Charakterliche Fahreignung bei Fahrlehrer/innen

Mit etwas Verspätung widmen wir uns diesem Urteil, welches v.a. für die Gilde der Fahrlehrer/innen spannend ist. Es äussert sich zu den charakterlichen Anforderungen, die die Fahrlehrerverordnung für die Ausübung des Berufes voraussetzt.

Urteil 2C_373/2023: Ein Fahrlehrer auf Abwegen

Der Beschwerdeführer ist Fahrlehrer mit einem reichhaltigen SVG-Lebenslauf. Im Januar 2005 wurden ihm der Führerausweis und die Fahrlehrerbewilligung wegen charakterlichen Mängeln entzogen. Im September 2011 folgte die nächste Sicherungsmassnahme wegen verkehrspsychologischen und -medizinischen Zweifeln an der Fahreigung. Nach der Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis wurde diese erneut wegen der Missachtung einer Alkoholabstinenzauflage im März 2017 entzogen, die Fahrlehrerbewilligung im September 2017. Nachdem der Beschwerdeführer wieder fahrberechtigt war, wurde ihm im Juli 2018 die Anordnung einer verkehrspsychologischen Abklärung in Aussicht gestellt und die Fahrlehrerbewilligung wieder vorsorglich entzogen. Dieser Entzug wurde im Urteil 2C_171/2020 bestätigt.

Im September 2020 unterzog sich der Beschwerdeführer der verkehrspsychologischen Untersuchung, welche ein für ihn negatives Ergebnis ergab. Im Februar 2021 entzog das Strassenverkehrsamt dem Beschwerdeführer den Führerausweis, die Bewilligung für den berufsmässigen Personentransport und die Fahrlehrerbewilligung auf unbestimmte Zeit.

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass das verkehrspsychologische Gutachten auf Grundlage von Art. 27 lit. b FV angeordnet wurde, also zur Prüfung, ob ihm die Fahrlehrerbewilligung dauerhaft entzogen werden muss. Das Gutachten äusserte sich aber auch generell zur Fahreignung i.S.v. Art. 15d SVG, weshalb schliesslich ein Sicherungsentzug nach Art. 16d SVG angeordnet wurde. Darin erblickt der Beschwerdeführer aber eine Verletzung von Bundesrecht, wenn es zunächst nur um seine Fahrlehrerbewilligung ging, aber schliesslich ihm die Fahreignung generell abgesprochen wurde.

Fahrlehrer benötigen eine Bewilligung (Art. 15 Abs. 3 SVG). Die Voraussetzungen dafür sind in Art. 5 FV festgehalten. Die Bewilligung wird in den Fällen von Art. 27 FV unbefristet entzogen, u.a. wenn der Fahrlehrer oder die Fahrlehrerin seine oder ihre Stellung schwer missbraucht hat oder wenn aus charakterlichen Gründen seine oder ihre Lehrtätigkeit den Schülern und Schülerinnen nicht mehr zugemutet werden kann. Dieser Entzugsgrund steht in engem Zusammenhang mit der charakterlichen Fahreignung, die generell für das Autofahren vorausgesetzt ist (Art. 14 Abs. 2 SVG). Fahrlehrer/innen haben gegenüber den lernenden Personen eine Vorbildfunktion und sie sind auf Lernfahrten an der Fahrzeugbedienung beteiligt. Die zuständige Behörde kann für eine Abklärung nach Art. 27 FV im Rahmen der Untersuchungspflicht ohne weiteres ein verkehrspsychologisches Gutachten anordnen (E. 3.4). Es müssen für die Anordnung aber ebenfalls gewissen Zweifel bestehen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Fahrlehrerbewilligung strengere gesetzliche Voraussetzungen zu beachten und höhere Anforderungen an die Fahreignung zu stellen sind, als dies bei normalen Automobilistinnen und Automobilisten der Fall ist (E. 3.5). Daraus folgt, dass die Schwelle für die Annahme von Zweifeln an der Fahreignung bei Fahrlehrer/innen aufgrund ihrer Vorbildfunktion tiefer liegt, als bei übrigen Verkehrsteilnehmern.

Es überrascht nicht, dass das Bundesgericht den Sicherungsentzug bestätigt. Die Anordnung stütz sich auf ein schlüssiges Gutachten und die Vorgeschichte des Beschwerdeführers macht deutlich, dass seine Fahreignung immer wieder zur Debatte stand. Die zuständige Behörde musste sich auch nicht explizit auf einen Grund in Art. 15d Abs. 1 lit. a – e SVG stützen. Die Liste ist nicht abschliessend.

Die Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV des Beschwerdeführers ist vorliegend ebenfalls nicht verletzt. Auch wenn ein Führerausweis-Entzug auf unbestimmte Zeit ein schwerwiegender Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellt, so geht das erhebliche öffentliche Interesse an einem sicheren Strassenverkehr den privaten Interessen des Beschwerdeführers vor.

Bonus: Urteil 1C_157/2023: Lange Verfahrensdauer

Der Beschwerdeführer fuhr im Juli 2013 ausserorts 30 km/h zu schnell und beging damit eine grobe Verkehrsregelverletzung. Im Januar 2022 (vgl. Urteil 6B_884/2021) bestätigte das Bundesgericht die Verurteilung wegen Art. 90 Abs. 2 SVG, wobei im Strafverfahren festgestellt wurde, dass das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Dies wurde im Strafmass berücksicht.

Im Administrativmassnahmen-Verfahren wurde der Führerausweis für drei Monate entzogen. Der Beschwerdeführer stellt sich u.a. auf den Standpunkt, dass bei einer derart langen Verfahrensdauer von mehr als 10 Jahren auf eine Massnahme verzichtet werden muss, weil diese keine erzieherische Wirkung mehr habe.

Gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG darf die Mindestentzugsdauer von Warnmassnahmen nicht unterschritten werden. Vor der SVG-Revision vom 1. Januar 2005 war dies noch möglich (vgl. BGE 120 IB 504 E. 4). Grundsätzlich darf also die Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden, auch wenn das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Offen ist aber nach wie vor, ob bei krassen Verletzungen des Beschleunigungsgebots auf eine Massnahme verzichtet werden kann. In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde noch kein solcher Fall angenommen (vgl. dazu ausführlich E. 4.1).

Der vorliegende Fall dauerte von der Widerhandlung bis zur Massnahme 10 Jahre und 7 Monate, was gemäss Bundesgericht bedenklich und klar zu lang ist. Allerdings schöpfte der Beschwerdeführer sowohl im Straf-, als auch im Administrativverfahren den gesamten Instanzenzug aus. Die Verfahrensverzögerung im Strafverfahren wurde im Strafmass berücksichtigt, das Administrativmassnahmen-Verfahren ging dann relativ zügig über die Bühne. Daraus schliesst das Bundesgericht, dass vorliegend die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Massnahme nicht erfüllt sind, insb. weil der Beschwerdeführer ein vermindertes Interesse an einem raschen Entscheid hatte, da er sein Fahrzeug weiterhin lenken durfte (E. 4.2-5).

Daraus folgt, dass wohl ein Verzicht auf eine Massnahme nur möglich ist, wenn auch das Administrativmassnahmen-Verfahren eklatant verzögert wird.

Endspurt zum Jahresende mit spannenden Bundesgerichtsurteilen

Zum Jahresende hat das Bundesgericht noch einmal Vollgas gegeben und einige interessante Urteile zum Strassenverkehrsrecht veröffentlicht. Einige davon dürften die SVG-Cracks hier weniger überraschen. Als Lektüre ist aber insb. Urteil 1C_550/2022 zu empfehlen, da es sich zu einer interessanten Konstellation im Zusammenhang mit der charakterlichen Fahreignung beim Kaskadensicherungsentzug äussert. Viel Spass beim Lesen und gutes (metaphorisches) Rutschen.

Urteil 1C_550/2022: Der Entzug der Spezialkategorien und die Folgen in der Kaskade

Dieses Urteil beantwortet die Frage, ob ein Entzug der Spezialkategorien F, G und M gemäss Art. 33 Abs. 2 VZV ebenfalls mitzuzählen ist, wenn aufgrund der Kaskade ein Kaskadensicherungs-Entzug ansteht.

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Der Beschwerdegegner blickt auf eine reichhaltige SVG-Geschichte zurück:

25. November 2009 – Geschwindigkeitsüberschreitung – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1 Monat
24. Juni 2013 – Geschwindigkeitsüberschreitung – leichte Widerhandlung – Verwarnung
26. Mai 2014 – Auffahrkollision – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1.5 Monate
11. Oktober 2014 – nicht gesicherte Ladung auf Anhänger von Traktor – mittelschwere Widerhandlung – Zusatzmassnahme zur vorgenannten Massnahme, Entzug der Spezialkategorien F, G und M, Kat. B weiterhin fahrberechtigt.
19. Oktober 2019 – Lenken eines nicht betriebssicheren Traktors – mittelschwere Widerhandlung – Kaskadensicherungsentzug gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG.

Die kantonalen Instanzen hoben den Kaskadensicherungsentzug auf. Dagegen führt das Strassenverkehrsamt Beschwerde beim Bundesgericht. Es stellt sich auf den Standpunkt, dass dem Beschwerdegegner gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG der Führerausweis nun zum vierten Mal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen werde, weshalb ein Kaskadensicherungsentzug angeordnet werden muss. Bei diesem besteht sodann die gesetzliche Vermutung der fehlenden charakterlichen Fahreignung gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG. Das Strassenverkehrsamt stützte sich bei seiner Begründung für den Sicherungsentzug auch auf das Urteil 1C_248/2020, gemäss welchem auch Zusatzmassnahmen bei der Anordnung eines Kaskadensicherungsentzugs berücksichtigt werden müssen (E. 4.3).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich zum im Urteil 1C_248/2020 behandelten Sachverhalt aber darin, dass vorliegend bei der mittelschweren Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 nur die Spezialkategorien entzogen wurden.

Ein (Kaskaden)Sicherungsentzug aus charakterlichen Gründen greift schwer in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person ein. Deshalb darf ein Sicherungsentzug nur dann angeordnet werden, wenn aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person klar ist, dass diese auch künftig gegen die Verkehrsregeln verstossen wird. In anderen Worten muss eine Rückfallgefahr bestehen. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG so auszulegen, dass die Vorbelastungen nur zu einem Kaskadensicherungsentzug führen können, wenn sie mit einer Hauptkategorie, also z.B. Kat. A oder B, begangen wurden. Denn nur dann kommt der Warnmassnahme „generelle Wirkung“ zu, indem der erzieherische Warnentzug gemäss Art. 33 Abs. 1 VZV über sämtliche Kategorien erfolgt. Im vorliegenden Fall betraf der Warnentzug bzgl. der Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 aber nur die Spezialkategorien F, G und M. Weil dabei die Kat. B nicht entzogen wurde, hatte die Massnahme keine „generelle Wirkung“ bzw. nur eine sehr eingeschränkte erzieherische Wirkung, weshalb sie bei der Prüfung eines Kaskadensicherungsentzugs gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG nicht berücksichtigt werden darf.

Die Beschwerde des Strassenverkehrsamtes wird deshalb abgewiesen.

Vorsicht Meinung: Dieser Entscheid ist nur schwierig nachvollziehbar. Denn einerseits stellt sich die Frage, wie diese Rechtsprechung handzuhaben ist, wenn jemand nur im Besitz von Spezialkategorien ist, denn dort hätte ein Warnentzug wiederum „generelle Wirkung“. D.h. theoretisch wäre es möglich, dass eine Person, die nur Spezialkategorien hat, anders behandelt würde, als jene, die noch über Hauptkategorien verfügt. Zudem können Widerhandlungen mit einem landwirtschaftlichen Fahrzeug der Kat. G weitaus gefährlicher sein, als solche mit einem Fahrzeug der Kat. B. Im vorliegenden Fall hat die betroffene Person ohne weiteres bewiesen, dass sie nicht gewillt ist, die Verkehrsregeln einzuhalten. Eine sichernde Massnahme wäre angebracht gewesen.


Urteil 6B_500/2023: Zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit

Dieses Urteil befasst sich mit der Abgrenzung zwischen (eventual)vorsätzlicher und (bewusst) fahrlässiger Tötung nach einem Strassenverkehrsdelikt.

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Der Beschwerdegegner fuhr im September 2021 ausserorts hinter einem anderen Auto her. Als dieses wegen zwei Fussgängern auf der rechten Strassenseite und einem entgegenkommenden Lieferwagen seine Fahrt verlangsamte, setzte der Beschwerdegegner zum Überholen an. Beim Überholmanöver gab es zunächst eine Streifkollision zwischen dem Beschwerdegegner und dem Lieferwagen. Als der Beschwerdegegner wieder auf die rechte Fahrbahn einbog, kollidierte er frontal mit den beiden Fussgängern. Eine Person starb an den Verletzungen. Im kantonalen Verfahren wurde der Beschwerdegegner u.a. wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung, der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung und Fahren in fahrunfähigem Zustand verurteilt. Dagegen erhebt die Staatsanwaltschaft Beschwerde. Der Beschwerdegegner sei wegen (versuchter) eventualvorsätzlicher Tötung schuldig zu sprechen.

Bei krassen Verkehrsunfällen kann die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und der bewussten Fahrlässigkeit schwierig sein. Eventualvorsätzlich handelt, wer mit dem Eintritt eines Taterfolges – also hier dem Tod eines Menschen – rechnet, aber dennoch handelt, weil man den Taterfolg in Kauf nimmt bzw. sich damit abfindet. Die bewusst fahrlässig handelnde Person rechnet zwar auch mit dem Eintritt des Taterfolgs, vertraut aber in pflichtwidriger Weise darauf, dass der Erfolg nicht eintritt. Ohne Geständnis der beschuldigten Person, muss der Richter anhand der Einzelfallumstände entscheiden, ob der Täter oder die Täterin den Taterfolg billigte. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Der Richter darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (E. 2.3.2). Bei Strassenverkehrsdelikten darf eine eventualvorsätzliche Tatbegehung aber nicht leichthin angenommen werden. Nur in krassen Fällen darf davon ausgegangen werden, dass sich der Täter oder die Täterin gegen das geschützte Rechtsgut von Leib und Leben entschieden hat (zum Ganzen E. 2.3.5).

Im vorliegenden Fall fuhr der Beschwerdegegner in fahrunfähigem Zustand (Art. 31 Abs. 2 SVG) und überholte ein anderes Fahrzeug in waghalsiger Art und Weise (Art. 35 Abs. 3 i.V.m. Art. 90 Abs. 3 SVG). Da er aber zu Beginn des Überholmanövers die Fussgänger auf der Fahrbahn noch nicht erblickte, konnte er nicht vorhersehen, dass sich ein Unfall mit Todesfolge ergeben könnte. Deshalb konnte vorliegend nicht darauf geschlossen werden, dass er erkennen musste, dass ein Unfall mit Todesfolge droht. Insofern kann dem Beschwerdegegner auch nicht angelastet werden, dass er mit dem krassen Überholmanöver den Tod der Fussgänger in Kauf nahm.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird in diesem Punkt abgewiesen.


Urteil 6B_85/2023: Ein Ausweichemanöver als grobe Verkehrsregelverletzung

Wenn man zuwenig Abstand einhält aufgrund eines verkehrsbedingten Anhaltens des vorfahrenden Autos ausweichen muss und einen Unfall verursacht, liegt eine grobe Verkehrsregelverletzung vor.

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Der Beschwerdeführer fuhr nachmittags einem anderen Auto nach. Dieses musste anhalten, um dem Gegenverkehr das Kreuzen zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, wich nach rechts auf eine Wiese aus, touchierte leicht das Heck des vorfahrenden Fahrzeuges, fuhr durch einen Holzzaun in einen Graben und kam schliesslich bei einer Scheune zum Stillstand.

Die kantonalen Instanzen verurteilten ihn wegen grober Verkehrsregelverletzung. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht das hier eine einfache Verkehrsregelverletzung vorliegt. Die sich in diesem Fall stellende Frage ist, ob sich der Beschwerdeführer rücksichtslos verhalten hat und damit den subjektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung erfüllte. Rücksichtslos i.S.v. Art. 90 Abs. 2 SVG handelt der Täter auch, wenn er sich grobfahrlässig verhält. Dies ist auch bei unbewusst fahrlässigem Verhalten möglich. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen. Je schwerer die Unfallfolgen, desto eher kann auch von Rücksichtslosigkeit ausgegangen werden, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen. Allerdings muss die Annahme restriktiv erfolgen und nicht jede Unaufmerksamkeit wiegt automatisch auch schwer (zum Ganzen ausführlich E. 1.2.1).

Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer nicht aufmerksam (Art. 31 Abs. 1 SVG) und hielt zuwenig Abstand ein zum vorfahrenden Fahrzeug (Art. 34 Abs. 4 SVG). Als Fahrzeuglenker muss man grds. immer genug Abstand haben, sodass man auch rechtzeitig anhalten kann, wenn das vorfahrende Auto eine Notbremsung einleitet (zu diesen beiden Verkehrsregeln ausführlich E. 1.2.2). Bei beiden Regeln handelt es sich um wichtige Regeln. Der Beschwerdeführer wandte seinen Blick seiner Beifahrerin zu und achtete nicht auf die Strasse, obwohl diese relativ schmal war, wegen Blütenstaub rutschig und auch noch Velofahrer unterwegs waren. Unter diesen Umständen liegt entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers keine „normale“ Auffahrkollision vor, die als einfache Verkehrsregelverletzung hätte bestraft werden können. Die durch den Beschwerdeführer geschaffene Gefahr erfüllte ohne weiteres den objektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG. Da es im vorliegenden Fall keine besonderen Gegenindizien gab, durfte die Vorinstanz von der objektiv groben Verkehrsregelverletzung auf ein grobfahrlässiges Handeln des Beschwerdeführers schliessen.


Urteil 1C_168/2022: Unfall im Kreisel – Qualifikation der Widerhandlung

Wenn man die Kreiselvorfahrt missachtet und einen Verkehrsunfall verursacht, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor.

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Die Beschwerdeführerin wurde mit einer Busse von CHF 300.00 bestraft, weil sie beim Einfahren in einen Kreisel einen Velofahrer übersah und mit diesem kollidierte. Daraufhin wurde ihr der Führerausweis wegen einer mittelschweren Widerhandlung für einen Monat entzogen. Damit ist sie aber nicht einverstanden und verlangt als Massnahme eine Verwarnung. Aus ihrer Sicht habe man zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nur Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Ebenfalls habe man das Fahrverhalten des Unfallgegners nicht mitberücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin muss sich anlasten lassen, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nicht aufmerksam war (Art. 31 Abs. 1 SVG). Dadurch missachtete sie den Vortritt des sich im Kreisel befindlichen Fahrradfahrers (Art. 41b VRV). Damit diese Verkehrsregelverletzung noch mit einer Verwarnung sanktioniert werden könnte, müsste durch das Verhalten der Beschwerdeführerin lediglich eine geringe Gefahr entstanden sein und ihr Verschulden leicht sein (E. 3.1.2.).

An den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt ist die Verwaltungsbehörde grds. gebunden, in der rechtlichen Würdigung einer Verkehrsregelverletzung ist sie hingegen frei (E. 3.2). Aus diesem Grund kann sich die Beschwerdeführerin nicht darauf stützen, dass sie im Strafverfahren wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer milden Busse von CHF 300.00 bestraft wurde. Massgeblich für die Administrativmassnahme ist die Gefährdung sowie das Verschulden. Auch wenn die Beschwerdeführerin langsam in den Kreisel gefahren sein sollte, war die von ihr geschaffene und konkrete Gefahr nicht mehr leicht. Der Velofahrer stürzte wegen den Kollision und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Da damit die Voraussetzungen der leichten Widerhandlung nicht erfüllt sind, kommt der Auffangtatbestand der mittelschweren Widerhandlung zum Zug. Auf das Verschulden wird im Entscheid nicht eingegangen.

Notstand wegen Notdurft?

BGE 1C_67/2021: Sicherungsentzug wegen Schnellfahren im Ausland

Dem Beschwerdeführer wurde der Führerschein mit einem Kaskadensicherungsentzug wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43km/h ausserorts in Deutschland auf unbestimmte Zeit entzogen. Die Wiedererteilung in frühestens zwei Jahren wurde von einer verkehrspsychologischen Begutachtung abhängig gemacht.

Wer im Ausland ein Fahrverbot erhält, muss gemäss Art. 16c SVG auch in der Schweiz mit einem Führerscheinentzug rechnen, wenn die Widerhandlung als mittelschwer oder schwer zu qualifizieren ist. Nach dem gefestigten Schematismus bzgl. Geschwindigkeitsüberschreitungen ist von einer schweren Widerhandlung auszugehen. Die Administrativbehörde ist an die Sachverhaltsfeststellungen des Strafverfahren grds. gebunden. Der deutsche Bussgeldbescheid wurde dem Beschwerdeführer auch korrekt zugestellt. Die direkte Zustellung ohne den Weg über die Rechtshilfe ist in div. internationalen Abkommen geregelt. Der Beschwerdeführer teilte sodann der deutschen Bussgeldstelle auch mit, dass er gegen den Bescheid vorgehen wird. Insgesamt ist also von einer schweren Widerhandlung auszugehen (zum Ganzen ausführlich E. 3).

Der Beschwerdeführer beruft sich auf eine Notstandssituation, denn er musste wegen akuten Magenbeschwerde unbedingt auf die Toilette. Wegen Bauarbeiten sei aber kein Pannenstreifen und auch keine Tankstellenausfahrten zur Verfügung gestanden. Deshalb sei er zu schnell zur nächsten Ausfahrt gefahren. Dass der Beschwerdeführer in einer Baustelle geblitzt wurde, ist anerkannt. Auf einen Notstand gemäss Art. 17 StGB kann sich berufen, wer in Rechtsgüter unbeteiligter Dritter eingreift, um so ein eigenes oder ein fremndes Rechtsgut aus einer drohenden Gefahr zu retten. Nach der Rechtsprechung ist bei einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung wie hier Notstand nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen. Nur wenn hochwertige Rechtsgüter wie Leib, Leben und Gesundheit von Menscchen in Frage stehen, kann ein Notstand vorliegen, so z.B. auf einer Fahrt ins Spital, um jemandem zu helfen. Die „unangenehme Situation“ des Beschwerdeführers war aber kein solcher Fall. Der Beschwerdeführer machte schwerwiegende Krankheitssymptome geltend, suchte aber erst ein paar Tage später einen Arzt auf. Zudem hätte der Beschwerdeführer ohne weiteres ausserhalb des Baustellenbereichs anhalten können. Und schliesslich machte der Beschwerdeführer bei einer früheren Geschweindigkeitsüberschreitung bereits erfolglos geltend, dass seine damalige Freundin wegen Periodenbeschwerden schnellstmöglich eine Toilette aufsuchen musste.

Es ist offensichtlich, dass Magenbeschwerden kein Grund sein können, die Rechtsgüter Dritter mit einer hohen Geschwindigkeitsüberschreitung zu gefährden, zumal Geschwindigkeitsüberschreitungen mit einem hohen Unfallrisiko verbunden sind.

Härtefallregelung bei Sicherungsmassnahmen?

BGE 1C_362/2020: Des Bauerns Sorgen mit der Kat. G (gutgh. Beschwerde)

Dem Beschwerdegegner wurde die Fahrerlaubnis sicherheitshalber entzogen, weil er viermal in alkoholisiertem Zustand Auto gefahren und bei der vierten Widerhandlung sogar einen Verkehrsunfall verursachte. Die Wiedererteilung wurde von einer Fahreignungsabklärung abhängig gemacht. Eine Beschwerde dagegen wurde insofern gutgeheissen, als dass die Kategorie für Traktoren wiedererteilt wurde, damit der Beschwerdegegner seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufrecht erhalten konnte. Im Verlaufe des Administrativverfahrens wurde ihm die Fahrbewilligung unter der Auflage der Alkoholabstinenz wiedererteilt. In der folgenden Haaranalyse allerdings wurde Ethylclucoronid nachgewiesen, damit gegen die Auflagen verstossen und die Fahrbewilligung sicherheitshalber entzogen. Die Beschwerdeinstanz entschied danach, dass die Spezialkategorie G wiederum erteilt werden sollte. Das Verkehrsamt Kt. SZ erhebt dagegen Beschwerde beim Bundesgericht.

Die Vorinstanz war der Ansicht, dass trotz fehlender Fahreignung der Beschwerdegegner als Landwirt dringend auf die Spezialkategorie G angewiesen sei. Mit dem Trekker habe er sich auch nie etwas zu Schulde kommen lassen. Zudem gehe es auch darum, einen Sozialhilfefall zu vermeiden. Das Verkehrsamt hingegen rügt, dass es bundesrechtswidrig sei, die Spezialkategorie G zu belassen, obwohl die Fahreignung grds. verneint wurde (E. 2.1/2).

Führerausweise sind zu entziehen, wenn die in Art. 14 SVG stipulierten Voraussetzungen für die Teilnahme am Strassenverkehr nicht mehr erfüllt sind. Leidet jemand an einer Sucht, kann dies die Fahreignung ausschliessen und die Fahrbewilligung muss entzogen werden. Sicherungsentzüge dienen der Gewährleistung der Verkehrssicherheit; in den entsprechenden Verfahren gilt die Unschuldsvermutung nicht (E. 2.3).

Die Haaranalyse ergab einen Wert von 9.3pg/mg und belegte damit, dass der Beschwerdegegner Alkohol konsumiert und gegen die Auflage der Alkoholabstinenz verstossen hatte. Im verkehrsmedizinischen Bericht wurde deshalb von einer Rückfallsgefahr und damit auch von einer erhöhten Möglichkeit ausgegangen, dass der Beschwerdegegner wieder alkoholisiert am Strassenverkehr teilnehmen könnte. Explizit wurde die Fahreignung auch für die Spezialkategorie G verneint, weshalb gegen den Entzug über alle Kategorien nichts einzuwenden ist (E. 2.4).

Das Bundesgericht prüft deshalb nur noch, ob es i.S. einer Härtefallklausel möglich ist, dennoch die Spezialkategorie G zu belassen.

Die Vorinstanz stütze sich bei ihrem früheren Entscheid auf Art. 33 Abs. 5 VZV der besagt, dass in Härtefällen für verschiedene Kategorien unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestdauern unterschiedlich lange Ausweisentzüge verfügt werden können, wenn
a. die Widerhandlung mit einem Fahrzeug erfolgte, welches die betroffene Person beruflich nicht benötigt und
b. die betroffene Person unbescholten ist bzgl. der (Spezial)Kategorie, für welche die Entzugsdauer verkürzt werden soll.

Für die Anwendung der Härtefallklausel besteht bei Sicherungsmassnahmen kein Raum. Der Sicherungsentzug gemäss Art. 17 Abs. 5 SVG dient der Verkehrssicherheit und wird verschuldensunabhängig angeordnet. Vorliegend steht fest, dass dem Beschwerdegegner die Fahreignung für die Spezialkategorie G fehlt. Ohne entsprechende Fahreignung fehlen die Voraussetzungen für die Erlangung der Fahrbewilligung gemäss Art. 14 SVG, womit die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Auch wenn der Entzug der Spezialkategorie G für die Berufsausübung des Beschwerdegegners einschneidend ist, so ist die Massnahme dennoch nicht unverhältnismässig. Der Beschwerdegegner hat es sich selber zuzuschreiben, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen wird, zumal er schon einmal die Chance hatte, sich zu bessern.

Die Beschwerde des Verkehrsamts wird gutgeheissen.

Grundrechte und der Kaskadensicherungsentzug

BGE 1C_312/2018:

Der Entscheid ist interessant, weil er sich etwas vertiefter mit der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 36 BV bei Berufsfahrern befasst, die von SVG-Massnahmen betroffen sind. Der Beschwerdeführer ist Taxifahrer. Er wehrt sich gegen den Kaskaden-Sicherungsentzug gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG und rügt u.a., dass die Sicherungsmassnahme seine persönliche und wirtschaftliche Freiheit verletzt.

E. 3 zum Schematismus bei Geschwindigkeitsüberschreitungen

E. 4 zum Grundrechtseingriff: Faktisch bedeutet der mind. zweijährige Ausweisentzug ein Berufsverbot für den Beschwerdeführer und Taxifahrer. Seine Widerhandlung mit bloss abstrakter Gefährdung genüge nicht, um einen derart heftigen Eingriff in seine Grundrechte zu rechtfertigen. Das BGer bestätigt, dass durch die SVG-Massnahme in die persönliche und die Wirtschaftsfreiheit eingegriffen wird. Der Eingriff beruht allerdings auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage. Zudem begünstigt die Fernhaltung des Beschwerdeführers vom Strassenverkehr die Verkehrssicherheit und liegt damit im öffentlichen Interesse. Im Rahmen der Verhältnismässigkeit muss der Eingriff geeignet, erforderlich und zumutbar sein. Das Verhältnismässigkeitsprinzip wird zwar in Art. 16 Abs. 3 SVG konkretisiert, wonach die Einzelfallumstände im Administrativmassnahmenverfahren berücksichtigt werden müssen. Allerdings dürfen die Mindestentzugsdauern nicht unterschritten werden. „Obwohl der Führerausweisentzug den Beschwerdeführer als Berufschauffeur schwer trifft, ist er ihm nach der vom Gesetzgeber selber in den Art. 16 ff. SVG getroffenen – und für das Bundesgericht verbindlichen (Art. 190 BV) – Konkretisierung des Verhältnismässigkeitsprinzips auch zumutbar.“

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Drogen und ihre Grenzwerte

BGE 1C_147/2018:

Der Entscheid befasst sich exemplarisch mit den verschiedenen Grenzwerten, die bzgl. Drogen und Autofahren zur Anwendung gelangen.

Die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers enthält als Auflagen ein totale Drogen- und Alkoholabstinenz. Wegen einem mutmasslichen Unfall wurde ein pharmakologisch-toxikologisches Gutachten erstellt, mit welchem der Konsum von Kokain und Cannabis nachgewiesen wurde, woraufhin das Verkehrsamt SZ dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis sicherheitshalber nach Art. 17 Abs. 5 SVG entzog. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen den Sicherungsentzug, weil die in Art. 34 VSKV-ASTRA stipulierten Grenzwerte nicht erreicht wurden und damit ein Konsum nicht nachgewiesen sei.

E. 5 zu den Grenzwerten: Gemäss Art. 2 Abs. 2 VRV gilt eine Person unwiderlegbar als fahrunfähig, wenn eine der im Artikel genannten Substanzen im Blut nachgewiesen wird. Der Nachweis gilt als erbracht, wenn die Messwerte im Blut die in Art. 34 VSKV-ASTRA festgelegten Grenzwerte erreichen. „Bei diesen Grenzwerten handelt es sich um sogenannte Bestimmungsgrenzwerte, die unter Berücksichtigung der Eigenheiten des chemisch-analytischen Messverfahrens festlegen, ab welcher Konzentration eine Substanz in einer Probe zuverlässig quantitativ bestimmt werden kann. Bestimmungsgrenzwerte sind von den sogenannten Nachweisgrenzwerten zu unterscheiden. Diese bezeichnen die kleinste Konzentration eines Stoffes, die in einer Probe qualitativ noch erfasst werden kann. Zwischen der Nachweis- und der Bestimmungsgrenze liegt in der Regel die sogenannte Erfassungsgrenze, ab der eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die gesuchte Substanz tatsächlich vorhanden ist.“ Liegt ein Messwert unterhalb der Nachweisgrenze, gilt eine Abstinenz grds. als bewiesen (vgl. für Alkohol BGE 140 II 334 E. 7). Die Grenzwerte von Art. 34 VSKV-ASTRA beziehen sich auf den Nachweis der Fahrunfähigkeit und den Straftatbestand des Fahrens in fahrunfähigem Zustand nach Art. 91 SVG. Nur weil i.c. die Grenzwerte von Art. 34 VSKV-ASTRA nicht erreicht wurden, heisst das nicht, dass der Beschwerdeführer keine Betäubungsmittel konsumiert hat.

E. 6 zum Sicherungsentzug: Nach einem Sicherungsentzuges wegen einer Suchtkrankheit wird zum Nachweis der Heilung i.d.R. eine mind. einjährige kontrollierte Abstinenz verlangt, was als Auflage in die Fahrerlaubnis eingetragen wird. Verstösst der Autofahrer gegen die Auflagen, wird diese nach Art. 17 Abs. 5 SVG sofort entzogen, ohne dass weitere verkehrsmedizinische Abklärungen vorzunehmen wären.

Der Beschwerdeführer hat zwar kein Fahrzeug in fahrunfähigem Zustand gelenkt, der Nachweis des Betäubungsmittelkonsums lag aber trotzdem vor. Der Sicherungsentzug erfolgte zu Recht.

Das rechtlich geschützte Interesse (gutgh. Beschwerde)

BGE 1C_641/2017:

Beim Beschwerdeführer fiel bei einer Verkehrskontrolle der Drugwipe-Test positiv auf Cannabis aus. Nach einem vorsorglichen Führerscheinentzug und erfolgreicher Fahreignungsabklärung wurde im August 2015 der Ausweis wiedererteilt, mit der Auflage einer 12-monatigen Cannabisabstinenz, die mittels monatlichen Urinproben kontrolliert wird. Im März 2016 fiel eine Urinprobe wiederum positiv aus, woraufhin das Strassenverkehrsamt der sofortige Sicherungsentzug verfügte und die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wiederum von einer Fahreignungsabklärung abhängig machte. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Die Beschwerdeinstanz sistierte das Verfahren und schrieb das Verfahren als gegenstandslos ab, nachdem der Beschwerdeführer trotz hängigem Rechtsmittel die erneute Fahreignungsabklärung bestand. Gegen die Abschreibung wurde beim Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben, die abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer verlangt die Aufhebung dieses Urteils. Das ASTRA hat sich vernehmen lassen und beantragt die Gutheissung der Beschwerde.

E. 2.2 zur Rechtsverweigerung: Dem Rechtsuchenden wird ein gerechtes Verfahren verweigert, wenn sein ordnungsgemäss eingereichtes Begehren nicht regelmässig geprüft wird. Eine formelle Rechtsverweigerung liegt vor, wenn eine Behörde auf eine Eingabe fälschlicherweise nicht eintritt oder eine solche ausdrücklich bzw. stillschweigend nicht behandelt, obwohl sie dazu verpflichtet wäre. Ob eine formelle Rechtsverweigerung vorliegt, prüft das Bundesgericht frei.

E. 2.3. zur Meinung der Vorinstanz: Die Vorinstanz ist der Auffassung, mit der Wiedererteilung des Führerausweises am 28. Februar 2017 sei das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers an der Behandlung seiner beim Departement gegen den Sicherungsentzug vom 23. März 2016 erhobenen Beschwerde entfallen.

E. 2.4. zur Meinung des BGer: Administrativmassnahmen werden im ADMAS-Register eingetragen, so auch der Sicherungsentzug vom März 2016. Gemäss der ADMAS-Register-VO bliebe dieser Eintrag mind. 10 Jahre bestehen bis er automatische gelöscht würde. Das Verwaltungsgericht war der Ansicht, dass der Beschwerdeführer durch diesen Eintrag nicht beschwert würde. Das sieht das BGer nicht so: „Auf der Hand liegt jedenfalls, dass der Eintrag für den Beschwerdeführer nachteilige Folgen haben könnte, wenn sich die Frage eines neuerlichen Sicherungsentzugs namentlich wegen Cannabismissbrauchs stellte. Darauf weist zutreffend auch das ASTRA hin. Könnte sich der Eintrag des am 23. März 2016 verfügten Sicherungsentzugs – wie die Vorinstanz anzunehmen scheint – in keiner Hinsicht nachteilig für den Beschwerdeführer auswirken, wäre nicht einzusehen, weshalb der Gesetz- und Verordnungsgeber den Eintrag überhaupt vorgesehen hätten. Der Eintrag des Sicherungsentzugs im ADMAS kann demnach für den Beschwerdeführer in einem allfälligen neuerlichen Administrativverfahren nachteilige Folgen haben. Schon deshalb hat der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Behandlung der beim Departement gegen den Sicherungsentzug eingereichten Beschwerde.“ Auch könnte ein Arbeitgeber einen ADMAS-Auszug verlangen. Zudem muss niemand fehlerhafte Registereinträge hinnehmen, was sich aus dem Recht über informationelle Selbstbestimmung ergibt. Der Beschwerdeführer hat insofern nach wie vor ein schutzwürdiges Interesse auf Behandlung seiner Beschwerde. Zudem bestreitet der Beschwerdeführer auch die Richtigkeit der Urinprobe, die zum Sicherungsentzug führte. „In Anbetracht dessen ist es schlechthin unhaltbar, wenn die Vorinstanz annimmt, aufgrund der Wiederteilung des Führerausweises am 28. Februar 2017 habe der Beschwerdeführer kein schutzwürdiges Interesse an seiner gegen den Sicherungsentzug vom 23. März 2016 erhobenen Beschwerde mehr“.

Das Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kt. AG hat es sich hier zu einfach gemacht. Auch wenn die Fahrerlaubnis zwischenzeitlich wiedererteilt wurde, hat der Beschwerdeführer eine Vielzahl von schutzwürdigen Interessen, die die Behandlung seiner Beschwerde rechtfertigen.

Rechtlich geschütztes Interesse bei bereits vollzogenem Warnentzug

BGE 1C_200/2017: Rechtlich geschütztes Interesse

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen fünfmonatigen Warnentzug wegen schwerer Widerhandlung gegen das SVG, obwohl der Warnentzug wegen einem Sicherungsentzug bereits vollzogen war im Zeitpunkt der Verfügung. Da die Massnahme bereits vollzogen war, stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt noch zur Beschwerde legitimiert ist. Nach seiner Ansicht ist dies zu bejahen, denn die Dauer der Massnahme von fünf Monaten, also zwei über der gesetzlichen Mindestdauer, belaste seinen verkehrsrechtlichen Leumund, habe Auswirkungen auf eine allfällige Beurteilung der Fahreignung in Bezug auf Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG sowie von haftpflicht- und versicherungsrechtliche Fragen. Das BGer sieht dies anders und weist die Beschwerde ab.

E. 2.2 zum rechtlich geschützten Interesse: „Verlangt ist somit neben der formellen Beschwer, dass der Beschwerdeführer über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens  unmittelbar beeinflusst werden kann (BGE 141 II 14 E. 4.4 S. 29 f.; 133 II 409 E. 1.3 S. 413; je mit Hinweisen). Hingegen kann als schutzwürdiges Interesse, das einen praktischen Nutzen einbringt, nicht jedes irgendwie geartete Interesse bzw. jede entfernte Möglichkeit, dass ein anderer Verfahrensausgang dereinst noch irgendwo eine Rolle spielen könnte, gelten. Vielmehr ist erforderlich, dass die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beeinflusst werden könnte. „

E. 3.2.2 zum Leumund: Unbestritten ist die Qualifikation der Widerhandlung als schwere. Bei der Massnahmenkaskade ist nicht die Dauer, sondern die Schwere der Widerhandlung massgebend. Bei einer erneuten Widerhandlung ist allerdings der Leumund gemäss Art. 16 ASbs. 3 SVG zu beachten. „Es erscheint daher nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich der Umstand, ob dem Beschwerdeführer der Führerausweis wegen des Vorfalls vom 6. Juli 2012 nur wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand oder zusätzlich wegen weiterer Verkehrsdelikte bzw. für drei oder für fünf Monate entzogen wurde, dereinst einmal auf die Situation des Beschwerdeführers auswirken könnte, sofern dieser in Zukunft erneut Verkehrsdelikte begehen würde. Andererseits stünde – selbst wenn der Beschwerdeführer in Zukunft erneut solche Verkehrsdelikte begehen sollte – keineswegs fest, dass die angeordnete Entzugsdauer tatsächlich einen Einfluss auf die Dauer des neuerlichen Ausweisentzugs hätte. Dies zumal der Leumund des Beschwerdeführers als Motorfahrzeugführer, welcher nur eines von mehreren Kriterien für die Festsetzung der Dauer eines allfälligen künftigen Ausweisentzugs bildet (vgl. Art. 16 Abs. 3 SVG), ohnehin bereits getrübt ist. Folglich wäre die Frage, ob dem Beschwerdeführer der Ausweis nach dem Vorfall vom 6. Juli 2012 für drei oder fünf Monate entzogen worden ist, insoweit höchstens von untergeordneter Bedeutung.

E. 3.3 zur Fahreignung: Auch hinsichtlich dem in Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG geregelten Sicherungsentzug schliesst das BGer nicht jegliche Auswirkung aus. Da aber eine derart strenge Massnahme sorgfältig abgeklärt werden muss und der vorliegende Warnentzug nur eines vieler Kriterien ist, betrachtet das BGer auch hier die Auswirkung als untergeordnet.

E. 3.5: „Gesamthaft betrachtet ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die vom Beschwerdeführer vor der Vorinstanz beantragte Änderung des angefochtenen Entscheids unmittelbar auf seine tatsächliche oder rechtliche Situation auswirken könnte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass die Frage der Entzugsdauer auf die Situation des Beschwerdeführers theoretisch in Zukunft noch einen gewissen Einfluss haben könnte, zumal die Wahrscheinlichkeit dafür unter den gegebenen Umständen als zu gering erscheint.“

Fazit: Gegen einen bereits vollzogenen Warnentzug zu prozessieren, lohnt sich grds. nicht.

Aufschiebende Wirkung beim Sicherungsentzug

BGE 1C_557/2016: Aufschiebende Wirkung beim Sicherungsentzug (Bestätigung Rechtsprechung)

Beim Sicherungsentzug müssen die Individualinteressen grds. gegen das öffentliche nach Verkehrssicherheit zurücktreten.

„In Anbetracht der erheblichen Gefahr, die von einem ungeeigneten Fahrzeugführer für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist eine vorsorgliche Wiederzulassung zum motorisierten Verkehr bis zum Abschluss des Verfahrens bei dem hier drohenden Sicherungsentzug nicht verantwortbar, bevor die Zweifel an der Fahreignung ausgeräumt sind. Rechtsmitteln gegen einen Sicherungsentzug wird deshalb nach der Rechtsprechung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung eingeräumt, so dass der Führerausweis vorbehältlich besonderer Umstände bis zum rechtskräftigen Abschluss des Administrativverfahrens entzogen bleibt „

Verstoss gegen Abstinenzauflage

BGE 1C_463/2016: Sicherungsentzug nach Verstoss gegen Auflage der Alkoholabstinenz

Nach Trunkenheitsfahrt, versuchter Fluch und verursachen eines Verkehrsunfalls wurde dem Beschwerdeführer der Führerausweis 2011 auf unbestimmte Zeit entzogen. Nach positivem psychiatrischem Gutachten und Nachweis einer Alkoholabstinenz wurde die Fahrerlaubnis 2014 wiedererteilt mit der Auflage der Alkoholabstinenz. Bei der darauffolgenden Haarprobe wurde ein EtG-Wert von 7,3 pg/mg festgestellt, also knapp über der Nachweisgrenze von 7pg/mg. Das BGer heisst den erneuten Sicherungsentzug gut.

BGer: „Dass er dann bereits die erste Verlaufskontrolle im Februar 2015 nicht bestand und ihm der Ausweis umgehend wieder entzogen wurde, hat er ebenfalls selber zu verantworten. Die Polizei hatte ihm noch besonders und unmissverständlich erläutert, dass Abstinenz gemäss ihrer Verfügung den völligen Verzicht auf den Konsum von Alkohol bedeute und entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch mit einem bloss mässigen Alkoholkonsum nicht vereinbar sei.“