Gefährdung des Lebens, Halterhaftung im OBG

BGE 6B_303/2017: „Mich kontrolliert keiner!“ (teilw. Gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Fahrzeug eine Verkehrskontrolle durchbrochen, wofür er u.a. von den kantonalen Instanzen wegen Gefährdung des Lebens verurteilt wurde. Seine Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

E. 4. zur Gefährdung des Lebens: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Vorausgesetzt ist dabei eine Gefahr für das Leben; eine Gefahr bloss für die Gesundheit genügt nicht.“ Durch das Verhalten des Täters muss für dritte Lebensgefahr bestehen, wobei subjektiv direkter Vorsatz gefordert ist. Damit für eine Person Lebensgefahr durch ein Fahrzeug besteht, muss dieses mit einer gewissen Geschwindigkeit fahren. Sofern „nur“ die Möglichkeit einer schweren Körperverletzung besteht, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Weil die kantonalen Instanzen es versäumten, die vom Beschwerdeführer gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln, kann nicht gesagt werden, ob für die Polizisten tatsächlich Lebensgefahr bestand. Das BGer heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

E. 6. Zur fahrlässigen Körperverletzung: Diese bedingt stets ein ordentlich gestellter Strafantrag. Aus der Konstituierung als Privatklägerschaft kann kein Strafantrag abgeleitet werden.

E. 7. Zur groben Verkehrsregelregelverletzung: Die Weisungen der Polizei gemäss SVG 27 sind stets wichtige Verkehrsregeln und wenn man diese missachtet bzw. wenn man eine Verkehrskontrolle durchbricht, verhält man sich rücksichtslos.

Die Gefährdung des Lebens ist also von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Als Beschuldigter ist es empfehlenswert, keine Angaben zur Geschwindigkeit zu machen, die Strafbehörden wiederum sollten diese unbedingt ermitteln.

 

BGE 6B_432/2017: Bussen bezahlen für andere… (Bestätigung Rechtsprechung)

Die Beschwerdeführerin hat als formelle Halterin eines Fahrzeuges mehrere Ordnungsbussen erhalten, obwohl sie mit diesem nicht mehr fährt. Das BGer verdonnert sie dazu, diese zu bezahlen.

E. 2.2: In der Botschaft vom 20. Oktober 2010 zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr (BBl 2010 8447 ff.) wird klargestellt, dass es nicht – wie im Haftpflichtrecht – auf die materielle Eigenschaft des Halters ankommt, sondern auf die formelle der im Fahrzeugausweis eingetragenen Person (BBl 2010 8517; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.4). Bei den Angaben des Halters nach Art. 6 Abs. 4 OBG darf es sich nicht um eine wenig plausible Information handeln. Name und Adresse des Fahrzeugführers müssen vollständig sein. Es müssen genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers gemacht werden, so dass dieser individualisierbar ist (BBl 2010 8487; Urteil 6B_1007/2016 vom 10. Mai 2017 E. 1.5).

Es zählt also, was im Fahrzeugausweis steht und nicht, wer konkret mit dem Auto unterwegs ist.

Mitwirkungspflicht des Halters im OBG bzgl. Lenkerermittlung

BGE 6B_1007/2016: Halterhaftung und Lenkerermittlung nach OBG (gutgeheissene Beschwerde)

Die Beschwerdeführerin, eine Mietwagenfirma, hat ein Fahrzeug an eine in den USA wohnhafte Person vermietet. Diese überschritt die Geschwindigkeit im Ordnungsbussenbereich. Nachdem die Polizei eine Übertretungsanzeige verschickt hat, hat die Beschwerdeführerin die Lenkerangaben gemacht und ebenfalls den Mietvertrag eingeschickt. Nachdem der Lenker aus den USA auf seine Übertretungsanzeige nicht reagierte, forderte die Polizei wiederum die Mietwagenfirma auf, die Busse zu bezahlen. Die kantonalen Instanzen verurteilten die Beschwerdeführerin zur Zahlung der Ordnungsbusse, das BGer heisst die Beschwerde gut.

Grds. geht es i.c. um die Frage der Halterhaftung gemäss Art. 6 OBG.

E. 1.4. zum Halterbegriff: „Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 OBG, wonach die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt wird, wenn nicht bekannt ist, wer eine Widerhandlung begangen hat, ist auf den formellen Halterbegriff abzustellen.“ „Grundsätzlich können Halter eines Motorfahrzeugs sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.“

E. 1.5. zur Mitwirkungspflicht des Halters: „[Die Halter] haben die Möglichkeit, sich zu exkulpieren, nämlich dann, wenn sie glaubhaft darlegen können, dass das Fahrzeug vor Begehung der Widerhandlung gegen ihren Willen benutzt worden ist (zum Beispiel durch Diebstahl oder durch Entwendung zum Gebrauch oder zur Veruntreuung) und sie dies auch mit entsprechender Sorgfalt nicht hätten verhindern können (Botschaft, BBl 2010 8517 f.).“ „Zweifellos darf es sich bei den von einem Halter gemachten Angaben nach Art. 6 Abs. 4 OBG nicht um eine wenig plausible Information handeln. Auch muss Name und Adresse des Fahrzeugführers vollständig sein, d.h. der Halter muss genügend Angaben zur Identität des Fahrzeugführers machen, so dass dieser individualisierbar ist (vgl. Botschaft, BBl 2010 8487).“

Vorliegend hat die Mietwagenfirma nicht nur Name und Adresse des Lenkers genannt, sondern auch den Mietvertrag eingereicht, nach welchem der Mieter die einzige Person war, die berechtigt war, den Mietwagen zu lenken. Damit hat der Halter seine Pflicht getan, die faktische Uneinbringlichkeit der Busse ist Sache der Strafbehörden.