Rechtsüberholen als mittelschwere Widerhandlung

BGE 1C_421/2019: Rechtsüberholen als mittelschwere Widerhandlung, Einheit der Rechtsordnung

Der Beschwerdeführer wurde für ein klassisches Rechtsüberholmanöver wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt. In Annahme einer mittelschweren Widerhandlung verfügte die MFK SO einen Kaskadenentzug von vier Monaten. Der Beschwerdeführer verlangt die Annahme einer leichten Widerhandlung und insofern einen einmonatigen Ausweisentzug.

E. 2 zur Qualifikation der Widerhandlung: Die einfache Verkehrsregelverletzung umfasst sowohl die leichte, als auch die mittelschwere Widerhandlung. Eine mittelschwere Widerhandlung liegt vor, wenn nicht die privilegierenden Voraussetzungen der leichten bzw. die qualifizierenden Voraussetzungen der schweren Widerhandlung erfüllt sind. Eine Gefahr im Sinne des Massnahmerechts ist zu bejahen, wenn diese konkret oder erhöht abstrakt ist. Eine erhöhte abstrakte Gefahr besteht, wenn die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung naheliegt, was anhand des Einzelfalles zu beurteilen ist (E. 2.1).

Das Verbot des Rechtsüberholens gilt nach wie vor als wichtige Vorschrift. Der Verkehrsvorgang birgt in sich per se eine erhöht abstrakte Gefährdung. Ausschwenken und wiedereinbiegen ist für den Überholvorgang nicht vorausgesetzt. Nicht verboten ist Rechtsüberholen im Kolonnenverkehr, sog. Rechtsvorfahren. Nach der Rechtsprechung setzt paralleler Kolonnenverkehr dichten Verkehr auf beiden Fahrspuren, somit ein längeres Nebeneinanderfahren von mehreren sich in gleicher Richtung bewegenden Fahrzeugreihen voraus. Kolonnenverkehr ist anhand der konkreten Verkehrssituation zu bestimmen und zu bejahen, wenn es auf der (linken und/oder mittleren) Überholspur zu einer derartigen Verkehrsverdichtung kommt, dass die auf der Überhol- und der Normalspur gefahrenen Geschwindigkeiten annähernd gleich sind (E. 2.2).

E. 3 zum Verhältnis zw. Straf- und Verwaltungsrecht: Das Strassenverkehrsamt wird durch ein Strafurteil nicht gefunden. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung darf es aber keine widersprüchlichen Entscheide fällen. In der rechtlichen Würdigung ist die Behörde frei – auch bzgl. Verschulden (E. 3.1). Um es kurz zu machen: Die Vorinstanz ist zu Recht von einer mittelschweren Widerhandlung ausgegangen, weil Rechtsüberholen nach wie vor als relativ gefährlich beurteilt wird.

Da die MFK in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhaltes grds. frei ist, hätte diese gut auch von einer schweren Widerhandlung ausgehen können und wäre wohl von den Gerichten geschützt worden. Unter diesen Umständen hätte sich der Beschwerdeführer die Kosten wohl sparen können.

Ist ein Ausweisentzug diskriminierend für körperlich Beeinträchtigte?

BGE 1C_184/2018: Ausweisentzug trotz körperlicher Beeinträchtigung

Der Beschwerdeführer ist körperlich beeinträchtigt. Er hat mit langsamer Geschwindigkeit einen Fussgänger angefahren und wehrt sich gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung. Strafrechtlich ist er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt worden.

E. 2 zur Winderhandlungsschwere: Auch mit langsamer Geschwindigkeit jemanden anzufahren, erfüllt ohne Weiteres den Tatbestand von Art. 16b SVG.

E. 3 zur Diskriminierung körperlich beeinträchtigter Personen: Der Beschwerdeführer bringt hervor, dass er durch den Ausweisentzug als in seiner Mobilität beeinträchtigte Person diskriminiert wird. Bereits in BGE 6A.38/2016 hat das BGer entschieden, dass ein dreimonatiger Entzug einen Paraplegiker nicht mehr belastet, als andere Personen. Die Auswirkungen der Massnahme sind hauptsächlich wirtschaftlicher Natur, indem man die Kosten für den ÖV bezahlen muss. Insofern sei eine körperlich beeinträchtigte Person nicht mehr belastet, als andere Personen, die durch die Massnahme aus persönlichen, geografischen, finanziellen oder auch wegen den Arbeitszeiten beschwert sind. Grds. kann die Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden, auch nicht bei Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind (E. 3.1).

Im Folgenden untersucht das BGer, ob eine indirekte Diskriminierung gemäss Art. 8 Abs. 2 BV vorliegen könnte. Diese liegt vor, wenn Zugehörige einer best. Personengruppe durch ein Gesetz einen Nachteil erleiden, ohne dass dies aus objektiver Sicht gerechtfertigt wäre. Durch seine persönliche Situation ist der Beschwerdeführer durch den Ausweisentzug sicher mehr betroffen, wie ein anderer Autofahrer. Er kann z.B. nicht zur etwa einen Km entfernten ÖV-Station gehen oder radeln. Diese Auswirkungen der Massnahme treffen aber nicht nur Handikapierte. Auch andere Bürger, z.B. altersbedingt oder aus persönlichen Gründen, treffen ähnliche Nachteile. Ein Ausweisentzug hat insofern keine übertriebene Auswirkungen auf körperlich beeinträchtigte Personen (E. 3.2).

Ein Ausweisentzug trifft alle Bürger gleich und ist insofern nicht für einzelne Gruppen diskriminierend.