Urteil 6B_733/2024: Welche Strafe darfs denn sein? (tlw. gutgh. Beschwerde)
Art. 90 Abs. 3ter SVG ist momentan das heisse Thema in der Rechtsprechung zum Strassenverkehrsstrafrecht. Das Bundesgericht entschied bereits im Urteil 6B_1372/2023, dass eine Strafmilderung nach Art. 90 Abs. 3ter SVG auch bei Neulenkern in Frage kommt, die noch keine 10 Jahre im Besitz einer Fahrerlaubnis sind. Deshalb musste die Staatsanwaltschaftskonferenz ihre Empfehlungen zu Art. 90 Abs. 3ter SVG anpassen (vgl. dazu den Beitrag vom 24. Januar 2025). In diesem neuen Entscheid befasst sich das Bundesgericht intensiv damit, wie sich die allgemeinen Regeln der Strafzumessung (insb. Art. 41 und 47 StGB) auf Art. 90 Abs. 3ter SVG auswirken.
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Der Beschwerdeführer wurde in erster Instanz wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen sowie einer Busse bestraft. Er überschritt die Höchstgeschwindigkeit innerorts um 53 km/h. Das Kantonsgericht VD hiess die Berufung der Staatsanwaltschaft gut und bestrafte den Beschwerdeführer mit einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr sowie einer Busse gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG. Der Beschwerdeführer ist Student, finanziell voll auf seine Eltern angewiesen und wohnt auch bei diesen. Er hat keine Vorbelastungen.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 90 Abs. 3ter SVG sowie Art. 47, Art. 41 und Art. 2 Abs. 2 StGB, also dem Grundsatz der lex mitior.
Das Bundesgericht führt zunächst aus, dass mit der Einführung von Art. 90 Abs. 3ter SVG per 1. Oktober 2023 das richterliche Ermessen bei der Bestrafung von Rasern erweitert wurde. Ziel dieser Regelung ist die Vermeidung von unnötigen Härtefällen. Da es sich um eine Kann-Vorschrift handelt, ist eine mildere Strafe nicht obligatorisch. Der Richter muss aber den erweiterten Strafrahmen dieser Bestimmung berücksichtigen, wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind (E. 2.1.1).
Generell erfolgt die Strafzumessung nach dem Verschulden des Täters, wobei auch das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters zu berücksichtigen sind (Art. 47 Abs. 1 StGB). Bei der Strafzumessung steht den Gerichten ein grosses Ermessen zu, in welches das Bundesgericht nur mit zurückhaltung eingreift. Die Gerichte müssen bei der Festlegung der Strafe aber alle wesentlichen im Urteil aufführen, da ansonsten die Begründungspflicht verletzt wird (Art. 50 StGB). Das Gericht kann anstelle einer Geldstrafe eine Freiheitsstrafe anordnen, wenn eine Perpetuierungsgefahr besteht oder wenn die Geldstrafe voraussichtlich nicht bezahlt werden kann (Art. 41 Abs. 1 StGB). Wären sowohl eine Geld-, als auch eine Freiheitsstrafe angemessen, um dem Täter gemäss seinem Verschulden zu bestrafen, so ist grundsätzlich die Geldstrafe zu wählen, da dies verhältnismässiger ist (zum Ganzen E. 2.1.2). Wählt das Gericht die Freiheitsstrafe, muss es dies näher begründen (Art. 41 Abs. 2 StGB).
Die Vorinstanz begründete die Bestrafung damit, dass es das Motiv des Beschwerdeführers – die Freude am schnellen fahren – besonders verwerflich und sein Bewusstsein für das Fehlverhalten unzureichend war. Da der Beschwerdeführer die Widerhandlung als Inhaber eines Führerausweises auf Probe beging, stellte sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, dass kein Härtefall vorliege und damit nicht von Art. 90 Abs. 3 SVG abgewichen werden muss. Die Vorinstanz ging zudem davon aus, dass der Beschwerdeführer als Student eine Geldstrafe nicht bezahlen könnte (E. 2.2).
Das Bundesgericht stellt fest, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 90 Abs. 3ter SVG vorliegend erfüllt sind. Indem nun die Vorinstanz die Strafe nach Art. 90 Abs. 3 SVG festlegte, verletzte diese Bundesrecht, insb. wenn sie ausführte, dass sie an den Mindeststrafrahmen von einem Jahr gebunden sei. Dadurch verletzte sie die Regeln zur Strafzumessung. Die Vorinstanz hätte die Strafzumessung im erweiterten Strafrahmen von Art. 90 Abs. 3ter SVG vornehmen müssen. Bei der Wahl einer Freiheitsstrafe muss dies besonders begründet werden (Art. 41 Abs. 2 StGB). Indem die Vorinstanz generell auf das Mindeststrafmass verwies, verletzte sie ihre Begründungspflicht.
Die Sache wird zur Neubeurteilung der Strafe zurückgewiesen.
Bonus-Urteile
Urteil 6B_374/2025: Widerruf einer bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe
Auch dieses Urteil befasst sich mit der Strafzumessung zum Thema Widerruf von bedingten Strafen. Der Beschwerdeführer ist ein notorischer Strassenverkehrstäter. Nur gut vier Monate nach einer bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe führte der Beschwerdeführer eine „Kontrollfahrt“ mit einem Motorrad durch, wodurch er mehrfach gegen das SVG verstiess (Fahren trotz Entzug, Fahren ohne MFH, Verwendung gefälschter Kontrollschilder usw.). Aus diesem Grund wurde die bedingte Entlassung gemäss Art. 89 StGB widerrufen und gemäss Art. 49 StGB eine Gesamtstrafe von fünf Monaten Freiheitsstrafe angeordnet. Voraussetzung dafür ist eine Schlechtprognose, also dass der Betroffene nicht anders von weiterer Delinquenz abgehalten werden kann (zum Ganzen ausführlich E. 4.4). Die Vorinstanz ging zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer als notorischer Strassenverkehrstäter, der eine „eindrückliche Ignoranz gegenüber der geltenden Rechtsordnung“ zeigt, nicht durch bedingte Strafen von weiteren Taten abgehalten werden kann. Die Rückversetzung in eine Freiheitsstrafe erfolgte zu Recht. Wenn der Beschwerdeführer den Vollzug der Strafe im Rahmen eines Electronic Monitoring verlangt, muss er bei der Vollzugsbehörde ein Gesuch stellen (Art. 79b StGB).
Urteil 1C_168/2025: Die Trunksucht
Dieses Urteil bietet einen guten Überblick über die Rechtsprechung zum Thema Alkohol und Fahreignung. Die Fahreignung des Beschwerdeführers wurde nach einer Fahreignungsabklärung verneint und deshalb ein Sicherungsentzug angeordnet. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass nicht berücksichtigt worden sei, dass er noch nie gegen das Strassenverkehrsgesetz verstossen habe, was aus seiner Sicht im Gutachten nicht ausreichend gewürdigt wurde. In E. 4.1 fasst das Bundesgericht die Rechtsprechung vorbildlich zusammen. Die wichtigsten Punkte:
- Wird die Fahreignung verneint, ist zwingend ein Sicherungsentzug anzuordnen.
- Es liegt ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vor.
- Die Haaranalyse ist das probate Mittel, um Rückschlüsse auf den Alkoholkonsum zu ziehen.
- Ab einem EtG-Wert von 30 pg/mg liegt ein übermässiger Alkoholkonsum vor.
- Die Entzugsbehörde muss vor der Anordnung der Massnahme prüfen:
– Persönlichen Verhältnisse
– Fremdberichte
– Aufarbeitung allfälliger Trunkenheitsfahrten
– Alkoholanamnese
– medizinische körperliche Untersuchung
Vorliegend widersprachen sich die Ergebnisse der Haaranalyse (42 pg/mg) den Konsumangaben des Beschwerdeführers. Zudem gab die Hausärztin an, dass ein Alkoholüberkonsum bestehe. Insofern war das verkehrsmedizinische Gutachten schlüssig. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers erfolgte die Verneinung der Fahreignung nicht nur aufgrund der Haaranalyse. Daran ändert auch nichts, dass der Beschwerdeführer noch nie in fahrunfähigem Zustand Auto gefahren ist.
