Verwertbarkeit privater Beweismittel

BGE 6B_1310/2015: Verwertbarkeit von Videoaufnahmen Privater

Zwei Nachbarn streiten und beschimpfen sich. Einer zeichnet die Unterhaltung mit dem Handy auf. Es stellt sich die Frage, ob das Handyvideo vor Gericht verwertet werden darf.

Das BGer: Die unbewilligte Videoaufnahme von Personen verletzt deren Persönlichkeitsrecht. „Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung seien von Privaten rechtswidrig erlangte Beweise nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und überdies eine Interessenabwägung für ihre Verwertung spreche. Mangels dringenden Tatverdachts beim Beginn der Videoaufnahme hätten die Strafbehörden keine Rechtsgrundlage gehabt, den fraglichen Videobeweis selbst zu erlangen. Der Beschwerdeführer trage auch nicht vor, inwiefern sein Interesse an der Verwertung des Videos grösser sei als dasjenige der Gefilmten an der Unverwertbarkeit“ (Urteile 6B_983/2013 vom 24. Februar 2014 E. 3.2; 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E. 2.4.4 mit Hinweisen).

Die Rechtsprechung lässt sich auf Fälle anwenden, bei welchen Privatpersonen Jagd auf Verkehrssünder machen. Nicht nur dürfte beim ununterbrochenen Filmen mit Dashcams der von der StPO vorausgesetzte Anfangsverdacht Fehlen, die Filmaufnahmen dürften auch nach Persönlichkeitsrecht rechtswidrig sein. Zudem ist die Verwertung von Privataufnahmen – zumindest im Übertretungsbereich – wohl unverhältnismässig.

Handyblick

BGE 1C_422/2016: Der besonders leichte Fall

Ein Autofahrer blickt auf der Autobahn während 7 Sekunden auf ein Papier und legt dabei eine Strecke von 150m zurück. Er wehrt sich gegen die Verwarnung (StVA BE).

Das BGer: „Das Mass dieser Aufmerksamkeit richtet sich nach den gesamten konkreten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen (BGE 137 IV 290 E. 3.6 S. 295 mit Hinweis). Demnach darf ein Fahrer, wenn es die Verkehrssituation erlaubt, zum Ablesen der Geschwindigkeit oder der Treibstoffreserve kurz auf das Armaturenbrett blicken, ohne dass ihm eine ungenügende Aufmerksamkeit zur Last gelegt werden könnte (vgl. Urteil 1C_183/2016 vom 22. September 2016 E. 2.1). Gleiches gilt bei einem Fahrzeugführer, der in Phasen des Stillstands seines Fahrzeugs im Stau eine Zeitung liest und diese in den Phasen des Aufrückens um einige Meter im Schritttempo teils auf seinen Oberschenkeln, teils am Lenkrad aufgestützt lässt (Urteil 6P.68/2066 vom 6. September 2006 E. 3.3).“ „Im Weiteren kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht auf einen besonders leichten Fall im Sinne von Art. 16a Abs. 4 SVG erkennt werden: Die vom ihm geschaffene objektive Gefährdungslage kann nach dem Vorerwähnten nicht als besonders gering eingestuft werden.“ „Vielmehr ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass diese durchaus auch Anlass für eine strengere, über eine leichte Widerhandlung hinausgehende Beurteilung hätte geben können.“

Die Verwarnung war OK und es hätte gar ein strengeres Urteil geben können.

Verstoss gegen Abstinenzauflage

BGE 1C_463/2016: Sicherungsentzug nach Verstoss gegen Auflage der Alkoholabstinenz

Nach Trunkenheitsfahrt, versuchter Fluch und verursachen eines Verkehrsunfalls wurde dem Beschwerdeführer der Führerausweis 2011 auf unbestimmte Zeit entzogen. Nach positivem psychiatrischem Gutachten und Nachweis einer Alkoholabstinenz wurde die Fahrerlaubnis 2014 wiedererteilt mit der Auflage der Alkoholabstinenz. Bei der darauffolgenden Haarprobe wurde ein EtG-Wert von 7,3 pg/mg festgestellt, also knapp über der Nachweisgrenze von 7pg/mg. Das BGer heisst den erneuten Sicherungsentzug gut.

BGer: „Dass er dann bereits die erste Verlaufskontrolle im Februar 2015 nicht bestand und ihm der Ausweis umgehend wieder entzogen wurde, hat er ebenfalls selber zu verantworten. Die Polizei hatte ihm noch besonders und unmissverständlich erläutert, dass Abstinenz gemäss ihrer Verfügung den völligen Verzicht auf den Konsum von Alkohol bedeute und entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch mit einem bloss mässigen Alkoholkonsum nicht vereinbar sei.“

ARV-Verstösse im Ausland

BGE 6B_1151/2015: ARV-Verstösse im Ausland

Der Führer eines in Deutschland zugelassenen Reisebusses wird in NW einer Schwerverkehrskontrolle unterzogen. Dabei wurden ARV-Verstösse festgestellt. Die Verstösse wurden in Deutschland und in Polen begangen. Der Lenker bringt hervor, dass die ARV wegen dem Territorialitätsprinzip bei Verstössen im Ausland gar keine Anwendung findet.

Das BGer dazu: Einerseits wird das Territorialitätsprinzip durch Art. 56 SVG durchbrochen. Der Bundesrat hat aufgrund dieser Bestimmung auch die ARV erlassen. Daneben gibt es das Europäische Übereinkommen vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR). Die Artikel der ARV über Ruhezeit entsprechen jenen des AETR. „Dies hat zur Folge, dass die genannten Bestimmungen der ARV 1 auch in einem Fall wie dem vorliegenden zur Anwendung gelangen, wo die Widerhandlungen mit einem ausländischen Fahrzeug auf ausländischem Staatsgebiet begangen wurden. Entsprechend können die Verstösse gemäss Art. 21 ARV 1 sanktioniert werden.“

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Gesetzliches Minimum bei Administrativmassnahmen

BGE 1C_102/2016: Gesetzliches Minimum kann auch in ganz leichten Fällen nicht unterschritten werden

Einem Automobilist wurde wegen Fahrens trotz entzogener Erlaubnis für 12 Monate die Fahrerlaubnis entzogen. Dabei handelte es sich um das gesetzliche Minimum wegen dem Leumund bzw. der Kaskade. Der Lenker hatte seinen Ausweis zwar schon erhalten, der Warnentzug war aber noch für 24h in Kraft. Die obere kantonale Instanz liess aufgrund der alten Rechtsprechung des BGer die analoge Anwendung von Art. 100 SVG und reduzierte den erneuten Warnentzug auf 2 Monate. Dagegen erhob das StVA BE Beschwerde beim Bundesgericht, welche gutgeheissen wurde. Das Bundesgericht beschäftigt sich eingehend mit Art. 16 Abs. 3 SVG und kommt zum Schluss, dass mit der via sicura Gesetzesänderung der Gesetzgeber bewusst das Unterschreiten der Mindestentzugsdauer unterband im Rahmen der Verkehrssicherheit. Somit ist auch in Bagatellfällen bzw. auch wenn dem Lenker nur leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann das Unterschreiten der Mindestentzugsdauer nicht möglich.

„La mesure prononcée peut certes apparaître sévère. Cette sévérité a toutefois été expressément voulue par le législateur fédéral afin de renforcer la sécurité et, partant, d’épargner des vies humaines et des blessés (FF 1999 IV p. 4130 ad art. 16 LCR; cf. également FF 1999 IV 4136 ad art. 16c al. 3 LCR). Dans ces conditions, le principe de la proportionnalité invoqué par l’instance précédente et l’OFROU ne permet pas de déroger à la durée minimale légale du retrait de permis prévue par le droit fédéral, en tout cas pas dans les présentes circonstances.“

Vortritt, Geschwindigkeit, Gesamtgewicht, Anordnung einer Blutprobe

BGE 6B_917/2016: Vortrittsregelung beim Einfügen in den Verkehr

„Eine gewisse Behinderung des Vortrittsberechtigten kann kaum vermieden werden, wenn die Sicht für einen Wartepflichtigen bei einer Einmündung so beschränkt wird, dass er zwangsläufig mit dem Vorderteil seines Wagens in die vortrittsbelastete Verkehrsfläche gelangt, bevor er von seinem Fahrersitz aus überhaupt Einblick in diese erhält. In solchen Situationen ist ein sehr vorsichtiges Hineintasten zulässig, wenn der Vortrittsberechtigte das ohne Sicht langsam einmündende Fahrzeug rechtzeitig genug sehen kann, um entweder selbst auszuweichen oder den Wartepflichtigen durch ein Signal zu warnen. Dabei darf grundsätzlich darauf vertraut werden, dass vortrittsberechtigte Fahrzeuge abbremsen oder sogar anhalten, wenn das einbiegende Fahrzeug aus genügend grosser Entfernung gesehen werden kann“.

Vorliegend fährt ein Lieferwagen auf Handzeichen hin auf ein Strasse um links abzubiegen, ohne einen auf der anderen Spur fahrenden Motorradfahrer zu beachten. Er fuhr einfach los, nicht wie gefordert mit vorsichtigem Hereintasten. Die Beschwerde wird abgelehnt.

 

BGE 6B_969/2016: Vortrittsregelung beim Wenden auf Strasse

„Der Führer, der sein Fahrzeug wenden will, darf andere Strassenbenützer nicht behindern; diese haben Vortritt (Art. 36 Abs. 4 SVG). Wer zur Gewährung des Vortritts verpflichtet ist, darf den Vortrittsberechtigten in seiner Fahrt nicht behindern (Art. 14 Abs. 1 Verkehrsregelnverordnung [VRV; 741.11]). Den Vortrittsberechtigten behindert grundsätzlich, wer ihn zu einem Verhalten veranlasst, zu dem er nicht verpflichtet ist und das er nicht will, ihm also die Möglichkeit nimmt, sich im Rahmen seiner Vortrittsberechtigung frei im Verkehr zu bewegen, namentlich wenn der Berechtigte gezwungen wird, seine Fahrtrichtung oder seine Geschwindigkeit brüsk zu ändern (Urteil 6B_1185/2014 vom 24. Februar 2015 E. 2.2).“ „Die Zeichengebung entbindet den Fahrzeugführer nicht von der gebotenen Vorsicht (Art. 39 Abs. 2 SVG). Muss zur Wende ausgeholt werden, so ist „besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten“ (Art. 13 Abs. 5 VRV). Die Vorinstanz nimmt an, der Beschwerdeführer habe den Richtungsblinker gestellt, aber bei seinem Wendemanöver die dafür bestehenden, besonders hohen Sorgfaltspflichten sowie das Behinderungsverbot [recte] verletzt (Urteil S. 9).“

Obwohl er links geblinkt hat, wird der Beschwerdeführer dafür verurteilt, den Vortritt des nachfolgenden Verkehrs behindert zu haben. Die Beschwerde wird abgewiesen.

 

BGE 1C_273/2016: Überschreiten des Gesamtgewichts, Administrativmassnahme

„Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht es nicht an, das für die Beurteilung des Vorliegens einer erhöhten abstrakten Gefährdung massgebliche Gewicht einzelfallweise zu bestimmen (Urteile 1C_512/2014 vom 24. Februar 2015 E. 3.3; 1C_181/2014 vom 8. Oktober 2014 E. 3.2; 1C_690/2013 vom 4. Februar 2014 E. 3.3). Insbesondere können nachträglich beigebrachte Herstellergarantien, die nicht Grundlage des Typengenehmigungsverfahrens bildeten und somit über keine amtliche Bestätigung verfügen, grundsätzlich keine Berücksichtigung finden. Vielmehr ist in der Regel auf das im Fahrzeugausweis ausgewiesene, der Typengenehmigung entsprechende Gesamtzuggewicht abzustellen (Urteile 1C_181/2014 vom 8. Oktober 2014 E. 3.2; 1C_690/2013 vom 4. Februar 2014 E. 4). Im Urteil 1C_512/2014 vom 24. Februar 2015 präzisierte das Bundesgericht, dass das Vorliegen einer Gefährdung auf der Grundlage des Gewichts zu beurteilen ist, welches das Fahrzeug tatsächlich aufgrund seiner technischen Vorrichtungen zu tragen vermag und von der Kontrollbehörde überprüft und bestätigt worden ist (vgl. E. 3.4.2).“

Eine LKW-Kombination überschritt die 40t-Grenze um 11.25%. Obwohl der Hersteller ein Gesamtzuggewicht von 70t garantiert, ist in der Schweiz die 40t-Grenze bzw. der Fahrzeugausweis massgeblich. Die Gefährdung wird mit der kinetischen Energie, aber auch mit der Infrastruktur, die auf das Höchstgewicht von 40t ausgelegt ist, begründet. Die Beschwerde gegen die Annahme einer leichten Widerhandlung wird abgewiesen.

 

BGE 6B_23/2016: Geschwindigkeitsüberschreitung in Begegnungszone

„Même en deçà de cette limite, le cas peut néanmoins être objectivement grave pour d’autres motifs, par exemple à raison d’une vitesse inadaptée aux circonstances, au sens de l’art. 32 al. 1 LCR, ayant entraîné une perte de maîtrise du véhicule. Il a été relevé de manière répétée qu’il en irait de même dans le cas de celui qui, dans une localité, circulerait à 50 km/h à proximité d’un jardin d’enfants au moment où des enfants se trouvent à cet endroit, en raison du risque important créé dans un lieu où circulent des usagers particulièrement vulnérables (piétons, cyclistes; ATF 121 II 127 consid. 4a p. 132; arrêt 6B_282/2009 du 14 décembre 2009 consid. 2.1).“

Zwei Zeugen bezichtigen den Beschwerdeführer in einer Begegnungszone mit „weit mehr als 20km/h zu schnell“ gefahren zu sein. Unabhängig von den schematisch beurteilten Geschwindigkeitsüberschreitungen kann eine grobe Verkehrsregelverletzung auch anhand anderer objektiver Umstände vorliegen. Vorliegend fuhr der Lenker in einer Begegnungszone, Menschen auf beiden Strassenseiten, schlechte Sicht und Schulferien (Kinder!). Er verhält sich grobfahrlässig, wenn er zu schnell fährt. Die Beschwerde wird abgewiesen.

 

BGE 6B_532/2016: Zuständigkeit für die Anordnung von Blutentnahmen, StPO

„Für die zwangsweise Anordnung der Blutentnahme ist nach Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO die Staatsanwaltschaft zuständig. Eine solche Anordnung kann gemäss Art. 241 Abs. 1 StPO auch zunächst mündlich, mithin telefonisch durch den Pikettstaatsanwalt erfolgen (FAHRNI/HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 26 zu Art. 55 SVG).“

Die Polizei hat ohne Rücksprache mit der Stawa eine Blutentnahme durchgeführt und behauptet, der Beschwerdeführer habe sein Einverständnis unterschriftlich bestätigt. Dem war aber nicht so. Das Resultat der Blutentnahme war nicht verwertbar als Beweis. Die Beschwerde wird gutgeheissen.