Rückblick auf die letzten Wochen des Werkelns unserer Bundesrichter

Nach einer gewissen Down-Time schauen wir zurück, was beim Bundesgericht in Sachen SVG so los war. Die absoluten Blockbuster waren nicht dabei. Dafür dienen die neuen Urteile gut für eine gemütliche Lektüre am Cheminée…

Urteil 1C_340/2022: Da muss man halt die Schulbank drücken

Dieses Urteil befasst sich exemplarisch mit dem Verkehrsunterricht nach Art. 40 VZV und unter welchen Voraussetzungen dieser angeordnet werden kann. Spoiler: Die Hürden sind tief.

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Die Beschwerdeführerin ist innerorts 16 km/h zu schnell gefahren. Diese leichte Widerhandlung wurde wegen den Vorbelastungen mit einem Führerausweis-Entzug sanktioniert. Zudem wurde die Beschwerdeführerin zum Besuch eines Verkehrsunterrichts verpflichtet.

Zunächst stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, dass es sich bei ihrer Geschwindigkeitsüberschreitung um einen besonders leichten und damit nicht zu bemassnahmenden Fall handelt. Ein besonders leichter Fall liegt allerdings nur vor, wenn Verschulden und Gefährdung besonders leicht sind (E. 3.1). Nach dem in der Rechtsprechung entwickelten Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten, besteht aber bei einer Tempoüberschreitung innerorts um 16 km/h immer die naheliegende Gefahr eines Verkehrsunfalles, z.B. mit Fussgängern (E. 3.3), weshalb von einer leichten Widerhandlung ausgegangen werden muss.

Die Beschwerdeführerin möchte nicht am Verkehrsunterricht teilnehmen. Sie kenne die Verkehrsregeln. Nach ihrer Ansicht sei der pädagogische Wert der Nachschulung fraglich und habe hauptsächlich pönalen Charakter.

Gemäss Art. 40 VZV bezweckt der Verkehrsunterricht, dass die betroffene Person durch gezielte Nachschulung zu korrektem Verhalten im Strassenverkehr angehalten wird (Abs. 2). Vorausgesetzt ist, dass die betroffene Person wiederholt gegen das SVG verstossen hat (Abs. 3). Der Besuch des Verkehrsunterrichts kann alleine oder mit anderen Massnahmen angeordnet werden (Abs. 4).

Eine wiederholte Verkehrsregelübertretung liegt schon dann vor, wenn jemand innert kurzer Zeit zweimal gegen Verkehrsregeln verstossen hat. Ob es sich dabei um dieselben oder verschiedene Regeln handelte, ist unerheblich. Die Massnahme muss verhältnismässig sein, also auch dazu geeignet, dass die betroffene Person künftig nicht mehr gegen Verkehrsregeln verstösst. Die Hürden dazu sind aber tief. Der Besuch des Verkehrsunterrichts ist schon dann gerechtfertigt, wenn aus den Umständen geschlossen werden muss, dass der betroffenen Person der Zweck einzelner Verkehrsvorschriften nicht einsichtig ist und sie sich deswegen der Gefahren nicht bewusst ist, die sie durch deren Übertretung für andere Verkehrsteilnehmende schafft (E. 5.1).

Da die Beschwerdeführerin innert sieben Jahren viermal zu schnell fuhr, durfte daraus geschlossen werden, dass die bisherigen Massnahmen keine erzieherische Wirkung zeigten. Aus diesem Grund ist es vorliegend gerechtfertigt, dass die Beschwerdeführerin am Verkehrsunterricht teilnehmen muss, auch weil sie nur beschränkte Einsicht in ihr Fehlverhalten zeigte. Anders kann z.B. ein Fall beurteilt werden, wenn jemand nach zwei Widerhandlungen bereits Einsicht und Reue zeigt. Dann ist ein Verkehrsunterricht als Massnahme nicht mehr nötig, um die betroffene Person zu verkehrskonformem Verhalten zu erziehen (vgl. dazu Urteil 1C_330/2011 E. 4).


Urteil 6B_723/2023: Ein „Nein“ reicht aus

Dieses Urteil befasst sich damit, ab welcher Handlungs-Intensität eine Atemalkoholprobe als vereitelt gilt.

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Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit. Eine Drittperson meldete der Polizei, dass eine offensichtlich angetrunkene Person mit dem Auto von einer Lokalität nach Hause gefahren ist. Als die Polizei später beim Beschwerdeführer zuhause ankam, stand der Fahrzeug vor seinem Wohnhaus. Als die Polizei dann eine Atemalkoholprobe durchführen wollte, verweigerte der Beschwerdeführer diese mehrmals, indem er dazu „Nein“ sagte.

Den Tatbestand der Vereitelung gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG erfüllt, wer sich vorsätzlich einer Atemalkoholprobe oder einer anderen Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit widersetzt. In dieser Situation muss die Polizei die betroffene Person auf die rechtlichen Folgen der Vereitelung aufmerksam machen (s. Art. 13 SKV). Sich im Sinne von Art. 91a Abs. 1 SVG zu widersetzen, bedeutet, sich so zu verhalten, dass eine angeordnete Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zumindest vorerst nicht vollzogen werden kann. Die Tathandlung des Widersetzens kann in einem aktiven oder passiven Widerstand bzw. einer entsprechenden Verweigerung an der Mitwirkung an oder Duldung der Untersuchungsmassnahme bestehen. Auch passiver Widerstand setzt jedoch ein aktives Störverhalten von einer gewissen Intensität voraus. Unter diesen Voraussetzungen kann ein verbaler Widerstand den Tatbestand erfüllen (E. 2.3.3).

Gemäss dem korrekt festgestellten Sachverhalt lenkte der Beschwerdeführer sein Fahrzeug ca. 10 Minuten vor dem Eintreffen der Polizei, womit ein genügender Bezug zum Strassenverkehr bestand, auch wenn die Polizei den Beschwerdeführer erst zu Hause kontrollierte. Als die Polizei die Atemalkoholprobe durchführen wollte, verweigerte der Beschwerdeführer diese, indem er dazu mehrfach „Nein“ sagte. Seine verbale Weigerung, an der Atemalkoholprobe mitzuwirken, war damit von genügender Intensität, um den Straftatbestand von Art. 91a Abs. 1 SVG zu erfüllen (E. 2.7).

Die Beschwerde wird abgewiesen.


Urteil 1C_628/2022: Haare lügen nicht

In diesem Urteil geht es um die Frage, ob gewisse Ungereimtheiten bei der Auswertung einer Haaranalyse deren Verwertung als Beweis willkürlich macht.

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Nach einem Sicherungsentzug im Jahr 2014 wegen einer Alkohol- und Betäubungsmittelproblematik wurde dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis im Februar 2022 wieder erteilt, unter der Auflage eine Alkohol- und Betäubungsmitteltotalabstinenz einzuhalten. Im Juni 2022 wurde im Rahmen der Auflagenkontrolle eine Haarprobe genommen, welche ergab, dass der Beschwerdeführer Kokain konsumiert habe. Die Fahrerlaubnis wurde daraufhin gemäss Art. 17 Abs. 5 SVG wieder entzogen.

Der Beschwerdeführer bemängelt die Auswertung der Haarprobe als offensichtlich unrichtig. So wurde aufgeführt, dass er das Medikament Concerta einnehme, obwohl er als ADHS-Betroffener Ritalin bekomme. Zudem bemängelt er, dass ihm die Auswertung einerseits eine Alkoholabstinenz attestiere, denn Ethylglucuronid (Stoffwechselprodukt von Alkohol) wurde nicht nachgewiesen. Zugleich ergab aber die Auswertung, dass in seinen Haaren Cocaethylen nachgewiesen wurde, ein Stoffwechselprodukt, dass nur beim kombinierten Konsum von Alkohol und Kokain entsteht. Daraus schliesst er, dass möglicherweise die Haarproben verwechselt wurden.

Motorfahrzeugführer müssen fahrgeeignet sein, d.h. unter anderem frei von Süchten (Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG). Nach einem Sicherungsentzug wegen einer Suchtproblematik wird i.d.R. zum Nachweis der Heilung eine mindestens einjährige Kontrollierte Abstinenz verlangt. Vermag eine Person eine Abstinenzauflage nicht einzuhalten, muss die Fahrerlaubnis ohne weitere (verkehrsmedizinische) Abklärungen wieder entzogen werden (E. 2.2). Gutachterliche Haaranalysen sind ein geeignetes Mittel für Abstinenzkontrollen und für Behörden und Gerichte grds. verbindlich, sofern das Abstützen auf ein offensichtlich unrichtiges Gutachten nicht willkürlich ist (E. 3.2).

Der Beschwerdeführer wies nach, dass er gemäss seinen behandelnden Ärzte nicht mit Concerta therapiert wurde. Die Auswertung der Haaranalyse war in diesem Punkt offensichtlich falsch. Da aber Concerta und Ritalin den gleichen Wirkstoff „Methylphenidat hydrochlorid“ beinhalten und dieser sowieso nicht für die Beurteilung der Fahreignung des Beschwerdeführers hinzugezogen wurde, fiel dieser Umstand nicht ins Gewicht. In Bezug auf das Cocaethylen führt das Bundesgericht aus, dass es sich dabei um einen anderen Metaboliten handelt, wie beim Ethylglucuronid. Generell besteht beim Nachweis von Metaboliten in Haaren eine Messunsicherheit von +/-30%. Es ist insofern möglich, dass der Beschwerdeführer Alkohol getrunken hat, dieser aber nicht mehr nachweisbar ist. Es gelingt dem Beschwerdeführer deshalb nicht nachvollziehbar aufzuzeigen, wie das Ergebnis der Haaranalyse widersprüchlich bzw. unhaltbar sein soll (E. 3.4.2).

Alles in allem durfte die Vorisntanz auf die Haaranalyse abstützen, ohne dabei in Willkür zu verfallen.


Urteil 1C_485/2023: Selbstunfall wegen Doppelsehen ist mittelschwere Widerhandlung

Tja, der Titel sagt es bereits, dieser Entscheid befasst sich damit, ob nach einem Selbstunfall wegen einem Doppelsehens wegen Unterzuckerung noch eine leichte Widerhandlung angenommen werden kann oder eben nicht.

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Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen einmonatigen Führerausweis-Entzug. Im Mai 2022 erlitt er beim Autofahren einen Rückgang seines Blutzuckerspiegels mit einer anschliessenden Sehstörung (Doppelsehen). Seine Fahrt setzte er dennoch fort. In einem Kreisel streifte er sodann den Rand der Mittelinsel. Bei der Ausfahrt aus dem Kreisel kollidierte er mit einem Bienenpfosten, wo sein Fahrzeug stecken blieb.

Vor Bundesgericht verlangt der Beschwerdeführer in Annahme einer leichten Widerhandlung eine Verwarnung. Es erstaunt nicht, dass das Bundesgericht die Meinung der Vorinstanz schützt, dass die Gefährdung bei dieser Sachlage mittelschwer war. Der Beschwerdeführer fuhr mit seinem Auto weiter, obwohl ihm wegen dem Abfall seines Blutzuckerspiegels unwohl war und er Doppelbilder sah. Trotz seines Unwohlseins setzte er seine Fahrt über eine Strecke von mehr als 250m fort und überquerte dabei noch zwei Fussgängerstreifen, obwohl er ohne weiteres hätte parkieren können. Da die Gefährdung mittelschwer war, musste sich die Vorinstanz auch nicht mehr vertieft mit dem Verschulden des Beschwerdeführers auseinandersetzen. Auch wenn dieses leicht gewesen wäre, wäre trotzdem der Auffangtatbestand der mittelschweren Widerhandlung zum Zug gekommen. Auch seine persönlichen Umstände, dass er z.B. seine ältere Partnerin mit dem Auto herumfahren muss, vermag hier nichts zu ändern (E. 2).

Vorsicht Meinung: Der Beschwerdeführer kann sich mit einem Monat Führerausweis-Entzug glücklich schätzen. Wer trotz Unwohlseins und Doppelsehen nicht sofort anhält und weiterfährt, befindet sich in fahrunfähigem Zustand aus medizinischen Gründen. Es ist deshalb erstaunlich, dass der Beschwerdeführer nicht gemäss Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG bestraft wurde. Theoretisch wäre es auch möglich gewesen, dass die Administrativ-Behörde den Sachverhalt rechtlich anders beurteilt hätte. Bei dieser Sachlage wäre die Annahme einer schweren Widerhandlung ebenfalls vertretbar gewesen.

Endspurt zum Jahresende mit spannenden Bundesgerichtsurteilen

Zum Jahresende hat das Bundesgericht noch einmal Vollgas gegeben und einige interessante Urteile zum Strassenverkehrsrecht veröffentlicht. Einige davon dürften die SVG-Cracks hier weniger überraschen. Als Lektüre ist aber insb. Urteil 1C_550/2022 zu empfehlen, da es sich zu einer interessanten Konstellation im Zusammenhang mit der charakterlichen Fahreignung beim Kaskadensicherungsentzug äussert. Viel Spass beim Lesen und gutes (metaphorisches) Rutschen.

Urteil 1C_550/2022: Der Entzug der Spezialkategorien und die Folgen in der Kaskade

Dieses Urteil beantwortet die Frage, ob ein Entzug der Spezialkategorien F, G und M gemäss Art. 33 Abs. 2 VZV ebenfalls mitzuzählen ist, wenn aufgrund der Kaskade ein Kaskadensicherungs-Entzug ansteht.

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Der Beschwerdegegner blickt auf eine reichhaltige SVG-Geschichte zurück:

25. November 2009 – Geschwindigkeitsüberschreitung – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1 Monat
24. Juni 2013 – Geschwindigkeitsüberschreitung – leichte Widerhandlung – Verwarnung
26. Mai 2014 – Auffahrkollision – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1.5 Monate
11. Oktober 2014 – nicht gesicherte Ladung auf Anhänger von Traktor – mittelschwere Widerhandlung – Zusatzmassnahme zur vorgenannten Massnahme, Entzug der Spezialkategorien F, G und M, Kat. B weiterhin fahrberechtigt.
19. Oktober 2019 – Lenken eines nicht betriebssicheren Traktors – mittelschwere Widerhandlung – Kaskadensicherungsentzug gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG.

Die kantonalen Instanzen hoben den Kaskadensicherungsentzug auf. Dagegen führt das Strassenverkehrsamt Beschwerde beim Bundesgericht. Es stellt sich auf den Standpunkt, dass dem Beschwerdegegner gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG der Führerausweis nun zum vierten Mal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen werde, weshalb ein Kaskadensicherungsentzug angeordnet werden muss. Bei diesem besteht sodann die gesetzliche Vermutung der fehlenden charakterlichen Fahreignung gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG. Das Strassenverkehrsamt stützte sich bei seiner Begründung für den Sicherungsentzug auch auf das Urteil 1C_248/2020, gemäss welchem auch Zusatzmassnahmen bei der Anordnung eines Kaskadensicherungsentzugs berücksichtigt werden müssen (E. 4.3).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich zum im Urteil 1C_248/2020 behandelten Sachverhalt aber darin, dass vorliegend bei der mittelschweren Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 nur die Spezialkategorien entzogen wurden.

Ein (Kaskaden)Sicherungsentzug aus charakterlichen Gründen greift schwer in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person ein. Deshalb darf ein Sicherungsentzug nur dann angeordnet werden, wenn aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person klar ist, dass diese auch künftig gegen die Verkehrsregeln verstossen wird. In anderen Worten muss eine Rückfallgefahr bestehen. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG so auszulegen, dass die Vorbelastungen nur zu einem Kaskadensicherungsentzug führen können, wenn sie mit einer Hauptkategorie, also z.B. Kat. A oder B, begangen wurden. Denn nur dann kommt der Warnmassnahme „generelle Wirkung“ zu, indem der erzieherische Warnentzug gemäss Art. 33 Abs. 1 VZV über sämtliche Kategorien erfolgt. Im vorliegenden Fall betraf der Warnentzug bzgl. der Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 aber nur die Spezialkategorien F, G und M. Weil dabei die Kat. B nicht entzogen wurde, hatte die Massnahme keine „generelle Wirkung“ bzw. nur eine sehr eingeschränkte erzieherische Wirkung, weshalb sie bei der Prüfung eines Kaskadensicherungsentzugs gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG nicht berücksichtigt werden darf.

Die Beschwerde des Strassenverkehrsamtes wird deshalb abgewiesen.

Vorsicht Meinung: Dieser Entscheid ist nur schwierig nachvollziehbar. Denn einerseits stellt sich die Frage, wie diese Rechtsprechung handzuhaben ist, wenn jemand nur im Besitz von Spezialkategorien ist, denn dort hätte ein Warnentzug wiederum „generelle Wirkung“. D.h. theoretisch wäre es möglich, dass eine Person, die nur Spezialkategorien hat, anders behandelt würde, als jene, die noch über Hauptkategorien verfügt. Zudem können Widerhandlungen mit einem landwirtschaftlichen Fahrzeug der Kat. G weitaus gefährlicher sein, als solche mit einem Fahrzeug der Kat. B. Im vorliegenden Fall hat die betroffene Person ohne weiteres bewiesen, dass sie nicht gewillt ist, die Verkehrsregeln einzuhalten. Eine sichernde Massnahme wäre angebracht gewesen.


Urteil 6B_500/2023: Zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit

Dieses Urteil befasst sich mit der Abgrenzung zwischen (eventual)vorsätzlicher und (bewusst) fahrlässiger Tötung nach einem Strassenverkehrsdelikt.

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Der Beschwerdegegner fuhr im September 2021 ausserorts hinter einem anderen Auto her. Als dieses wegen zwei Fussgängern auf der rechten Strassenseite und einem entgegenkommenden Lieferwagen seine Fahrt verlangsamte, setzte der Beschwerdegegner zum Überholen an. Beim Überholmanöver gab es zunächst eine Streifkollision zwischen dem Beschwerdegegner und dem Lieferwagen. Als der Beschwerdegegner wieder auf die rechte Fahrbahn einbog, kollidierte er frontal mit den beiden Fussgängern. Eine Person starb an den Verletzungen. Im kantonalen Verfahren wurde der Beschwerdegegner u.a. wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung, der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung und Fahren in fahrunfähigem Zustand verurteilt. Dagegen erhebt die Staatsanwaltschaft Beschwerde. Der Beschwerdegegner sei wegen (versuchter) eventualvorsätzlicher Tötung schuldig zu sprechen.

Bei krassen Verkehrsunfällen kann die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und der bewussten Fahrlässigkeit schwierig sein. Eventualvorsätzlich handelt, wer mit dem Eintritt eines Taterfolges – also hier dem Tod eines Menschen – rechnet, aber dennoch handelt, weil man den Taterfolg in Kauf nimmt bzw. sich damit abfindet. Die bewusst fahrlässig handelnde Person rechnet zwar auch mit dem Eintritt des Taterfolgs, vertraut aber in pflichtwidriger Weise darauf, dass der Erfolg nicht eintritt. Ohne Geständnis der beschuldigten Person, muss der Richter anhand der Einzelfallumstände entscheiden, ob der Täter oder die Täterin den Taterfolg billigte. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Der Richter darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (E. 2.3.2). Bei Strassenverkehrsdelikten darf eine eventualvorsätzliche Tatbegehung aber nicht leichthin angenommen werden. Nur in krassen Fällen darf davon ausgegangen werden, dass sich der Täter oder die Täterin gegen das geschützte Rechtsgut von Leib und Leben entschieden hat (zum Ganzen E. 2.3.5).

Im vorliegenden Fall fuhr der Beschwerdegegner in fahrunfähigem Zustand (Art. 31 Abs. 2 SVG) und überholte ein anderes Fahrzeug in waghalsiger Art und Weise (Art. 35 Abs. 3 i.V.m. Art. 90 Abs. 3 SVG). Da er aber zu Beginn des Überholmanövers die Fussgänger auf der Fahrbahn noch nicht erblickte, konnte er nicht vorhersehen, dass sich ein Unfall mit Todesfolge ergeben könnte. Deshalb konnte vorliegend nicht darauf geschlossen werden, dass er erkennen musste, dass ein Unfall mit Todesfolge droht. Insofern kann dem Beschwerdegegner auch nicht angelastet werden, dass er mit dem krassen Überholmanöver den Tod der Fussgänger in Kauf nahm.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird in diesem Punkt abgewiesen.


Urteil 6B_85/2023: Ein Ausweichemanöver als grobe Verkehrsregelverletzung

Wenn man zuwenig Abstand einhält aufgrund eines verkehrsbedingten Anhaltens des vorfahrenden Autos ausweichen muss und einen Unfall verursacht, liegt eine grobe Verkehrsregelverletzung vor.

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Der Beschwerdeführer fuhr nachmittags einem anderen Auto nach. Dieses musste anhalten, um dem Gegenverkehr das Kreuzen zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, wich nach rechts auf eine Wiese aus, touchierte leicht das Heck des vorfahrenden Fahrzeuges, fuhr durch einen Holzzaun in einen Graben und kam schliesslich bei einer Scheune zum Stillstand.

Die kantonalen Instanzen verurteilten ihn wegen grober Verkehrsregelverletzung. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht das hier eine einfache Verkehrsregelverletzung vorliegt. Die sich in diesem Fall stellende Frage ist, ob sich der Beschwerdeführer rücksichtslos verhalten hat und damit den subjektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung erfüllte. Rücksichtslos i.S.v. Art. 90 Abs. 2 SVG handelt der Täter auch, wenn er sich grobfahrlässig verhält. Dies ist auch bei unbewusst fahrlässigem Verhalten möglich. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen. Je schwerer die Unfallfolgen, desto eher kann auch von Rücksichtslosigkeit ausgegangen werden, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen. Allerdings muss die Annahme restriktiv erfolgen und nicht jede Unaufmerksamkeit wiegt automatisch auch schwer (zum Ganzen ausführlich E. 1.2.1).

Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer nicht aufmerksam (Art. 31 Abs. 1 SVG) und hielt zuwenig Abstand ein zum vorfahrenden Fahrzeug (Art. 34 Abs. 4 SVG). Als Fahrzeuglenker muss man grds. immer genug Abstand haben, sodass man auch rechtzeitig anhalten kann, wenn das vorfahrende Auto eine Notbremsung einleitet (zu diesen beiden Verkehrsregeln ausführlich E. 1.2.2). Bei beiden Regeln handelt es sich um wichtige Regeln. Der Beschwerdeführer wandte seinen Blick seiner Beifahrerin zu und achtete nicht auf die Strasse, obwohl diese relativ schmal war, wegen Blütenstaub rutschig und auch noch Velofahrer unterwegs waren. Unter diesen Umständen liegt entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers keine „normale“ Auffahrkollision vor, die als einfache Verkehrsregelverletzung hätte bestraft werden können. Die durch den Beschwerdeführer geschaffene Gefahr erfüllte ohne weiteres den objektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG. Da es im vorliegenden Fall keine besonderen Gegenindizien gab, durfte die Vorinstanz von der objektiv groben Verkehrsregelverletzung auf ein grobfahrlässiges Handeln des Beschwerdeführers schliessen.


Urteil 1C_168/2022: Unfall im Kreisel – Qualifikation der Widerhandlung

Wenn man die Kreiselvorfahrt missachtet und einen Verkehrsunfall verursacht, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor.

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Die Beschwerdeführerin wurde mit einer Busse von CHF 300.00 bestraft, weil sie beim Einfahren in einen Kreisel einen Velofahrer übersah und mit diesem kollidierte. Daraufhin wurde ihr der Führerausweis wegen einer mittelschweren Widerhandlung für einen Monat entzogen. Damit ist sie aber nicht einverstanden und verlangt als Massnahme eine Verwarnung. Aus ihrer Sicht habe man zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nur Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Ebenfalls habe man das Fahrverhalten des Unfallgegners nicht mitberücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin muss sich anlasten lassen, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nicht aufmerksam war (Art. 31 Abs. 1 SVG). Dadurch missachtete sie den Vortritt des sich im Kreisel befindlichen Fahrradfahrers (Art. 41b VRV). Damit diese Verkehrsregelverletzung noch mit einer Verwarnung sanktioniert werden könnte, müsste durch das Verhalten der Beschwerdeführerin lediglich eine geringe Gefahr entstanden sein und ihr Verschulden leicht sein (E. 3.1.2.).

An den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt ist die Verwaltungsbehörde grds. gebunden, in der rechtlichen Würdigung einer Verkehrsregelverletzung ist sie hingegen frei (E. 3.2). Aus diesem Grund kann sich die Beschwerdeführerin nicht darauf stützen, dass sie im Strafverfahren wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer milden Busse von CHF 300.00 bestraft wurde. Massgeblich für die Administrativmassnahme ist die Gefährdung sowie das Verschulden. Auch wenn die Beschwerdeführerin langsam in den Kreisel gefahren sein sollte, war die von ihr geschaffene und konkrete Gefahr nicht mehr leicht. Der Velofahrer stürzte wegen den Kollision und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Da damit die Voraussetzungen der leichten Widerhandlung nicht erfüllt sind, kommt der Auffangtatbestand der mittelschweren Widerhandlung zum Zug. Auf das Verschulden wird im Entscheid nicht eingegangen.

Unsachgemäss gekoppelter Anhänger gibt Führerausweis-Entzug

Urteil 1C_610/2022: Die Krux mit dem Sicherungsseil

Dieses Urteil befasst sich mit der Gefahr, die von einem unsachgemäss montierten Anhänger-Sicherungsseil ausgeht und welche Massnahme in diesem Fall droht.

Der Beschwerdeführer wehrt sich in diesem Fall gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung bzw. einen viermonatigen Entzug des Führerausweises. Er fuhr mit einem Personenwagen mit einem Anhänger an eine Kreuzung, an welcher er verkehrsbedingt anhalten musste. Als er wieder losfuhr, riss die ganze Kupplungsvorrichtung vom Zugfahrzeug. Der Anhänger rollte danach über ein Trottoir und kam in einer Hauswand zum Stillstand. Im Strafverfahren wurde davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer den Anhänger korrekt angekuppelt hatte, weshalb ihm diesbzgl. kein Vorwurf gemacht wurde. Vorgeworfen wurde ihm aber, dass er das Sicherungsseil des Anhängers nur um die Kupplung legte und nicht vorschriftsgemäss am Zugfahrzeug befestigte. Der Beschwerdeführer war aber der Meinung, dass er gar kein Sicherungsseil benötigte, weil sein Anhänger über eine Auflaufbremse verfügte und der Anhänger über 1.5 Tonnen wog. Der Streit dreht sich also darum, ob das Sicherungsseil des Anhängers korrekt angebracht bzw. überhaupt nötig war.

In den Verkehr gebrachte Fahrzeuge müssen betriebssicher sein (Art. 29 SVG). Anhänger dürfen nur verwendet werden, wenn u.a. die Anhängevorrichtung betriebssicher ist (Art. 30 Abs. 3 SVG). Vor der Wegfahrt muss man prüfen, ob ein Anhänger zuverlässig angekuppelt ist (Art. 70 Abs. 1 VRV). In der VTS wiederum ist in Art. 189 geregelt, welche Anforderungen an Anhänger gestellt werden. Löst sich ein Anhänger unbeabsichtigt vom Zugfahrzeug, muss die Bremse selbstständig wirken. Davon ausgenommen sind Anhänger unter 1.5 Tonnen (Abs. 4). Solche Anhänger müssen aber mit einer Sicherheitsverbindung zum Zugfahrzeug gesichert werden (Abs. 5).

Der Anhänger des Beschwerdeführers war zwar über 1.5 Tonnen schwer, hatte aber nur eine Auflaufbremse. Diese wirkt nur im Zusammenhang mit einem Bremsmanöver des Zugfahrzeuges. Abgekoppelt wirkt sie nicht. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz sowie einem Merkblatt des TCS zum korrekten Kuppeln von Anhängern stellt das Bundesgericht fest, dass ein Anhänger mit Auflaufbremse stets mit einem Sicherungsseil direkt mit dem Zugfahrzeug verbunden werden muss. Nur so kann verhindert werden, dass ein während der Fahrt abgekoppelter Anhänger unkontrolliert weiterrollt (E. 4.).

Der Beschwerdeführer war sodann der Ansicht, dass das falsche Anbringen des Sicherungsseils eine besonders leichte eventualiter eine leichte Widerhandlung sei. Er begründet dies damit, dass er höchstens im Schritttempo gefahren sei, dass sich das falsche Anbringen des Sicherungsseils in keinster Weise auf den Unfall auswirkte und dass seine ganze Anhängerkupplung schon nach einigen Metern nach dem Verlassen des Privatgrundstücks komplett weggebrochen sei. Dem widerspricht das Bundesgericht. Das unkorrekte Anbringen eines Sicherungsseils birgt in sich bereits eine erhöht abstrakte Gefährdung z.B. für Fussgänger oder Velofahrer. Das Mass der geschaffenen Gefährdung hängt dabei nicht von der Länge der Fahrtstrecke ab, auch wenn die Gefährdung tendenziell zunimmt, je länger man mit unkorrekt angebrachten Sicherungsseil fährt. Vorliegend ging die Vorinstanz zu Recht von einer erhöhten Gefahr gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG aus.

Fazit: Lieber einmal mehr bücken und das Sicherungsseil korrekt am Zugfahrzeug befestigen.

Auffahrkollision ist eine mittelschwere Widerhandlung

Urteil 1C_741/2021: Lieber leicht, als mittelschwer…

In letzter Zeit häufen sich die Entscheide, in welchen betroffene Personen im Administrativverfahren auf eine leichte Widerhandlung plädieren. Das ist auch verständlich, denn die Kaskade bei leichten Widerhandlungen ist wesentlich milder, als bei mittelschweren, sofern die charakterliche Fahreignung nicht generell in Zweifel gezogen werden muss. So wehrt sich die Betroffene auch im vorliegenden Fall gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung, welche zu einem Kaskadensicherungsentzug führte.

Die Beschwerdeführerin kollidierte wegen mangelnder Aufmerksamkeit mit einem vorfahrenden Fahrzeug, welches vor einem Fussgängerstreifen anhielt. Beide Insassen des vorfahrenden Autos wurden verletzt. Wegen einfacher Verkehrsregelverletzung erhielt die Beschwerdeführerin wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln eine Busse von CHF 300.

Nach der Grundregel von Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ein ausreichender Abstand zu wahren, u.a. auch beim Hintereinanderfahren. Die nachfahrende Person muss grds. auch bei überraschendem Abbremsen des vorderen Fahrzeuges rechtzeitig anhalten können (E. 2.1). Eine mittelschwere Widerhandlung liegt immer dann vor, wenn weder die privilegierenden Voraussetzungen der leichten, noch die qualifizierenden Voraussetzungen der schweren Widerhandlung erfüllt sind (E. 2.3).

Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass ihr Verschulden leicht gewesen sei, weil sie mit einer Busse von lediglich CHF 300 bestraft wurde. Aus ihrer Sicht sei auch die Gefährung gering gewesen, weil der Unfall durch eine Verkettung unglücklicher Umstände eingetreten ist. Aus ihrer Sicht, habe sie genügend Abstand gehabt, aber das Fahrzeug sei trotz blockierter Räder „nach vorne gerutscht“ (E. 3).

Das Bundesgericht sieht das anders. Die Beschwerdeführerin hat eine Auffahrkollision mit Sach- und Personenschaden verursacht, womit sie eine konkrete Gefahr geschaffen hat. Bereits ab einer Kollisionsgeschwindigkeit von 10km/h besteht die Gefahr von einem Schleudertrauma (sog. Harmlosigkeitsgrenze). Zudem bestand auch eine erhöht abstrakte Gefährdung für die Person, die sich auf dem Fussgängerstreifen befand. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin habe die Vorinstanz zudem den Sachverhalt willkürlich festgestellt. Die Vorinstanz begründete die konkrete Gefährdung mit dem Schleudertrauma des Lenkers des vorfahrenden Autos. Das Schleudertrauma wurde aber im Strafbefehl nicht erwähnt. Die Beschwerdeführerin ist aber der Ansicht, dass die Administrativbehörde an den Sachverhalt im Strafbefehl gebunden sei. Letztlich ist diese Argumentationskette irrelevant, denn für die Anordnung von Massnahmen gemäss Art. 16ff. SVG reicht bereits eine erhöht abstrakte Gefährdung. Konkrete Folgen einer Verkehrsregelverletzung, z.B. ein Unfall, müssen nicht eintreten.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Es ist mir bewusst, dass für die meisten der eingeschworenen Leserschaft dieses Urteil nichts Neues ist. Ich finde es aber trotzdem immer wieder interessant, mit welchen Argumenten betroffene Personen versuchen, ihrem rechtlichen Schicksal zu entfliehen.

Rückblick April und Mai 2022

Da der Blog ferienbedingt einige Wochen ruhen musste und das Bundesgericht zwischenzeitlich keine „Blockbuster“ vom Stapel gelassen hat, widmen wir uns einigen SVG-Entscheiden aus den Monaten April und Mai im Rahmen eines Rückblicks, wobei wir die Entscheide auf das Wesentliche reduzieren. Gefeatured sind folgende Urteile:

Urteil 6B_1504/2021: Die Hundeleine als Verkehrshindernis
Urteil 1C_589/2021: Mittelschwere Widerhandlung
Urteil 6B_1235/2021: Fahrrad touchieren im Kreisel

Urteil 6B_1504/2021: Die Hundeleine als Verkehrshindernis

Dieser Entscheid ist insofern interessant, weil es sich um einen nicht ganz alltäglichen Sachverhalt zwischen einer Fussgängerin und einem Fahrrad handelt. Beim Wandern mit ihren zwei Hunden neben einer Strasse, kam der Beschwerdeführerin eine andere Hundehalterin auf der anderen Strassenseite entgegen. Der Hund der Beschwerdeführerin ging über die Strasse und spannte die Hundeleine über die Fahrbahn. Ein Fahrradfahrer fuhr in die Hundeleine, wodurch die Beschwerdeführerin zu Boden geworfen wurde und sich verletzte. Der Fahrradfahrer wurde zunächst wegen fahrlässiger Körperverletzung und pflichtwidrigem Verhalten nach Unfall bestraft. Die kantonalen Instanzen sprachen ihn aber von der fahrlässigen Körperverletzung frei. Dagegen wehrt sich die Beschwerdeführerin, wohl im Hinblick auf ihre Zivilforderungen.

Der Entscheid widmet sich der Frage, ob der Fahrradfahrer aufmerksam war bzw. sein Fahrrad richtig beherrschte, ob er seine Geschwindigkeit den Umständen angepasst habe, ob er genügend Rücksicht gegenüber den Fussgängern genommen habe und letztlich ober damit rechnen musste, dass der Hund der Beschwerdeführerin plötzlich über die Stasse läuft (zum rechtlichen Teil ausführlich E. 3.1).

Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, dass der Fahrradfahrer den Unfäll hätte vermeiden können, wenn er seine Aufmerksamkeit dem Geschehen vor ihm gewidmet hätte. So hätte er denn aus den Umständen auch damit rechnen müssen, dass eine Hundeleine über die Strasse gespannt sein könnte. Die Vorinstanz hingegen war der Meinung, dass der Fahrradfahrer nicht mit einer beinahe unsichtbaren Leine habe rechnen müssen. Eine über die Strasse gespannte Hundeleine liege ausserhalb der Gefahren, welche man vernünftigerweise erwarten müsse. Die Beschwerdeführerin stützt sich u.a. darauf, dass man wissen müsse, dass in einem Schutzgebiet eine Leinenpflicht für Hunde gilt und insofern bei Hunden stets mit einer gespannten Leine rechnen müsse. Das Bundesgericht widerspricht aber dieser Ansicht und stützt die Meinung der Vorinstanz. Nur weil ein Hund eine Strasse überquert, muss nicht generell mit einer gespannten Leine gerechnet werden. Die Beschwerde wird abgewiesen bzw. der Freispruch der Fahrradfahrers bestätigt.

Urteil 1C_589/2021: Mittelschwere Widerhandlung

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen einmonatigen Ausweisentzug. Er wurde zuvor wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer Busse von CHF 400 bestraft. Gemäss rechtskräftigem Strafbefehl überfuhr der Beschwerdeführer auf der Autobahn die Mittelleitlinie, sodass ein nachfahrendes Patroullienfahrzeug abbremsen musste. Er schwankte mehrmals in der Spur hin und her, wechselte die Fahrspur ohne zu blinken und er blätterte in einem Order auf seinen Knien.

Die Administrativbehörde ist grds. an den Sachverhalt im Strafbefehl gebunden, es sei denn es liegen klare Anhaltspunkte dafür vor, dass die Sachverhaltsfeststellungen des Strafverfahrens unzutreffend sind. Dies war im vorliegenden Fall allerdings nicht der Fall, zumal die Widerhandlungen mit einem Video festgehalten wurden.

Das Bundesgericht bestätigt die Vorinstanzen in der Annahme einer mittelschweren Widerhandlung. Der Beschwerdeführer äusserte sich nicht ausdrücklich zu der von ihm geschaffenen Gefährdung. Er beruft sich auf seine berufliche Massnahmeempfindlichkeit und führt auch aus, dass ihn die Massnahme schlimmer treffe, als eine in der Stadt wohnende Person. Darauf geht das Bundesgericht natürlich nicht ein. Auch kann er sich nicht auf die Motion 17.3520 von Nationalrätin Graf-Litscher berufen, da diese noch gar nicht umgesetzt ist.

Die Gefährdung erfüllt den Tatbestand von Art. 16b SVG.

Aus meiner Sicht dürfte wohl auch das Verschulden als nicht mehr leicht zu qualifizieren sein, wenn der Beschwerdeführer während der Fahrt in einem Ordner blättert.

Urteil 6B_1235/2021: Fahrrad touchieren im Kreisel

Der Beschwerdeführer wehrt sich in diesem Entscheid gegen die Verurteilung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln. Er überholte in einem Kreisel eine Velofahrerin und bog unmittelbar danach ab, sodass die rechte Fahrzeugseite das Vorderrad des Fahrrads touchierte. Die Fahrradfahrerin konnte einen Sturz verhindern, indem sie vom Velo sprang.

Der Beschwerdeführer rügt, dass der Anklagegrundsatz verletzt sei, weil sich der Strafbefehl nicht zum subjektiven Tatbestand äussere. Die Anklageschrift bzw. der Strafbefehl umschreibt die angeklagte Tat. Eine grobe Verkehrsregelverletzung kann auch fahrlässig begangen werden, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegen muss. Handelt der Täter unbewusst fahrlässig, setzt die grobe Verkehrsregelverletzung eine Rücksichtslosigkeit voraus. Die Anklage wegen grober Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG muss eine hinreichende Darstellung des Tatbestandsmerkmals der „ernstlichen Gefahr für die Sicherheit anderer“ enthalten. Ebenso muss klar sein, ob der angeklagten Person Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorgeworfen wird. Wird jemand wegen einer SVG-Widerhandlung angeklagt, ist von einer fahrlässigen Tatbegehung auszugehen, es sei denn die Anklage beinhalte den Vorwurf von Vorsatz. Die Rechtsprechung begründet dies damit, dass die vorsätzliche und fahrlässige Verkehrsregelverletzung gleichermassen strafbar sind. Schildert die Anklage also kein bewusstes Verhalten, ist i.d.R. von einem Fahrlässigkeitsdelikt auszugehen. Die Schilderung des objektiven Tatgeschehens reicht nach der Rechtsprechung für eine Anklage wegen vorsätzlicher Tatbegehung aus, wenn sich daraus Umstände ergeben, aus denen auf einen vorhandenen Vorsatz geschlossen werden kann. Es ist also nicht nötig, dass sich die Anklage bei SVG-Delikten explizit dazu äussert, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorgeworfen wird. Der Anklagegrundsatz wurde insofern nicht verletzt und das Fahrmanöver erfüllt den Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG (zum Ganzen ausführlich E. 3).

Unterfahrschutz beim LKW

BGE 1C_311/2021: Vergessener Unterfahrschutz

Dieser Entscheid ist insb. für LKW-Fahrer relevant, denn der Entscheid befasst sich mit der Gefahr, die von einem nicht ausgefahrenen Unterfahrschutz ausgeht.

Der Beschwerdeführer fuhr einen LKW mit einem Abrollcontainer und wurde von der Polizei kontrolliert. Diese stellte fest, dass der Unterfahrschutz nicht ausgefahren war. Die Distanz vom hinteren Ende des Containers zum Unterfahrschutz betrug damit 115cm und nicht wie vorgeschrieben 40cm. Der Beschwerdeführer wurde mit einer Busse von CHF 100 bestraft. Das Strassenverkehrsamt Kt. BE ordnete darauf einen Führerscheinentzug von einem Monat an.

Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (E. 2) sowie eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts (E. 3). Auf beide Vorbringen geht das Bundesgericht nicht ein. Wohl aufgrund der tiefen Busse von CHF 100 hält es sodann fest, dass sich die straf- und verwaltungsrechtliche Beurteilung der Schwere einer Widerhandlung im Strassenverkehr nicht undbedingt decken muss. Die Administrativmassnahme hat präventiven Charakter, welche die Verkehrssicherheit fördern soll.

Der Beschwerdeführer stellt sich sodann auf den Standpunkt, dass keine Massnahme bzw. nur eine Verwarnung auszusprechen sei, da sein Fehlverhalten nicht gefährlich war. Das Bundesgericht prüft also, ob zu Recht eine mittelschwere Widerhandlung angenommen und ein einmonatiger Führerscheinentzug angeordnet wurde.

Die mittelschwere Widerhandlung ist ein Auffangtatbestand, der vorliegt, wenn weder eine leichte, noch eine schwere Widerhandlung angenommen werden können (zum Ganzen E. 4.2). Die mittelschwere Widerhandlung wird strafrechtliche von der einfachen Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG erfasst.

Der Beschwerdeführer wurde strafrechtlich nach Art. 96 Abs. 1 SVG mit einer Busse bestraft, weil er eine Auflage im Fahrzeugausweis missachtet hat. Er rügt, dass im angefochtenen Entscheid der Rekurskommission Kt. BE auf Art. 90 SVG verwiesen wird. Dabei verkennt er allerdings, dass administrative Massnahmen nicht nur bei strafbaren Verkehrsregelverstössen nach Art. 90 SVG angeordnet werden können, sondern auch bei sonstigen Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften. Es spielt insofern keine Rolle, ob strafrechtlich eine Veurteilung nach Art. 90 SVG oder Art. 96 SVG erfolgte, denn das Strafmass ist sowieso identisch.

Die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG setzt keine konkrete Gefahrensituation voraus; ein abstraktes Risiko genügt. Eine mittelschwere abstrakte Gefährdung liegt namentlich vor, wenn eine Gefährdungssituation nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung mit mittelgrosser Verletzungswahrscheinlichkeit eintritt.

Unbestritten war, dass ein nicht ausgefahrener Unterfahrschutz ein Risiko für die übrigen Verkehrsteilnehmer darstellt. Der Beschwerdeführer erachtete die Gefährdung allerdings als klein, da er nur kurz unterwegs gewesen sei und wenig Verkehr geherrscht habe. Auch wenn das Risiko mit einer längeren Fahrt zunimmt, kommt es darauf bei der Beurteilung der Gefahr nicht an, denn schon das Einbiegen in eine vortrittsberechtigte Strasse kann bei einer Vortrittsmissachtung ein erhebliches Risiko für ein vortrittsberechtigtes Fahrzeug bergen, wenn dieses mit dem Heck des LKW bzw. des Containers kollidiert. In einem solchen Fall hätte ein Fahrzeug bei einer Kollision bis zu 115cm unter den Container dringen können. Dabei muss mit lebensbedrohlichen Kopfverletzungen gerechnet werden. Damit ging die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass die erhöht abstrakte Gefahr nicht mehr gering war. Das Bundesgericht beurteilt sodann auch das Verschulden des Beschwerdeführers als nicht mehr leicht. Da damit die privilegierenden Voraussetzungen der leichten Widerhandlung nicht erfüllt sind, ist die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung korrekt.

Einfach als Beispiel
Bildnummer: 59452294 Datum: 27.03.2013 Copyright: imago/GlobalImagens Braga, 27/03/2013 – An accident involving five vehicles, this morning, in the tunnel of Avenida Antonio Macedo, caused one dead and four wounded.

Motorradfahrer aufgepasst

Das Bundesgericht hat einen interessanten Entscheid gefällt, in welchem es die Rechtsprechung zum Motorradfahren nuanciert.

BGE 1C_184/2020: Gefahr für den Sozius beim Motorradfahren

Der Beschwerdeführer verunfallte auf dem Sustenpass mit seinem Motorrad. Das Hinterrad rutschte ihm wohl beim Beschleunigen weg, woraufhin er und seine Sozia zu Boden stürzten und das Motorrad in ein entgegenkommendes Auto schlitterte. Er wurde wegen einfacher Verkehrsregelverletzung gebüsst. Das Strassenverkehrsamt Kt. ZH geht von einer mittelschweren Widerhandlung aus und verfügt einen (Kaskaden)Entzug von vier Monaten. Der Beschwerdeführer ist aber der Meinung, dass nur eine Verwarnung verfügt werden soll und beruft sich dabei hauptsächlich auf BGE 1C_382/2011. Im dort behandelten Sachverhalt stürzte ebenfalls ein Motorradfahrer, dessen Motorrad in ein Auto schlitterte. Das BGer hiess damals die Beschwerde gut und ging von einer Verwarnung aus.

Exemplarisch setzt sich das BGer zunächst mit der mittelschweren Widerhandlung im Administrativrecht auseinander sowie mit der Bindungswirkung zwischen Straf- und Verwaltungsverfahren (E. 3).

Im alten Entscheid musste der alleinfahrende Motorradfahrer einem Fuchs ausweichen, weshalb seine Schuld klein war. Ebenso wurden die Insassen des Autos nicht wirklich gefährdet. Die Gefahr war gering, eine Verwarnung angezeigt. In diesem Fall aber war der Beschwerdeführer mit einer Sozia unterwegs. Das BGer stützt dabei die Meinung der Vorinstanz, dass die konkrete Gefährdung der Beifahrerin berücksichtigt werden muss. Eine strengere Beurteilung von Motorradfahrern mit Sozii ist gemäss BGer sogar angezeigt, hat der Motorradlenker doch die Verantwortung für das Wohlergehen der Person auf dem Rücksitz. Die Beschwerde wird abgewiesen (E. 4).

Das BGer nuanciert also die Rechtsprechung bei Motorradfahrern. Ist er oder sie alleine unterwegs, kann es schon mal auch eine Verwarnung geben. Mit einem Sozius oder einer Sozia hingegen dürfte die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung regelmässig korrekt sein.

Eitelkeit vor Fahrerlaubnis

BGE 1C_564/2019: Führerscheinentzug wegen Haarekämmen

Der Sachverhalt ist zu kurios, als dass er dem Blog vorenthalten werden sollte, auch wenn er nichts Umwerfendes aus rechtlicher Sicht bietet:

Der Beschwerdeführer kämmte sich auf der Autobahn bei 120km/h mit den Händen die Haare und schaute dabei zeitweise in den Rückspiegel. Dabei fuhr er während etwa 53 Sekunden auch Schlangenlinien. Er wurde mit CHF 300.00 gebüsst wegen einfacher Verkehrsregelverletzung, woraufhin das Verkehrsamt SZ den Führerschein wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzog. Der Beschwerdeführer verlangt die Annahme eines besonders leichten Falles oder eventuell eine Verwarnung.

In E. 2 ergiesst sich das BGer zunächst exemplarisch zur allerseits bekannten Definition der mittelschweren Widerhandlung und in E. 3 zur Bindung des Verkehrsamtes an den Sachverhalt.

Sodann kommt es zum Kernpunkt des Entscheid: Kann einem wegen Haarekämmen der Führerschein entzogen werden. Grds. müssen Autofahrer ihre Aufmerksamkeit der Strasse widmen und dürfen keine Verrichtungen vornehmen, welche die Bedienung des Fahrzeuges erschweren (Art. 31 SVG i.V.m. Art. 3 VRV). Das Mass der notwendigen Aufmerksamkeit richtet sich nach den Umständen des EInzelfalles (E. 4.2). Der Beschwerdeführer war mit 120km/h unterwegs, als er sich seiner Körperpflege widmete. Während 20s und 33s hatte er deswegen nicht mehr die uneingeschränkte Kontrolle über sein Auto. Wegen der Geschwindigkeit war die erhöht abstrakte Gefährdung nicht mehr gering. Die Annahme einer leichten Widerhandlung fällt damit ausser Betracht, der Auffangtatbestand der mittelschweren kommt zur Anwendung.

Der Führerscheinentzug war korrekt.

Das Alpenmotorrad

BGE 1C_263/2019 und 1C_264/2019:

Die Beschwerdeführer sind Bergbauern und bewirtschafteten die Alp „Uf Garti“ bei Frutigen. Um Auf die Alp zu gelangen, verwendeten die Beschwerdeführer und wohl weitere Bergbauer nicht immatrikulierte Motorräder ohne MFH und teils mit typenfremden Fahrzeugteilen. Beide Beschwerdeführer besitzen keinen Motorradführerschein. Zumindest der Beginn des Weges führt noch über eine öffentliche Strasse. Die Beschwerdeführer wurden vom Regionalgericht u.a. wegen Fahren ohne Berechtigung, Fahren ohne MFH und Führen eines nicht vorschriftsgemässen Fahrzeuges verurteilt. Unter Annahme eines bes. leichten Falles nach Art. 100 Ziff. 1. SVG sah es aber von einer Bestrafung ab.

Das StVA BE entzog den Beschwerdeführern unter Annahme einer mittelschweren Widerhandlung die Fahrberechtigung für einen Monat. Die Beschwerdeführer stellen sich auf den Standpunkt, dass die Massnahme dem Strafurteil widerspricht und ein besonders leichter Fall nach Art. 16a Abs. 4 SVG anzunehmen sei. Zudem seien sie gutgläubig davon ausgegangen, ein landwirtschaftliches Fahrzeug zu lenken. Das BGer weist die Beschwerden ab.

An die Tatsachenfeststellungen der Strafbehörde ist das Strassenverkehrsamt i.d.R. gebunden. In der rechtlichen Würdigung ist es hingegen frei – namentlich auch der Würdigung des Verschuldens. Der Warnungsentzug ist eine der Strafe ähnliche, aber von ihr unabhängige Verwaltungsmassnahme mit präventivem Charakter, die primär die Erziehung des fehlbaren Fahrzeuglenkers im Interesse der Verkehrssicherheit und nicht dessen Bestrafung bezweckt, auch wenn sie mitunter vom Betroffenen als Strafe empfunden wird. Die straf- und die verwaltungsrechtliche Beurteilung der Schwere eines strassenverkehrsrechtlich massgeblichen Fehlverhaltens müssen sich daher nicht zwingend decken (E. 3.2).

Gemäss Art. 16b Abs. lit. c SVG ist das Führen eines Motorfahrzeuges ohne entsprechende Kategorie eine mittelschwere Widerhandlung. Da noch weitere Delikte hinzukommen, erachtet das BGer die Massnahmedauer von einem Monat als milde. Motorräder sind nach Ansicht des BGer offensichtlich keine landwirtschaftlichen Fahrzeuge und es erachtet die gegenteiligen Vorbringen der Beschwerdeführer als Ausreden. Hinzukommt, dass die Polizei den Alptransport mit der Alpgenossenschaft bereits thematisierte und sich die Beschwerdeführer des widerrechtlichen Verhaltens wohl bewusst waren (E. 3.3).

Der Entscheid ist interessant, weil das Bundesgericht auch schon ausgeführt hat, dass der verwaltungs- und strafrechtliche bes. leichte Fall deckungsgleich sind. Allerdings bedarf es immer einer Einzelfallbeurteilung (vgl. BGE 1C_577/2018 E. 3). Vorliegend gibt es aber entgegen dem Grundsatz „Einheit der Rechtsordnung“ zwei unterschiedliche Beurteilungen, was für die Bergbauern wohl nicht nachvollziehbar ist.

Sicherheitslinie

BGE 1C_334/2019: Sicherheitslinie

Der Beschwerdeführer überholte in Pfäffikon einen Linienbus und überfuhr dabei eine Sicherheitslinie. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass niemand wirklich gefährdet wurde und dass ein besonders leichter Fall anzunehmen sei (E. 3). Das BGer wiederholt exemplarisch und ausführlich die Voraussetzungen der Widerhandlungen nach Art. 16ff. SVG. Eine mittelschwere Widerhandlung liegt vor, wenn nicht die privilegierenden Voraussetzungen der leichten oder die qualifizierenden der schweren Widerhandlung vorliegen. Sind Gefährdung gering, aber das Verschulden hoch oder umgekehrt, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor. Das gilt auch bei einer mittelgrossen Gefährdung und einem mittelschweren oder schweren Verschulden (E. 3.1). Strafurteile sind nicht bindend, aber widersprüchliche Urteile sind zu vermeiden – so gebietet es der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung (zum Ganzen E. 3.2).

Nach Ansicht des Beschwerdeführers lag mangels Gegenverkehr und Passanten keine erhöht abstrakte Gefährdung vor. Es handle sich um eine Bagatelle, zumal das Überfahren einer Sicherheitslinie seit Januar 2020 im Ordnungsbussenverfahren abgehandelt wird (E. 3.3). Das BGer stimmt der Vorinstanz zu, wenn diese von einer erhöht abstrakten Gefährdung ausgeht, denn eine konkrete Gefahr ist für Massnahmen nicht vorausgesetzt. Das Überfahren einer Sicherheitslinie ist objektiv gesehen stets eine schwere Verkehrsregelverletzung. Auch dass das Überfahren der Sicherheitslinie heute nur noch eine Ordnungsbusse von CHF 140.00 geben würde, spielt vorliegend keine Rolle, weil der Verstoss vor dem 1.1.2020 geschah (E. 3.5).