Härtefallregelung bei Sicherungsmassnahmen?

BGE 1C_362/2020: Des Bauerns Sorgen mit der Kat. G (gutgh. Beschwerde)

Dem Beschwerdegegner wurde die Fahrerlaubnis sicherheitshalber entzogen, weil er viermal in alkoholisiertem Zustand Auto gefahren und bei der vierten Widerhandlung sogar einen Verkehrsunfall verursachte. Die Wiedererteilung wurde von einer Fahreignungsabklärung abhängig gemacht. Eine Beschwerde dagegen wurde insofern gutgeheissen, als dass die Kategorie für Traktoren wiedererteilt wurde, damit der Beschwerdegegner seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufrecht erhalten konnte. Im Verlaufe des Administrativverfahrens wurde ihm die Fahrbewilligung unter der Auflage der Alkoholabstinenz wiedererteilt. In der folgenden Haaranalyse allerdings wurde Ethylclucoronid nachgewiesen, damit gegen die Auflagen verstossen und die Fahrbewilligung sicherheitshalber entzogen. Die Beschwerdeinstanz entschied danach, dass die Spezialkategorie G wiederum erteilt werden sollte. Das Verkehrsamt Kt. SZ erhebt dagegen Beschwerde beim Bundesgericht.

Die Vorinstanz war der Ansicht, dass trotz fehlender Fahreignung der Beschwerdegegner als Landwirt dringend auf die Spezialkategorie G angewiesen sei. Mit dem Trekker habe er sich auch nie etwas zu Schulde kommen lassen. Zudem gehe es auch darum, einen Sozialhilfefall zu vermeiden. Das Verkehrsamt hingegen rügt, dass es bundesrechtswidrig sei, die Spezialkategorie G zu belassen, obwohl die Fahreignung grds. verneint wurde (E. 2.1/2).

Führerausweise sind zu entziehen, wenn die in Art. 14 SVG stipulierten Voraussetzungen für die Teilnahme am Strassenverkehr nicht mehr erfüllt sind. Leidet jemand an einer Sucht, kann dies die Fahreignung ausschliessen und die Fahrbewilligung muss entzogen werden. Sicherungsentzüge dienen der Gewährleistung der Verkehrssicherheit; in den entsprechenden Verfahren gilt die Unschuldsvermutung nicht (E. 2.3).

Die Haaranalyse ergab einen Wert von 9.3pg/mg und belegte damit, dass der Beschwerdegegner Alkohol konsumiert und gegen die Auflage der Alkoholabstinenz verstossen hatte. Im verkehrsmedizinischen Bericht wurde deshalb von einer Rückfallsgefahr und damit auch von einer erhöhten Möglichkeit ausgegangen, dass der Beschwerdegegner wieder alkoholisiert am Strassenverkehr teilnehmen könnte. Explizit wurde die Fahreignung auch für die Spezialkategorie G verneint, weshalb gegen den Entzug über alle Kategorien nichts einzuwenden ist (E. 2.4).

Das Bundesgericht prüft deshalb nur noch, ob es i.S. einer Härtefallklausel möglich ist, dennoch die Spezialkategorie G zu belassen.

Die Vorinstanz stütze sich bei ihrem früheren Entscheid auf Art. 33 Abs. 5 VZV der besagt, dass in Härtefällen für verschiedene Kategorien unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestdauern unterschiedlich lange Ausweisentzüge verfügt werden können, wenn
a. die Widerhandlung mit einem Fahrzeug erfolgte, welches die betroffene Person beruflich nicht benötigt und
b. die betroffene Person unbescholten ist bzgl. der (Spezial)Kategorie, für welche die Entzugsdauer verkürzt werden soll.

Für die Anwendung der Härtefallklausel besteht bei Sicherungsmassnahmen kein Raum. Der Sicherungsentzug gemäss Art. 17 Abs. 5 SVG dient der Verkehrssicherheit und wird verschuldensunabhängig angeordnet. Vorliegend steht fest, dass dem Beschwerdegegner die Fahreignung für die Spezialkategorie G fehlt. Ohne entsprechende Fahreignung fehlen die Voraussetzungen für die Erlangung der Fahrbewilligung gemäss Art. 14 SVG, womit die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Auch wenn der Entzug der Spezialkategorie G für die Berufsausübung des Beschwerdegegners einschneidend ist, so ist die Massnahme dennoch nicht unverhältnismässig. Der Beschwerdegegner hat es sich selber zuzuschreiben, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen wird, zumal er schon einmal die Chance hatte, sich zu bessern.

Die Beschwerde des Verkehrsamts wird gutgeheissen.

Atemalkoholprobe

BGE 6B_533/2020: Wenn zwar der Fahrer, nicht aber das Gerät geeicht ist (teilw. Gutgh. Beschwerde)

Schon alleine der Untertitel war es wert, dieses französische Urteil zu übersetzen und zusammenzufassen. Das Bundesgericht befasst sich in dem Urteil metikulös mit den gesetzlichen Grundlagen zur beweissicheren Atemalkoholprobe.

Im Juli 2017 wurde der Beschwerdeführer einer Alkoholkontrolle unterzogen. Die erste Probe mit einem Alkoholtestgerät ergab einen Wert von 0.45mg/L. Die darauffolgende Probe mit einem Alkoholmessgerät ergab einen Wert von 0.46mg/L. Für das Fahren in fahrunfähigem Zustand wurde der Beschwerdeführer im Strafbefehl mit einer Geldstrafe (12TS à CHF 30.00) bestraft, wogegen er sich wehrt. Ebenfalls bestritten ist eine missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern nach Art. 97 SVG. Dieser Vorwurf wird aber bestätigt und insofern nicht weiter thematisiert. Der Beschwerdeführer verlangt einen Freispruch.

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass die Atemalkoholproben in Verletzung der entsprechenden Gesetzgebung erhoben wurden. Da damit Gültigkeitsvorschriften verletzt wurden, dürfen die Ergebnisse der Proben gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO nicht als Beweise zugelassen werden. Die Vorinstanz war der Meinung, dass sowohl das Alkoholtest- als auch das Alkoholmessgerät einwandfrei funktionierten. In der Folge untersucht das BGer die Rechtmässigkeit der Atemalkoholproben (E. 3).

Das Fahren mit einer qualifizierten BAK ist ein Vergehen (Art. 91 SVG). Eine qualifizierte Alkoholkonzentration liegt ab einem Wert von 0.8 Gewichtspromillen bei der Blutprobe bzw. 0.4mg/L bei der Atemalkoholprobe vor (Art. 2 VO über Alkoholgrenzwerte im SV). Nach Art. 55 SVG ist stets eine verdachtslose Alkoholprobe möglich, wobei die Probe mit einem Alkoholmessgerät heutzutage Standard sein soll (E. 3.1.1).

Die Atemalkoholprobe kann mit einem Test- oder einem Messgerät durchgeführt werden (Art. 11/11a SKV). Für die Probe mit einem Testgerät gilt (Art. 11 SKV):

  • Frühestens nach einer Wartezeit von 20min oder
  • Vornahme einer Mundspülung unter Berücksichtung der Herstellerangaben
  • Zwei Messungen nötig, die nicht mehr als 0.05mg/L abweichen dürfen (ansonsten Probe mit Messgerät oder Blutprobe)
  • Der tiefere Wert der beiden Messungen zählt

Für die Probe mit einem Messgerät gilt (Art. 11a SKV):

  • Frühestens nach einer Wartezeit von 10min
  • Beim Nachweis von Mundalkohol nochmals 5min warten
  • Vorschriften der Messmittelverordnung müssen eingehalten werden

Die Atemalkoholtest- und –messgeräte müssen nach den Bedienungsanleitungen der Hersteller verwendet werden (Art. 19 ASTRA-VO). Weiter müssen die Geräte zur Alkoholprobe den Vorschriften der Messmittelverordnung entsprechen, u.a. ein Zulassungsverfahren durchlaufen sein. Und nachträglichen Kontrollzyklen unterworfen werden (Art. 20ff. MMV), damit die die Korrektheit der Messungen garantiert werden kann. Die Geräte für die Alkoholmessung müssen einmal im Jahr überprüft werden. Werden dabei Fehler festgestellt, muss ein Gerät vertieft geprüft werden (zum Ganzen E. 3.1.3 wo das BGer auch feststellt, dass die Gesetzte extrem komplex und teils auch redundant sind).

In Bezug auf die Probe mit dem Testgerät moniert der Beschwerdeführer, dass nur eine Messung vorgenommen wurde und dass die letzte Gerätekontrolle mehr als ein Jahr zurückliege. Das BGer sagt zunächst, dass die jährliche Kontrolle nicht punktgenau Jahr für Jahr durchgeführt werden müsse, lässt aber die Rechtmässigkeit der Probe mit dem Testgerät offen und kommt zu jener mit dem Messgerät (E. 3.2).

Das Atemalkoholmessgerät – ein Lion Intoxilyzer9000 – wurde im Labor des Herstellers geeicht, woraus die Vorinstanz schloss, dass das Gerät funktioniert. Der Beschwerdeführer entgegnet dazu, dass die Überprüfung nach Art. 24 MVV durchgeführt werden muss. Zudem kann den Unterlagen entnommen werden, dass das Gerät repariert werden musste und deshalb eine vertiefte technische Überprüfung nötig gewesen sei. Das Zertifikat des Herstellers entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Das in Frage kommende Atemalkoholmessgerät wurde vom METAS nicht geeicht (E. 3.3.1). Die Atemalkoholprobe mit Messgeräten ist beweissicher und erfolgt durch eine elektrochemische Analyse und eine optische Infrarotmessung (E. 3.3.2). Die Beweiskraft der Atemalkoholmessung wirkt sich direkt auf den festgestellten Sachverhalt aus. Die Richtigkeit der wissenschaftlichen Messung ist deshalb elementar für das Vertrauen in die Messmethode. Aus diesem Grund muss das korrekte Funktionieren der Messgeräte durch das METAS garantiert werden. Die Regeln der Messmittelverordnung sollen für Rechtssicherheit garantieren, weshalb es keine Ordnungs-, sondern Gültigkeitsvorschriften sind (E. 3.3.3).

Im Fazit bedeutet das, dass mangels Überprüfung des Atemalkoholmessgeräts durch das METAS, die Messung nicht verwertet werden kann, weil Gültigkeitsvorschriften verletzt wurden. Gleiches gilt für den nicht zweifach durchgeführten Atemalkoholtest. Auch kann eine Messung nicht durch einen Test bestätigt werden und umgekehrt (E. 3.4). Zwar pflichtet das BGer der Vorinstanz zu, dass die Wahrscheinlichkeit einer inkorrekten Messung wohl niedrig sei, was aber nicht automatisch heisst, dass die Probe beweissicher ist. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, weil diese noch Abklärungen mit dem METAS vornehmen muss.

Auflagen nach FiaZ

BGE 1C_164/2020: Verhältnismässigkeit von Auflagen (Rep.)

Der Beschwerdeführer verursachte einen Verkehrsunfall mit einer BAK von 2.4%. Nach einer erfolglosen Fahreignungsabklärung wurde die Fahrerlaubnis nach einer zweiten wieder erteilt. Die Wiedererteilung erfolgte unter der Auflage, dass der Beschwerdeführer eine mind. einjährige Alkoholabstinenz durch Haarproben nachweisen muss. Zudem wurde in der Verfügung festgehalten, dass der Fahrausweis erneut entzogen werden müssen, wenn der Beschwerdeführer in den nächsten fünf Jahren wieder übermässig Alkohol konsumieren sollte. Der Beschwerdeführer verlangt die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne Auflagen.

Nach Ansicht des Beschwerdeführers verletzen die Auflagen seine persönliche Freiheit. Dem zweiten Gutachten habe entnommen werden können, dass er seine Lebensweise bzgl. Alkohol geändert habe. Es bestehe kein Risiko mehr für eine weitere Trunkenheitsfahrt. Zudem wären mildere Massnahmen auch zielführend, so z.B. eine Alkohol-Nulltoleranz beim Führen von Motorfahrzeugen (E. 3).

Autofahrer*innen müssen fahrgeeignet sein und müssen frei von Süchten sein. Auflagen dienen dazu, Unsicherheiten beim Nachweis Rechnung zu tragen, ob eine Sucht tatsächlich behoben ist und die Fahrfähigkeit einer Person stabil ist. Auflagen müssen angepasst und verhältnismässig sein (E. 4.1). Für den Nachweis, dass eine Suchtkrankheit überwunden ist, ist in der Regel eine mind. einjährige kontrollierte Abstinenz nötig. Auch wenn dieser Nachweis erbracht wurde, ist eine Wiedererteilung unter Auflagen möglich. Die Dauer der Abstinenzkontrolle wird den Umständen angepasst und liegt im behördlichen Ermessen. Sogar mehrjährige Auflagendauer sind möglich (E. 4.3). An Gutachten sind die Behörden grds. gebunden (E. 4.4).

Die Vorinstanz hat sich bei der Anordnung hauptsächlich auf das verkehrsmedizinische Gutachten gestützt. Dieses ist nach Ansicht des Bundesgerichts schlüssig und enthält keine Widersprüche. Der Beschwerdeführer erachtet die Massnahmen aber als zu weitgehend und beruft sich auf BGE 1C_545/2016, wo in einem leichteren Fall eine Alkohol-Fahrabstinenz verfügt wurde. Dem entgegnet das Bundesgericht, dass eine Alkohol-Fahrabstinenz gemäss dem Gutachten ungenügend wäre für eine Stabiliserung des Konsumverhaltens. Auch ein Alkoholdetektor im Auto wäre keine zielführende Massnahme, könnte der Beschwerdeführer immer noch andere Fahrzeuge ohne Detektor fahren (E. 5).

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Fahreignung und die Zweifel

BGE 1C_384/2017: Wenn der Lenker die Zweifel auf dem Silbertablett serviert (gutgh. Beschwerde des StVA)

Das StVA ZH ordnete bei der Beschwerdegegnerin eine Fahreignungsabklärung an. Wegen einer Nachbarschaftsstreitigkeit ging diese nach dem Konsum von Alkohol in den Garten ihres Nachbarn und warf dort eine Stosskugel gegen die Hauswand. Die Polizei äusserte in ihrem Bericht zu dieser Geschichte auch ernsthafte Zweifel an der Fahreignung der Beschwerdegegnerin. Das Verwaltungsgericht hiess den Rekurs der Beschwerdegegnerin gut, wonach das StVA ZH Beschwerde beim BGer führt. Während dem Verfahren lenkte die Beschwerdegegnerin ein Auto mit qualifizierter BAK, was das Strassenverkehrsamt als Novum geltend macht. Die Betroffene sowie auch das ASTRA beantragen die Abweisung der Beschwerde.

E. 1.2. zum Novum: Der FiaZ kann aus prozessökonomischen Gründen als Novum eingeben werden.

E. 2.1. zum Begriff der Trunksucht: „Trunksucht wird nach der Praxis des Bundesgerichts bejaht, wenn der Fahrzeugführer regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er keine Gewähr bietet, den Alkoholkonsum zu kontrollieren und ihn ausreichend vom Strassenverkehr zu trennen, so dass die Gefahr nahe liegt, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (BGE 129 II 82 E. 4.1 S. 86 f.; 127 II 122 E. 3c S. 126). Der Suchtbegriff des Verkehrsrechts deckt sich nicht mit dem medizinischen Begriff der Alkoholabhängigkeit.“

E. 2.2. zum Grad der Zweifel: „Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die Anforderungen an die Anordnung einer Fahreignungsuntersuchung nicht dieselben wie für den vorsorglichen Führerausweisentzug, obschon diese beiden Massnahmen häufig zusammen ergehen: Während für Erstere hinreichende Anhaltspunkte ausreichen, welche die Fahreignung in Frage stellen, setzt der vorsorgliche Führerausweisentzug voraus, dass ernsthafte Zweifel an der Fahreignung einer Person bestehen, wie dies namentlich bei konkreten Hinweisen auf eine Alkoholabhängigkeit der Fall ist (zum Ganzen: Urteil 1C_531/2016 vom 22. Februar 2017 E. 2.4.2 mit Hinweisen). Die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung setzt nicht zwingend voraus, dass der Fahrzeugführer tatsächlich unter dem Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln gefahren ist (vgl. Urteile 1C_111/2015 vom 21. Mai 2015 E. 4.6; 1C_328/2013 vom 18. September 2013 E. 3.2; 1C_445/2012 vom 26. April 2013 E. 3.2).“

E. 2.3./4. zu den Zweifeln: Die Vorinstanz stellte fest, dass bei der Beschwerdegegnerin eine Kombination von psychischen Störungen sowie ein schädlicher Alkoholkonsum vorlagen. Eine Alkoholabhängigkeit sowie ein Konnex zw. Strassenverkehr und dem Kugelstossen gab es aber nicht. Auch die ärztlich verschriebenen Benzodiazepine änderten nichts daran, dass die Fahreignung gegeben war. Dem schliesst sich auch das Bundesgericht an und stimmt der Vorinstanz im Grundsatz zu und bezeichnet es als „fraglich“ wegen dem Kugelstoss an der Fahreignung zu zweifeln. Mit dem FiaZ während dem Verfahren hat die Beschwerdegegnerin dann aber selber gezeigt, dass sie eben nicht zwischen Strassenverkehr und Alkoholkonsum trennen kann, auch wenn die BAK „nur“ 1.32% betrug. In der Gesamtwürdigung aller Umstände sind die Zweifel insofern berechtigt.

Da wird jemand eine „unglückliche“ Rechtsvertreterin haben, denn vor dem FiaZ hätte es keine Zweifel an der Fahreignung gegeben.

Die wunderbare Welt der Alkohol-Gutachten

BGE 6B_918/2017: FiaZ und die Gutachten dazu (zur amtl. Publikation vorgesehen)

Der Beschwerdeführer fuhr mit einem Kollegen zu Beginn der Fasnacht in Huttwil mit einem Lieferwagen umher, wobei sie mehrfach ein Knallgasgemisch in dafür präparierten Rohren entzündeten. Später griff die Polizei den Beschwerdeführer bei seinem Kollegen auf, brachte ihn ins Spital, wo eine Blutalkoholkonzentration von 1.88% gemessen wurde. Er beschwert sich beim Bundesgericht gegen die Verurteilung wegen qualifiziertem FiaZ.

E. 1. zur Anordnung der Blutprobe: Zunächst rügt der Beschwerdeführer, dass die Blutprobe nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von der Polizei angeordnet wurde, womit Art. 241 Abs. 1 StPO verletzt sei. Das BGer entgegnet: „Der Instanzenzug muss nicht nur prozessual durchlaufen, sondern auch materiell erschöpft sein. Verfahrensrechtliche Einwendungen, die im kantonalen Verfahren hätten geltend gemacht werden können, können nach dem Grundsatz der materiellen Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs vor Bundesgericht nicht mehr vorgebracht werden (BGE 135 I 91 E. 2.1 S. 93; Urteil 6B_673/2017 vom 2. Oktober 2017 E. 1.2.2). Es verstösst gegen Treu und Glauben, verfahrensrechtliche Mängel erst in einem späteren Verfahrensstadium oder sogar erst in einem nachfolgenden Verfahren geltend zu machen, wenn der Einwand schon vorher hätte festgestellt und gerügt werden können (BGE 143 V 66 E. 4.3 S. 69 f.; Urteil 6B_178/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 4; je mit Hinweisen).“

E. 2. zum rechtlichen Gehör bzgl. Gutachten: Um die Nachtrunkbehauptung des Beschwerdeführers zu überprüfen, hat das IRM Bern bei der Universitätsklinik Freiburg i. Br. eine sog. Begleitstoffanalyse in Auftrag gegeben, weil das IRM Bern dafür die Infrastruktur nicht hat. Die Begleitstoffanalyse ist ein Standardverfahren, bei welchem die Probe mit Headspace-Gaschromatographie-Flammenionisationsdetektion analysiert wird. Der Beschwerdeführer rügt, dass er sich dazu nicht äussern konnte.

Gemäss Art. 184 Abs. 3 StPO ist das rechtl. Gehör der Parteien zu Gutachten ausdrücklich geregelt, wird aber im gleichen Absatz auch wieder relativiert. So kann davon abgesehen werden, wenn es um Bestimmung der BAK oder andere Standard-Laboruntersuchungen geht. Der Grund für die Ausnahmeregelung liegt darin, dass es bei den in Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO genannten Gutachten um standardisierte Expertisen geht, welche aufgrund allgemein anerkannter Methoden in weitgehend technisch vorgegebener Weise erstellt werden. Die Gewährung des rechtl. Gehörs macht v.a. bei psychiatrischen Gutachten Sinn. Da es sich bei der Begleitstoffanalyse um ein Standardverfahren ohne grosse Interpretationsmöglichkeit handelt, musste das rechtl. Gehör nicht bereits vorher gewährt werden.

E. 3. zur Externalisierung des Gutachtens: Der Beschwerdeführer rügt, dass der Auftrag an das Uniklinikum Freiburg i. Br. von der Staatsanwalt hätte erfolgen müssen und nicht durch das IRM Bern. Der Gutachter kann gemäss Art. 184 Abs. 2 lit. b StPO weitere Personen einsetzen. Solange nur Teilaspekte des Gutachtens weitergegeben werden, ist dafür keine Zustimmung der Staatsanwaltschaft nötig. Die Begleitstoffanalyse ist lediglich ein Teilaspekt, der dann auch vom IRM Bern interpretiert wurde, weshalb der Auftrag nicht von der Staatsanwaltschaft zu erfolgen hatte.

Die Begleitstoffanalyse widerlegte die Nachtrunkbehauptungen des Beschwerdeführers. Es handelt sich dabei um ein Standardverfahren, welches kein vorheriges rechtliches Gehör bedarf. Ebenso ist es empfehlenswert, sämtliche formaljuristische Voraussetzungen von Beginn weg zu prüfen, insb. die Anordnung der Blutprobe.

Verhältnismässigkeit von Auflagen nach FiaZ

BGE 1C_320/2017: Verhältnismässigkeit von Auflagen nach der Fahreignungsabklärung (gutgh. Beschwerde)

Fast schon gebetsmühlenartig wiederholen die Strassenverkehrsämter die Notwendigkeit von Auflagen, wenn sie in einem medizinischen Gutachten empfohlen werden, ohne diese weiter zu hinterfragen. Nach der gängigen Rechtsprechung sind die Strassenverkehrsämter bzw. Behörden allgemein an Gutachten gebunden, d.h. die Beurteilung von verkehrsrechtlichen Fragen wurde de facto an Fachärzte ausgelagert. Nun hat sich das BGer zur Verhältnismässigkeit von Auflagen geäussert:

Aufgrund einer FiaZ-Fahrt mit mind. 1.7% musste die Beschwerdeführerin eine Fahreignungsabklärung machen. Das Gutachten fiel positiv aus, allerdings unter Einhaltung einer Fahrkarenz nach Alkoholkonsum während zwölf Monaten sowie der Durchführung von halbjährlichen Verlaufskontrollen zur Überprüfung eines sozialverträglichen Trinkverhaltens mittels Haaranalysen während desselben Zeitraums. Gegen diese Auflagen gelangt die Beschwerdeführerin an das BGer, welches die Beschwerde gutheisst:

E. 2.2 zur Definition der Trunksucht im verkehrsrechtlichen Sinne.

E. 2.3 zur Bindung an Gutachten:

„Ob ein Gericht die in einem Gutachten oder Fachbericht enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung, in die das Bundesgericht nur eingreift, sofern sie offensichtlich unrichtig ist (vgl. Art. 105 Abs. 1 und Art. 97 Abs. 1 BGG; Urteil 1C_179/2015 vom 11. Mai 2016 E. 5.2). Das Gericht darf in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe vom Gutachten abweichen (BGE 136 II 214 E. 5 S. 223 f.). Dies ist nur zulässig, wenn die Glaubwürdigkeit des Gutachtens durch die Umstände ernsthaft erschüttert ist (BGE 140 II 334 E. 3 S. 338). Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, kann ein Abstellen darauf gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 130 I 337 E. 5.4.2 S. 345 f.)“.

E. 2.4 zu den Gründen für die Trunkenheitsfahrt:

  • Grosse Arbeitsbelastung, 13-14h am Tag.
  • Beziehungskrise mit Freund.
  • Krebserkrankung der Mutter.
  • Beerdigung eines guten Schulfreundes.

Ferner gutachterlich festgestellt:

  • Beschwerdeführerin hinterfragt sich (Stichwort „intrinsische Motivation“).
  • Keine Bagatellisierungstendenzen.
  • Mühelose Abstinenz.
  • I.d.R. moderater Alkoholkonsum.
  • Ärztlich attestierte stabile psychische Konstitution.
  • Guter allgemeiner Gesundheitszustand.

E. 2.5 zur den Auflagen:

Das Gutachten fällt durchwegs positiv aus. Einzig die Trunkenheitsfahrt selber muss sich die Beschwerdeführerin anlasten lassen. Das BGer hält es für „nicht nachvollziehbar, weshalb die Gutachterin die Fahreignung der Beschwerdeführerin nur unter bestimmten Auflagen befürwortet.“ Die Haaranalyse ergab einen EtG-Wert von unter 7pg/mg, was auf keinen oder höchstens sozialverträglichen Alkoholkonsum hindeutet. Der automobilistische Leumund ist bisher ungetrübt. Der Vorfall erscheint als einmaliger Ausrutscher.

E. 2.6 Fazit: “ Insgesamt bestanden für die Vorinstanz somit triftige Gründe, um von den nicht näher begründeten und sich nicht ohne Weiteres aus den gutachterlichen Abklärungen ergebenden Schlussfolgerungen der Expertin bzw. den entsprechend verfügten Auflagen abzuweichen. Angesichts der persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin, ihres bisherigen Verhaltens im Strassenverkehr, ihrer Konsumgewohnheiten und ihrer Aufarbeitung des Vorfalls drängte sich vielmehr die Annahme auf, dass kein verkehrsrelevanter Eignungsmangel vorliegt und insofern ein Warnungsentzug ausreicht, um sie in Zukunft zuverlässig von weiteren Trunkenheitsfahrten abzuhalten. Unter diesen Umständen erweist sich die Wiedererteilung des Führerausweises nach Ablauf des Warnungsentzugs gegen Auflagen als nicht verhältnismässig und ist bundesrechtswidrig.“

Das BGer erachtet das Gutachten als offensichtlich unrichtig bzgl. Auflagen und erscheint in dieser ganzen Geschichte als letzte Bastion des gesunden Menschenverstandes bzw. als Wächter der Verhältnismässigkeit. Die „Mühle“ im Administrativverfahren ist unter via sicura gewaltig geworden. Der vorliegende Entscheid stösst in die richtige Richtung…

Verstoss gegen Abstinenzauflage

BGE 1C_463/2016: Sicherungsentzug nach Verstoss gegen Auflage der Alkoholabstinenz

Nach Trunkenheitsfahrt, versuchter Fluch und verursachen eines Verkehrsunfalls wurde dem Beschwerdeführer der Führerausweis 2011 auf unbestimmte Zeit entzogen. Nach positivem psychiatrischem Gutachten und Nachweis einer Alkoholabstinenz wurde die Fahrerlaubnis 2014 wiedererteilt mit der Auflage der Alkoholabstinenz. Bei der darauffolgenden Haarprobe wurde ein EtG-Wert von 7,3 pg/mg festgestellt, also knapp über der Nachweisgrenze von 7pg/mg. Das BGer heisst den erneuten Sicherungsentzug gut.

BGer: „Dass er dann bereits die erste Verlaufskontrolle im Februar 2015 nicht bestand und ihm der Ausweis umgehend wieder entzogen wurde, hat er ebenfalls selber zu verantworten. Die Polizei hatte ihm noch besonders und unmissverständlich erläutert, dass Abstinenz gemäss ihrer Verfügung den völligen Verzicht auf den Konsum von Alkohol bedeute und entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch mit einem bloss mässigen Alkoholkonsum nicht vereinbar sei.“