Die Kaskade fällt

BGE 4A_602/2017, Regressmöglichkeit des aus Vertrag leistenden Versicherers (Praxisänderung)

Nach dem Sturz einer Passagierin in einem Bus, bezahlte deren private Krankenversicherung Zusatzleistungen von mehr als CHF 30k. In der Folge verlangte die Schadenversicherung von der Haftpflichtversicherung der Busbetriebe die Zahlung dieser Leistung im Rahmen eines Regresses und in Abänderung von BGE 137 III 352, in welchem das BGer entschied, dass der aus Vertrag leistende Versicherer auf einen kausal Haftenden bzw. dessen Versicherung keinen Rückgriff nehmen kann.

E. 2.1. zu BGE 137 III 352

E. 2.2. zur Lehre

E. 2.3ff. zu den Gründen für eine Praxisänderung:

  • Dem aus Vertrag leistenden Versicherer den Regress auf den Haftpflichtversicherer zu verwehren, führt zu einer falschen Kostenverteilung, da die Leistungen der Schadenversicherung durch Prämien finanziert werden, deren Sinn allerdings nicht darin liege, einen Kausalhaftpflichtigen zu entlasten.
  • Da zahlreiche neue Gefährdungstatbestände eingeführt wurden, sei die bestehende Praxis nicht mehr zeitgemäss und führe zu Unterschieden im Sozialversicherungsrecht, wo den Versicherern ein integrales Regressrecht in Art. 72 ATSG zuerkannt werde.
  • In der anstehenden Revision des VVG soll neu in Art. 95c Abs. 2 eine dem ATSG vergleichbare Subrogation eingeführt werden.
  • Es überzeugt nicht, den Haftpflichtigen in jenen Fällen zu privilegieren, in welchen die geschädigte Person zufälligerweise selber für Versicherungsschutz gesorgt hat.

E. 2.6f. Fazit: „Die private Schadenversicherung ist im Verhältnis zum kausal haftpflichtigen Unfallverursacher gestützt auf Art. 72 Abs. 1 VVG gleich zu behandeln wie die Sozialversicherungen, welche insoweit in die Stellung der geschädigten Person subrogieren, als sie diese entschädigt haben.“ „Verursacht ein Kausalhaftpflichtiger einen Unfall, so begeht er eine unerlaubte Handlung im Sinne dieser Bestimmung, selbst wenn ihn kein Verschulden an der Unfallverursachung trifft. Denn ein Verschulden ist nach dem Wortlaut von Art. 72 Abs. 1 VVG nicht gefordert. Es genügt eine „unerlaubte Handlung“ („actes illicites“, „atti illeciti“). Damit fällt jeder als Gefährdungs- oder einfache Kausalhaftung normierte Tatbestand, mithin jegliche ausservertragliche Haftung im Sinne von Art. 41 ff. OR, unter den Begriff der unerlaubten Handlung im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG.“ Art. 51 Abs. 2 OR findet keine Anwendung. Die Beschwerdeführerin als private Schadenversicherung der Geschädigten, kann daher gegen die Beschwerdegegnerin als obligatorische Versicherung der kausalhaftbaren Unfallverursacherin Regress nehmen.