Zwei neue Urteile im Massnahmenrecht

Urteil 1C_434/2023: Ist die Fahreignungsabklärung eine vorsorgliche Massnahme? (wird amtl. publ.)

In diesem Urteil beantwortet das Bundesgericht die Frage, ob eine Fahreignungsabklärung ohne vorsorglicher Entzug unter Art. 98 BGG subsumiert wird oder nicht.

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Der Beschwerdeführer verursachte in der Berner Altstadt einen Selbstunfall, bei welchem sein Fahrzeug erheblich beschädigt wurde (z.B. Achsenbruch). Danach fuhr er noch mehr als einen Kilometer weiter, missachtete ein „Einfahrt Verboten“ Signal und stellte sein Fahrzeug im Parkverbot ab. Er habe einen wichtigen Termin gehabt. Das Strassenverkehrsamt ordnete deswegen eine Fahreignungsabklärung der Stufe 3 an.

Zunächst klärt das Bundesgericht eine Grundsatzfrage, nämlich ob eine Fahreignungsabklärung auch unter die vorsorglichen Massnahmen gemäss Art. 98 BGG fällt. Die Frage hat sich bis heute nicht gestellt, weil die Fahreignungsabklärung in der Regel mit einem vorsorglichen Entzug kombiniert wird. Nach einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung (E. 2.3) sowie den Materialien zum BGG (E. 2.4) kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Abklärungen nach Art. 15d SVG ebenfalls Art. 98 BGG zu unterstellen sind. Gerügt werden können also nur verfassungsmässige Rechte.

Trotzdem, damit der Grundsatz von Treu und Glauben nicht verletzt wird, aber wohl auch letztmalig prüft das Bundesgericht, ob die Anordnung der Fahreignungsabklärung gegen Bundesrecht verstiess.

Fahreignungsabklärungen, die aufgrund von Art. 15d SVG angeordnet werden, müssen von einer verkehrsmedizinischen Fachperson der Stufe 3 oder 4 durchgeführt werden (Art. 28a Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a und b VZV). Für die Anordnung müssen Zweifel an der Fahreignung bestehen. Diese lagen in diesem Fall vor. Der über 80-jährige Beschwerdeführer schien nach dem Unfall sein Ziel, nämlich ein Zahnarzttermin mit einem „geistigen Röhrenblick“ zu verfolgen. Gemäss dem Leitfaden zur Fahreignung kann ein deutlich auffälliges Verhalten im Verkehr Indiz einer hirnorganischen Krankheit sein. Dass sich der Beschwerdeführer nach dem Unfall nicht um den Schaden kümmerte, sondern unbeirrt zu seinem Zahnarzttermin fuhr, liess sich auch nicht durch Alkohol oder Betäubungsmittel erklären. Deshalb durfte aufgrund des Unfalles an der Fahreignung gezweifelt werden, auch wenn die letzte Kontrolluntersuchung erst fünf Monate her war.


Urteil 1C_431/432/2024: Interbehördliche Zusammenarbeit und Verletzung des rechtlichen Gehörs (gutgh. Beschwerde)

In diesem Urteil befasst sich das Bundesgericht mit den Konsequenzen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, die ihren Ursprung in einem parallel laufenden Strafverfahren hat.

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Die Beschwerdeführerin wehrt sich gegen die Anordnung einer Fahreignungsabklärung. Grund für die Massnahme war ein mutmasslicher Kokainkonsum in Zürich. Die Anordnung wurde mit dem Hinweis verbunden, dass ein vorsorglicher Entzug der Fahrerlaubnis erfolgen würde, wenn die Abklärung nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt wird. Die aufschiebende Wirkung eines allfälligen Rechtsmittels wurde in der Verfügung entzogen. Das Verwaltungsgericht Kt. GR wies sowohl ein Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab. Zudem verwies es mit weiterer Verfügung die Beschwerdeführerin an die Strafbehörden des Kantons Zürich, wenn sie umfassende Akteneinsicht wünscht. Die Beschwerde richtet sich gegen diese Verfügungen. Zwischenzeitlich wurde der Führerausweis im Juli 2024 vorsorglich entzogen. Auch dagegen erhob die Betroffene Beschwerde beim Verwaltungsgericht.

Gegen Zwischenentscheide im kantonale Verfahren kann beim Bundesgericht nur Beschwerde geführt werden, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Wenn eine Rüge nur die Verletzung des rechtlichen Gehörs betrifft, dann ist diese Voraussetzung nicht erfüllt. Da aber im vorliegenden Fall die Fahrerlaubnis bereits entzogen wurde, liegt gemäss dem Bundesgericht ausnahmsweise ein solcher Nachteil vor, weshalb auf die Beschwerde eingetreten wird.

Wer gelegentlich Kokain konsumiert, kann zu einer Fahreignungsabklärung verpflichtet werden. Keine Zweifel bestehen dann, wenn nur ein einmaliger Konsum ohne Konnexität zum Strassenverkehr vorliegt (ausführlich dazu E. 2). Im vorliegenden Fall wurde die Fahreignungsabklärung angeordnet, weil die Beschwerdeführerin im Rahmen einer Strafanzeige angab, zwischen 2018 und 2023 regelmässig Kokain konsumiert zu haben. Dies habe sie allerdings in späteren Aussagen relativiert. Da aber sowohl die Strafbehörden des Kantons Zürichs wie auch die Vorinstanz die weiteren Akten des Strafverfahrens nicht herausgaben, die das belegt hätten, liegt aus ihrer Sicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Das Bundesgericht bejaht dies ebenfalls, denn die Akteneinsicht wird vom Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst (E. 3.2). Die Vorinstanz hätte die Akten des Zürcher Strafverfahrens beiziehen müssen zur Beurteilung der Zweifel an der Fahreignung, da mit dem vorsorglichen Entzug der Fahrerlaubnis ein nicht wieder gut zu machender Nachteil drohte (E. 3.3).

Eine weitere Gehörsverletzung erblickt das Bundesgericht in dem Umstand, dass der Beschwerdeführerin keine umfassende Akteneinsicht gewährt wurde. Die Unterlagen, die sie erhielt, äusserten sich gar nicht zum Betäubungsmittelkonsum, weshalb die Anordnung der Fahreignungsabklärung auch nicht wirklich nachvollzogen werden konnte. Der Rechtsvertreter erhielt im Strafverfahren übrigens keine Akteneinsicht, weil noch keine Einvernahmen stattfanden (vgl. Art. 101 Abs. 1 StPO).

Das BGer heisst die Beschwerde(n) gut.

Dieses Urteil zeigt auf, welche negativen Konsequenzen die Abhängigkeit zwischen Straf- und Administrativverfahren für betroffene Personen haben kann. Die Beschwerdeführerin benötigte Unterlagen aus dem Strafverfahren, die sie aber nicht erhielt. Eine strenge Handhabung des Akteneinsichtsrechts im Strafverfahren kann also zu einem Nachteil im Verwaltungsverfahren führen.