Charakterliche Fahreignung bei Fahrlehrer/innen

Mit etwas Verspätung widmen wir uns diesem Urteil, welches v.a. für die Gilde der Fahrlehrer/innen spannend ist. Es äussert sich zu den charakterlichen Anforderungen, die die Fahrlehrerverordnung für die Ausübung des Berufes voraussetzt.

Urteil 2C_373/2023: Ein Fahrlehrer auf Abwegen

Der Beschwerdeführer ist Fahrlehrer mit einem reichhaltigen SVG-Lebenslauf. Im Januar 2005 wurden ihm der Führerausweis und die Fahrlehrerbewilligung wegen charakterlichen Mängeln entzogen. Im September 2011 folgte die nächste Sicherungsmassnahme wegen verkehrspsychologischen und -medizinischen Zweifeln an der Fahreigung. Nach der Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis wurde diese erneut wegen der Missachtung einer Alkoholabstinenzauflage im März 2017 entzogen, die Fahrlehrerbewilligung im September 2017. Nachdem der Beschwerdeführer wieder fahrberechtigt war, wurde ihm im Juli 2018 die Anordnung einer verkehrspsychologischen Abklärung in Aussicht gestellt und die Fahrlehrerbewilligung wieder vorsorglich entzogen. Dieser Entzug wurde im Urteil 2C_171/2020 bestätigt.

Im September 2020 unterzog sich der Beschwerdeführer der verkehrspsychologischen Untersuchung, welche ein für ihn negatives Ergebnis ergab. Im Februar 2021 entzog das Strassenverkehrsamt dem Beschwerdeführer den Führerausweis, die Bewilligung für den berufsmässigen Personentransport und die Fahrlehrerbewilligung auf unbestimmte Zeit.

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass das verkehrspsychologische Gutachten auf Grundlage von Art. 27 lit. b FV angeordnet wurde, also zur Prüfung, ob ihm die Fahrlehrerbewilligung dauerhaft entzogen werden muss. Das Gutachten äusserte sich aber auch generell zur Fahreignung i.S.v. Art. 15d SVG, weshalb schliesslich ein Sicherungsentzug nach Art. 16d SVG angeordnet wurde. Darin erblickt der Beschwerdeführer aber eine Verletzung von Bundesrecht, wenn es zunächst nur um seine Fahrlehrerbewilligung ging, aber schliesslich ihm die Fahreignung generell abgesprochen wurde.

Fahrlehrer benötigen eine Bewilligung (Art. 15 Abs. 3 SVG). Die Voraussetzungen dafür sind in Art. 5 FV festgehalten. Die Bewilligung wird in den Fällen von Art. 27 FV unbefristet entzogen, u.a. wenn der Fahrlehrer oder die Fahrlehrerin seine oder ihre Stellung schwer missbraucht hat oder wenn aus charakterlichen Gründen seine oder ihre Lehrtätigkeit den Schülern und Schülerinnen nicht mehr zugemutet werden kann. Dieser Entzugsgrund steht in engem Zusammenhang mit der charakterlichen Fahreignung, die generell für das Autofahren vorausgesetzt ist (Art. 14 Abs. 2 SVG). Fahrlehrer/innen haben gegenüber den lernenden Personen eine Vorbildfunktion und sie sind auf Lernfahrten an der Fahrzeugbedienung beteiligt. Die zuständige Behörde kann für eine Abklärung nach Art. 27 FV im Rahmen der Untersuchungspflicht ohne weiteres ein verkehrspsychologisches Gutachten anordnen (E. 3.4). Es müssen für die Anordnung aber ebenfalls gewissen Zweifel bestehen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Fahrlehrerbewilligung strengere gesetzliche Voraussetzungen zu beachten und höhere Anforderungen an die Fahreignung zu stellen sind, als dies bei normalen Automobilistinnen und Automobilisten der Fall ist (E. 3.5). Daraus folgt, dass die Schwelle für die Annahme von Zweifeln an der Fahreignung bei Fahrlehrer/innen aufgrund ihrer Vorbildfunktion tiefer liegt, als bei übrigen Verkehrsteilnehmern.

Es überrascht nicht, dass das Bundesgericht den Sicherungsentzug bestätigt. Die Anordnung stütz sich auf ein schlüssiges Gutachten und die Vorgeschichte des Beschwerdeführers macht deutlich, dass seine Fahreignung immer wieder zur Debatte stand. Die zuständige Behörde musste sich auch nicht explizit auf einen Grund in Art. 15d Abs. 1 lit. a – e SVG stützen. Die Liste ist nicht abschliessend.

Die Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV des Beschwerdeführers ist vorliegend ebenfalls nicht verletzt. Auch wenn ein Führerausweis-Entzug auf unbestimmte Zeit ein schwerwiegender Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellt, so geht das erhebliche öffentliche Interesse an einem sicheren Strassenverkehr den privaten Interessen des Beschwerdeführers vor.

Bonus: Urteil 1C_157/2023: Lange Verfahrensdauer

Der Beschwerdeführer fuhr im Juli 2013 ausserorts 30 km/h zu schnell und beging damit eine grobe Verkehrsregelverletzung. Im Januar 2022 (vgl. Urteil 6B_884/2021) bestätigte das Bundesgericht die Verurteilung wegen Art. 90 Abs. 2 SVG, wobei im Strafverfahren festgestellt wurde, dass das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Dies wurde im Strafmass berücksicht.

Im Administrativmassnahmen-Verfahren wurde der Führerausweis für drei Monate entzogen. Der Beschwerdeführer stellt sich u.a. auf den Standpunkt, dass bei einer derart langen Verfahrensdauer von mehr als 10 Jahren auf eine Massnahme verzichtet werden muss, weil diese keine erzieherische Wirkung mehr habe.

Gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG darf die Mindestentzugsdauer von Warnmassnahmen nicht unterschritten werden. Vor der SVG-Revision vom 1. Januar 2005 war dies noch möglich (vgl. BGE 120 IB 504 E. 4). Grundsätzlich darf also die Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden, auch wenn das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Offen ist aber nach wie vor, ob bei krassen Verletzungen des Beschleunigungsgebots auf eine Massnahme verzichtet werden kann. In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde noch kein solcher Fall angenommen (vgl. dazu ausführlich E. 4.1).

Der vorliegende Fall dauerte von der Widerhandlung bis zur Massnahme 10 Jahre und 7 Monate, was gemäss Bundesgericht bedenklich und klar zu lang ist. Allerdings schöpfte der Beschwerdeführer sowohl im Straf-, als auch im Administrativverfahren den gesamten Instanzenzug aus. Die Verfahrensverzögerung im Strafverfahren wurde im Strafmass berücksichtigt, das Administrativmassnahmen-Verfahren ging dann relativ zügig über die Bühne. Daraus schliesst das Bundesgericht, dass vorliegend die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Massnahme nicht erfüllt sind, insb. weil der Beschwerdeführer ein vermindertes Interesse an einem raschen Entscheid hatte, da er sein Fahrzeug weiterhin lenken durfte (E. 4.2-5).

Daraus folgt, dass wohl ein Verzicht auf eine Massnahme nur möglich ist, wenn auch das Administrativmassnahmen-Verfahren eklatant verzögert wird.

Massnahmedauer nach Auslandstat

Urteil 1C_405/2021: Verhältnis von Art. 16 Abs. 3 zu Art. 16cbis SVG

Dieser Entscheid befasst sich mit der interessanten Frage, in welchem Verhältnis die Regeln der lex specialis von Art. 16cbis SVG zu den allgemeinen Regeln von Art. 16 Abs. 3 SVG stehen, wenn es um die Frage der Festlegung der Massnahmedauer geht.

Der Beschwerdeführer überschritt im Oktober 2019 in Deutschland auf der Autobahn die Höchstgeschwindigkeit von 60km/h um netto 41km/h. Er wurde dafür mit einem Bussgeld von EUR 160.00 – wir nehmen das aus Schweizer Sicht staunend zur Kenntnis – und einem Fahrverbot von einem Monat sanktioniert. Das Strassenverkehrsamt des Kt. BE entzog den Führerausweis daraufhin für 12 Monate wegen einer schweren Widerhandlung. Der Beschwerdeführer ist mit einer schweren Widerhandlung vorbelastet.

Bei der Festlegung der Dauer des Führerausweis-Entzugs werden grundsätzlich die Vorschriften für Inlandtaten angewendet, solange sich aus Art. 16cbis SVG nichts anderes ergibt. Art. 16cbis SVG geht nämlich als lex specialis den Regeln von Art. 16 Abs. 3 SVG vor, insbesondere die Regel, wonach die Auswirkungen des ausländischen Fahrverbots zu beachten sind und die Mindestentzugsdauer unterschritten werden darf. Der Beschwerdeführer stellt sich nun auf den Standpunkt, dass die Mindestentzugsdauer nicht nur wegen den Auswirkungen des ausländischen Fahrverbotes unterschritten werden kann, sondern dass dafür generell die allgemeinen Regeln von Art. 16 Abs. 3 SVG massgeblich sein müssen.

Die Sätze 1 und 2 von Art. 16cbis Abs. 2 SVG bezwecken gemäss den Materialien die Vermeidung einer Doppelbestrafung durch das ausländische Fahrverbot und den inländischen Führerausweis-Entzug. Die Massnahmen sollen in ihrer Gesamtheit schuldangemessen sein, weshalb die Mindestentzugsdauer unterschritten werden kann. Dabei muss berücksichtigt werden, dass man in gewissen Konstellationen vom ausländischen Fahrverbot gar nicht betroffen wird (z.B. nach Ferien in einem weit entfernten Land), in anderen aber schon (z.B. wenn man täglich berufsbedingt in ein Nachbarland fahren muss). Massgeblich sind die Umstände des Einzelfalles (zum Ganzen E. 3.4.1). Das einzige Kriterium zur Beurteilung, ob die Mindestentzugsdauer unterschritten werden kann, ist also die Betroffenheit durch das ausländische Fahrverbot. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers spielen die weiteren Einzelfallumstände dabei keine Rolle (E. 3.4.2).

Schliesslich bestätigt das Bundesgericht die Vorinstanz darin, dass der Beschwerdeführer durch das ausländische Fahrverbot nicht wirklich betroffen ist, weshalb es keine Reduktion der Massnahmedauer gibt.

Privilegierung nach Auslandstat

Urteil 1C_653/2021: Bundesgericht strenger als das ASTRA

In diesem zur Publikation vorgesehenen Urteil befasst sich das Bundesgericht mit der Frage, wann man in den Genuss der Privilegierung von Art. 16cbis Abs. 2 SVG nach einer Auslandtat gelangt, also wann die Schweizer Behörde die Dauer des ausländischen Fahrverbots nicht überschreiten darf. Die Beschwerdeführerin überschritt auf der Autobahn in Österreich die Höchstgeschwindigkeit von 100km/h um 62km/h. Sie wurde dafür von den österreichischen Behörden mit einem Fahrvervot von zwei Wochen sanktioniert. Im IVZ ist bei der Beschwerdeführerin eine nicht kaskadenrelevante Massnahme eingetragen, ein einmonatiger Führerscheinentzug wegen einer mittelschweren Widerhandlung. Das Strassenverkehrsamt verfügte daraufhin einen dreimonatigen Ausweisentzug unter Anrechnung des bereits erfolgten ausländischen Entzugsdauer. Die Beschwerdeführerin führt dagegen aus, dass bei ihr die privilegierende Regelung von Art. 16cbis Abs. 2 SVG zur Anwendung gelangen muss, da die alte Massnahme nicht mehr kaskadenrelevant war. Sie beantragt insofern einen Ausweisentzug von zwei Wochen. In einer Stellungnahme führte das ASTRA aus, dass es davon ausging, dass die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin korrekt sei, dass also die ausländische Dauer des Fahrverbots nur überschritten werden dürfe, wenn im IVZ eine kaskadenrelevante Massnahme eingetragen sei.

Die gesetzliche Grundlage für die Sanktionierung von Taten im Ausland durch Inhaber einer Schweizer Fahrerlaubnis findet sich in Art. 16cbis Abs. 2 SVG. Sie enthält in Abs. 2 Satz 3 eine wichtige Privilegierung:

„Die Entzugsdauer darf bei Personen, zu denen im Informationssystem Verkehrszulassung keine Daten zu Administrativmassnahmen (Art. 89c Bst. d) enthalten sind, die am Begehungsort im Ausland verfügte Dauer des Fahrverbots nicht überschreiten.

Es ist eine ziemlich vorteilhafte Regel, denn oft sind die Fahrverbote im Ausland um einiges kürzer, als jene in der Schweiz. Die vorliegend zu beurteilende Widerhandlung wäre nach Schweizer Recht eine schwere Widerhandlung, die mit mind. drei Monaten Führerscheinentzug sanktioniert würde. Bei einer Überschreitung des Tempolimits von 62km/h würden der Lenkerin wohl eher fünf oder sechs Monate Führerscheinentzug winken. Das Bundesgericht prüft nun ausführlich, welche Relevanz das Kaskadensystem für diese vorteilhafte Regel hat. Reicht bereits ein Eintrag im IVZ, oder muss doch eine kaskadenrelevante Widerhandlung vorliegen.

Das Bundesgericht legt die Norm nach dem gängigen Methodenpluralismus aus, wobei es allerdings vom klaren Wortlaut nur abweicht, wenn trifftige Gründe dafür sprechen. Es stimmt dabei den kantonalen Instanzen zu, dass die Bestimmung nach dem Wortlaut eindeutig ist. Nach diesem genügt ein Eintrag im IVZ, damit die betroffene Person nicht in den Genuss der Privilegierung kommt. Auch aus der Entstehungsgeschichte von Art. 16cbis SVG lässt sich nichts ableiten, dass die Abweichung von der ausländischen Entzugsdauer nur bei kaskadenrelevanten Administrativmassnahmen zulässig sein sollte, obwohl es einzelne Minderheitsvoten in diesem Sinne gegeben haben mag. Auch wenn es zu einer gewissen Ungleicheit führt, differenzierte der Gesetzgeber bewusst zwischen Erst- und Wiederholungstätern und sah die Privilegierung nur für erstere vor. Bei Wiederholungstätern findet denn auch das Kaskadensystem ohne Einschränkung Anwendung. Liegt keine kaskadenrelevante Widerhandlung vor, ist gegenüber den betroffenen Wiederholungstätern ein Entzug ausserhalb des Kaskadensystems ohne die Bevorteilung gemäss Art. 16c bis Abs. 2 Satz 3 SVG auszusprechen (zum Ganzen ausführlich E. 4).

Die Beschwerdeführerin gilt also als Wiederholungstäterin und kommt nicht in den Genuss der Privilegierung für Ersttäter. Die Warnmassnahme von drei Monaten unter Anrechnung des österreichischen Fahrverbots von zwei Wochen ist nicht bundesrechtswidrig. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Dauer des Warnentzugs

BGE 1C_629/2020: Bildung einer Gesamtmassnahme

Der Beschwerdeführer überschritt auf der Autobahn in Deutschland die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 45km/h und wurde dafür mit einem Bussgeld von EUR 160 und einem einmonatigen Fahrverbot bestraft. Die kantonalen Behörden Thurgaus verfügten deshalb einen Ausweisentzug von 17 Monaten im Rahmen einer Gesamtmassnahme, weil der Beschwerdeführer zuvor schon wegen Unterschreiten des Abstandes wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer verlangt vor Bundesgericht einen Führerscheinentzug von lediglich 13 Monaten.

Muss das Strassenverkehrsamt mehrere Widerhandlungen gleichzeitig beurteilen, finden die Regeln von Art. 49 StGB sinngemässe Anwendung. Die Dauer der schwersten Massnahme muss angemessen erhöht werden. Dies gilt namentlich auch für die sog. „retrospektive Konkurrenz“ im Sinne von Art. 49 Abs. 2 StGB: Begeht ein Fahrzeugführer noch vor der rechtskräftigen Verfügung über einen Warnungsentzug eine zweite Widerhandlung, welche einen solchen Entzug zur Folge hat, so ist im zweiten Administrativverfahren die Dauer des Warnungsentzuges im Sinne einer Zusatzmassnahme so zu bemessen, dass der Fahrzeugführer nicht schwerer sanktioniert wird, als wenn die beiden Widerhandlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (E. 3.2). Zudem sind die Umstände des Einzelfalles bei der Festsetzung der Entzugsdauer gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG zu berücksichtigen.

Der Beschwerdeführer bemängelt an der Bemessung der Massnahme, dass auch Widerhandlungen berücksichtigt worden seien, die mehr als 10 Jahre zurückliegen. Dies sei in analoger Anwendung von Art. 369 Abs. 3 i.V.m. Art. 369 Abs. 7 StGB nicht zulässig, denn Strafregistereinträge müssen grds. nach 10 Jahren gelöscht werden und dürften den Betroffenen nicht mehr entgegengehalten werden. Zudem verstosse es gegen das Doppelverwertungsverbot, wenn der getrübte Leumund sowohl bei einer der Abstandsunterschreitung, als auch der Geschwindigkeitsüberschreitung berücksichtigt wird (E. 4.1).

Das BGer hält dem entgegen, dass das Massnahmenrecht bzgl. dem Leumund keine zeitliche Begrenzung enthält. Somit durfte bei der Bemessung der Massnahmen auch der Leumund bis 1991 berücksichtigt werden. Auch gegen das Doppelverwertungsverbot wird nicht verstossen, da sowohl die Haupt- als auch die Zusatzmassnahme zunächst einzeln bemessen und dann zu einer Gesamtmassnahme addiert werden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Raser in Polen

BGE 1C_559/2017: Die Folgen von Widerhandlungen im Ausland

Der Beschwerdeführer hat in Polen die Geschwindigkeitsbegrenzung von 50km/h um 51km/h überschritten. Die polnischen Behörden haben den FA eingezogen und an das StVA Kt. BE geschickt, das den FA wiedererteilt und das Administrativverfahren sistiert hat. In Polen wurde ein Fahrverbot von drei Monaten verfügt, woraufhin das StVA eine schwere Widerhandlung angenommen und unter Berücksichtigung einer älteren mittelschweren Widerhandlung einen Warnentzug von neun Monaten verfügt hat. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass bereits in Polen eine Massnahme verfügt wurde und beantragt die Aufhebung der Verfügung des StVA.

E. 2.1. zu Art. 16cbis SVG: Vorausgesetzt werden ein Fahrverbot im Ausland und dass die Widerhandlung nach CH-Recht mittelschwer oder schwer war. Ebenso verweist das BGer darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung die Kaskade auch für im Ausland begangene Widerhandlungen gilt.

E. 2.2.2-4 zur Massnahme: Weil bei der Ermittlung des Sachverhalts nicht herauszufinden war, ob die polnischen Behörden einen Sicherheitsabzug gemäss ASTRA-VO gemacht haben, ging man am Schluss von einer Überschreitung von 46km/h aus, was gemäss Schematismus eine schwere Widerhandlung ist. Da die Geschwindigkeitsüberschreitung um einiges höher war, als die „magische Grenze“ von 25km/h innerorts, hat die Behörde ihr Ermessen gemäss SVG 16 III nicht überschritten, indem sie neun Monate Warnentzug verfügt hat.

Im Ausland rasen lohnt sich nicht…

Kaskade nach Annullierung des FAP

BGE 1C_136/2017: Das ADMAS-Register vergisst nie (Grundsatzurteil)

Dem Beschwerdeführer wurde im März 2012 die Probezeit des FAP wegen einem FuD verlängert, im April 2013 wurde der FAP annulliert wegen einem Geschwindigkeitsdelikt. Im Februar 2015 wurde ihm der FAP erneut erteilt. Wegen einem FiaZ-Delikt wurde der FAP im März 2016 für 12 Monate entzogen, wobei das frühere FuD-Delikt nach der Kaskadenordnung berücksichtigt wurde. Der Beschwerdeführer verlangt vor BGer einen dreimonatigen Warnentzug. Die Gretchenfrage lautet also: Überdauert die Kaskade die Annullierung des FAP und den Neubeginn der Ausbildung zum Autofahrer?

E. 2.: Zunächst äussert sich das BGer zu den Modälitäten des Führerausweises auf Probe (SVG 15a) und jenen zum Warnentzug (SVG 16ff.).

E. 3.1.-4. Prämisse: Umfassend ist das BGer der Frage nachgegangen, ob nun die Kaskadenregelungen in SVG 16ff. den „clean break“ einer FAP-Annullierung überdauert oder nicht. Die Vorinstanzen haben das FuD-Delikt aus dem Jahr 2012 im Rahmen der Kaskade berücksichtigt und trotz zwischenzeitlicher Annullierung die Mindestentzugsdauer von Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG zur Anwendung gebracht. Der Beschwerdeführer und das ASTRA hingegen sind der Meinung, dass „Widerhandlungen, die ein Inhaber eines ersten Führerausweises auf Probe begangen hat, bei der Festlegung der Dauer eines erneuten Ausweisentzugs wegen Widerhandlungen nicht mehr zu berücksichtigen, welche die gleiche Person mit einem zweiten Führerausweis auf Probe begeht“ (E. 3.1.). Der FAP stelle ein selbständiges gesetzgeberisches Konstrukt dar. Wird er annulliert, beginnt der Autofahrer quasi „von Neuem“, was logischerweise ein Nachteil ist. Als Privilegierung hingegen seien aber die Widerhandlungen, die zur Annullierung geführt hätten, nicht mehr zu berücksichtigen (E. 3.4.).

E. 3.5. Auslegung durch das BGer: Der Wortlaut hilft nicht weiter (E. 3.5.1.). Der Zweck des relativ strengen Mechanismus des FAP ist letztlich ein sichernde Massnahme (E. 3.5.2.). Keinen Sinn mache es, die erste Widerhandlung während der Probezeit in der Kaskade zu berücksichtigen, nicht aber jene, die zur Annullierung geführt hat. Das BGer kritisiert diese Begründung des StVA für nicht nachvollziehbar (E. 3.5.5.). Den Regeln zum FAP in Art. 15a SVG kommt eine gewisse selbstständige Bedeutung zu (E. 3.5.6.). In Bezug auf die Entzugsdauer ist sie aber nicht abschliessend. „Sie geht in diesem Sinne zwar der Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG vor, nicht aber den übrigen Bestimmungen von Art. 16 ff. SVG. Das heisst, dass mit Ausnahme von Art. 16c Abs. 2 lit. a und a bis SVG einzig die verschiedenen Mindestentzugsdauern für den Ausweis auf Probe nicht vorbehaltlos gelten. Analoges mag für Art. 16a Abs. 2 sowie Art. 16b Abs. 2 SVG zutreffen, ohne dass hier darüber abschliessend zu befinden ist. Im Übrigen sind die Art. 16 ff. SVG jedoch auch auf die Ausweise auf Probe anwendbar. Das bedeutet insbesondere, dass die Kriterien für die Festsetzung der Entzugsdauer gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG mit Ausnahme der insofern nicht massgeblichen Mindestentzugsdauer uneingeschränkt Anwendung finden. Dazu zählen ohne Ausnahme auch die Widerhandlungen aus einer früheren Probezeit“ (E. 3.5.7.).

E. 4. Fazit: Zwar verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, wenn sie die Entzugsdauer mit der Kaskade von Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG begründet. Da allerdings auch ganz allgemein ergänzend auf Art. 16 Abs. 3 SVG verwiesen wurde, hat das BGer letztlich die Entzugsdauer dennoch gutgeheissen.

Beinahe hätte das ASTRA hier das BGer in Verlegenheit gebracht, indem es sich der Meinung des Beschwerdeführers anschloss. Da allerdings auch die „Grundregel“ von Art. 16 Abs. 3 SVG zur Begründung herangezogen wurde, konnte das BGer diesen jurstischen Spagat elegant meistern.

Rechtlich geschütztes Interesse bei bereits vollzogenem Warnentzug

BGE 1C_200/2017: Rechtlich geschütztes Interesse

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen fünfmonatigen Warnentzug wegen schwerer Widerhandlung gegen das SVG, obwohl der Warnentzug wegen einem Sicherungsentzug bereits vollzogen war im Zeitpunkt der Verfügung. Da die Massnahme bereits vollzogen war, stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt noch zur Beschwerde legitimiert ist. Nach seiner Ansicht ist dies zu bejahen, denn die Dauer der Massnahme von fünf Monaten, also zwei über der gesetzlichen Mindestdauer, belaste seinen verkehrsrechtlichen Leumund, habe Auswirkungen auf eine allfällige Beurteilung der Fahreignung in Bezug auf Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG sowie von haftpflicht- und versicherungsrechtliche Fragen. Das BGer sieht dies anders und weist die Beschwerde ab.

E. 2.2 zum rechtlich geschützten Interesse: „Verlangt ist somit neben der formellen Beschwer, dass der Beschwerdeführer über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens  unmittelbar beeinflusst werden kann (BGE 141 II 14 E. 4.4 S. 29 f.; 133 II 409 E. 1.3 S. 413; je mit Hinweisen). Hingegen kann als schutzwürdiges Interesse, das einen praktischen Nutzen einbringt, nicht jedes irgendwie geartete Interesse bzw. jede entfernte Möglichkeit, dass ein anderer Verfahrensausgang dereinst noch irgendwo eine Rolle spielen könnte, gelten. Vielmehr ist erforderlich, dass die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beeinflusst werden könnte. „

E. 3.2.2 zum Leumund: Unbestritten ist die Qualifikation der Widerhandlung als schwere. Bei der Massnahmenkaskade ist nicht die Dauer, sondern die Schwere der Widerhandlung massgebend. Bei einer erneuten Widerhandlung ist allerdings der Leumund gemäss Art. 16 ASbs. 3 SVG zu beachten. „Es erscheint daher nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich der Umstand, ob dem Beschwerdeführer der Führerausweis wegen des Vorfalls vom 6. Juli 2012 nur wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand oder zusätzlich wegen weiterer Verkehrsdelikte bzw. für drei oder für fünf Monate entzogen wurde, dereinst einmal auf die Situation des Beschwerdeführers auswirken könnte, sofern dieser in Zukunft erneut Verkehrsdelikte begehen würde. Andererseits stünde – selbst wenn der Beschwerdeführer in Zukunft erneut solche Verkehrsdelikte begehen sollte – keineswegs fest, dass die angeordnete Entzugsdauer tatsächlich einen Einfluss auf die Dauer des neuerlichen Ausweisentzugs hätte. Dies zumal der Leumund des Beschwerdeführers als Motorfahrzeugführer, welcher nur eines von mehreren Kriterien für die Festsetzung der Dauer eines allfälligen künftigen Ausweisentzugs bildet (vgl. Art. 16 Abs. 3 SVG), ohnehin bereits getrübt ist. Folglich wäre die Frage, ob dem Beschwerdeführer der Ausweis nach dem Vorfall vom 6. Juli 2012 für drei oder fünf Monate entzogen worden ist, insoweit höchstens von untergeordneter Bedeutung.

E. 3.3 zur Fahreignung: Auch hinsichtlich dem in Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG geregelten Sicherungsentzug schliesst das BGer nicht jegliche Auswirkung aus. Da aber eine derart strenge Massnahme sorgfältig abgeklärt werden muss und der vorliegende Warnentzug nur eines vieler Kriterien ist, betrachtet das BGer auch hier die Auswirkung als untergeordnet.

E. 3.5: „Gesamthaft betrachtet ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die vom Beschwerdeführer vor der Vorinstanz beantragte Änderung des angefochtenen Entscheids unmittelbar auf seine tatsächliche oder rechtliche Situation auswirken könnte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass die Frage der Entzugsdauer auf die Situation des Beschwerdeführers theoretisch in Zukunft noch einen gewissen Einfluss haben könnte, zumal die Wahrscheinlichkeit dafür unter den gegebenen Umständen als zu gering erscheint.“

Fazit: Gegen einen bereits vollzogenen Warnentzug zu prozessieren, lohnt sich grds. nicht.

Gesetzliches Minimum bei Administrativmassnahmen

BGE 1C_102/2016: Gesetzliches Minimum kann auch in ganz leichten Fällen nicht unterschritten werden

Einem Automobilist wurde wegen Fahrens trotz entzogener Erlaubnis für 12 Monate die Fahrerlaubnis entzogen. Dabei handelte es sich um das gesetzliche Minimum wegen dem Leumund bzw. der Kaskade. Der Lenker hatte seinen Ausweis zwar schon erhalten, der Warnentzug war aber noch für 24h in Kraft. Die obere kantonale Instanz liess aufgrund der alten Rechtsprechung des BGer die analoge Anwendung von Art. 100 SVG und reduzierte den erneuten Warnentzug auf 2 Monate. Dagegen erhob das StVA BE Beschwerde beim Bundesgericht, welche gutgeheissen wurde. Das Bundesgericht beschäftigt sich eingehend mit Art. 16 Abs. 3 SVG und kommt zum Schluss, dass mit der via sicura Gesetzesänderung der Gesetzgeber bewusst das Unterschreiten der Mindestentzugsdauer unterband im Rahmen der Verkehrssicherheit. Somit ist auch in Bagatellfällen bzw. auch wenn dem Lenker nur leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann das Unterschreiten der Mindestentzugsdauer nicht möglich.

„La mesure prononcée peut certes apparaître sévère. Cette sévérité a toutefois été expressément voulue par le législateur fédéral afin de renforcer la sécurité et, partant, d’épargner des vies humaines et des blessés (FF 1999 IV p. 4130 ad art. 16 LCR; cf. également FF 1999 IV 4136 ad art. 16c al. 3 LCR). Dans ces conditions, le principe de la proportionnalité invoqué par l’instance précédente et l’OFROU ne permet pas de déroger à la durée minimale légale du retrait de permis prévue par le droit fédéral, en tout cas pas dans les présentes circonstances.“