestand von Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG erfüllen kann. Dem widerspricht allerdings das Bundesgericht. Dem klaren Gesetzestext kann entnommen werden, dass die Strafnorm nicht nur von einem Halter erfüllt werden kann (wie z.B. Art. 93 Abs. 2 lit. b, 96 Abs. 3 oder 99 Abs. 2 SVG). Zudem würde die Rechtsansicht des Beschwerdeführers die kantonalen Behörden vor grosse Probleme stellen. Denn immer dort, wo die formelle und die materielle Halterschaft nicht übereinstimmen und die Behörde den materiellen Halter gar nicht kennt, würde dies eine Bestrafung nach Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG verunmöglichen. Vorausgesetzt ist – wir erinnern uns – dass der Halter aufgefordert wurde, die Kontrollschilder zurückzugeben. Kennt die Behörde wie i.c. den materiellen Halter gar nicht, könnte sie diesen auch nie auffordern, die Schilder zurückzugeben, was der ratio legis der Strafnorm widersprechen würde. Aus Sicht des Bundesgerichts hätte der Beschwerdeführer der kantonalen Behörde gemäss Art. 74 Abs. 5 VZV mitteilen müssen, dass seine Firma nicht materielle Halterin des Mercedes war, als die Behörde die Rückgabe der Schilder forderte. Indem der Beschwerdeführer den Behörden über mehrere Monate nicht dabei half, die Schilder einzuziehen, machte er sich nicht nur der Mittäterschaft schuldig, sondern er erfüllte Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG als unmittelbarer Täter.

Fazit: Juristische Personen, welche als formelle Halter in Fahrzeugausweisen von Geschäftsfahrzeugen eingetragen sind, müssen gut darüber Bescheid wissen bzw. den Behörden Auskunft darüber geben können, wer materieller Halter des Autos ist. Ansonsten macht sich die zuständige Person nach Art. 97 Abs. 1 lit. b SVG strafbar, wenn die Kontrollschilder mangels Kooperation nicht eingezogen werden können.

Bonus-Urteile

Urteil 1C_179/2023: Wer mit einem Motorrad mangels genügendem Abstandes mit dem Heck eines vorfahrenden Fahrzeuges kollidiert, begeht eine mittelschwere Widerhandlung. Mit entsprechenden Vorbelastungen führt das zu einem Führerausweis-Entzug für immer.


Urteil 1C_139/2023: Wenn eine Person mit Kokain beim Autofahren erwischt wird und der Konsum ebenfalls erwiesen ist, muss deren Fahreignung abgeklärt und der Führerausweis vorsorglich entzogen werden. Ergibt die Abklärung, dass die Fahreignung nicht gegeben ist, muss der Führerausweis sicherheitshalber entzogen werden, bis die Voraussetzungen für die Wiederzulassung erfüllt sind. Die Behörden sind an entsprechende Gutachten gebunden. Es verstösst auch nicht gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip, wenn für die Wiederzulassung zum Strassenverkehr gefordert wird:

– Haaranalysen zum Nachweis einer Alkoholtotal- und einer Betäubungsmittelabstinenz
– Sozialtherapie bzgl. Alkohol- und Drogenkonsum während mind. 6 Monate.

Dass die Beschwerdeführerein beruflich auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen ist, spielt bei Sicherungsmassnahmen keine Rolle.


Urteil 6B_1082/2022: Wer in einem Fahrzeug als Beifahrer die Handbremse zieht, weil betroffene Person der Meinung ist, der Lenker fahre zu schnell, wodurch es zu einem Unfall kommt, begeht eine grobe Verkehrsregelverletzung. Auch wenn der Lenker stark alkoholisiert war, handelt man weder in rechtfertigendem, noch in entschuldbarem Notstand, wenn man die Handbremse zieht, um das Auto zu stoppen.

Gefährdung des Lebens, Halterhaftung im OBG

BGE 6B_303/2017: „Mich kontrolliert keiner!“ (teilw. Gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Fahrzeug eine Verkehrskontrolle durchbrochen, wofür er u.a. von den kantonalen Instanzen wegen Gefährdung des Lebens verurteilt wurde. Seine Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

E. 4. zur Gefährdung des Lebens: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Vorausgesetzt ist dabei eine Gefahr für das Leben; eine Gefahr bloss für die Gesundheit genügt nicht.“ Durch das Verhalten des Täters muss für dritte Lebensgefahr bestehen, wobei subjektiv direkter Vorsatz gefordert ist. Damit für eine Person Lebensgefahr durch ein Fahrzeug besteht, muss dieses mit einer gewissen Geschwindigkeit fahren. Sofern „nur“ die Möglichkeit einer schweren Körperverletzung besteht, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Weil die kantonalen Instanzen es versäumten, die vom Beschwerdeführer gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln, kann nicht gesagt werden, ob für die Polizisten tatsächlich Lebensgefahr bestand. Das BGer heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

E. 6. Zur fahrlässigen Körperverletzung: Diese bedingt stets ein ordentlich gestellter Strafantrag. Aus der Konstituierung als Privatklägerschaft kann kein Strafantrag abgeleitet werden.

E. 7. Zur groben Verkehrsregelregelverletzung: Die Weisungen der Polizei gemäss SVG 27 sind stets wichtige Verkehrsregeln und wenn man diese missachtet bzw. wenn man eine Verkehrskontrolle durchbricht, verhält man sich rücksichtslos.

Die Gefährdung des Lebens ist also von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Als Beschuldigter ist es empfehlenswert, keine Angaben zur Geschwindigkeit zu machen, die Strafbehörden wiederum sollten diese unbedingt ermitteln.

 

BGE 6B_432/2017: Bussen bezahlen für andere… (Bestätigung Rechtsprechung)

Die Beschwerdeführerin hat als formelle Halterin eines Fahrzeuges mehrere Ordnungsbussen erhalten, obwohl sie mit diesem nicht mehr fährt. Das BGer verdonnert sie dazu, diese zu bezahlen.

E. 2.2: In der Botschaft vom 20. Oktober 2010 zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr (BBl 2010 8447 ff.) wird klargestellt, dass es nicht – wie im Haftpflichtrecht – auf die materielle Eigenschaft des Halters ankommt, sondern auf die formelle der im Fahrzeugausweis eingetragenen Person (BBl 2010 8517; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.4). Bei den Angaben des Halters nach Art. 6 Abs. 4 OBG darf es sich nicht um eine wenig plausible Information handeln. Name und Adresse des Fahrzeugführers müssen vollständig sein. Es müssen genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers gemacht werden, so dass dieser individualisierbar ist (BBl 2010 8487; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.5).

Es zählt also, was im Fahrzeugausweis steht und nicht, wer konkret mit dem Auto unterwegs ist.

Mitwirkungspflicht des Halters im OBG bzgl. Lenkerermittlung

BGE 6B_1007/2016: Halterhaftung und Lenkerermittlung nach OBG (gutgeheissene Beschwerde)

Die Beschwerdeführerin, eine Mietwagenfirma, hat ein Fahrzeug an eine in den USA wohnhafte Person vermietet. Diese überschritt die Geschwindigkeit im Ordnungsbussenbereich. Nachdem die Polizei eine Übertretungsanzeige verschickt hat, hat die Beschwerdeführerin die Lenkerangaben gemacht und ebenfalls den Mietvertrag eingeschickt. Nachdem der Lenker aus den USA auf seine Übertretungsanzeige nicht reagierte, forderte die Polizei wiederum die Mietwagenfirma auf, die Busse zu bezahlen. Die kantonalen Instanzen verurteilten die Beschwerdeführerin zur Zahlung der Ordnungsbusse, das BGer heisst die Beschwerde gut.

Grds. geht es i.c. um die Frage der Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG.

E. 1.4. zum Halterbegriff: „Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 OBG, wonach die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt wird, wenn nicht bekannt ist, wer eine Widerhandlung begangen hat, ist auf den formellen Halterbegriff abzustellen.“ „Grundsätzlich können Halter eines Motorfahrzeugs sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.“

E. 1.5. zur Mitwirkungspflicht des Halters: „[Die Halter] haben die Möglichkeit, sich zu exkulpieren, nämlich dann, wenn sie glaubhaft darlegen können, dass das Fahrzeug vor Begehung der Widerhandlung gegen ihren Willen benutzt worden ist (zum Beispiel durch Diebstahl oder durch Entwendung zum Gebrauch oder zur Veruntreuung) und sie dies auch mit entsprechender Sorgfalt nicht hätten verhindern können (Botschaft, BBl 2010 8517 f.).“ „Zweifellos darf es sich bei den von einem Halter gemachten Angaben nach Art. 6 Abs. 4 OBG nicht um eine wenig plausible Information handeln. Auch muss Name und Adresse des Fahrzeugführers vollständig sein, d.h. der Halter muss genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers machen, so dass dieser individualisierbar ist (vgl. Botschaft, BBl 2010 8487).“

Vorliegend hat die Mietwagenfirma nicht nur Name und Adresse des Lenkers genannt, sondern auch den Mietvertrag eingereicht, nach welchem der Mieter die einzige Person war, die berechtigt war, den Mietwagen zu lenken. Damit hat der Halter seine Pflicht getan, die faktische Uneinbringlichkeit der Busse ist Sache der Strafbehörden.