Von Spontanaussagen, dem Mieterindiz und dem Anvisieren von Schnellfahrern

Dieses Urteil befasst sich mit der Frage, welche Aussagen auch ohne Belehrung über die Miranda-Rechte verwertet werden dürfen und ob die Miete ein Indiz für die Lenkerschaft ist.

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Der Beschwerdeführer wurde aus Sicht der Strafbehörden bei einer Töfftour mit zwei Kollegen über mehrere Pässe mit einem gemieteten Motorrad geblitzt – und zwar im Raserbereich. Auf die Spur gekommen sind ihm die Behörden unter anderem, weil der Beschwerdeführer einem Polizisten am Telefon äusserte, dass der Vermieter des Motorrades ihm gesagt habe, dass es ihn geblitzt hätte. Da er diese Aussage aber spontan und ohne Belehrung über seine Miranda-Rechte machte, erachtet es der Beschwerdeführer als rechtswidrig, wenn diese Äusserung nun im Strafverfahren gegen ihn verwendet wird.

Im Strafprozess gelten strenge und zwingende Protokollierungsregeln (Art. 76ff. StPO). Damit wird einerseits der Sachverhalt festgehalten und andererseits dafür gesorgt, dass das Strafverfahren einem Rechtsstaate würdig durchgeführt wird (E. 1.3.2). Nach Eröffnung der Untersuchung, darf die Polizei grundsätzlich keine selbstständigen Ermittlungen mehr durchführen. Es benötigt dazu einen Auftrag der Staatsanwaltschaft (Art. 312 StPO). Wie bei den meisten Grundsätzen gibt es auch hier eine Ausnahme bei einfachen Erhebungen zur Klärung des Sachverhalts. So ist etwa die selbstständige polizeiliche Ermittlung von Geschädigten und Zeugen sowie deren informatorische Befragung, namentlich zur Abklärung, ob diese beweisrelevante Angaben zum Sachverhalt machen können, weiterhin möglich (E. 1.3.3). Genau eine solche einfach Abklärung machte die Polizei, als sie den Beschwerdeführer anrief und sich nach dem Halter des geblitzten Motorrades erkundigte. Dabei ging es noch nicht um die Geschwindigkeitsüberschreitung. Die beiläufige Aussage, dass er geblitzt wurde, machte der Beschwerdeführer spontan, ohne dass er vom Polizisten direkt aufs Schnellfahren angesprochen wurde. Aus diesem Grund durfte diese im Polizeirapport protokollierte Aussage schliesslich als Beweis verwertet werden (E. 1.4).

Im vorliegenden Fall gibt es keinen direkten Beweis, nach welchem erstellt ist, dass der Beschwerdeführer das Motorrad gelenkt hatte. Eine strafrechtliche Verurteilung ist aber auch anhand von Indizienbeweisen möglich. Eine Mehrzahl von Indizien, welche für sich allein betrachtet nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Tatsache oder Täterschaft hindeuten und insofern Zweifel offenlassen, können in ihrer Gesamtheit ein Bild erzeugen, das den Schluss auf den vollen rechtsgenügenden Beweis von Tat oder Täter erlaubt (E. 2.3.2). Das Halterindiz, also dass der Halter auch der Lenker eines Motorfahrzeuges war, ist seit je in der Rechtsprechung verankert (E. 2.3.3 mit vielen Hinweisen). Aus dem Halterindiz kann das Mieterindiz abgeleitet werden, also dass der Mieter eines Fahrzeuges, wohl auch dessen Lenker war (E. 2.5.2). Insgesamt würdigten die kantonalen Instanzen weitere Indizien wie die Aussagen der Beteiligten, die Angaben zur Motorradtour sowie die Bekleidung des Beschwerdeführers woraus sich ein Beweisbild ergab, aus welchem willkürfrei darauf geschlossen werden konnte, dass der Beschwerdeführer das Motorrad im Tatzeitpunkt auch lenkte.


Gerade eben haben wir gelernt, dass eine Geschwindigkeitsmessung nicht verwertbar ist, wenn dazu jegliche Unterlagen fehlen (vgl. Beitrag vom 2. April 2025). Gilt das auch, wenn die vom Hersteller im Rahmen der Prüfung der Visiereinrichtung vorgesehene Justierung des Fadenkreuzes des Messgeräts nicht vorgenommen wurde?

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Der Beschwerdeführer wurde bei einem Überholmanöver ausserorts mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h gemessen. Er überschritt damit die geltende Tempolimite um 30 km/h. Im vorliegenden Fall liegt ein Eichzertifikat vor, welches grundsätzlich bestätigt, dass das Messgerät funktionierte. Ob nun das Visier im vorliegenden Fall justiert wurde oder nicht, war letztlich irrelevant. Gutachterlich wurde nämlich festgestellt, dass die Messung technisch korrekt und plausibel war. Insbesondere hielt der Gutachter fest, dass eine Verschiebung des auf dem Messvideo sichtbaren Fadenkreuzes die Messung nicht beeinflusse. Der Messbeamte ziele nicht damit auf das zu messende Fahrzeug, sondern durch eine separate Visiervorrichtung; die Videoaufnahme und das in dieser ersichtliche Fadenkreuz dienten einzig dazu, das vom Messgerät über die Visiervorrichtung anvisierte Objekt zweifelsfrei zu identifizieren (E. 1.3.).

Eine Geschwindigkeitsüberschreitung ausserorts um 30 km/h ist eine grobe Verkehrsregelverletzung (E. 2.3.). Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er sich in einem Notstand befunden habe (Art. 17 StGB), weil das überholte Fahrzeug beschleunigt habe. Rechtfertigungsgründe werden bei Geschwindigkeits-überschreitungen nur mit grosser Zurückhaltung angenommen (vgl. dazu den Beitrag vom 16. September 2022). Vorliegend ist fraglich, ob sich der Beschwerdeführer überhaupt in einer Notstandslage befand, denn er hätte sein Überholmanöver einfach abbrechen können, als das andere Fahrzeug beschleunigte.

Eine Verkehrsregelverletzung kann entschuldbar sein, wenn man sich aufgrund des Fehlverhaltens einer anderen Person in einer misslichen Lage befindet. Wählt man in einer solchen Situation eine Lösung, die rückblickend die schlechtere von mehreren Möglichkeiten war, muss das nicht heissen, dass man schuldhaft handelte. Nur wenn die gewählte Lösung geradezu kopflos erscheint, macht man sich strafbar (dazu Urteil 6B_351/2017 E. 1.4).

Vorliegend lag es auf der Hand, dass das Abbrechen des Überholmanövers die beste Lösung gewesen wäre. Zusammen mit dem überholten Fahrzeug zu beschleunigen war offensichtlich die schlechtere Lösung und damit kopflos. Deshalb kann sich der Beschwerdeführer nicht darauf berufen, dass er eine dem Abbremsen gleichwertige Lösung gewählt hatte (E. 3.3).

Von Empathie beim Telefonieren und fehlenden Unterlagen bei Geschwindigkeitsdelikten

Urteil 1C_672/2024: Das unfreundliche Telefonat

Egal ob beim Staat oder in der Privatwirtschaft, immer mal wieder hat man es mit nervigen Menschen zu tun. Ist ein Richter befangen, wenn ihn eine Prozesspartei nervt und er ein Telefonat etwas unprofessionell führt und unwirsch beendet?

Hier die Antwort:

Die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers wurde für einen Monat entzogen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer ein Rechtsmittel und ersuchte um unentgeltliche Prozessführung. Wegen Aussichtslosigkeit wurde das Gesuch abgewiesen. Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht SG gutgeheissen und an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Im Laufe des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer mit Zwischenverfügung aufgefordert darzutun, wie er sich Ferien (2x 2 Wochen) leisten könne, wenn er finanziell in einer schlechten Lage sei. In dieser Abklärung erblickte der Beschwerdeführer eine «voreingenommene und unerhörte Gemeinheit in aller Form» und stellte ein Ausstandsbegehren gegen die verfahrensleitende Richterin beim Abteilungspräsident. Im Laufe des Verfahrens führte der Beschwerdeführer mit dem Abteilungspräsident ein Telefonat, bei welchem dieser dem Beschwerdeführer durch die Blume sagte, dass Telefonieren mit ihm mühselig sei («jetzt hanich das au mol dörfe erläbe, meh bringt Sie würkli chum usem Telefon…»). Natürlich erblickte der Beschwerdeführer auch darin eine Befangenheit und erhebt Beschwerde, nachdem die Vorinstanz urteilte, dass keine Ausstandsgründe vorlagen.

Bürgerinnen und Bürger haben in der Schweiz ein Recht auf ein faires Verfahren. Das bedingt natürlich, dass eine Sache durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht beurteilt wird (Art. 30 Abs. 1 BV). Die Unabhängigkeit eines Gerichtes bemisst sich nicht nach dem Empfinden der betroffenen Person, denn dann wären wahrscheinlich alle Gerichte befangen. Massgeblich ist, ob das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit in objektiver Weise begründet erscheint. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter oder die Richterin tatsächlich befangen ist (zum Ganzen ausführlich E. 2).

Auch wenn der Richter im vorliegenden Fall aufgrund seiner Aussagen «genervt» erschien, kann daraus noch keine Befangenheit konstruiert werden. Der Beschwerdeführer erklärte selbst, dass er zuvor schon mehrere Male mit dem Sekretariat telefonierte. Das habe sich wohl herumgesprochen. Von einer Gerichtsperson wird seitens Bundesgerichts erwartet, dass sie unparteiisch urteilen kann, auch wenn sie sich über die Prozessführung einer Partei nervt (z.B. wegen unnötiger, zu langer oder repetitiver Eingaben). Auch wenn das Telefonat des Abteilungspräsidenten vlt. nicht besonders empathisch geführt wurde, er hängte einfach auf, war er deswegen noch nicht befangen (E. 3). Gleiches gilt für die verfahrensleitende Richterin, welche sich mit den Ferien des Beschwerdeführers befasste. Dieser selber gab gegenüber den Behörden an, dass er in den Ferien sei. Deshalb handelte es sich nicht um eine «infame Mutmassung» der Behörden, wenn diese genauere Abklärungen zu eben diesen Ferien treffen wollten (E. 4).


Urteil 6B_1057/2023: Fehlende Unterlagen bei der Geschwindigkeitsüberschreitung (gutgh. Beschwerde)

Es ist immer eine kleine Sensation, wenn eine Beschwerde bei einem Geschwindigkeitsdelikt gutgeheissen wird. Das Schnellfahren gehört zur absoluten Massendelinquenz und die Gerichte urteilen hier traditionell extrem zurückhaltend. Wenn aber zu einer Geschwindigkeitsmessung jegliche Unterlagen fehlen, reicht das für eine Verurteilung?

Hört sich interessant an!

Der Beschwerdeführer wurde mit einer Busse von CHF 600 bestraft, weil er innerorts das Tempolimit von 50 km/h um 22 km/h überschritten hatte. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Feststellung des Sachverhalts. Einerseits moniert er, dass er nicht der Lenker war, auch wenn er sich auf dem polizeilichen Formular zur Lenkerermittlung als Halter und Lenker bezeichnete. Andererseits fehlen in den Akten das Messprotokoll sowie das Logbuch und die einwandfreie Funktionsfähigkeit des Messgerätes sei auch nicht erstellt. Damit ist die Geschwindigkeitsmessung aus Sicht des Beschwerdeführers nicht verwertbar.

Geschwindigkeitsmessungen erfolgen nach den Modalitäten von Art. 6 ff. VSKV-ASTRA. Die Messgeräte müssen geeicht (Art. 3 VSKV-ASTRA) und das Kontrollpersonal entsprechend geschult sein (Art. 2 VSKV-ASTRA). Zudem gibt es Weisungen des ASTRA zu Geschwindigkeitskontrollen, die aber kein Bundesgericht darstellen und die freie Beweiswürdigung der Gerichte unberührt lassen. Gemäss den Weisungen ist bei stationären bemannten Geschwindigkeitsmessungen ein Messprotokoll zu erstellen. Bei autonomen Geschwindigkeitsmessungen ist zusätzlich ein Logbuch zu führen. Das Bundesgericht hat wiederholt entschieden, dass Fehler in den Messprotokollen grundsätzlich nicht dazu führen, dass die Geschwindigkeitsmessung nicht als Beweis verwertet werden kann. Im vorliegenden Fall fehlen aber Messprotokoll, Logbuch sowie das Eichzertifikat des Messgeräts gänzlich. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz nicht davon ausgehen, dass das Messgerät einwandfrei funktionierte (E. 3.1-4 mit vielen weiteren Urteilen zur Thematik des korrekten Messprotokolls). Es war also willkürlich anzunehmen, dass der Beschwerdeführer zu schnell gefahren war.

Die Vorinstanz durfte aber immerhin davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt der Lenker war. Sie würdigte nicht nur die Angabe des Beschwerdeführers auf der Lenkerermittlung, dass er selber gefahren ist, sie setzte sich auch mit seinem Aussageverhalten auseinander (E. 3.5).

Da allerdings die Korrektheit der Messung nicht erstellt ist, wird die Beschwerde gutgeheissen.

Falsche Geschwindigkeitsmessung!

Urteil 7B_246/2022: Bitte etwas mehr Reflexion! (gutgh. Beschwerde)

Schnellfahren gehört zur Massendelinquenz im Strassenverkehr. Die pragmatische Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Geschwindigkeitsüberschreitung sowie der Schematismus zum Schnellfahren sorgen dafür, dass Beschwerden bei Geschwindigkeitsüberschreitungen regelmässig abgelehnt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass es i.c. dem Beschwerdeführer gelungen ist, vor Bundesgericht zu reüssieren. Aus seiner Sicht wurde die Messung falsch durchgeführt, denn auf den Fotos des mobilen Blitzkastens sei eine Reflexion zu sehen, die die Messung fehlerhaft macht.

Im kantonalen Verfahren verlangte der Beschwerdeführer also ein Gutachten darüber, ob die Messung korrekt war und damit auch als Beweis verwertbar. Indem aber die kantonalen Behörden dieses Gutachten nicht einholten, wurde aus Sicht des Beschwerdeführers aber das rechtliche Gehör sowie das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verletzt.

Kontrollen im Strassenverkehr richten sich nach der Strassenverkehrs-Kontrollverordnung (Art. 1 SKV). Bei diesen Kontrollen können technische Hilfmittel, wie eben Blitzkästen bei Geschwindigkeitsmessungen, eingesetzt werden, wobei das ASTRA die Einzelheiten zu diesen Messungen regelt (Art. 9 SKV). Für Geschwindigkeitsmessungen hat das ASTRA die „Weisung über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung im Strassenverkehr“ vom 22. Mai 2008 erlassen. In Ziffer 6.1 heisst es zum Einsatzort unter anderem:

„Radargeräte sind so aufzustellen und zu betreiben, dass Reflexionsfehlmessungen, verursacht durch metallische Flächen oder Gitter, vermieden werden. Dieser Möglichkeit ist bei der Aufstellung und Wahl der Empfindlichkeit des Gerätes durch die Kontrollperson besondere Beachtung zu schenken.“

Im vorliegenden Fall war erstellt, wo der Blitzkasten stand (E. 3.4.1), das Gerät war geeicht und funktionierte korrekt. Ebenso war die Messung ohne Zweifel dem Auto des Beschwerdeführers zuzuordnen (E. 3.4.3).

Nun kommt aber die Krux zur Reflexion: Der Beschwerdeführer machte zu Recht geltend, dass einer der Polizisten angab, dass die Radarbilder eine geringfügige Reflexion zeigten, die mutmasslich wegen einer Kilometrierungstafel entstanden. Da Reflexionen gemäss den obigen Weisungen zu einer Fehlmessung führen können, verletzte die Vorinstanz das rechtliche Gehör, indem sie auf dieses Vorbringen des Beschwerdeführers nicht weiter einging. Die Beschwerde wird gutgeheissen, damit ein Gutachten Aufschluss darüber geben kann, ob die Messung der Geschwindigkeit fehlerhaft war.

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