Beschleunigungsgebot

BGE 1C_190/2018: Lange Verfahrensdauer

Wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 39km/h innerorts im Jahr 2009 drohte dem Beschwerdeführer kaskadenbedingt ein 12-monatiger Ausweisentzug. Nachdem das Strafverfahren (vorerst) vor zweiter Instanz im Mai 2014 rechtskräftig abgeschlossen wurde, verfügte das Strassenverkehrsamt die erwähnte Massnahme. Dagegen reichte der Beschwerdeführer Rekurs ein und verlangte im Strafverfahren zugleich die Revision des zweitinstanzlichen Entscheides. Die Rekurskommission sistierte daraufhin das Verfahren. Die Revision wurde abgewiesen, was das BGer im Januar 2016 bestätigte. Im Oktober 2017 nahm die Rekurskommission ihre Arbeit wieder auf und bestätigte den Ausweisentzug. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer. Nach seiner Ansicht sei das Beschleunigungsgebot verletzt, da die ganze Geschichte 9 Jahre und 3 Monate dauerte.

E. 3 zur Meinung der Parteien: Zunächst stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass die Verjährungsregelungen des StGB im Administrativrecht analog angewendet werden müssen. Zudem hätte eine Warnmassnahme aufgrund der langen Verfahrensdauer keine erzieherische Wirkung mehr. Gemäss dem vorinstanzlichen Entscheid besteht kein Grund für einen Verzicht auf die Massnahme. Lediglich die Dauer vom Januar 2016 bis Oktober 2017 bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Rekurskommission sei zu lange gewesen. Allerdings sei dies nicht genug intensiv, um einen Massnahmeverzicht zu rechtfertigen.

E. 4 zur gefestigten Rechtsprechung: Die Unterschreitung der Mindestentzugsdauer ist seit der Revision des SVG vom 1.1.2005 nicht mehr möglich (vgl. Art. 16 Abs. 3 SVG). Die aktuelle Rechtslage widerspricht damit der Rechtsprechung von BGE 120 IB 504, nach welcher eine Unterschreitung noch möglich war. Offengelassen wurde bis jetzt, ob von einer Massnahme gänzlich abgesehen werden kann. Alle bisherigen Begehren wurden allerdings vom Bundesgericht abgelehnt.

E. 5 zur Meinung des Bundesgerichtes: Die Verfahrensdauer von 9 Jahren und 3 Monaten ist klar zu lang. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes kann aber nur dort geortet werden, wo die Rekurskommission die Wiederaufnahme des Verfahrens um ca. 20 Monate vertändelte. Allerdings rechtfertigt sich dadurch noch ein Massnahmeverzicht, zumal „der Beschwerdeführer ein vermindertes Interesse an einem raschen Entscheid hatte, da er sein Fahrzeug weiterhin lenken durfte“. Die restliche Verfahrensdauer ist auf die Erhebung der Rechtsmittel des Beschwerdeführers zurückzuführen und kann den Behörden nicht angelastet werden (E. 5.1).

Auch wenn die Widerhandlung weit zurückliegt, geht die erzieherische Wirkung nicht verloren – trotz zwischenzeitlichem Wohlverhalten. Eine schwere Verletzung des Beschleunigungsgebotes liegt auch nicht vor. Der Führerscheinentzug ist nicht bundesrechtswidrig.

Fahreignung, neue Führerprüfung, Geschwindigkeit, Abstand

BGE 1C_76/2017: Fahreignungsabklärung und vorsorglicher Führerausweisentzug (Bestätigung Rechtsprechung)

Alkohol und Drogen (u.a. Kokain) sowie Suizidversuche berechtigen zu ernsthaften Zweifeln und demnach zu einem vorsorglichen Führerausweisentzug.

E. 5: „Wecken konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen, ist eine verkehrsmedizinische Untersuchung durch einen Arzt und/oder eine psychologische Abklärung durch einen Verkehrspsychologen anzuordnen (Art. 15d Abs. 1 SVG und Art. 28a Abs. 1 VZV). Wird eine verkehrsmedizinische Abklärung angeordnet, so ist der Führerausweis nach Art. 30 VZV im Prinzip vorsorglich zu entziehen (BGE 125 II 396 E. 3 S. 401; Urteil 1C_434/2016 vom 1. Februar 2017 E. 2.1 mit Hinweisen).“

 

BGE 1C_13/2017: Fahreignung und Alkohol  (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Entscheid ist interessant, weil das BGer hervorhebt, dass die Voraussetzungen von SVG 15d und VZV 30 nicht die gleichen sind, obwohl die Massnahmen meist. in einem Zug verfügt werden.

Nachdem das Auto des Beschwerdeführers mit Beschädigungen auf einem Trottoir gefunden wurde, wurde dieser von der Polizei zuhause angetrunken aufgefunden. Die Blutprobe ergab einen Wert von 2.12 bis 2.34 Gewichtspromille. Das StVA ordnete eine Fahreignungsabkärung sowie einen vorsorglichen Führerausweisentzug an. Nachdem bereits im kant. Instanzenzug festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen des vorsorglichen Ausweisentzuges nicht erfüllt sind, wehrt sich der Beschwerdeführer noch gegen die Fahreignungsabklärung. Während dem Verfahren verursacht der Beschwerdeführer einen Selbstunfall mit einem E-Bike in angetrunkenem Zustand. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 3.1. zur Trunksucht: “ [Bei einer Sucht] kann der Ausweisentzug selbst ohne Vorliegen einer konkreten Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften erfolgen (Urteil 1C_101/2015 vom 8. Juli 2015 E. 3.1). Trunksucht wird nach der Praxis des Bundesgerichts bejaht, wenn der Fahrzeugführer regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er keine Gewähr bietet, den Alkoholkonsum zu kontrollieren und ihn ausreichend vom Strassenverkehr zu trennen, so dass die Gefahr nahe liegt, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (BGE 129 II 82 E. 4.1 S. 86 f.; 127 II 122 E. 3c S. 126). “

E. 3.2. zu den Voraussetzungen der Fahreignungsabklärung und des vorsorglichen Ausweisentzuges: „Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die Anforderungen an die Anordnung einer Fahreignungsuntersuchung nicht dieselben wie für den vorsorglichen Führerausweisentzug, obschon diese beiden Massnahmen häufig zusammen ergehen: Während für Erstere hinreichende Anhaltspunkte ausreichen, welche die Fahreignung in Frage stellen, setzt der vorsorgliche Führerausweisentzug voraus, dass ernsthafte Zweifel an der Fahreignung einer Person bestehen, wie dies namentlich bei konkreten Hinweisen auf eine Alkoholabhängigkeit der Fall ist (zum Ganzen: Urteil 1C_531/ 2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.4.2 mit Hinweisen). Die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung setzt nicht zwingend voraus, dass der Fahrzeugführer tatsächlich unter dem Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln gefahren ist (vgl. Urteile 1C_111/2015 vom 31. Mai 2015 E. 4.6; 1C_328/2013 vom 18. September 2013 E. 3.2; 1C_445/2012 vom 26. April 2013 E. 3.2).“

Die hohe, für eine Gewöhnung sprechende BAK, die Angaben von Drittpersonen über Trinkgewohnheiten, das beschädigte Auto und der E-Bike-Unfall begründen in ihrer Gesamtheit genug Zweifel, damit eine Fahreignungsabklärung gerechtfertigt ist.

 

BGE 1C_135/2017: Langer Zeitraum ohne Fahrpraxis rechtfertigt neue Führerprüfung

Im Dezember 2006 wurde dem Beschwerdeführer der deutsche Führerausweis abgenommen wegen einer Trunkenheitsfahrt und die Wiedererteilung wegen fehlender Fahreignung abgelehnt. Im April 2014 wurde in der Schweiz ein Gesuch um Erteilung des Lernfahrausweis mangels Fahreignung abgelehnt. im Januar 2016 wurde die Fahreignung in Deutschland begutachtet und bejaht. Daraufhin bewilligte das StVA AG die Anmeldung an die Führerprüfung. im März 2016 meldete sich der Beschwerdeführer in der CH ab und in D an, wo er den deutschen Führerschein erhielt. Bereits im Juni 2016 meldete sich der Beschwerdeführer in D wieder ab und in der CH an, woraufhin er den Umtasch des deutschen Ausweises beantragte. Das StVA aberkannte den deutschen Ausweis und machte die Erteilung des CH-Ausweises von einer Führerprüfung abhänging. Der Beschwerdeführer beantragt die Erteilung des CH-Ausweises, eventualiter nach Bestehen einer Kontrollfahrt.

E. 2.3.1 zur Umgehung der Zuständigkeitsbestimmungen: „Ausländische Führerausweise sind auf unbestimmte Zeit abzuerkennen, wenn sie in Umgehung der schweizerischen oder ausländischen Zuständigkeitsbestimmungen im Ausland erworben worden sind (Art. 45 Abs. 1 Satz 2 VZV). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung umgeht die Zuständigkeitsbestimmungen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 Satz 2 VZV nicht nur, wer einen Führerausweis im Ausland erwirbt, obwohl er ihn in der Schweiz hätte erwerben müssen, und den so erworbenen ausländischen Ausweis in der Schweiz verwenden will; es genügt vielmehr bereits, wenn aufgrund objektiver Umstände mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass der betreffende Inhaber den Ausweis in der Schweiz widerrechtlich benützen könnte (BGE 129 II 175 E 2.5 S. 179 f.; vgl. auch Hans Giger, Kommentar SVG, 8. Auflage 2014, N. 4 zu Art. 22 SVG).“

E. 4.2. ff. zur Kontrollfahrt als milderes Mittel: „Bestehen Zweifel an der Fahrkompetenz einer Person, so kann diese einer Kontrollfahrt, einer Theorieprüfung, einer praktischen Führerprüfung oder einer andern geeigneten Massnahme wie einer Aus- oder Weiterbildung oder einer Nachschulung unterzogen werden (Art. 15d Abs. 5 SVG).“

„Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können Zweifel an der Fahrkompetenz gerechtfertigt sein, wenn ein Führer längere Zeit kein Fahrzeug mehr gelenkt hat. Dabei darf nicht schematisiert werden. Zu würdigen sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.“

„Die bundesgerichtliche Rechtsprechung wird in der Lehre zum Teil als zu streng kritisiert. Es wird die Auffassung vertreten, allein gestützt auf die Fahrabstinenz dürfe erst bei einer Dauer von mehr als sechs Jahren gänzlich fehlender Fahrpraxis eine neue Führerprüfung verlangt werden; andernfalls sei zuerst eine Kontrollfahrt anzuordnen. Hiervon könne nur – sowohl nach unten als auch nach oben – abgewichen werden, wenn konkrete weitere Umstände die Zweifel erhärteten oder entkräfteten (Philippe Weissenberger, Kommentar SVG, 2. Auflage 2015, N. 111 zu Art. 15d SVG).“

Fazit: Bei Fahrabstinenz zwischen fünf und sechs Jahren genügt eine Kontrollfahrt, ansonsten ist eine Führerprüfung notwendig.

 

BGE 1C_507/2016: Geschwindigkeitsüberschreitung (Bestätigung Rechtsprechung)

Wegen erneut schwerer Widerhandlung wird dem Beschwerdeführer der Ausweis für 12 Monate entzogen. Keine der angeführten Standardargumente (Ausserortscharakter, Doppelbestrafung, lange Verfahrensdauer) überzeugen das Bundesgericht.

E. 2. zum Ausserortscharakter

E. 3.2. zur langen Verfahrensdauer: „In der Praxis hat das Bundesgericht einen Zeitbedarf von gut 4 bzw. 5 Jahren zwischen Delikt und bundesgerichtlichem Urteil über die Administrativmassnahme als kritisch beurteilt (Urteil 1C_486/2011 vom 19. März 2012 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen).“ I.c. allerdings nur drei Jahre.

E. 3.4. zum ne bis in idem-Prinzip: „In Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Rüge, der Warnungsentzug verstosse gegen das Verbot der Doppelbestrafung gemäss Art. 4 Ziff. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 22. November 1984 (SR 0.101.07) ist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte  Rivard gegen die Schweiz vom 4. Oktober 2016, Nr. 21563/12, Ziff. 23 ff., zu verweisen. Darin wurde festgestellt, dass der im Administrativverfahren ausgesprochene Warnungsentzug eine Zusatzstrafe zur strafrechtlichen Verurteilung (Busse) darstellt und insoweit nicht gegen den Grundsatz  ne bis in idem verstösst.“

 

BGE 1C_98/2017: Abstand (Bestätigung Rechtsprechung)

Bei einer Geschwindigkeit von 90km/h auf der Autobahn einen Abstand von 5-10 Metern (0.4s) zu halten, ist eine grobe Verkehrsregelverletzung bzw. eine schwere Widerhandlung.

 

Verfahrensdauer, Kollision mit Nichthalter

BGE 1C_542/2016: Selbstverschuldete lange Verfahrensdauer

Im August 2011 fuhr der Beschwerdeführer innerorts 30 km/h zu schnell. Gegen die Verurteilung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln wehrt er sich bis vor Bundesgericht. Dieses weist seine Beschwerde im September 2014 ab. Aufgrund der Kaskade ordnet das StVA AG einen sechsmonatigen Ausweisentzug an. Das vorliegende Urteil folgt fünfeihalb Jahre später. Der Beschwerdeführer rügt die Beurteilung innert angemessener Frist. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.4: Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Ein solches Recht ergibt sich auch aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

E. 2.6: Die besonderen Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen, sollen neu nur bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestentzugsdauer berücksichtigt werden können (vgl. Art. 16 Abs. 3 Satz 1 SVG). Zu den bei der Festsetzung des Führerausweisentzugs zu berücksichtigenden Umständen zählt wie unter dem früheren Recht auch die Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK).

E. 2.7: Im zu beurteilenden Fall erscheint zweifelhaft, ob das Beschleunigungsgebot überhaupt verletzt worden ist bei einer Gesamtbearbeitungsdauer von rund fünfeinhalb Jahren und insgesamt sieben Instanzen (vgl. E. 2.3 hiervor).

Die Frage braucht jedoch nicht vertieft zu werden. Im Wesentlichen hat der Beschwerdeführer selber durch Ausschöpfen aller zur Verfügung stehenden Rechtsmittel (inklusive Bestreitung der Verlässlichkeit des Geschwindigkeitsmessgeräts, seiner Installation und des Betriebs sowie diverser Fristverlängerungen) für die lange Verfahrensdauer gesorgt.

 

BGE 1C_490.2016: Der übersehene Fussgänger

In Zürich befährt der Beschwerdeführer eine Kreuzung gerade als die Ampel von grün auf gelb wechselt. Da er mit langsamer Geschwindigkeit (ca. 20km/h) unterwegs war und nicht aufmerksam war, tütscht er eine Fussgängerin, die grün hatte und bereits auf dem Fussgängerstreifen ging. Im Strafverfahren wird er wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das BGer bestätigt in der Folge den einmonatigen Ausweisentzug.

E. 3.4: Nach Art. 33 Abs. 2 SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten (vgl. auch Art. 6 VRV [SR 741.11]). Der Fahrzeugführer hat zudem allgemein sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten genügt (Art. 31 Abs. 1 SVG), was unter anderem voraussetzt, dass er seine Aufmerksamkeit dem Verkehr zuwendet (vgl. Art. 3 Abs. 1 VRV).

E. 3.5: Die Missachtung dieser Regeln bei der Anfahrt zu einem Fussgängerstreifen ruft eine ernstliche Gefahr für die Fussgänger hervor, da diese bei einer Kollision mit einem Auto selbst bei relativ geringer Fahrgeschwindigkeit schwere und schwerste Verletzungen davontragen können.

Nichts Neues, aber als Repetitorium auch nicht schlecht.