Parteientschädigung nach Einstellung des Strafverfahrens

Urteil 6B_197/2022: Der Staat muss zahlen (gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer erhielt einen Strafbefehl, weil er ein polizeiliches Handzeichen „Halt“ durch „Hochhalten eines Armes“ nicht beachtet habe. Auf Einsprache hin wurde das Verfahren eingestellt. Die Verfahrenskosten wurde auf die Staatskasse genommen, eine Parteientschädigung aber wurde verwehrt. Gegen diesen Entscheid richtet sich die Beschwerde.

Das Urteil befasst sich mit dem Thema, wann die Beiziehung eines Anwaltes bei Übertretungen im SVG-Bereich als angemessen gilt gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO. Es reiht sich in eine beinahe gefestigte Rechtsprechung zu diesem Thema (vgl. dazu die Urteile 6B_193/2017, 6B_322/2017 und 6B_950/2020).

Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Strafverfahren eingestellt, hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte. Dies gilt auch für den Fall, dass das Strafverfahren nicht anhand genommen wird. Für die Normalbürger sind das materielle Strafrecht sowie das Strafprozessrecht grds. komplexe Materien und das Prozessieren ist kompliziert und belastend. Ob ein Strafverfahren den Beizug eines Anwaltes rechtfertigt, hängt von der Komplexität des Einzelfalles ab, wobei an das Kriterium der „Angemessenheit“ keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (zum Ganzen sehr ausführlich E. 2.2).

Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, dass es sich hier lediglich um eine Übertretung nach Art. 90 Abs. 1 SVG handelte und dass sich auch ein Laie ohne weiteres dagegen hätte verteidigen können. Der Beschwerdeführer zog den Anwalt bei, nachdem das Strassenverkehrsamt das Administrativverfahren mit einem Sistierungsschreiben eröffnete, mit welchem es auf die Verteidigungsrechte im Strafverfahren hinwies. Aus Sicht der Vorinstanz war das zu früh, denn zu diesem Zeitpunkt lag noch kein Strafbefehl vor. Desweiteren stellte sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, dass das Strafverfahren neben einer Busse keine weiteren negativen Auswirkungen gehabt hätte. Zwar bestand die Möglichkeit, dass das Strassenverkehrsamt eine Massnahme prüfen würde, doch lag dies nach Ansicht der Vorinstanz noch in weiter Ferne (E. 2.3).

Davon lässt sich das Bundesgericht nicht überzeugen. Das Schreiben des Strassenverkehrsamtes wies den Beschwerdeführer explizit darauf hin, dass es auf den Strafentscheid abstellen werde und dass er sich im Strafverfahren verteidigen müsse, sofern er die Widerhandlung bestreitet. Diesen Passus – er düfte wohl von den meisten Strassenverkehrsämtern verwendet werden – durfte der Beschwerdeführer so verstehen, dass nun die Zeit für einen Verteidiger notwendig war. Solange er nicht wissen konnte, dass das Strafverfahren eingestellt wird, war der Beizug eines Anwaltes also angemessen (E. 2.4.1). Zudem machte die Vorinstanz einen Überlegungsfehler. Sie führte zwar aus, dass ein Führerscheinentzug bei einem rechtskräftigen Schuldspruch zwar möglich war, doch sei dieser Nachteil noch in weiter Ferne gewesen. Sie übersah dabei aber, dass allfällige Massnahmen geprüft werden, sobald das Strafverfahren rechtskräftig erledigt und die Administrativbehörde an das Strafurteil i.d.R. gebunden ist. Insofern drohten die Administrativmassnahmen bereits im Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer das Sistierungsschreiben erhielt. Ebenso kann die Vorinstanz sich nicht darauf berufen, dass es keinen Strafregistereintrag gegeben hätte, denn diese Information erhielt der Beschwerdeführer erst mit dem zugestellten Strafbefehl (E. 2.4.2).

Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen zur Prüfung, ob die Höhe der Anwaltskosten gerechtfertigt ist.

Parteientschädigung

BGE 6B_950/2020: Entschädigung vom Anwalt (guth. Beschwerde)

Das gegen den Beschwerdeführer eröffnete Strafverfahren wegen mangelnder Aufmerksamkeit wurde auf Einsprache hin eingestellt. Vorgeworfen wurde ein Blick auf ein Blatt Papier. Die Staatsanwaltschaft sprach keine Parteientschädigung zu. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde gutgeheissen. Allerdings erachtete sie für das Beschwerdeverfahren eine Entschädigung von CHF 750.00 als ausreichend und kürzte damit die Honorarnote von CHF 1’061.50. Im Beschwerdeverfahren selber wurde eine Parteientschädigung von CHF 200.00 gesprochen. Vor Bundesgericht verlangt der Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von CHF 900.00 für das Beschwerdeverfahren.

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 436. Abs. 1 i.V.m. Art. 429 Abs. 1 StPO. Obwohl er im Rechtsmittelverfahren überwiegend obsiegte, sei die Parteientschädigung von CHF 200.00 unangemessen tief. Gemäss kantonaler Gesetzgebung betrage der Entschädigungsrahmen CHF 250.00 bis 6’000.00. Die Beschwerde hatte fünf Seiten. Selbst ein erfahrener Strafverteidiger könne eine solche Eingabe nicht in weniger als einer Stunde verfassen. Die Entschädigungsfrage folgt zudem grds. dem Kostenentscheid. Die Verfahrenskosten wurde auf die Staatskosten genommen, weshalb von einem überwiegenden Obsiegen auszugehen ist. Zudem war die Verteidigung geboten (E. 2.1).

Die Vorinstanz hingegen war der Meinung, dass es nur um eine Übertretung ging und der Sachverhalt nicht komplex war. Auch hätten sich keine rechtlich komplexen Fragen gestellt. Trotzdem erachtete sie den Beizug des Anwaltes als gerechtfertigt. Die tiefe Parteientschädigung im Rechtsmittelverfahren rechtfertigt die Vorinstanz mit einer Milchbüchlirechnung. Für das Einspracheverfahren wurden CHF 750.00 anstatt CHF 1’061.50 zugesprochen, also habe der Beschwerdeführer etwa zu 71% gesiegt, also überwiegend aber nicht vollumfänglich E. 2.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht auch bei blossen Übertretungen ein Anspruch auf Entschädigung für Anwaltskosten, wenn der Rechtsanwalt erst nach Ergehen eines Strafbefehls beigezogen wurde und die Übertretung von der Staatsanwaltschaft daher mit einer gewissen Hartnäckigkeit verfolgt wurde. Der Aufwand für eine angemessene Verteidigung richtet sich nach jenem, den ein erfahrener Strafverteidiger bei effizienter Arbeitserledigung benötigt (E. 2.3.1).

Das Bundesgericht schreitet nur ein, wenn der Ermessensspielraum klarerweise überschritten wurde und die Festsetzung des Honorars ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt geleisteten Diensten steht und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstösst (E. 2.3.2). Bei schuldhaftem Einleiten eines Strafverfahren (z.B. Selbstanzeige) kann die Entschädigung oder Genugtuung herabgesetzt oder verweigert werden. Der Kostenentscheid präjudiziert die Entschädigungsfrage. Bei Auferlegung der Kosten ist grundsätzlich keine Entschädigung auszurichten. Umgekehrt hat die beschuldigte Person Anspruch auf Entschädigung, soweit die Kosten von der Staatskasse übernommen werden (E. 2.3.3).

Im folgenden prüft das BGer, ob das kantonale Recht durch die Vorinstanz willkürlich angewendet wurde. Dies ist der Fall, wenn wenn das angefochtene Urteil offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (E. 2.3.6).

Die Vorinstanz verletzt Bundesrecht und verfällt in Willkür. Das Strafverfahren wurde eingestellt und die Kosten auf die Staatskasse genommen. Die Zusprechung einer vollen Parteientschädigung wäre sachgerecht gewesen. Obwohl die Vorinstanz die Parteientschädigung des Einspracheverfahrens kürzte, erkannte sie selber, dass der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren überwiegend reüssierte, denn die Frage drehte sich hauptsächlich darum, ob eine anwaltliche Vertretung geboten war. Die Entschädigung im Beschwerdeverfahren bezeichnet das Bundesgericht als unhaltbar tief. Zudem hat die Vorinstanz ihre Begründungspflicht verletzt, weil sie eher pauschal auf die kantonale Gesetzgebung verweist (E. 2.4).

Parteientschädigung bei Übertretungen

BGE 6B_322/2017: Parteientschädigung bei Übertretungen (gutgeheissene Beschwerde)

Dem Beschwerdeführer wurde von den Ermittlungsbehörden das Führen eines nicht vorschriftsgemässen Traktor vorgeworfen. Von diesem Vorwurf sprach ihn der Richter erster Instanz frei, sprach ihm aber keine Parteientschädigung zu. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer nun erfolgreich vor BGer.

E. 2.4.1. zur Entschädigung: „Es ist zu beachten, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat.“

Der Entscheid zitiert ausdrücklich den bereits erwirkten BGE 6B_193/2017. Gegen die Ansicht der Bundesrichter ist nichts einzuwenden. Nur zu oft werden im Rahmen des „in dubio pro durore“-Prinzips Bürger mit Strafbefehlen konfrontiert. Wehrt man sich erfolgreich dagegen, werden einem die (Anwalts)Kosten, welche letztlich der Staat verursacht, dafür nicht ersetzt. Diese Praxis müssen die Strafbehörden dringend überdenken.

Zu den Kosten

BGE 6B_1382/2016: Kostenauflage bei Freispruch (Bestätigung Rechtsprechung)

Im Rahmen eines Gazprom-Deals tätigte der Beschwerdeführer mehrere Zahlungen nach Russland, wofür er wegen Bestechung fremder Amtsträger angeklagt wurde. Das Bundesstrafgericht sprach ihn zwar frei, auferlegte ihm aber die Verfahrenskosten von insgesamt CHF 63’000.00. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer und verlangt u.a. eine Entschädigung von CHF 347’922.30. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 1.2. zu StPO 426: Wenn die beschuldigte Person rechtswidrig oder schuldhaft ein Strafverfahren einleitet oder verzögert, können ihr trotz Freispruch die Kosten auferlegt werden. Dabei darf aber die Kostenauflage nicht gegen die Unschuldsvermutung verstossen, d.h. die beschuldigte Person muss in zivilrechtlich vorwerfbarer Weises – analog gemäss OR 41 – das Verfahren verzögert haben. Das Bundesgericht prüft dies frei und greift nur bei Willkür ein.

Die Vorinstanz erachtete die Bezahlung von Geldern an Gazprom-Mitarbeiter durch eine vom Beschwerdeführer beherrschten Gesellschaft als Vertragswidrigkeit, da in sog. Consultancy Agreements die Verpflichtung eingegangen wurde, eben keine Zahlungen direkt an Mitarbeiter von Gazprom zu leisten. Darin liege sodann das zivilrechtliche Verschulden. Dieser Ansicht folgt das BGer und weist die Beschwerde ab

 

BGE 6B_1389/2016: Angemessene Parteientschädigung bei Freispruch (teilw. gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde von der Bundesanwaltschaft wegen Bestechung fremder Amtsträger und Geldwäscherei angeklagt. Das Verfahren wegen Geldwäscherei wurde eingestellt, bzgl. Bestechung erfolgte ein Freispruch. Dem Beschwerdeführer wurde eine Entschädigung von CHF 123k und Genugtuung von 2k zugesprochen. Dagegen wehrt er sich und verlangt eine Entschädigung von CHF 459’640.95 und Genugtuung von CHF 30k. Es geht um die Frage, was ein „angemessener Aufwand“ des Verteidigers im Strafverfahren ist.

E. 2.2.1 zu StPO 429: Grds. hat man bei bei Einstellung oder Freispruch Entschädigungsanspruch für die angemessene Ausübung der Verfahrensrechte. „Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (BGE 142 IV 163 E. 3.1.2; 138 IV 197 E. 2.3.4 mit Hinweis). Als Massstab bei der Beantwortung der Frage, welcher Aufwand für eine angemessene Verteidigung im Strafverfahren nötig ist, hat der erfahrene Anwalt zu gelten, der im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts über fundierte Kenntnisse verfügt und deshalb seine Leistungen von Anfang an zielgerichtet und effizient erbringen kann (Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 18.3.1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 143 IV 214).“

E. 2.4.2./3. zu den Verteidigerkosten: Weil sich der Wahlverteidiger nicht in der Verfahrenssprache deutsch ausrücken konnte, bestellte das Bundesstrafgericht einen amtlichen Verteidiger. Die Verteidigung durch mehrere Anwälte ist unproblematisch, man muss einen Hauptverteidiger bestimmen. Da das Verfahren nach Ansicht der Vorinstanz nicht komplex war, d.h. Anwälte von versch. Spezialgebieten nicht erforderlich waren, hätte der Wahlverteidiger eher zurücktreten müssen.

E. 2.7.3./4. zu den Kosten: Begründet ist die Beschwerde nur darin, dass die Vorinstanz nicht auswies, welche Auslagen und welchen Zeitaufwand der erbetenen Verteidigung sie nun genau anerkannte. Diesbzgl. wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Kostenentscheid im Berufungsverfahren, Parteientschädigung der Privatklägerschaft

BGE 6B_1118/2016: Der teure Vergleich

Im Rahmen einer Nachbarstreitigkeit wurde ein Nachbar wegen div. Antragsdelikten erstinstanzlich verurteilt. Dagegen erhob er Berufung. Im Rahmen eines Vergleiches zog der andere Nachbar seine Strafanträge zurück. Die Berufungsinstanz schrieb das Verfahren ab und auferlegte dem antragstellenden Nachbar sämtliche Verfahrenskosten. Dagegen wehrt sich dieser mit Beschwerde, welche das BGer abweist.

E. 1.2.1: „Die Verlegung der Kosten folgt dem Grundsatz, wonach die Kosten trägt, wer sie verursacht. Wird das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen, können bei Antragsdelikten die Verfahrenskosten deshalb grundsätzlich dem Privatkläger auferlegt werden, sofern er nicht nur Strafantrag gestellt, sondern aktiv Einfluss auf den Gang des Verfahrens genommen hat, und soweit nicht der Beschuldigte nach Art. 426 Abs. 2 StPO kostenpflichtig ist (Art. 427 Abs. 2 StPO). Eine andere gesetzliche Einschränkung der Kostenauflage an den Privatkläger gibt es nicht. Der Antragsteller, der als Privatkläger am Verfahren teilnimmt, soll grundsätzlich auch das volle Kostenrisiko tragen.

E. 1.2.2: Die Kosten- und Entschädigungsfolgen im Rechtsmittelverfahren tragen die Parteien nach ihrem Obsiegen und Unterliegen (428 Abs. 1 erster Satz StPO). Ob eine Partei als obsiegend oder unterliegend gilt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor Berufungsgericht gestellten Anträge gutgeheissen wurden. Stellt eine Partei, die kein Rechtsmittel eingelegt hat, keine Anträge, so kann sie weder obsiegen noch unterliegen und dadurch auch nicht kostenpflichtig werden. Zur Frage, wie die Kosten bei Gegenstandslosigkeit zu verteilen sind, äussert sich Art. 428 Abs. 1 StPO nicht. Tritt diese während der Hängigkeit des Rechtsmittels ein, ist für die Beurteilung der Kostenfolgen in erster Linie auf den mutmasslichen Prozessausgang abzustellen. Lässt sich dieser nicht feststellen, so ist nach den allgemeinen prozessrechtlichen Kriterien jene Partei kostenpflichtig, die das Verfahren veranlasst hat oder in welcher die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit des Prozesses geführt haben. Angesichts der verschiedenen, möglichen Konstellationen erscheint die analoge Anwendung des in Art. 107 Abs. 1 lit. e ZPO vorgesehenen Ermessensenscheids auch für den Strafprozess gerechtfertigt (BGE 138 IV 248 E. 5.3; THOMAS DOMEISEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 5 f., N. 14 zu Art. 428 StPO; YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 1 ff. zu Art. 428 StPO).

E. 1.2.3: „Die Gegenstandslosigkeit ist mithin nicht einfach aufgrund äusserer, von niemandem zu vertretender Umstände eingetreten. Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie dem Beschwerdeführer, dem Verursacherprinzip folgend (vgl. oben E. 1.2.1), auch diese Kosten auferlegt. Daran ändert nichts, dass er ohne den Rückzug des Strafantrags bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage vor Berufungsgericht wohl obsiegt hätte. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer die Kostenfolgen eines solchen Rückzugs bewusst sein mussten.

Fazit: Man sollte in einem Vergleich immer auch die Frage der Tragung der Verfahrenskosten regeln!

 

BGE 6B_226/2017: Parteientschädigung der Strafklägerschaft

Vier Strafkläger erreichen die Verurteilung einer Drittperson mit Strafbefehl wegen Tätlichkeit, Beschimpfung und Drohung. Letztere wird nicht zur Bezahlung einer Parteientschädigung verpflichtet, wogegen sich drei der vier Strafkläger wehren. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.1 zur Parteientschädigung: „Gemäss Art. 433 Abs. 1 lit. a StPO hat die Privatklägerschaft, wenn sie obsiegt, gegenüber der beschuldigten Person Anspruch auf angemessene Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Verfahren. Die Privatklägerschaft obsiegt, wenn im Falle der Strafklage die beschuldigte Person schuldig gesprochen wird und/oder wenn im Falle der Zivilklage die Zivilforderung geschützt wird. Die Aufwendungen im Sinne von Art. 433 Abs. 1 StPO betreffen in erster Linie die Anwaltskosten, soweit diese durch die Beteiligung am Strafverfahren selbst verursacht wurden und für die Wahrung der Interessen der Privatklägerschaft notwendig waren (BGE 139 IV 102 E. 4.1 S. 107 und E. 4.3 S. 108; Urteil 6B_423/2016 vom 26. Januar 2017 E. 2.3 mit Hinweisen).“

E. 4.3.1 zu den Voraussetzungen:  „Was unter einer angemessenen Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Sinne von Art. 433 Abs. 1 StPO zu verstehen ist bzw. wann notwendige Aufwendungen anzunehmen sind, wird von der Rechtsprechung nicht abschliessend umschrieben (vgl. BGE 139 IV 102 E. 4.3 S. 108). In der Lehre wird die Meinung vertreten, notwendige Aufwendungen lägen insbesondere in den folgenden Konstellationen vor: Wenn die Privatklägerschaft wesentlich zur Abklärung einer Strafsache und Verurteilung des Täters beigetragen hat; bei komplexen, nicht leicht überschaubaren Straffällen, an deren gründlicher Untersuchung und gerichtlicher Beurteilung der Kläger ein erhebliches Interesse hatte oder wenn der Beizug eines Anwalts im Hinblick auf die sich stellenden, nicht einfachen rechtlichen Fragen gerechtfertigt erschien (WEHRENBERG/FRANK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2014, N. 19 zu Art. 433 StPO; STEPHANIE EYMANN, Die Parteientschädigung an die Privatklägerschaft im Strafprozess, forumpoenale 5/2013, S. 316). Die Lehre verweist zur näheren Umschreibung der notwendigen Aufwendungen auf das zu Art. 429 StPO Gesagte (WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., N. 18 zu Art. 433 StPO; EYMANN, a.a.O., S. 316; FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung […], 2. Aufl. 2014, N. 1 zu Art. 433 StPO). Gemäss der Botschaft des Bundesrates soll die beschuldigte Person nur dann Anspruch auf eine Entschädigung für anwaltliche Kosten haben, wenn der Beistand angesichts der tatsächlichen oder der rechtlichen Komplexität notwendig war und wenn der Arbeitsaufwand und somit das Honorar des Anwalts gerechtfertigt waren (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1329 Ziff. 2.10.3.1). Das Bundesgericht stellte zu Art. 429 StPO fest, dass diese beiden in der Botschaft genannten kumulativen Voraussetzungen im Einklang mit der herrschenden Lehre und der Praxis zum früheren Recht stehen und daran festzuhalten ist (BGE 138 IV 197 E. 2.3.4 S. 203; WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., N. 13 zu Art. 429 StPO). Dies hat nicht nur in Bezug auf den Entschädigungsanspruch der beschuldigten Person Geltung, sondern aufgrund der Verweise in der Lehre auch auf denjenigen der Privatklägerschaft.

In der Folge stützt das BGer die Ausführungen der kantonalen Instanz, dass kein rechtlich komplexer Fall vorlag und dass der Rechtsvertreter erst in einem Stadium beigzogen wurde, in welchem die (Konfrontations)Einvernahmen bereits durchgeführt warten. Es weist die Beschwerde ab.

 

 

Vorsichtspflichten bei Bushaltestellen, Parteientschädigung

BGE 6B_1056/2016: Vorsichtspflichten bei Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel (gutgeheissene Beschwerde)

An einer Bushaltestelle macht eine Fussgängerin unvermittelt einen Schritt nach vorne und wird dadurch vom Aussenspiegel eines Trolleybusses erfasst. Die obere kantonale Instanz (SG) verurteilte den Busfahrer wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das BGer heisst die dagegen erhobene Beschwerde gut.

E.1.3.2: „An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen (Art. 33 Abs. 3 SVG). Das Trottoir ist den Fussgängern, der Radweg den Radfahrern vorbehalten (Art. 43 Abs. 2 SVG). Muss mit einem Fahrzeug das Trottoir benützt werden, so ist der Führer gegenüber den Fussgängern und Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten zu besonderer Vorsicht verpflichtet; er hat ihnen den Vortritt zu lassen (Art. 41 Abs. 2 VRV).“

E. 1.4: „Zuzustimmen ist dem Beschwerdeführer, dass sich die Rücksichtspflicht gemäss Art. 33 Abs. 3 SVG primär an Fahrzeugführer richtet, die an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel vorbeifahren und die aufgrund von sich dort befindlichen Bussen oder Strassenbahnen mit unvorsichtig auf die Strasse hinaustretenden Personen zu rechnen haben (vgl. BGE 97 IV 242 E. 2 S. 244 f.; Urteile 6B_541/2016 vom 23. Februar 2017 E. 1.5; 1C_604/2012 vom 17. Mai 2013 E. 6.2; 1C_425/2012 vom 17. Dezember 2012 E. 3.1; 4A_479/2009 vom 23. Dezember 2009 E. 5.2). Aus dieser Bestimmung lässt sich folglich keine besondere Vorsichtspflicht für an die Haltestelle heranfahrende Buschauffeure ableiten.“

 

BGE 6B_193/2017: Parteientschädigung bei Übertretungen

Dem Beschwerdeführer wurde ein Verstoss gegen die VTS vorgeworfen. Das Strafbefehlsverfahren wurde eingestellt, eine Parteientschädigung wurde nicht zugesprochen. Entgegen den kantonalen Instanzen spricht sich das BGer für eine PE aus.

E 2.5: „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist einem Beschuldigten in der Regel der Beizug eines Anwalts zuzubilligen, jedenfalls wenn dem Deliktsvorwurf eine gewisse Schwere zukommt. Es ist zu beachten, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigerkosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat. Im Übrigen sind beim Entscheid über die Angemessenheit des Beizugs eines Anwalts neben der Schwere des Tatvorwurfs und der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Falls insbesondere auch die Dauer des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu berücksichtigen (BGE 142 IV 45 E. 2.1; 138 IV 197 E. 2.3.5).“