Urteile 7B_1386/2024 und 7B_1388/2024: Blas mal ins Röhrchen!
In diesen Urteilen beschäftigt sich das Bundesgericht mit Art. 20 VSKV-ASTRA bzw. mit der Frage, ob das ASTRA bestimmen darf, dass es bei Atemalkoholproben mit Test- und Messgeräten keine Abzüge geben darf. Die Vorinstanz verneinte diese Frage nämlich und führte aus, dass künftig bei Atemalkoholproben ein Abzug von 7.5% gemacht werden müsse. Das würde zu weitreichenden Änderungen in der Praxis insb. bei den Strafbehörden führen, wenn eine Atemalkoholprobe durchgeführt wird. Aber auch der Gesetzgeber hätte sich nochmals ans Reissbrett setzen müssen zur Re-Evaluation der gesetzlichen Grundlagen. Schon alleine deshalb dürften einige Leute diese Urteile mit Schweissperlen auf der Stirn erwartet haben.
Hört sich ziemlich dramatisch an…
In diesen Fällen geht es je um eine Fahrt in alkoholisiertem Zustand, wobei die gemessenen Atemalkoholproben mit 0.43 mg/L und 0.41 mg/L jeweils knapp qualifiziert ausfielen. In beiden Fällen sprach das Cour pénale du Tribunal cantonal de la République et canton de Neuchâtel die Betroffenen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand gemäss Art. 91 Abs. 1 SVG schuldig. In beiden Fällen erhob die Staatsanwaltschaft Beschwerde mit dem Antrag, dass die Betroffenen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand mit qualifizierter Atemalkoholkonzentration gemäss Art. 91 Abs. 2 SVG schuldig zu sprechen seien.
Die Vorinstanz begründete ihr Urteil damit, dass das ASTRA nicht befugt sei in Art. 20 VSKV-ASTRA zu regeln, dass bei Atemalkoholproben keine Abzüge vorzunehmen seien. Im Gegenteil, man müsse aus Sicht der Vorinstanz bei Atemalkoholproben ein Abzug von 7.5% machen. Dies führte bei 0.43 mg/L zu einem Ergebnis von 0.39 mg/l bzw. bei 0.41 mg/L zu 0.37 mg/L und damit auch zu der milderen Bestrafung nach Art. 91 Abs. 1 SVG.
Was folgt ist eine umfassende Auseinandersetzung des Bundesgerichts zu den gesetzlichen Grundlagen zur Atemalkoholprobe, auf welche wir hier äusserst summarisch eingehen.
Atemalkoholproben können bei Motorfahrzeugführern grundsätzlich ohne Anfangsverdacht angeordnet werden (Art. 55 Abs. 1 SVG). Der Bundesrat erlässt Vorschriften über die Voruntersuchungen (Abs. 2), das Vorgehen bei der Atemalkohol- und der Blutprobe, die Auswertung dieser Proben und die zusätzliche ärztliche Untersuchung der der Fahrunfähigkeit verdächtigten Person (Art. 55 Abs. 7 SVG). Der Bundesrat wiederum kann das ASTRA zur Regelung von Einzelheiten ermächtigen (Art. 106 Abs. 1 SVG). Diese Unterdelegation an das entsprechende Amt soll gewährleisten, dass die Gesetzgebung mit dem technologischen Wandel Schritt halten kann (zum Ganzen E. 3.3).
Im Folgenden hält das Bundesgericht fest, dass bei den Atemalkoholproben bereits eine Art Sicherheitsabzug vorgenommen wird, denn Studien haben festgestellt, dass insb. die Körpertemperatur der getesteten Person zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Die Test- und Messgeräte wurden also so eingestellt, dass es bei der Umrechnung der Werte nicht zu falschen Messresultaten kommen kann, damit niemand zu Unrecht bestraft wird (E. 3.4.1).
Die Kontrolle der Fahrfähigkeit erfolgt nach den Regeln von Art. 10 ff. der Strassenverkehrskontrollverordnung. Art. 9 Abs. 2 SKV regelt sodann übereinstimmend mit Art. 106 SVG, dass das ASTRA zusammen mit dem METAS die Anforderungen an die Messsysteme und Messarten sowie die technisch bedingten Sicherheitsabzüge regelt. Deshalb setzt sich das Bundesgericht auch noch mit den gesetzlichen Grundlagen zu den Messmitteln (Messmittelverordnung und Verordnung des EJPD über Atemalkoholmessmittel), worauf wir hier nicht weiter eingehen (E. 3.4.4 für Interessierte).
Nach diesem Ausflug in die Myriaden der gesetzlichen Grundlagen zur Atemalkoholprobe im Strassenverkehr kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass der Meinung der Vorinstanz nicht gefolgt werden kann. Das ASTRA ist befugt, Regeln zur Atemalkoholmessung zu erlassen, insb. wenn Art. 9 Abs. 2 SKV explizit regelt, dass dies auch das Regeln von Sicherheitsabzügen umfasst. Nur so kann nach dem Willen des Gesetzgebers gewährleistet werden, dass der Gesetzgeber mit dem oft vorauseilenden technologischen Fortschritt Schritt halten kann.
Dass gemäss Art. 20 VSKV-ASTRA kein Sicherheitsabzug bei Atemalkoholproben vorgenommen werden darf, verstösst auch nicht gegen die Unschuldsvermutung. Das METAS garantiert mit der Eichung der Test- und Messgeräte dafür, dass diese einwandfrei funktionieren. Sodann wird nochmals daran erinnert, dass bei der Umrechnung der Atemalkoholprobe bereits eine Art von Sicherheitsabzug vorgenommen wird (s.o.). Betroffene Personen können immer auch eine Blutprobe verlangen, wenn sie der Atemalkoholprobe nicht trauen (Art. 12 Abs. 1 lit. d SKV). Und zum Schluss können Messergebnisse auch gemäss Art. 29 MessMV beanstandet werden.
Es besteht also eine genügende gesetzliche Grundlage dafür, dass das ASTRA regeln darf, dass bei Atemalkohlproben kein Sicherheitsabzug vorgenommen werden muss. Die Beschwerden der Staatsanwaltschaft werden gutgeheissen, womit wohl einigen Leuten in der Praxis ein Stein vom Herzen gefallen ist…

