Rückblick auf die letzten Wochen des Werkelns unserer Bundesrichter

Nach einer gewissen Down-Time schauen wir zurück, was beim Bundesgericht in Sachen SVG so los war. Die absoluten Blockbuster waren nicht dabei. Dafür dienen die neuen Urteile gut für eine gemütliche Lektüre am Cheminée…

Urteil 1C_340/2022: Da muss man halt die Schulbank drücken

Dieses Urteil befasst sich exemplarisch mit dem Verkehrsunterricht nach Art. 40 VZV und unter welchen Voraussetzungen dieser angeordnet werden kann. Spoiler: Die Hürden sind tief.

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Die Beschwerdeführerin ist innerorts 16 km/h zu schnell gefahren. Diese leichte Widerhandlung wurde wegen den Vorbelastungen mit einem Führerausweis-Entzug sanktioniert. Zudem wurde die Beschwerdeführerin zum Besuch eines Verkehrsunterrichts verpflichtet.

Zunächst stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, dass es sich bei ihrer Geschwindigkeitsüberschreitung um einen besonders leichten und damit nicht zu bemassnahmenden Fall handelt. Ein besonders leichter Fall liegt allerdings nur vor, wenn Verschulden und Gefährdung besonders leicht sind (E. 3.1). Nach dem in der Rechtsprechung entwickelten Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten, besteht aber bei einer Tempoüberschreitung innerorts um 16 km/h immer die naheliegende Gefahr eines Verkehrsunfalles, z.B. mit Fussgängern (E. 3.3), weshalb von einer leichten Widerhandlung ausgegangen werden muss.

Die Beschwerdeführerin möchte nicht am Verkehrsunterricht teilnehmen. Sie kenne die Verkehrsregeln. Nach ihrer Ansicht sei der pädagogische Wert der Nachschulung fraglich und habe hauptsächlich pönalen Charakter.

Gemäss Art. 40 VZV bezweckt der Verkehrsunterricht, dass die betroffene Person durch gezielte Nachschulung zu korrektem Verhalten im Strassenverkehr angehalten wird (Abs. 2). Vorausgesetzt ist, dass die betroffene Person wiederholt gegen das SVG verstossen hat (Abs. 3). Der Besuch des Verkehrsunterrichts kann alleine oder mit anderen Massnahmen angeordnet werden (Abs. 4).

Eine wiederholte Verkehrsregelübertretung liegt schon dann vor, wenn jemand innert kurzer Zeit zweimal gegen Verkehrsregeln verstossen hat. Ob es sich dabei um dieselben oder verschiedene Regeln handelte, ist unerheblich. Die Massnahme muss verhältnismässig sein, also auch dazu geeignet, dass die betroffene Person künftig nicht mehr gegen Verkehrsregeln verstösst. Die Hürden dazu sind aber tief. Der Besuch des Verkehrsunterrichts ist schon dann gerechtfertigt, wenn aus den Umständen geschlossen werden muss, dass der betroffenen Person der Zweck einzelner Verkehrsvorschriften nicht einsichtig ist und sie sich deswegen der Gefahren nicht bewusst ist, die sie durch deren Übertretung für andere Verkehrsteilnehmende schafft (E. 5.1).

Da die Beschwerdeführerin innert sieben Jahren viermal zu schnell fuhr, durfte daraus geschlossen werden, dass die bisherigen Massnahmen keine erzieherische Wirkung zeigten. Aus diesem Grund ist es vorliegend gerechtfertigt, dass die Beschwerdeführerin am Verkehrsunterricht teilnehmen muss, auch weil sie nur beschränkte Einsicht in ihr Fehlverhalten zeigte. Anders kann z.B. ein Fall beurteilt werden, wenn jemand nach zwei Widerhandlungen bereits Einsicht und Reue zeigt. Dann ist ein Verkehrsunterricht als Massnahme nicht mehr nötig, um die betroffene Person zu verkehrskonformem Verhalten zu erziehen (vgl. dazu Urteil 1C_330/2011 E. 4).


Urteil 6B_723/2023: Ein „Nein“ reicht aus

Dieses Urteil befasst sich damit, ab welcher Handlungs-Intensität eine Atemalkoholprobe als vereitelt gilt.

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Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit. Eine Drittperson meldete der Polizei, dass eine offensichtlich angetrunkene Person mit dem Auto von einer Lokalität nach Hause gefahren ist. Als die Polizei später beim Beschwerdeführer zuhause ankam, stand der Fahrzeug vor seinem Wohnhaus. Als die Polizei dann eine Atemalkoholprobe durchführen wollte, verweigerte der Beschwerdeführer diese mehrmals, indem er dazu „Nein“ sagte.

Den Tatbestand der Vereitelung gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG erfüllt, wer sich vorsätzlich einer Atemalkoholprobe oder einer anderen Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit widersetzt. In dieser Situation muss die Polizei die betroffene Person auf die rechtlichen Folgen der Vereitelung aufmerksam machen (s. Art. 13 SKV). Sich im Sinne von Art. 91a Abs. 1 SVG zu widersetzen, bedeutet, sich so zu verhalten, dass eine angeordnete Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zumindest vorerst nicht vollzogen werden kann. Die Tathandlung des Widersetzens kann in einem aktiven oder passiven Widerstand bzw. einer entsprechenden Verweigerung an der Mitwirkung an oder Duldung der Untersuchungsmassnahme bestehen. Auch passiver Widerstand setzt jedoch ein aktives Störverhalten von einer gewissen Intensität voraus. Unter diesen Voraussetzungen kann ein verbaler Widerstand den Tatbestand erfüllen (E. 2.3.3).

Gemäss dem korrekt festgestellten Sachverhalt lenkte der Beschwerdeführer sein Fahrzeug ca. 10 Minuten vor dem Eintreffen der Polizei, womit ein genügender Bezug zum Strassenverkehr bestand, auch wenn die Polizei den Beschwerdeführer erst zu Hause kontrollierte. Als die Polizei die Atemalkoholprobe durchführen wollte, verweigerte der Beschwerdeführer diese, indem er dazu mehrfach „Nein“ sagte. Seine verbale Weigerung, an der Atemalkoholprobe mitzuwirken, war damit von genügender Intensität, um den Straftatbestand von Art. 91a Abs. 1 SVG zu erfüllen (E. 2.7).

Die Beschwerde wird abgewiesen.


Urteil 1C_628/2022: Haare lügen nicht

In diesem Urteil geht es um die Frage, ob gewisse Ungereimtheiten bei der Auswertung einer Haaranalyse deren Verwertung als Beweis willkürlich macht.

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Nach einem Sicherungsentzug im Jahr 2014 wegen einer Alkohol- und Betäubungsmittelproblematik wurde dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis im Februar 2022 wieder erteilt, unter der Auflage eine Alkohol- und Betäubungsmitteltotalabstinenz einzuhalten. Im Juni 2022 wurde im Rahmen der Auflagenkontrolle eine Haarprobe genommen, welche ergab, dass der Beschwerdeführer Kokain konsumiert habe. Die Fahrerlaubnis wurde daraufhin gemäss Art. 17 Abs. 5 SVG wieder entzogen.

Der Beschwerdeführer bemängelt die Auswertung der Haarprobe als offensichtlich unrichtig. So wurde aufgeführt, dass er das Medikament Concerta einnehme, obwohl er als ADHS-Betroffener Ritalin bekomme. Zudem bemängelt er, dass ihm die Auswertung einerseits eine Alkoholabstinenz attestiere, denn Ethylglucuronid (Stoffwechselprodukt von Alkohol) wurde nicht nachgewiesen. Zugleich ergab aber die Auswertung, dass in seinen Haaren Cocaethylen nachgewiesen wurde, ein Stoffwechselprodukt, dass nur beim kombinierten Konsum von Alkohol und Kokain entsteht. Daraus schliesst er, dass möglicherweise die Haarproben verwechselt wurden.

Motorfahrzeugführer müssen fahrgeeignet sein, d.h. unter anderem frei von Süchten (Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG). Nach einem Sicherungsentzug wegen einer Suchtproblematik wird i.d.R. zum Nachweis der Heilung eine mindestens einjährige Kontrollierte Abstinenz verlangt. Vermag eine Person eine Abstinenzauflage nicht einzuhalten, muss die Fahrerlaubnis ohne weitere (verkehrsmedizinische) Abklärungen wieder entzogen werden (E. 2.2). Gutachterliche Haaranalysen sind ein geeignetes Mittel für Abstinenzkontrollen und für Behörden und Gerichte grds. verbindlich, sofern das Abstützen auf ein offensichtlich unrichtiges Gutachten nicht willkürlich ist (E. 3.2).

Der Beschwerdeführer wies nach, dass er gemäss seinen behandelnden Ärzte nicht mit Concerta therapiert wurde. Die Auswertung der Haaranalyse war in diesem Punkt offensichtlich falsch. Da aber Concerta und Ritalin den gleichen Wirkstoff „Methylphenidat hydrochlorid“ beinhalten und dieser sowieso nicht für die Beurteilung der Fahreignung des Beschwerdeführers hinzugezogen wurde, fiel dieser Umstand nicht ins Gewicht. In Bezug auf das Cocaethylen führt das Bundesgericht aus, dass es sich dabei um einen anderen Metaboliten handelt, wie beim Ethylglucuronid. Generell besteht beim Nachweis von Metaboliten in Haaren eine Messunsicherheit von +/-30%. Es ist insofern möglich, dass der Beschwerdeführer Alkohol getrunken hat, dieser aber nicht mehr nachweisbar ist. Es gelingt dem Beschwerdeführer deshalb nicht nachvollziehbar aufzuzeigen, wie das Ergebnis der Haaranalyse widersprüchlich bzw. unhaltbar sein soll (E. 3.4.2).

Alles in allem durfte die Vorisntanz auf die Haaranalyse abstützen, ohne dabei in Willkür zu verfallen.


Urteil 1C_485/2023: Selbstunfall wegen Doppelsehen ist mittelschwere Widerhandlung

Tja, der Titel sagt es bereits, dieser Entscheid befasst sich damit, ob nach einem Selbstunfall wegen einem Doppelsehens wegen Unterzuckerung noch eine leichte Widerhandlung angenommen werden kann oder eben nicht.

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Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen einmonatigen Führerausweis-Entzug. Im Mai 2022 erlitt er beim Autofahren einen Rückgang seines Blutzuckerspiegels mit einer anschliessenden Sehstörung (Doppelsehen). Seine Fahrt setzte er dennoch fort. In einem Kreisel streifte er sodann den Rand der Mittelinsel. Bei der Ausfahrt aus dem Kreisel kollidierte er mit einem Bienenpfosten, wo sein Fahrzeug stecken blieb.

Vor Bundesgericht verlangt der Beschwerdeführer in Annahme einer leichten Widerhandlung eine Verwarnung. Es erstaunt nicht, dass das Bundesgericht die Meinung der Vorinstanz schützt, dass die Gefährdung bei dieser Sachlage mittelschwer war. Der Beschwerdeführer fuhr mit seinem Auto weiter, obwohl ihm wegen dem Abfall seines Blutzuckerspiegels unwohl war und er Doppelbilder sah. Trotz seines Unwohlseins setzte er seine Fahrt über eine Strecke von mehr als 250m fort und überquerte dabei noch zwei Fussgängerstreifen, obwohl er ohne weiteres hätte parkieren können. Da die Gefährdung mittelschwer war, musste sich die Vorinstanz auch nicht mehr vertieft mit dem Verschulden des Beschwerdeführers auseinandersetzen. Auch wenn dieses leicht gewesen wäre, wäre trotzdem der Auffangtatbestand der mittelschweren Widerhandlung zum Zug gekommen. Auch seine persönlichen Umstände, dass er z.B. seine ältere Partnerin mit dem Auto herumfahren muss, vermag hier nichts zu ändern (E. 2).

Vorsicht Meinung: Der Beschwerdeführer kann sich mit einem Monat Führerausweis-Entzug glücklich schätzen. Wer trotz Unwohlseins und Doppelsehen nicht sofort anhält und weiterfährt, befindet sich in fahrunfähigem Zustand aus medizinischen Gründen. Es ist deshalb erstaunlich, dass der Beschwerdeführer nicht gemäss Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG bestraft wurde. Theoretisch wäre es auch möglich gewesen, dass die Administrativ-Behörde den Sachverhalt rechtlich anders beurteilt hätte. Bei dieser Sachlage wäre die Annahme einer schweren Widerhandlung ebenfalls vertretbar gewesen.

Mahsan-Test verweigern

BGE 6B_1339/2019: Mahsan-Test zur Feststellung von Cannabiskonsum

Beim Mahsan-Test handelt es sich um einen Schnelltest, mit welchem mittels Urin innert Minuten geprüft werden kann, ob jemand Betäubungsmittel konsumiert hat. Der Beschwerdegegner weigerte sich anlässlich einer Polizeikontrolle einen Mahsan-Test durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft erliess deshalb einen Strafbefehl wegen Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrfähigkeit. Die kantonalen Instanzen hingegen sprachen den Beschwerdegegner frei. Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde ans BGer und verlangt implizit, dass der Beschwerdegegner verurteilt wird.

Die STA stellt sich auf den Standpunkt, dass der Mahsan-Test ein geeignetes Mittel zur Feststellung einer Fahrunfähigkeit darstelle und deshalb der Freispruch der Vorinstanzen rechtswidrig sei. Der Beschwerdegegner führte aus, dass er vor der Fahrt CBD-Hanf geraucht habe und deshalb der Mahsan-Test sowieso positiv ausgefallen wäre. Deshalb habe er den Test verweigert (E. 2.2./2.3.).

Ergeben sich bei Fahrzeugführer Anzeichen auf eine Fahrunfähigkeit, die nicht auf Alkohol zurückzuführen ist, so kann die Polizei gemäss Art. 55 Abs. 2 SVG Voruntersuchungen, i.e. Urin- oder Speichelproben, anordnen. Die Modalitäten dazu werden in Art. 10ff. SKV geregelt. Die Polizei kann Vortests durchführen. Für den Nachweis von anderen Substanzen als Alkohol muss eine Blutprobe angeordnet werden. Weigert sich eine Person einen Vortest durchzuführen, wird eine Blutprobe angeordnet, worauf die betroffene Person von der Polizei hinzuweisen ist.

Wegen Vereitelung gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG macht sich strafbar, wer den Nachweis einer Fahrunfähigkeit definit vereitelt. Es handelt sich dabei um ein Erfolgsdelikt. Betäubungsmittelvortests wie der Mahsan-Test haben dabei lediglich eine Indikatorfunktion und beweisen per se noch nicht, ob jemand fahrunfähig war. Dazu ist eine Blutprobe nötig. Die Verweigerung eines Mahsan-Tests erfüllt damit der Vereitelungstatbestand nicht (E. 2.3).

Der Beschwerdeführerin gelingt es damit nicht aufzuzeigen, dass die Feststellung der Fahrunfähigkeit mit der Verweigerung des Mahsan-Tests definitiv vereitelt wurde. Mit diesem wäre es auch gar nicht möglich den in der ASTRA-VO festgelegten THC-Grenzwert zu belegen.

Das Urteil knüpft nahtlos an BGE 6B_614/2019 an, das hier auch schon gefeatured wurde.

Verweigerung von Drogenvortests nicht strafbar

BGE 6B_614/2019: Vereitelung (teilw. Gutgh. Beschwerde, zur amtl. Publikation vorgesehen)

Der Beschwerdeführer geriet im Kt. AG in Oftringen in eine Polizeikontrolle. Vor Ort verweigerte er sowohl einen Drugwipe-Schnelltest, als auch eine Blutprobe auf dem Polizeiposten, wofür er von den kantonalen Instanzen wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung von Fahrunfähigkeit verurteilt wurde.

E. 1 zu den Parteimeinungen: Der Beschwerdeführer bringt hervor, dass keinerlei Anzeichen für eine Fahrunfähigkeit bestanden und insofern auch kein Anfangsverdacht für die Anordnung der Drogentests. Die kantonalen Instanzen sind der Meinung, dass durchaus Anzeichen für eine Fahrunfähigkeit bestanden, i.e. auffällig langsames Fahren, Nervosität und zunehmendes Aufbrausen, wässrige Augen und zittrige Augenlieder sowie energisches Antworten.

E. 1.4ff. zur Vereitelung: Wer eine Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit vereitelt, wird nach Art. 91a SVG bestraft. Es ist ein Vorsatzdelikt, wobei Eventualvorsatz genügt. Atemalkoholproben sind gemäss Art. 55 Abs. 1 SVG ohne Verdacht zu jeder Zeit möglich. Nach Abs. 2 des vorgenannten Artikels sind weitere Vortests möglich, wenn die betroffene Person noch andere Anzeichen von Fahrunfähigkeit aufweist. Dazu kann die Polizei gemäss Art. 10 Abs. 2 SKV Vortests durchführen. Zur Durchführung von Vortests reichen bereits geringe Anzeichen von Fahrunfähigkeit, wie wässrige Augen oder blasser Teint. Das Ergebnis des Vortests kann dann zu einem hinreichenden Tatverdacht führen gemäss Art. 197 StPO. Die Einwände des Beschwerdeführers gehen also fehl, wenn er sagt, dass für den Vortest kein hinreichender Tatverdacht vorlag, denn dieser ist dafür gar nicht vorausgesetzt (E. 1.5.1).

Die Vereitelung kann durch Ausweichen (Flucht), durch Vereiteln (Nachtrunk) oder Widerstand erfolgen. Es ist ein Erfolgsdelikt. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn der Nachweis der Fahrunfähigkeit durch das Verhalten des Täters verunmöglicht wird. Kann die Fahrunfähigkeit später trotzdem bewiesen werden, liegt ein vollendeter Versuch vor. Ob das Verweigern eines Vortests bereits den Tatbestand erfüllen kann, ist in der Lehre umstritten. Gewissen Autoren stellen sich auf den Standpunkt, dass durch das Verhalten des Täters der Nachweis komplett verunmöglicht werden muss (E. 1.6.1). Obwohl nach negativem Vortest nach Art. 10 Abs. 4 SKV auf weitere Massnahmen verzichtet werden kann, sind die Vortests keine Voraussetzung für die Anordnung von strafprozessualen Zwangsmassnahmen. Auch bei negativem Vortest wäre die Anordnung einer Blutprobe möglich. Die Vortests sind in anderen Worten nicht beweiskräftig. Verweigert man einen Vortest, erfüllt man den Tatbestand von Art. 91a SVG nicht, da der Vortest Indikator, nicht aber ein Nachweis für die Fahrunfähigkeit ist (E. 1.6.2).

Die Feststellung von Anzeichen von Fahrunfähigkeit sind abhängig vom Einzelfall. Anzeichen können sein: Verursachen eines Unfalls, berauschter, müder, euphorischer, apathischer oder sonst auffälliger Zustand. Kenntnis von früherem Drogenkonsum reicht aber nicht für einen Vortest.

Der Beschwerdeführer verweigerte sowohl den Vortest, als auch die Blutprobe, wodurch der Nachweis der Fahrunfähigkeit endgültig verunmöglicht wurde. Der Tatbestand ist erfüllt.

E. 2 zur Strafzumessung: Gutgeheissen wird die Beschwerde in Bezug auf die Strafzumessung, weil die Vorinstanz fälschlicherweise von unechter Konkurrenz ausgeht. Die Verweigerung des Drugwipe-Tests erfüllt den objektiven Tatbestand von Art. 91a SVG eben nicht.

Vereitelung und Beschleunigungsgebot

Ein guter Entscheid zur Vereitelung, der die bisherige Rechtsprechung exzellent zusammenfasst. Gutgeheissen wird die Beschwerde teilweise, weil das Strafverfahren zu lange dauerte. Der Beschwerdeführer streifte auf einem Parkplatz ein anderes Auto, unterliess die Meldung an die Geschädigte oder die Polizei und wehrte sich dann gegen die polizeiliche Atemalkoholprobe. Es musste ein Blutprobe gemacht werden.

BGE 6B_441/2019: Vereitelung einer Massnahme, Verfahrensbeschleunigung (Rep; teilw. ggh. Beschwerde)

E. 2 zum Vereiteln: Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass der Tatbestand des Vereitelns nicht erfüllt sei. Wer sich nach einem Unfall pflichtwidrig verhält, erfüllt den Tatbestand der Vereitelung, wenn

  1. die betroffene Person zur Meldung gemäss Art. 51 SVG verpflichtet ist,
  2. die Meldepflicht der Abklärung des Unfalles und auch der Ermittlung des Zustands der betroffenen Person dient,
  3. die Benachrichtigung der Polizei überhaupt möglich war,
  4. und wenn den Umständen nach mit einer Blut- bzw. Atemalkoholprobe zu rechnen war.

Seit der Einführung der Beweissicheren Atemalkoholprobe muss grds. nach jedem Unfall mit einer Alkoholkontrolle gerechnet werden. Subjektiv ist Vorsatz erforderlich, Eventualvorsatz genügt. Art. 55 SVG ermächtigt die Polizei zur Durchführung von Alkoholkontrollen ohne Verdacht oder bei Verkehrsunfällen. In der Praxis ist die Atemalkoholprobe bei Unfällen Standard (E.2.1).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er die Kollision verursacht hat. Er behauptet auch nicht, dass er versucht hat, die Polizei zu avisieren. Auch bringt er nicht vor, er habe die Kollision nicht bemerkt. Es entlastet ihn auch nicht, dass er sein Auto nach der Kollision stehen liess und zurück ins Restaurant ging, wo sich auch die Geschädigte aufhielt. Er hätte diese ja einfach ausfindig machen und seinen Pflichten nachkommen können. Nach dem Feierabend und seinen Genussfreuden muss halt einfach mit einer Alkoholkontrolle gerechnet werden, weshalb der Beschwerdeführer im Restaurant nicht hätte weitersauffen dürfen.

E. 3 zum Beschleunigungsgebot: Nach dem in Art. 5 StPO stipulierten Beschleunigungsgebot müssen die Strafbehörden zügig arbeiten. Als krasse Zeitlücke, welche eine Sanktion aufdrängt, gilt etwa eine Untätigkeit von 13 oder 14 Monaten im Stadium der Untersuchung, eine Frist von vier Jahren für den Entscheid über eine Beschwerde gegen eine Anklagehandlung oder eine Frist von zehn oder elfeinhalb Monaten für die Weiterleitung eines Falles an die Beschwerdeinstanz. Wird eine Verletzung des Beschleunigungsgebots festgestellt, ist diesem Umstand angemessen Rechnung zu tragen. Als Sanktionen fallen in Betracht die Berücksichtigung der Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung, die Schuldigsprechung unter gleichzeitigem Strafverzicht oder in extremen Fällen – als ultima ratio – die Einstellung des Verfahrens. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Gericht verpflichtet, die Verletzung des Beschleunigungsgebotes im Dispositiv seines Urteils ausdrücklich festzuhalten und gegebenenfalls darzulegen, in welchem Ausmass es diesen Umstand berücksichtigt hat (E. 3.1).

Vorliegend ruhte das Einspracheverfahren grundlos während eineinhalb Jahren. Auch das kantonale Verfahren ist mit vier Jahren zu lange gegangen. Die Vorinstanz verletzt ihr Ermessen, wenn sie dafür eine Strafreduktion von nur 10 Tagessätzen gewährt. Die Beschwerde wird in diesem Punkt gutgeheissen.

Vereitelung, Geschwindigkeitsschematismus, der Drifter als Raser?

BGE 6B_1323/2016: Vereitelung – Nach Unfall darf man nicht trinken (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Titel sagt es bereits, nach einem Unfall mit Sachschaden darf man einfach nichts mehr Trinken, ansonsten man wegen Vereitelung drankommt.

E. 1.2: „Die Unterlassung der sofortigen Meldung eines Unfalls an die Polizei erfüllt den objektiven Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe, wenn (1) der Fahrzeuglenker gemäss Art. 51 SVG zur sofortigen Meldung verpflichtet ist, (2) die Meldepflicht der Abklärung des Unfalls und damit allenfalls auch der Ermittlung des Zustands des Fahrzeuglenkers dient (Zweckzusammenhang), (3) die Benachrichtigung der Polizei möglich war und wenn (4) bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet hätte (BGE 142 IV 324 E. 1.1.1; 126 IV 53 E. 2a; 125 IV 283 E. 3). Während die Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe nach der bisherigen Rechtsprechung von den konkreten Umständen des Falles (Art, Schwere und Hergang des Unfalls, Zustand sowie Verhalten des Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall) abhängig gemacht wurde (BGE 131 IV 36 E. 2.2.1; 126 IV 53 E. 2a), muss nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich bereits mit der Anordnung einer Alkoholkontrolle gerechnet werden, wenn ein Fahrzeugführer in einen Unfall verwickelt ist (BGE 142 IV 324 E. 1.1.2 f.).“

 

BGE 6B_444/2016: Schematismus bei GÜ (Verschärfung)

Der Beschwerdeführer fuhr auf der Autobahn N1 in einem mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80km/h signalisierten Baustellenbereich mit 119km/h, nach Toleranzabzug 33km/h zuviel. Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II der kantonalen Instanzen.

E. 1.1: Zunächst folgen Ausführungen zum bereits etablierten Schematismus:

„Dans le domaine des excès de vitesse, la jurisprudence a été amenée à fixer des règles précises afin d’assurer l’égalité de traitement. Ainsi, le cas est objectivement grave au sens de l’art. 90 al. 2 LCR, sans égard aux circonstances concrètes, en cas de dépassement de la vitesse autorisée de 25 km/h ou plus à l’intérieur des localités, de 30 km/h ou plus hors des localités et sur les semi-autoroutes dont les chaussées, dans les deux directions, ne sont pas séparées et de 35 km/h ou plus sur les autoroutes.“

E. 1.3: Danach stellt es aber fest, dass die GÜ in einem Baustellenbereich begangen wurde, wo nicht die normale Höchstgeschwindigkeit von 120km/h, sondern 80km/h galt. Die „magische Grenze“ von 35km/h zuviel für die grobe Verkehrsregelverletzung gelte aber nur für den Normalbereich von 120km/h. Wenn auf der Autobahn 80km/h als Höchstgeschwindigkeit gelte, so sei dies eher mit einer Ausserortsstrecke vergleichbar, insb. wenn die Limite wegen einer Baustelle gilt. Insofern gelte dann die „magische Grenze“ für Ausserortsstrecken von 30km/h auch für die Autobahn für die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung.

„Dans certaines situations, un tronçon autoroutier régi par une limite de vitesse inférieure à 120 km/h, plus particulièrement en cas de limitation à 80 km/h, est comparable, eu égard au danger potentiel, à une route située en dehors d’une localité et non à une autoroute. Cela signifie qu’en matière d’excès de vitesse, ce sont les principes développés par la jurisprudence pour les routes situées en dehors des localités qui doivent, en règle générale, être appliqués (cf. ATF 128 II 131 consid. 2b). En l’espèce, le tronçon autoroutier était limité à une vitesse maximale de 80 km/h en raison de travaux. Des ouvriers travaillaient derrière un grillage apposé sur une bande herbeuse. La bande d’arrêt d’urgence était fermée afin de permettre aux ouvriers de travailler et de décharger leur matériel. Les usagers disposaient de deux voies dans le sens de la marche (arrêt attaqué, p. 3 let. f). La présence d’un chantier et d’ouvriers impliquait un danger particulier. Dans une telle configuration, il convient de considérer que le tronçon, quand bien même les usagers disposaient de deux voies dans le même sens de marche, s’apparente à une route hors localité. Le dépassement de vitesse litigieux de 33 km/h est supérieur à 30 km/h qui constitue le seuil pour le cas grave hors localité et peut par conséquent être objectivement qualifié de grave.“

 

BGE 6B_876/2016: Wer driftet, ist kein Raser

Der Beschwerdegegner beschleunigte seinen 580 PS starken Audi RS6 in Zürich an einer Ampelanlage in massiver Weise, um nach rechts in die anschliessende Strasse zu driften. Dabei verlor er die Herrschaft über seinen Boliden und wurde dabei schwer verletzt, sein Beifahrer leicht. Die obere kantonale Instanz (ZH) verurteilte den Lenker gemäss SVG 90 II. Die Oberstaatsanwaltschaft führt Beschwerde mit dem Begehren, den Beschwerdegegner als Raser gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG – Vorsatz erforderlich – zu verurteilen. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 3 – Abgrenzung (Eventual)Vorsatz von bewusster Fahrlässigkeit

E. 4 – Subsumption: „[Die Beschwerdeführerin] verkennt, dass gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung insbesondere bei Unfällen im Strassenverkehr nicht ohne Weiteres aus der (hohen) Wahrscheinlichkeit des Eintritts des tatbestandsmässigen Erfolgs auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden kann. Ein Fahrzeuglenker droht – wie vorliegend auch – durch sein gewagtes Fahrverhalten meistens selbst zum Opfer zu werden. Erfahrungsgemäss neigen Fahrzeuglenker dazu, einerseits Gefahren zu unterschätzen und andererseits ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, weshalb ihnen häufig das Ausmass des Risikos der Tatbestandsverwirklichung nicht bewusst ist. Einen unbewussten Eventualdolus aber gibt es nicht (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.4 S. 20; Urteil 6B_411/2012 vom 8. April 2013 E. 1.3; je Hinweisen).

Dass der Beschwerdegegner sich im physikalischen Grenzbereich befand, wie die Beschwerdeführerin mehrfach betont, ist dem „Driften“ immanent und spricht nicht gegen die vorinstanzliche Annahme, der Beschwerdeführer habe in Selbstüberschätzung und Verkennung der aus seinem Fahrmanöver resultierenden Gefahren im Sinne bewusster (und grober) Fahrlässigkeit darauf vertraut, sein Fahrzeug kontrolliert durch die Kurve zu manövrieren.“