BGE 6B_1209/2020: Voraussetzungen der Einstellung (gutgh. Beschwerde)
Im Dezember 2017 verunfallten die Beschwerdeführer auf einer Schlittelpiste in Obwalden. Beide wurden bei dem Unfall schwer verletzt. Einer der Beschwerdeführer wurde dauerhaft invalid. Das Strafverfahren gegen Unbekannt und wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung durch Unterlassen stellte die Staatsanwaltschaft ein, was von den kantonalen Instanzen geschützt wurde. Dagegen wehren sich die Beschwerdeführer erfolgreich vor Bundesgericht.
Der Fall dreht sich um die Frage, wie weit die Verkehrssicherungspflicht von Betreiber von Schlittelpisten geht, denn die Beschwerdeführer verunfallten auf der Piste ausserhalb der Betriebszeiten. Die Vorinstanz stellte sich auf den Standpunkt, dass ausserhalb der Betriebszeiten eine Sicherungspflicht gänzlich entfalle und stützt sich dabei auf die SKUS-Richtlinien. Mangels Unterlassungs- bzw. Fahrlässigkeitshandlung sei deshalb das Strafverfahren zu Recht eingestellt worden (E. 2.2). Die Beschwerdeführer hingegen bringen vor, dass bei einer gerichtlichen Beurteilung keinesfalls klar ein Freispruch erfolgen würde, denn Schlittelpisten können auch ausserhalb der Betriebszeiten befahren werden. Zudem muss beim Bestehen einer Sicherungspflicht stets von atypischen Gefahren ausgegangen werden. Und zuletzt befand sich auf der Piste eine falsche Signalisation, ein Pfeil in die falsche Richtung, just dort, wo die Beschwerdeführer verunfallten (E. 2.1).
Gemäss Art. 319 Abs. 1 lit a und b StPO wird ein Strafverfahren eingestellt, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt, oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist. Dabei hat sich die Strafbehörde nach dem Grundsatz „in dubio pro duriore“ zu richten. Erscheint ein Schuldspruch wahrscheinlicher, als ein Freispruch, so hat die Strafbehörde Anklage zu erheben bzw. einen Strafbefehl zu erlassen. Sind die Chancen auf einen Freispruch etwa gleich wie auf einen Schuldspruch, muss insb. bei schweren Delikten eine Anklage erfolgen. Das BGer greift in das strafbehördliche Ermessen nur zurückhaltend ein (vgl. zum Ganzen E. 2.4.1).
Die fahrlässige Körperverletzung ist je nach Schweregrad der Schädigungen des Opfers ein Antrags- oder Offizialdelikt. Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist. Dass Mass der Sorgfalt kann sich u.a. auch aus privaten Richtlinien ergeben. Der eingetretene Erfolg – also hier der Schlittelunfall – muss für die Verantwortlichen vorhersehbar und insofern vermeidbar gewesen sein. Die Vorhersehbarkeit misst sich nach der Adäquanz. Diese ist zu verneinen, wenn der eingetretene Erfolg dermassen pythonesk ist, dass man damit einfach nicht rechnen musste. Dann lässt er sich auch nicht vermeiden (zum Ganzen ausführlich E. 2.4.2).
Bergbahn- und Skiliftunternehmen trifft eine Verkehrssicherungspflicht, sie müssen also ihre Pisten so sicher wie möglich machen. Die Grenze liegt bei der Zumutbarkeit von Massnahmen sowie der Selbstverantwortung der Schneesportler. In solchen Fällen zieht das BGer regelmässig die oben erwähnten SKUS-Richtlinien herbei für die Beantwortung der Frage, ob die Sicherungspflichten eingehalten wurden. Gemäss den SKUS-Richtlinien ist es verboten Schlittelwege zu benutzen, wenn sie offensichtlich geschlossen sind. Allerdings gilt nach den SBS-Richtlinien (Seilbahnen Schweiz, Die Verkehrssicherungspflicht auf Schneesportanlagen) die Pflicht, Schlittelwege von atypischen Gefahren zu sichern. Atypisch sind Gefahren, welche die Benutzer bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht zu erkennen vermögen oder die auch bei vorsichtigem und den persönlichen Fähigkeiten angepasstem Fahren zu Unfällen führen können. Gibt es Sonderanlässe, wie z.B. eine Nachfahrt, muss die Piste gesichert werden (E. 2.4.3-4).
Am Tag des Unfalles vermieteten die Sportbahnen trotz geschlossener Schlittelpiste Schlitten und transportierten diese mitsamt Kunden zur Bergstation. In einer Hütte an der Schlittelpiste fand ein öffentlicher Sylvesteranlass statt. Die Hütte war nur mit Schlitten oder Schneesportgerät erreichbar. Zudem war im Internet ein Flyer abrufbar, welcher entgegen der Schliessung der Schlittelpiste dafür war, dass diese auch spät abends noch befahrbar war. Trotz diesen Einzelfallumständen, also dass höchstwahrscheinlich noch Personen die Piste benutzen werden, verneinte die Vorinstanz eine Verkehrssicherungspflicht der Bergbahnen. Indem sich die kantonalen Instanzen aber zuwenig mit den Einzelfallumständen auseinandersetzten und generell davon ausgingen, dass bei geschlossener Piste keine Sicherungspflichten bestanden, verletzte sie Bundesrecht. Es liegt insofern kein klarer Fall von Straflosigkeit vor. Das Strafverfahren hätte nicht eingestellt werden dürfen, zumal die Geschädigten schwer verletzt wurden.