Fahreignung bei Ausländern und weitere Urteile

Hallo geschätzte SVG-Nerds
Einige Urteile haben sich seit dem letzten Post angesammelt. Da sich darunter keine absoluten Blockbuster befinden, erfolgt deren Aufarbeitung – wie auch schon – in telegramartiger Kurzzusammenfassung. Die ersten beiden Entscheide zeigen, dass das Strassenverkehrsrecht auch gegenüber ausländischen Staatsangehörigen wirksam ist, deren charakterliche Fahreignung zweifelhaft ist.

Urteil 1C_619/2022: Auch Ausländer müssen Charakter haben

Mit diesem Urteil bestätigt das Bundesgericht, dass die Regeln für Ausweisentzüge auch für Fahrverbote bei Ausländern gelten. So wurde bei einem Italiener, der ein Raserdelikt beging, mehrere Vorbelastungen hatte und sich weigerte, eine Fahreignungsabklärung zu machen, zu Recht eine Sicherungsaberkennung auf unbestimmte Zeit wegen fehlender charakterlicher Fahreignung angeordnet.

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Der Beschwerdeführer ist Italiener, wohnt in Italien und besitzt eine italienische Fahrerlaubnis. Im Mai 2018 fuhr er auf der Autobahn 201 km/h, wofür er wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. IM März 2021 wurde die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers für vier Jahre aberkannt, von Januar 2021 bis Januar 2025. Die Wiederzulassung zu Schweizer Strassen wurde von einem positiv lautenden verkehrspsychologischen Gutachten, dem Ablauf der Sperrfrist sowie einem klaglosen Verhalten abhängig gemacht. Der Beschwerdeführer verlangt vor Bundesgericht die Anordnung eines Fahrverbotes von 48 Monaten. Von sichernden Massnahmen, also der verkehrspsychologischen Abklärung, sei aber abzusehen.

Die Verkehrszulassungsverordnung enthält in Art. 42ff. regeln für Motorfahrzeugführer aus dem Ausland. Ausländische Führerausweise werden gemäss Art. 45 Abs. 1 VZV nach den gleichen Regeln aberkannt, die auch für den Entzug von Schweizer Führerausweisen gilt. Entzogen werden dürfen ausländische Ausweise aber nicht, da damit das Territorialitätsprinzip verletzt würde. Die Fahreignung ist eine generelle Grundvoraussetzung für das Führern von Motorfahrzeugen in der Schweiz (Art. 14 SVG). Ist jemandem die Fahreignung – medizinisch oder charakterlich – abzusprechen, muss die Fahrerlaubnis entzogen bzw. aberkannt werden (Art. 16d SVG).

Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass es für die Aberkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis keine genügende gesetzliche Grundlage gäbe und dass die Aberkennung im Widerspruch zu Art. 42 Abs. 3 des
Wiener Übereinkommen vom 8. November 1968 über den Strassenverkehr (SR 0.741.10) stehe, der grds. eine Anerkennungspflicht von ausländischen Führerausweisen vorsehe. Dem widerspricht das Bundesgericht, denn die Norm soll es eben gerade erlauben, Sicherungsmassnahmen gegenüber Ausländern anzuordnen. Da diese nur für die Schweiz gelten, wird auch das Territorialitätsprinzip nicht verletzt. Der italienische Staat kann selber entscheiden, ob er gegenüber dem Beschwerdeführer Massnahmen ergreift oder nicht (E. 4).

Der Beschwerdeführer erachtet die Aberkennung auf unbestimmte Zeit zudem als unverhältnismässig. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass bei einem ersten Raserdelikt lediglich eine Warnmassnahme von zwei Jahren angeordnet werden darf. Allerdings widerspricht das Bundesgericht auch diesem Argument. Der Beschwerdeführer ist einschlägig vorbelastet. Innert drei Jahren beging er nicht nur ein Raserdelikt, sondern fünf weitere Geschwindigkeitsüberschreitungen im Bereich einer schweren Widerhandlung. Zudem war der Beschwerdeführer gemäss den Feststellungen der Vorinstanz nicht bereit, bei der Abklärung seiner charakterlichen Fahreignung mitzuwirken. Bei der grossen Anzahl als Widerhandlungen durfte die Vorinstanz ohne weiteres von einer Rücksichtslosigkeit gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG ausgehen. Die Sicherungsaberkennung war damit ohne weiteres erforderlich und geeignet und die Verkehrssicherheit in der Schweiz zu gewährleisten, auch wenn vorher kein Gutachten eingeholt wurde. Schliesslich durfte für die Wiederzulassung auch ein klagloses Verhalten gefordert werden (E. 5).


Urteil 1C_536/2022: „Das hier ist nicht die deutsche Autobahn!“

Dieser Entscheid befasst sich vorbildlich mit der Bindung der Administrativbehörde an den im Strafverfahren gefällten Entscheid. Ausländer können sich nicht darauf berufen, dass sie nicht gewusst hätten, dass sie sich bereits im Strafverfahren wehren müssen. Der Entscheid äussert sich zudem zum Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten und zur vorsorglichen Aberkennung von ausländischen Führerausweisen.

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Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger und wohnt auch in Deutschland. Ihm gegenüber wurden schon diverse Fahrverbote wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen angeordnet. Schliesslich wurde seine Fahrerlaubnis wegen einer schweren Widerhandlung im Februar 2022 vorsorglich für immer aberkannt. Wegen dieser jüngsten Geschwindigkeitsüberschreitung wurde der Beschwerdeführer mit einer unbedingten Geldstrafe strafrechtlich verurteilt.

Der Beschwerdeführer rügt zunächst einen willkürlich festgestellten Sachverhalt. Der Blitzkasten habe nicht richtig funktioniert und man sei von einer falschen Höchstgeschwindigkeit ausgegangen. Die kantonale Behörde ging vom Sachverhalt aus, sowie er im Strafverfahren festgestellt wurde.

Zur Bindung nur kurz: Die Administrativbehörde ist grds. an den Strafentscheid gebunden. Nur wenn sie feststellen muss, das der Entscheid im Strafverfahren auf offensichtlich unrichtig festgestellten Tatsachen beruht, muss sie eigene Abklärungen treffen. In der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts hingegen ist die Administrativbehörde grds. frei. Sie muss aber auch hier darauf achten, dass sie den Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ einhält, also dass die Massnahme im Administrativverfahren zur Strafe im Strafverfahren nicht total widersprüchlich ist.

In Deutschland werden Fahrverbote (soweit ich weiss) von der Strafbehörde ausgesprochen, also z.B. mit einem Bussgeldbescheid oder einem Strafbefehl. Trotzdem konnte der Beschwerdeführer als deutscher Staatsangehöriger sich nicht darauf berufen, dass er die Schweizerische Dualität der Verfahren nicht kannte und deshalb den Entscheid im Strafverfahren nicht anfechtete. Das Bundesgericht erwartet von Ausländern, insb. jenen die hier beruflich unterwegs sind, dass sie sich zumindest oberflächlich mit den in der Schweiz geltenden Regeln auseinandergesetzt haben. Beim Beschwerdeführer gilt das umso mehr, da ihm gegenüber schon diverse Fahrverbote angeordnet wurden (E. 3).

Der Beschwerdeführer überschritt die Geschwindigkeits-Limite von 60 km/h auf der Autobahn um 36 km/h. Das ist gemäss der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Schematismus ohne weiteres eine schwere Widerhandlung (E. 4).

Und schliesslich erfolgte i.c. die vorsorgliche Aberkennung zu Recht, denn bei einer drohenden Sicherungsaberkennung ist es wegen der Verkehrssicherheit nicht verantwortbar den betroffenen Lenker weiterfahren zu lassen. Bei Sicherungsmassnahmen haben aus diesem Grund Rechtsmittel grds. auch keine aufschiebende Wirkung (E. 5).


Urteil 1C_600/2022: Wiederzulassung zum Strassenverkehr nach Drogensucht

Dieses Urteil befasst sich mit der Verhältnismässigkeit von medizinischen Auflagen, die für eine Wiedererteilung einer sicherheitshalber entzogenen Fahrerlaubnis nötig sind.

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Dem Beschwerdeführer wurde der Führerausweis im Jahr 1995 wegen einer Drogenproblematik (Heroin) entzogen. Nachdem ihm der Führerausweis unter Auflagen im Juli 2015 wiedererteilt wurde, musste die Fahrerlaubnis aber schon wieder im Oktober 2016 entzogen werden, da der Beschwerdeführer Kokain konsumierte und damit gegen die Auflagen verstiess. In der Folge verliefen drei verkehrsmedizinische Begutachtungen für den Beschwerdeführer negativ. Bei jüngsten Abklärung im August 2021 bestätigte die Haaranalyse zwar eine knapp sechsmonatige Drogenabstinenz. Dafür wurde ein übermässiger Alkoholkonsum (35pg/mg ETG) festgestellt. Schliesslich wurde für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vorausgesetzt:
– Alkohol- und Drogenabstinenz, Nachweis mittels Haaranalyse
– Fortsetzung einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung
– Beibringen eines pneumologisch-schlafmedizinischen Berichts
– Aktuelles verkehrsmedizinisches Gutachten und
– Neue theoretische und praktische Führerprüfung.

Der Beschwerdeführer erachtet einerseits die Begutachtung als willkürlich und andererseits die Voraussetzungen für die Wiederzulassung zum Strassenverkehr als derart unverhältnismässig, dass ihm eine Rückkehr auf die Strassen faktisch verunmöglicht werde. Aus seiner Sicht werde bei ihm zu Unrecht von einer Sucht ausgegangen, die seine Fahreignung gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG ausschliesse.

Der verkehrsmedizinische Suchtbegriff deckt sich nicht mit dem schulmedizinischen. Eine Sucht aus verkehrsrechtlicher Sicht liegt dann vor, wenn jemand soviel „Genussmittel“ konsumiert, dass die Gefahr besteht, dass die Person im Rauschzustand am Strassenverkehr teilnimmt (ausführlicher zum Suchtbegriff E. 2.1.2). Die Kontrolle von Alkohol- und Drogenabstinenzen per Haaranalyse ist ohne weiteres möglich. Ab einem EtG-Wert von 30 pg/mg im Haar gilt ein Alkoholkonsum als übermässig. Die Haaranalyse des Beschwerdeführers ergab bei der letzten Begutachtung einen EtG-Wert von 35 pg/mg. Im Gutachten wird deshalb von einer Suchtverlagerung ausgegangen. Dass der Beschwerdeführer nie alkoholisiert Auto gefahren ist, ist dabei unerheblich. Im Gutachten muss auch nicht der Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum unabhängig von einander beurteilt werden, sondern es ist korrekt, wenn die Lebensgeschichte der Betroffenen Person ganzheitlich beurteilt wird. Insofern war das Gutachten schlüssig begründet und damit für die Behörden verbindlich (zu allem ausführlich E. 2).

Nach einer Sicherungsmassnahme erfolgt die Wiedererteilung eines Führerausweises in der Regel mit Auflagen (Art. 17 Abs. 3 SVG). Auflagen müssen dem Einzelfall entsprechen und verhältnismässig sein. Insb. bei der Überwindung von Süchten sind längere Abstinenz-Auflagen ein geeigneter Eingriff in die Grundrechte, um einerseits eine Person wieder am Strassenverkehr teilnehmen zu lassen, aber zugleich auch die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Die im vorliegenden Fall für die Wiederzulassung angeordneten Voraussetzungen sind ohne weiteres gerechtfertigt (zum Ganzen E. 3).


Urteil 1C_219/2023: Der Grundsatz der lex mitior hat auch seine Grenzen

In diesem Fall befasst sich das Bundesgericht mit einem kaskadenbedingt viermonatigen Ausweisentzug. Die Vorbelastung war ein Rechtsüberholen bzw. schwere Widerhandlung. Auch wenn heute Rechtsüberholen in gewissen Fällen milder bestraft wird, kann darauf nicht mehr zurückgekommen werden.

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Der Beschwerdeführer wurde wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer Busse bestraft. Er hielt auf der Autobahn zu einem vorfahrenden Auto bei 96 km/h lediglich einen Abstand von 18.2 m bzw. 0.68 s. Wegen einer mittelschweren Widerhandlung wurde ihm der Führerausweis entzogen, weil er mit einer schweren Widerhandlung wegen Rechtsüberholens vorbelastet ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass seine aktuelle Widerhandlung mittelschwer ist und damit bei einer Vorbelastung mit einer schweren Widerhandlung ein mind. viermonatiger Ausweis-Entzug folgen muss (Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG). Er stört sich aber daran, dass seine Vorbelastung, ein als schwere Widerhandlung geahndetes Rechtsüberholmanöver, bei der aktuellen Beurteilung als schwere Vorbelastung gewertet wird und damit zu einer viermonatigen Massnahme führt. Gemäss der neueren Rechtsprechung zum Rechtsüberholen kann ein solches Manöver auch ein Ordnungsbussentatbestand erfüllen und damit nicht massnahmewürdig sein (vgl. BGE 149 II 96).

Der Grundsatz der lex mitior ist auch im Administrativmassnahmen-Verfahren anwendbar (Art. 102 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 StGB). Der Grundsatz regelt, wann ein Gericht (oder im Bereich des SVG auch eine Verwaltungsbehörde) einen bestimmten Sachverhalt nicht anhand des Rechts zu beurteilen hat, das bei Tatbegehung gegolten hat, sondern gestützt auf die im Urteilszeitpunkt geltenden (milderen) Normen. Dem Beschwerdeführer geht es aber nicht um den aktuellen Fall, sondern um die längst rechtskräftige Vorbelastung. Dies sprengt allerdings den Anwendungsbereich der lex mitior. Diese gilt einzig für noch nicht beurteilte Sachverhalte und stellt für sich alleine keinen Revisionsgrund dar. Die Anwendung des milderen Rechts auf sämtliche Vorbelastungen bezeichnet das Bundesgericht als unpraktikabel, da dies faktisch in den meisten Fällen auch gar nicht mehr möglich wäre. Zudem wäre der behördliche Aufwand immens.


Urteil 1C_284/2022: Woher das Haar kommt, ist sekundär…

Dieses Urteil befasst sich mit dem Nachweis einer Trunksucht mittels Sekundärhaare. Diese können ohne weiteres für die verkehrsmedizinische Begutachtung herangezogen werden, sofern sich das Gutachten nicht nur auf die Haaranalyse abstellt.

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Der Beschwerdeführer geriet in eine Polizeikontrolle mit einer Atemalkoholkonzentration von 0.82 mg/L. Seine Fahrerlaubnis wurde daraufhin vorsorglich entzogen und eine Fahreignungsabklärung angeordnet. Die Begutachtung verlief negativ, weil im Beinhaar des Beschwerdeführers ein EtG-Wert von 56 pg/mg festgestellt wurde. Der im Zeitpunkt der Begutachtung kurzgeschorene Beschwerdeführer stört sich daran, dass die Haaranalyse in seinem Fall nicht an Kopfhaar durchgeführt wurde. Er stützt sich dabei medizinische Lehrmeinungen, nach welchen Haaranalysen anhand von Sekundärhaaren nur zurückhalten durchgeführt werden sollten. Nach seiner Ansicht hätte man ihn auffordern müssen, die Kopfhaare wachsen zu lassen. Sekundärhaar eignet sich aus seiner Sicht höchstens für eine Abstinenzkontrolle, nicht aber für die Bestimmung von Konsumationszeitspanne oder konsumierte Menge.

Auch wenn es andere Lehrmeinungen zu Sekundärhaaren gibt, geht der Beschwerdeführer nicht darauf ein, dass gemäss den Empfehlungen der SGRM zur Haaranalyse bei fehlendem Kopfhaar auf Arm-, Bein- oder Brustbehaarung ausgewichen werden kann (E. 2.3). Sofern die Beinhaare mind. 3 cm lang sind, können sie also ohne Weiteres für eine Haaranalyse herhalten (E. 2.4).

Sodann stütze sich die Begutachtung nicht ausschliesslich auf die Haaranalyse. Das Gutachten berücksichtigte auch die weiteren Einzelfallumstände, welche gemäss Rechtsprechung geprüft werden müssen:
– Prüfung der persönlcihen Verhältnisse inkl. Fremdberichte
– Gründliche Aufarbeitung von Trunkenheitsfahrten
– Spezifische Alkoholanamnese
– Umfassende medizinische Untersuchung.
All diese Einzelheiten wurden bei der Begutachtung berücksicht. Schliesslich nützt es dem Beschwerdeführer auch nichts, dass er bis jetzt einen reinen verkehrsrechtlichen Leumund hatte.

Der definitive Sicherungsentzug nach der negativ ausgefallenen Begutachtung wurde also zu Recht angeordnet.

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