Die erste öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichtes hat wieder Vollgas gegeben. In einem kleinen 1. Mai-Rückblick, widmen wir uns drei Urteilen, die wir hier kurz und knackig zusammenfassen. Die Urteile handeln von:
- Urteil 1C_10/2023: Kaskade bei falschen Einträgen im IVZ-Massnahmen
- Urteil 1C_336/2022: Vorsorglicher Führerausweisentzug wegen kognitiven Einschränkungen bei einer Rentnerin
- Urteil 1C_459/2022: Führerausweis-Entzug für immer wegen Unverbesserlichkeit
Urteil 1C_10/2023: Kaskade bei falschen Einträgen im IVZ-Massnahmen
Im Dezember 2012 wurde dem Beschwerdeführer der Führerausweis im Rahmen einer Gesamtmassnahme für fünf Monate entzogen, weil er einerseits einen Verkehrsunfall verursachte und andererseits mit qualifizierter Atemalkoholkonzentration ein Fahrzeug lenkte. Diese Widerhandlung wurde (fälschlicherweise) als mittelschwere Widerhandlung im IVZ-Massnahmen registriert. Im August 2017 wurde die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers für sieben Monate wegen einer schweren Widerhandlung entzogen. Er verursachte einen Verkehrsunfall in angetrunkenem Zustand. Der Vollzug der Massnahme endete im Januar 2018. Im November 2021 beging der Beschwerdeführer eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Rahmen einer schweren Widerhandlung. Darauf ordnete das SAN Kt. VD einen Sicherungsentzug auf unbestimmte Zeit an gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. d SVG. Es ging also davon aus, dass der Beschwerdeführer in den letzten 10 Jahren bereits zwei schwere Widerhandlungen beging. Dieser sieht das anders und verlangt vor Bundesgericht einen Führerausweis-Entzug von 12 Monaten. Der Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit verstosse aus Sicht des Beschwerdeführers gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und gegen das Willkürverbot. Die kantonalen Instanzen anerkannten zwar, dass bei der Qualifikation bzw. dem Eintrag der Vorbelastungen durch das SAN in das IVZ-Massnahmen ein Fehler passierte, indem die erste Widerhandlung vom Dezember 2012 als mittelschwere im Register erfasst wurde, wodurch auch die zweite schwere Widerhandlung vom August 2017 zu milde (mit sieben anstatt mind. zwölf) Monaten sanktioniert wurde. Dieser Fehler könne aber nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer erneut viel zu milde sanktioniert werde (E. 2.2).
Die bereits vollzogenen Sanktionen der Vorbelastungen können aus Sicht des Bundesgerichts nicht mehr widerrufen werden. Art. 14 Abs. 1 IVZV verpflichtet allerdings die zuständige Behörde, Fehler im Informationssystem Verkehrszulassung (IVZ) zu berichtigen, was das SAN auch tat. In der Folge konnte das SAN ohne Rechtsverletzung den Führerausweis-Entzug auf unbestimmte Zeit anordnen (E. 2.4).
Öffentliche Organe handeln nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 BV). Da der Bürger dem staatlichen Handeln grds. vertrauen darf, ist eine Behörde unter Umständen an eine fehlerhafte Entscheidung gebunden. Es geht also um Vertrauensschutz. Im vorliegenden Fall kann sich der Beschwerdeführer aber nicht darauf berufen, dass er fälschlicherweise zu milde sanktioniert wurde, denn aus dem behördlichen Fehler erlitt er keinen Nachteil. Zudem kann er nicht argumentieren, dass er im Wissen um die fehlerhaft sanktionierten Vorbelastungen vorsichtiger autogefahren wäre.
Urteil 1C_336/2022: Vorsorglicher Führerausweisentzug wegen kognitiven Einschränkungen bei einer Rentnerin
Die Beschwerdeführerin hat Jahrgang 1940. Bei der Einfahrt in einen Kreisel übersah sie einen vortrittsberechtigten, da sich bereits im Kreisel befindlichen Wagen, weshalb es zu einer Kollision kam. Das Strassenverkehrsamt des Kt. BE ordnete darauf eine Fahreignungsabklärung der Stufe 3 an. Die medizinische Fachperson kam zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin unter leichten kognitiven Einschränkungen leidet, weshalb nur eine Untersuchung der Stufe 4 sich abschliessend über die Fahreignung äussern könne. Dementsprechend wurde eine Fahreignungsabklärung der Stufe 4 und ein vorsorglicher Führerausweisentzug angeordnet. Die Beschwerdeführerin sieht sich aufgrund ihres Alters als Behördenopfer.
Bestehen Zweifel an der Fahreignung einer Person, muss gemäss Art. 15d SVG eine Fahreignungsabklärung angeordnet werden, z.B. wenn eine ärztliche Fachperson eine Meldung macht, dass jemand nicht mehr sicher Autofahren kann (lit. e). In diesen Fällen muss die ärztliche Fachperson mindestens die Anerkennung der Stufe 3 haben (vgl. Art. 28a Abs. 2 lit. b VZV). Ist das Ergebnis der Untersuchung nicht schlüssig, muss eine zusätzliche Untersuchung durch eine ärztliche Fachperson mit der Stufe 4 erfolgen (Art. 5j Abs. 1 VZV). Vorliegend waren die Untersuchungsergebnisse der Stufe 3, nach welchen die Beschwerdeführerin an leichten kognitiven Einschränkungen leide natürlich Anhaltspunkt genug, um eine Fahreignungsabklärung der Stufe 4 anzuordnen (E. 2.2.2). Auch der vorsorgliche Entzug wurde zu Recht angeordnet, denn dieser wird (wie die meisten hier wissen) grundsätzlich zusammen mit einer Fahreignugsabklärung angeordnet. Im vorliegenden Fall gibt es auch ernsthafte Zweifel an der Fahreignung der Beschwerdeführerin, denn obwohl sie nach eigenen Angaben vor der Einfahrt in den Kreisel Kontrollblicke nach links und rechts gemacht habe, sah sie den Unfallgegner trotzdem nicht und kollidierte mit diesen. Damit liegt kein Ausnahmefall vor, in welchem von einem vorsorglichen Entzug abgewichen werden könnte (E. 2.2.3).
Urteil 1C_459/2022: Führerausweis-Entzug für immer wegen Unverbesserlichkeit
Mit Strafurteil wurde der Beschwerdeführer wegen acht Verkehrsdelikten verurteilt, die aus administrativrechtlicher Sicht alle als schwer, eine davon qualifiziert schwer, qualifiziert wurden. Zudem ist der Beschwerdeführer einschlägig vorbelastet mit Warn- und Sicherungsmassnahmen, wobei auch die charakterliche Fahreignung des Beschwerdeführers mehrmals abgeklärt wurde. Das Strassenverkehrsamt des Kt. AG entzog dem Beschwerdeführer den Führerausweis für immer wegen Unverbesserlichkeit. Der Beschwerdeführer verlangt vor Bundesgericht aber eine Sperrfrist von 30 Monaten und dass die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von einem verkehrspsychologischen Gutachten abhängig gemacht werde.
Der Beschwerdeführer rügt, dass die kantonalen Behörden den Entzug für immer gemäss Art. 16d Abs. 3 lit. a SVG zu Unrecht angewendet haben. Dieser sei bloss eine Verweisungsnorm. Dem Entzug für immer kommt allerdings eigenständige Bedeutung zu und kann in krassen Fällen als Auffangtatbestand und ultima ratio angewendet werden, z.B. wenn jemand zum Ausdruck bringt, auch in Zukunft gegen das SVG verstossen zu wollen oder wenn eine Person mit ihrem Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg ihren Willen zur Verletzung der Verkehrsregeln manifestiert hat. Ein verkehrspsychologisches Gutachten ist nicht nötig (zum Ganzen der Beitrag zu Urteil 1C_739/2021, auf welches das Bundesgericht hier verweist).
Sodann stellt sich die Frage, ob im vorliegenden Fall der Führerausweis-Entzug für immer gemäss Art. 16d Abs. 3 lit. a SVG zu Recht angeordnet wurde bzw. ob der Beschwerdeführer als „unverbesserlich“ gelten kann. Die Frage ist anhand der Vorkommnisse (unter anderem Art und Zahl der begangenen Verkehrsdelikte) und der persönlichen Umstände zu beurteilen; in Zweifelsfällen ist ein verkehrspsychologisches oder psychiatrisches Gutachten anzuordnen. Im vorliegenden Fall fielen in der Vergangenheit bereits zwei verkehrspsychologische Gutachten negativ aus. Trotz vieler Massnahmen änderte der Beschwerdeführer nichts an seinem Verhalten. Im Gegenteil fuhr er trotz definitiv entzogenem Führerausweis wiederholt ein Auto, floh u.a. vor der Polizei und gefährdete andere Verkehrsteilnehmer in krasser Weise. Aus Sicht der Vorinstanz sei das Rückfallrisiko entsprechend als erheblich zu betrachten, weshalb auch die Prognose über sein künftiges Verhalten negativ ausfalle. Dabei durften die kantonalen Behörden die vergangenen (rechtskräftigen) Massnahmen berücksichtigen, auch wenn in den Strafverfahren teilweise Freisprüche (in dubio) ergingen (E. 4.3.2).
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, dass von seinem Verhalten alleine nicht auf ein künftiges Fehlverhalten geschlossen werden könne, womit der Entzug für immer wegen Unverbesserlichkeit nicht angeordnet werden könne. Dem widerspricht aber das Bundesgericht und stützt damit das vorinstanzliche Urteil. Das verkehrsrechtliche Palmares des Beschwerdeführers zeugt von einer Person, die offensichtlich Schwierigkeiten dabei hat, sich an die Verkehrsregeln zu halten und die sich behördlichen Anordnungen bewusst und wiederholt wiedersetzt. Die wiederholten Verstösse zeigen deutlich ein Verhalten auf, das keine Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmende nimmt. Und das, obwohl der Beschwerdeführer als Berufschauffeur eigentlich höheren Anforderungen zu genügen hat. Nichts in seinem Verhalten lässt vernünftigerweise erwarten, dass er sich in Zukunft an die Verkehrsregeln halten wird. Aus diesem Grund durfte vorliegend angenommen werden, dass der Beschwerdeführer offensichtlich nicht über die charakterlichen Eigenschaften für die Teilnahme am Strassenverkehr verfügt. Es war somit auch nicht nötig, zuerst ein verkehrspsychologisches Gutachten einzuholen (E. 4.4).