Da der Blog ferienbedingt einige Wochen ruhen musste und das Bundesgericht zwischenzeitlich keine „Blockbuster“ vom Stapel gelassen hat, widmen wir uns einigen SVG-Entscheiden aus den Monaten April und Mai im Rahmen eines Rückblicks, wobei wir die Entscheide auf das Wesentliche reduzieren. Gefeatured sind folgende Urteile:
Urteil 6B_1504/2021: Die Hundeleine als Verkehrshindernis
Urteil 1C_589/2021: Mittelschwere Widerhandlung
Urteil 6B_1235/2021: Fahrrad touchieren im Kreisel
Urteil 6B_1504/2021: Die Hundeleine als Verkehrshindernis
Dieser Entscheid ist insofern interessant, weil es sich um einen nicht ganz alltäglichen Sachverhalt zwischen einer Fussgängerin und einem Fahrrad handelt. Beim Wandern mit ihren zwei Hunden neben einer Strasse, kam der Beschwerdeführerin eine andere Hundehalterin auf der anderen Strassenseite entgegen. Der Hund der Beschwerdeführerin ging über die Strasse und spannte die Hundeleine über die Fahrbahn. Ein Fahrradfahrer fuhr in die Hundeleine, wodurch die Beschwerdeführerin zu Boden geworfen wurde und sich verletzte. Der Fahrradfahrer wurde zunächst wegen fahrlässiger Körperverletzung und pflichtwidrigem Verhalten nach Unfall bestraft. Die kantonalen Instanzen sprachen ihn aber von der fahrlässigen Körperverletzung frei. Dagegen wehrt sich die Beschwerdeführerin, wohl im Hinblick auf ihre Zivilforderungen.
Der Entscheid widmet sich der Frage, ob der Fahrradfahrer aufmerksam war bzw. sein Fahrrad richtig beherrschte, ob er seine Geschwindigkeit den Umständen angepasst habe, ob er genügend Rücksicht gegenüber den Fussgängern genommen habe und letztlich ober damit rechnen musste, dass der Hund der Beschwerdeführerin plötzlich über die Stasse läuft (zum rechtlichen Teil ausführlich E. 3.1).
Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, dass der Fahrradfahrer den Unfäll hätte vermeiden können, wenn er seine Aufmerksamkeit dem Geschehen vor ihm gewidmet hätte. So hätte er denn aus den Umständen auch damit rechnen müssen, dass eine Hundeleine über die Strasse gespannt sein könnte. Die Vorinstanz hingegen war der Meinung, dass der Fahrradfahrer nicht mit einer beinahe unsichtbaren Leine habe rechnen müssen. Eine über die Strasse gespannte Hundeleine liege ausserhalb der Gefahren, welche man vernünftigerweise erwarten müsse. Die Beschwerdeführerin stützt sich u.a. darauf, dass man wissen müsse, dass in einem Schutzgebiet eine Leinenpflicht für Hunde gilt und insofern bei Hunden stets mit einer gespannten Leine rechnen müsse. Das Bundesgericht widerspricht aber dieser Ansicht und stützt die Meinung der Vorinstanz. Nur weil ein Hund eine Strasse überquert, muss nicht generell mit einer gespannten Leine gerechnet werden. Die Beschwerde wird abgewiesen bzw. der Freispruch der Fahrradfahrers bestätigt.
Urteil 1C_589/2021: Mittelschwere Widerhandlung
Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen einmonatigen Ausweisentzug. Er wurde zuvor wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer Busse von CHF 400 bestraft. Gemäss rechtskräftigem Strafbefehl überfuhr der Beschwerdeführer auf der Autobahn die Mittelleitlinie, sodass ein nachfahrendes Patroullienfahrzeug abbremsen musste. Er schwankte mehrmals in der Spur hin und her, wechselte die Fahrspur ohne zu blinken und er blätterte in einem Order auf seinen Knien.
Die Administrativbehörde ist grds. an den Sachverhalt im Strafbefehl gebunden, es sei denn es liegen klare Anhaltspunkte dafür vor, dass die Sachverhaltsfeststellungen des Strafverfahrens unzutreffend sind. Dies war im vorliegenden Fall allerdings nicht der Fall, zumal die Widerhandlungen mit einem Video festgehalten wurden.
Das Bundesgericht bestätigt die Vorinstanzen in der Annahme einer mittelschweren Widerhandlung. Der Beschwerdeführer äusserte sich nicht ausdrücklich zu der von ihm geschaffenen Gefährdung. Er beruft sich auf seine berufliche Massnahmeempfindlichkeit und führt auch aus, dass ihn die Massnahme schlimmer treffe, als eine in der Stadt wohnende Person. Darauf geht das Bundesgericht natürlich nicht ein. Auch kann er sich nicht auf die Motion 17.3520 von Nationalrätin Graf-Litscher berufen, da diese noch gar nicht umgesetzt ist.
Die Gefährdung erfüllt den Tatbestand von Art. 16b SVG.
Aus meiner Sicht dürfte wohl auch das Verschulden als nicht mehr leicht zu qualifizieren sein, wenn der Beschwerdeführer während der Fahrt in einem Ordner blättert.
Urteil 6B_1235/2021: Fahrrad touchieren im Kreisel
Der Beschwerdeführer wehrt sich in diesem Entscheid gegen die Verurteilung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln. Er überholte in einem Kreisel eine Velofahrerin und bog unmittelbar danach ab, sodass die rechte Fahrzeugseite das Vorderrad des Fahrrads touchierte. Die Fahrradfahrerin konnte einen Sturz verhindern, indem sie vom Velo sprang.
Der Beschwerdeführer rügt, dass der Anklagegrundsatz verletzt sei, weil sich der Strafbefehl nicht zum subjektiven Tatbestand äussere. Die Anklageschrift bzw. der Strafbefehl umschreibt die angeklagte Tat. Eine grobe Verkehrsregelverletzung kann auch fahrlässig begangen werden, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegen muss. Handelt der Täter unbewusst fahrlässig, setzt die grobe Verkehrsregelverletzung eine Rücksichtslosigkeit voraus. Die Anklage wegen grober Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG muss eine hinreichende Darstellung des Tatbestandsmerkmals der „ernstlichen Gefahr für die Sicherheit anderer“ enthalten. Ebenso muss klar sein, ob der angeklagten Person Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorgeworfen wird. Wird jemand wegen einer SVG-Widerhandlung angeklagt, ist von einer fahrlässigen Tatbegehung auszugehen, es sei denn die Anklage beinhalte den Vorwurf von Vorsatz. Die Rechtsprechung begründet dies damit, dass die vorsätzliche und fahrlässige Verkehrsregelverletzung gleichermassen strafbar sind. Schildert die Anklage also kein bewusstes Verhalten, ist i.d.R. von einem Fahrlässigkeitsdelikt auszugehen. Die Schilderung des objektiven Tatgeschehens reicht nach der Rechtsprechung für eine Anklage wegen vorsätzlicher Tatbegehung aus, wenn sich daraus Umstände ergeben, aus denen auf einen vorhandenen Vorsatz geschlossen werden kann. Es ist also nicht nötig, dass sich die Anklage bei SVG-Delikten explizit dazu äussert, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorgeworfen wird. Der Anklagegrundsatz wurde insofern nicht verletzt und das Fahrmanöver erfüllt den Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG (zum Ganzen ausführlich E. 3).