Dauer des Warnentzugs

BGE 1C_629/2020: Bildung einer Gesamtmassnahme

Der Beschwerdeführer überschritt auf der Autobahn in Deutschland die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 45km/h und wurde dafür mit einem Bussgeld von EUR 160 und einem einmonatigen Fahrverbot bestraft. Die kantonalen Behörden Thurgaus verfügten deshalb einen Ausweisentzug von 17 Monaten im Rahmen einer Gesamtmassnahme, weil der Beschwerdeführer zuvor schon wegen Unterschreiten des Abstandes wegen grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer verlangt vor Bundesgericht einen Führerscheinentzug von lediglich 13 Monaten.

Muss das Strassenverkehrsamt mehrere Widerhandlungen gleichzeitig beurteilen, finden die Regeln von Art. 49 StGB sinngemässe Anwendung. Die Dauer der schwersten Massnahme muss angemessen erhöht werden. Dies gilt namentlich auch für die sog. „retrospektive Konkurrenz“ im Sinne von Art. 49 Abs. 2 StGB: Begeht ein Fahrzeugführer noch vor der rechtskräftigen Verfügung über einen Warnungsentzug eine zweite Widerhandlung, welche einen solchen Entzug zur Folge hat, so ist im zweiten Administrativverfahren die Dauer des Warnungsentzuges im Sinne einer Zusatzmassnahme so zu bemessen, dass der Fahrzeugführer nicht schwerer sanktioniert wird, als wenn die beiden Widerhandlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (E. 3.2). Zudem sind die Umstände des Einzelfalles bei der Festsetzung der Entzugsdauer gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG zu berücksichtigen.

Der Beschwerdeführer bemängelt an der Bemessung der Massnahme, dass auch Widerhandlungen berücksichtigt worden seien, die mehr als 10 Jahre zurückliegen. Dies sei in analoger Anwendung von Art. 369 Abs. 3 i.V.m. Art. 369 Abs. 7 StGB nicht zulässig, denn Strafregistereinträge müssen grds. nach 10 Jahren gelöscht werden und dürften den Betroffenen nicht mehr entgegengehalten werden. Zudem verstosse es gegen das Doppelverwertungsverbot, wenn der getrübte Leumund sowohl bei einer der Abstandsunterschreitung, als auch der Geschwindigkeitsüberschreitung berücksichtigt wird (E. 4.1).

Das BGer hält dem entgegen, dass das Massnahmenrecht bzgl. dem Leumund keine zeitliche Begrenzung enthält. Somit durfte bei der Bemessung der Massnahmen auch der Leumund bis 1991 berücksichtigt werden. Auch gegen das Doppelverwertungsverbot wird nicht verstossen, da sowohl die Haupt- als auch die Zusatzmassnahme zunächst einzeln bemessen und dann zu einer Gesamtmassnahme addiert werden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Keine Gnade für Neulenker

BGE 1C_621/2019: Keine Gesamtmassnahmen beim FAP (für amtl. Publ. Vorgesehen)

Dieser zur amtlichen Publikation vorgesehene Entscheid ist wichtig, weil er die Rechtsprechung zum Führerausweis auf Probe präzisiert und auch verschärft.

Der Beschwerdeführer ist Inhaber des Führerausweis auf Probe. Im Juni 2018 kollidierte er beim Rückwärtsfahren mit einer Velofahrerin, wofür er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit Busse bestraft wurde. Das Administrativverfahren wurde sistiert. Im September 2018 verursachte der Beschwerdeführer einen Selbstunfall im Militär. Daraufhin annullierte das verkehrssicherheitszentrum OW/NW den Führerausweis auf Probe. Es stellt sich die Frage, ob der FAP annulliert werden kann, obwohl die erste Widerhandlung noch nicht mit einer Massnahme sanktioniert wurde.

Der FAP wird nach den Modalitäten von Art. 15a SVG erteilt und annulliert. Die Annullierung erfolgt nach der zweiten Widerhandlung, die einen Führerscheinentzug zur Folge hätte (E. 3.1). Diese strenge Regelung für Neulenker dient der Verkehrssicherheit (E. 3.2).

Unbestritten ist vorliegend, dass der Beschwerdeführer zwei Widerhandlungen begangen hat, die einzeln betrachtet einen Führerscheinentzug rechtfertigen würden. Das BGer hat bereits entschieden, dass eine zweite Widerhandlung eine Annullierung des FAP bewirkt, auch wenn die Sanktion bei der ersten Widerhandlung noch nicht rechtskräftig oder vollzogen war (vgl. BGE 136 II 447 E. 5). Vorliegend gibt es aber bzgl. der ersten Widerhandlung noch gar keinen eröffneten Entscheid (E. 4.2).

Ein Teil der Lehre folgt der Vorinstanz und bejaht, dass es noch keine Massnahme bzgl. der ersten Widerhandlung für die Annullierung des FAP nach der zweiten Widerhandlung benötigt. Ein anderer Teil der Lehre schlägt analog zur Rechtsprechung zum definitiven FA vor, dass auch beim FAP in analoger Anwendung von Art. 49 StGB eine Gesamtmassnahme verfügt wird. Dies würde allerdings diejenigen Junglenker privilegieren, die innerhalb von kurzer Zeit mehrere Widerhandlungen begehen. Dies widerspreche aber dem Sinn der gesetzlichen Konzeption des Führerausweises auf Probe, denn es würden eben jene Junglenker privilegiert, von welchen wohl eine grössere Gefahr für die Verkehrssicherheit ausgeht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde insofern ab (E. 4.3).

Zu Gunsten der Verkehrssicherheit verneint das BGer bei Inhabern des FAP die analoge Anwendung von Art. 49 StGB, womit Gesamtmassnahmen für Neulenker ausser Betracht fallen.