BGE 1C_513/2019: Welcher Ausweis solls nun sein? (gutgh. Beschwerde)
Dieser Entscheid führt uns durch die komplexe Welt der Anerkennung ausländischer Fahrbewilligungen. Er zeigt auch die Problematik auf, die den Behörden entstehen, wenn ausländisches und insb. EU-Recht interpretiert werden muss.
Der Beschwerdeführer geriet im September 2017 in eine Polizeikontrolle, bei welcher er sich mit einem gefälschten litauischen Führerschein auswies. Dieser wurde aberkannt und die Wiederzulassung von einer gültigen Fahrerlaubnis abhängig gemacht. Im Oktober 2018 wies der Beschwerdeführer einen polnischen Ausweis vor und beantragte damit die Wiederzulassung zum Strassenverkehr. Die deutschen Behörden teilten jenen von Baselland in der Folge mit, dass der Beschwerdeführer in Deutschland wegen einer Suchtproblematik seit 2010 nicht Auto fahren darf. Das mittlerweile zuständige StVA Kt. BE verweigerte daraufhin dem Beschwerdeführer die Zulassung und machte diese vom Nachweis einer gültigen Fahrbewilligung sowie einer verkehrsmedizinischen und -psychologischen Abklärung abhängig. Im kantonalen Instanzenzug wurde zwar die Notwendigkeit einer Fahreignungsabklärung verneint, die Zulassung zum Strassenverkehr aber trotzdem verweigert. Der Beschwerdeführer ist natürlich der Meinung, dass er aufgrund des polnischen Ausweises zugelassen werden muss.
E. 3 – Voraussetzungen der Zulassung:
Wer ein Motorfahrzeug führt, braucht gemäss Art. 10 Abs. 2 SVG die Fahrbewilligung der entsprechenden Kategorie. Gemäss Art. 41 Abs. 2 lit. a/i der Wiener Strassenverkehrskonvention anerkennen die Vertragsstaaten gültige Ausweise der anderen Mitgliedstaaten. Polen und die Schweiz gehören zu den Vertragsstaaten. Gemäss Art. 42 Abs. 1 VZV werden gültige ausländische Fahrbewilligungen anerkannt, sofern sie gemäss Art. 42 Abs. 4 VZV nicht in Umgehung der in- oder ausländischen Regelungen erlangt wurden. Die Vorinstanz stellte sich nun auf den Standpunkt, dass der polnische Ausweis erlangt wurde, obwohl der Beschwerdeführer in Deutschland gewohnt habe, womit EU-Recht umgangen worden sei. Insofern müsse der polnische Ausweis nicht anerkannt werden (E. 3.3).
Nach Ansicht des Bundesgerichts muss ein polnischer Ausweis nach den Regeln der Wiener Strassenverkehrskonvention grds. anerkannt werden. Deutschland und Polen wiederum sind Mitglieder der EU. Die EU-Richtlinie 2006/126/EG regelt innerhalb der EU die gegenseitige Anerkennung von Fahrbewilligungen. Demnach ist im Hinblick auf Umgehung von ausländischem Recht nicht deutsches oder polnisches Recht bzgl. Wohnsitznahme anwendbar, sondern die Bestimmungen der Richtlinie. Die Vorinstanz war der Ansicht, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz in Deutschland hatte, weshalb der polnische Ausweis keine Gültigkeit habe und Art. 12 der EU-Richtlinie umgangen worden sei. Dabei legte sie aber die Richtlinie eigenständig und ohne Berücksichtigung der europäischen Lehre und Rechtsprechung aus. Ebenso wurde der Einwand des Beschwerdeführers nicht gewürdigt, dass nach Art. 7 der EU-Richtlinie der Ausstellerstaat, also Polen, den Wohnsitz sorgfältig prüfen muss. Durch ihr Vorgehen verletzte die Vorinstanz Bundesrecht (E. 3.4-5).
Auch wenn eine Fahrbewilligung unter Umgehung ausländischer Vorschriften erlangt wurde, muss diese gemäss Art. 45 Abs. 6 VZV anerkannt werden, wenn der Wohnsitzstaat diese ebenfalls anerkannt. Beachtlich wäre auch die Anerkennung eines späteren Wohnsitzstaates (E. 3.6). Zudem blieb im kantonalen Verfahren die Frage unbeantwortet, ob der polnische Ausweis überhaupt echt ist. Auch das muss noch abgeklärt werden (E. 3.8).
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Fall für weitere Abklärungen zurückgewiesen.