Konkurrenz zwischen Art. 91 Abs. 2 lit. a und b SVG

BGE 6B_1429/2020: Besoffen und Müde

Der Beschwerdeführer wurde für Fahren in fahrunfähigem Zustand wegen Alkohol (Art. 91 Abs. 2 lit. a SVG) und weiteren Gründen, i.c. Müdigkeit (Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG), mit einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen bestraft. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass die Annahme der Vorinstanz, es läge eine echte Konkurrenz vor und dass er nach beiden litterae zu bestrafen sei, falsch ist. Nach seiner systematischen Auslegung, stelle Art. 91 Abs. 2 SVG ein Straftatbestand dar, womit die Anwendung von Art. 49 StGB und das Fällen einer Gesamtstrafe i.c. falsch sei. Insofern sei auch seine Strafe (nach unten) anzupassen.

Das Bundesgericht musste diese Frage noch nicht beantworten. Es befasst sich in der Folge mit der Lehre, welche die Frage nach der Konkurrenz kontrovers diskutiert. Nach den einen Autoren stelle das Fahren in fahrunfähigem Zustand ein „einheitliches Konzept“ dar, wobei es keine Rolle spiele, ob nur einer oder mehrere Gründe für die Fahrunfähigkeit vorlägen. Andere Autoren sprechen sich dafür aus, dass eine echte Konkurrenz vorläge, u.a. weil sonst der Gesetzgeber die beiden Tatbestände nicht explizit geregelt hätte und die Annahme einer unechten Konkurrenz in gewissen Beispielen auch zu inkonsequenten Lösungen führt (zum Ganzen E. 1.6).

Das BGer befasst sich sodann mit der unechten Konkurrenz, u.a. mit der Spezialität und der Konsumtion. Bei Spezialität findet nur die spezielle Regel Anwendung, z.B. Mord vor vorsätzlicher Tötung. Bei der Konsumtion wird ein Tatbestand vom anderen konsumiert, z.B. die Körperverletzung von der vorsätzlichen Tötung. Nach der grammatischen Auslegung liegt aber bei der Fahrunfähigkeit wegen Alkohol und jener aus anderen Gründen keine unechte Konkurrenz vor. Im Gegenteil, schliessen sich die beiden Tatbestände gegenseitig aus. Auch in historischer Hinsicht wurden die Tatbestände immer separat behandelt. Denn wer unter Alkoholeinfluss autofährt und dann z.B. noch ein Betäubungsmittel oder ein Medikament konsumiert, handelt quasi mit doppelter Delinquenz, auch wenn das Resultat das gleiche ist, nämlich die Fahrunfähigkeit. Aus diesem Grund widerspricht es auch nicht dem Bundesrecht, wenn das Vorliegen mehrerer Gründe für Fahrunfähigkeit strenger bestraft wird, als wenn nur ein Grund vorliegt (E. 1.7).

Daraus folgt, dass zwischen Art. 91 Abs. 2 lit. a und b SVG echte Konkurrenz besteht und damit eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Rasen wie im Game

BGE 6B_698/2017: Neues Raserurteil

Der Beschwerdeführer vollzog ganz in GTA-Manier mehrere haarsträubende Überholmanöver auf der Autobahn, bei welchen er u.a. einem vorfahrenden Fahrzeug über eine Strecke von zwei Kilometern bis auf eine Handbreite, Stossstange an Stossstange folgte. Als ihm die Geduld ausging, fuhr er leicht auf das Auto auf, um die Lenkern zum Wechseln auf den Normalstreifen zu bewegen. Ebenfalls überholt er ein anderes Auto in Rennfahrermanier rechts. Der Beschwerdeführer wehrt sich im Wesentlichen gegen die Schuldsprüche wegen Gefährdung des Lebens und qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 129 StGB: „In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Sie liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt.“ Subjektiv verlangt der Tatbestand direkter Vorsatz.

E. 4.3. Subsumtion: „Der Tatbestand von Art. 129 StGB ist bereits beim eingeräumten ungenügendem Abstand „während lediglich weniger Sekunden“ erfüllt“. Durch das Touchieren des vorfahrenden Fahrzeuges, musste er mit einem folgenschweren Unfall rechnen, vertraute aber darauf, dass dieser nicht eintritt.

E. 5.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 90 Abs. 3 SVG: „Da bereits die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist für die Erfüllung von Art. 90 Abs. 3 SVG die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen. Die Gefahr muss mithin unmittelbar sein.“

E. 5.3. zum Rechtsüberholen: Rechtsüberholen ist im Normalfall eine grobe Verkehrsregelverletzung. „Das zu beurteilende Rechtsüberholen war hochgradig riskant und gefährlich und ist damit als waghalsig einzustufen und nicht vergleichbar mit einem „einfachen“ Rechtsvorbeifahren (erstinstanzliches Urteil S. 29). Der Schuldspruch im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist nicht zu beanstanden.“

E. 5.4./5. Zum Abstand: Der Beschwerdeführer verhielt sich wie im Actionfilm, weshalb auch das Abstandsvergehen unter Art. 90 Abs. 3 SVG zu subsumieren ist.

E. 6ff. Zur Konkurrenz zwischen Art. 129 StGB und Art. 90 Abs. 3 SVG: StGB 129 schützt das Rechtsgut „Leben“, SVG 90 III jenes der „Verkehrssicherheit“, mittelbar allerdings auch das Leben. SVG 90 III ist zwar lex specialis zu StGB 129 und ginge diesem vor, ebenso lässt sich argumentieren, dass das höchstrangige Rechtsgut Leben der Verkehrssicherheit vorgehe. Als abstraktes Gefährdungsdelikt setzt der mittelbare Lebensschutz von SVG 90 III früher ein, als jener des konkreten Gefährdungsdeliktes von StGB 129. Allerdings erfasst StGB 129 wiederum verschuldensmässig weniger schwere und schwerere Straftaten als SVG 90 III in Bezug auf das Strafmass. Ob nun der eine den anderen Tatbestand konsumiere, könne nicht abschliessend beurteilt werden. Da weder Spezialität noch Konsumtion in Frage kommt, liegt ein Fall von „Alternativität“ vor (gemäss Stratenwerth). Das BGer urteilt aber nicht abschliessend, da es nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstossen will.

Wer also seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben will, sollte dies zu Hause mit dem Spielemedium seiner Wahl machen und nicht auf öffentlichen Strassen.