Einhaltung von Rechtsmittelfristen im Ausland

BGE 6B_315/2019 (gutgh. Beschwerde, amtl. Publ.)

Die STA Zürich-Limmat stellte ein Strafverfahren wegen Diebstahl gegenüber dem polnischen Beschwerdeführer ein und sendete diesem die Einstellungsverfügung. Wegen den Kostenfolgen erhob dieser Beschwerde beim Obergericht. Dieses war der Meinung, dass die Beschwerde verspätet sei. Der Beschwerdeführer erhielt die Einstellungsverfügung am 18.12.2018. Neun Tage später übergab er seine Beschwerde der polnischen Post. Bei der schweizerischen ging die Beschwerde allerdings erst am 2.1.2019 ein, nach Meinung des Obergerichts verspätet. Das BGer korrigiert:

E. 1. Zur Einhaltung der Frist:

Die Beschwerdefrist beträgt gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO 10 Tage. Die Frist gilt als eingehalten, wenn die Eingabe gemäss Art. 91 Abs. 2 StPO bei der Strafbehörde, zu Handen der Schweizerischen Post oder einer konsularischen oder diplomatischen Vertretung übergeben wird. Die Rechtsmittelbelehrung der Einstellungsverfügung enthielt keinen Hinweis darauf, wo die Beschwerde eingereicht werden muss.

Im Sozialversicherungsrecht muss der im Ausland wohnhafte Anspruchsteller ausdrücklich auf Art. 21 Abs. 1 VwVG hingewiesen werden. Fehlt der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung und würde danach dem Rechtsmittelerhebenden vorgeworfen, er habe eine Frist nicht eingehalten, würde dies gegen den Grundsatz der Fairness und der Waffengleichheit verstossen. Für die StPO spricht sich die Lehre für eine ähnliche Pflicht der ergänzten Rechtsmittelbelehrung aus (E. 1.4.2).

Das Bundesgericht stimmt dem zu. Es seien keine Gründe ersichtlich, wieso diese im Sozialversicherungsrecht entwickelte Rechtsprechung nicht auch im Strafverfahren anwendbar sei. Die Rechtsmittelbelehrung soll es den Parteien ermöglich, ihre Rechtsmittel effektiv zu erheben. Dies ist insb. wegen den Postdiensten im Ausland nicht immer möglich, weshalb die betroffenen Personen ausdrücklich auf Art. 91 Abs. 2 StPO in der Rechtsmittelbelehrung hinzuweisen sind (E. 1.4.3).

Vorliegend fehlte der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung. Art. 91 Abs. 2 StPO kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Bemessung von Strafbefehlsgebühren

BGE 6B_253/2019: Strafbefehlsgebühren

Der Beschwerdeführer überschritt ausserorts die Geschwindigkeit um 32km/h, wofür mit einer bedingten Geldstrafe und einer Verbindungsbusse von CHF 1’100.00 bestraft wurde. Zudem wurden ihm CHF 928.00 an Verfahrenskosten auferlegt, Strafbefehlsgebühr CHF 900.00, Polizeikosten CHF 28.00. Nach Erhebung der Einsprache bzgl. Strafbefehlskosten senkte das Gericht erster Instanz die Gebühren auf CHF 600.00. Der Beschwerdeführer verlangt vor BGer, dass die Kosten auf CHF 300.00 festgesetzt werden.

E. 3 zur Strafbefehlsgebühr:

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass insb. bei Geschwindigkeitsüberschreitungen die Fallbearbeitung nach schematischen Grundsätzen erfolgt, insofern nicht besonders komplex sei und deshalb eine Strafbefehlsgebühr von CHF 300.00 angemessen sei. Zudem moniert er, dass der Kt. AG keine Pauschalgebühren nach Art. 424 Abs. 2 StPO festgelegt hat (E. 3.1). Angefochten ist das aargauische Verfahrenskostendekret. Kantonales Recht überprüft das BGer nur auf Willkür und die verfassungsmässigen Rechte. Zudem haben die kantonalen Behörden einen grossen Spielraum beim Festsetzen von Gebühren (E. 3.2). Die beschuldigte Person muss die Verfahrenskosten tragen, wenn sie verurteilt wird. Die StPO enthält allerdings keine Regeln über die Bemessung von staatlichem Aufwand. Gemäss Verfahrenskostendekret können im Strafbefehlsverfahren Gebühren von CHF 200.00 – 10’000.00 verlangt werden (E. 3.3).

Strafbefehlskosten sind Kausalabgaben, die dem Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip unterliegen. Erfahrungsgemäss decken die von den Gerichten erhobenen Gebühren den staatlichen Aufwand bei Weitem nicht. Nach dem Äquivalenzprinzip darf eine Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis stehen zur objektiven Bedeutung des hoheitlichen Akts, für den sie erhoben wird. Der „finanzielle Wert“ eines Strafverfahrens kann nur grob geschätzt werden. Der Aufwand für ein einzelnes Strafverfahren muss anhand des Gesamtaufwandes der Strafbehörden berechnet werden. So sollen alle Personen gleich behandelt werden, die gleichviel staatlichen Aufwand generieren (E. 3.4).

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass nur der zeitliche Aufwand für die Gebühren zu beachten ist. Die STA hingegen ist der Meinung, dass auch das Strafmass bei der Gebührenberechnung berücksichtigt werden darf. Tatschwere und Verschulden können als alternative Bemessungsweise für die Kostenauflage herangezogen werden. War der Aufwand für die Behörden hoch, das Verschulden und/oder die Tatschwere klein, ist eine unterproportionale Gebühr angezeigt und vice versa. Eine Gebühr darf aber keinen pönalen Charakter haben (E. 3.5). Die Gebühren orientieren sich also am Arbeitsaufwand einerseits (quantitativer Aspekt) und dem Strafmass bzw. der Bedeutung des Verfahrens (qualitativer Aspekt; E. 3.6). Grds. ist das Strafmass also als korrektives Kriterium heranzuziehen, bei schematisch beurteilter Massendelinquenz, i.e. Geschwindigkeitsüberschreitungen, wird das Strafmass gar zum Leitkriterium. Eine schematische Erhebung von Schreibgebühren ist insofern nicht bundesrechtswidrig (E. 3.7).

Im Kt. AG werden die Kosten der Verfahren empirisch ausgewertet, woraus wiederum die Durchschnittskosten für bestimmte typische Verfahren errechnet werden. Da die effektiven Verfahrenskosten grds. nicht errechnet werden, macht die Erhebung der Gebühren aufgrund des Strafmasses Sinn. Freilich wird bei Geschwindigkeits-überschreitungen nicht der gesamte Gebührenrahmen bis CHF 10’000.00 ausgenutzt. Gemäss kantonaler Weisung liegt die Obergrenze bei CHF 1’700.00. Die vorliegend strittigen Verfahrenskosten erscheinen nach dem BGer bei einer Strafe von 20 Tagessätzen als vergleichsweise hoch. Da allerdings eine grobe Verkehrsregelverletzung vorliegt, ist die Strafbefehlsgebühr nicht missbräuchlich (E. 3.8). Zum tatsächlichen behördlichen Aufwand äussert sich das BGer nur kurz, weil sich die Gebühren i.c. ja am Strafmass zu orientieren haben (E. 3.9).

Mofas und Saufen

BGE 6B_451/2019:

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen im Februar und Juni 2018 diverse Widerhandlungen mit einem Mofa gemacht zu haben: Führen eines Motorfahrzeug mit qualifizierter BAK (1.2mg/L; SVG 91 Abs. 2), obwohl seine Fahrerlaubnis entzogen war (SVG 95 Abs. 1). Zudem war das Fahrzeug nicht eingelöst und ohne Haftpflichtversicherung (SVG 96 Abs. 1 und 2) und es wurden missbräuchlich Schilder eines anderen Fahrzeuges verwendet und am Mofa angebracht (SVG 97 Abs. 1). Das Strafregister des Beschwerdeführers enthält zwischen 2011 und Juli 2018 vierzehn Einträge bzgl. SVG-Widerhandlungen. Fünfzehn Administrativmassnahmen wurden in dieser Zeit ausgesprochen.

Vor der ersten Instanz wurde der Beschwerdeführer grösstenteils freigesprochen, die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde gutgeheissen. Der Beschwerdeführer verlangt vor BGer die Aufhebung des Berufungsentscheides und Gutheissung des erstinstanzlichen Urteils. Vorliegend ist streitig, ob Mofafahrer nach Fahren mit qualifizierter BAK gemäss SVG 91 Abs. 1 oder Abs. 2 zu bestrafen sind bzw. ob Mofas zu den motorlosen Fahrzeugen zu zählen sind.

E. 1 zur Qualifikation des Mofa und FiaZ:

Nach Art. 31 Abs. 2 SVG darf man nicht Autofahren, wenn man wegen Alkohol oder sonstigen Genussmittel fahrunfähig ist. Bei der Bestrafung wird unterschieden, ob man mit qualifizierter BAK ein motorloses Fahrzeug führt, oder eben ein motorisiertes. Erstere Widerhandlung wird als Übertretung, letztere als Vergehen geahndet (E. 1.2). Das BGer muss also herausfinden, ob das Mofa ein motorloses Fahrzeug ist oder nicht.

Art. 7 Abs. 1 SVG stipuliert, dass Motorfahrzeuge Fahrzeuge sind, die einen eigenen Antrieb haben und sich auf dem Boden unabhängig von Schienen fortbewegen. Art. 18 VTS wiederum enthält eine Legaldefinition der „Motorfahrräder“. Die Mofas dürfen höchstens 30km/h fahren, haben höchstens eine Leistung von 1kW und einen Verbrennungsmotor von höchstens 50cm3. Die Zulassungsmodalitäten für Mofas sind in Art. 90 VZV geregelt. Gemäss Art. 42 Abs. 4 VRV gelten für Mofas die gleichen Vorschriften wie für Radfahrer (E. 1.3.1). In der älteren Rechtsprechung aus den 1960er wurde das Mofa zu den motorlosen Fahrzeugen gezählt. Allerdings hat das BGer das Mofafahren mit qualifizierter BAK aus administrativrechtlicher Sicht in BGE 1C_766/2013 als schwere und nicht mittelschwere Widerhandlung qualifiziert (E. 1.3.2). Die Lehre wiederum zählt das Mofa eher zu den motorisierten Fahrzeugen (E. 1.3.3). Unter Berücksichtigung der neueren Gesetzgebung eruiert das BGer, dass das Mofa nicht generell zu den Fahrrädern gezählt werden kann, auch wenn für die Mofafahrer grds. die Regeln für Velofahrer gelten (E. 1.3.4). Daraus folgt, dass die Mofas nicht zu den motorlosen Fahrzeugen gezählt werden können. Die Verurteilung des Mofafahrers nach Art. 91 Abs. 2 SVG ist korrekt.

E. 2 zum Fahren trotz Entzug der Fahrberechtigung:

Aufgrund den gleichen Überlegungen ist auch die Verurteilung gemäss Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG (Vergehen) und nicht Art. 95 Abs. 4 lit. a SVG (Übertretung) korrekt, zumal man für das Mofafahren eine Fahrberechtigung der Kat. M benötigt (E. 2).

E. 3 zum Fahren ohne Haftpflichtversicherung und missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern:

Bzgl. Fahren ohne Zulassung und Haftpflichtversicherung sowie dem missbräuchlichen Verwenden von Schildern stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass dies gemäss Art. 145 VZV als Busse strafbar ist, die Vorinstanz hingegen erachtet die Tatbestände von Art. 96 Abs. 1 lit. a und 2 SVG sowie Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG als erfüllt. Das BGer differenziert:

Bzgl. Fahren ohne Nummernschilder und ohne Haftpflichtversicherung geht Art. 145 VZV als lex specialis Art. 96 SVG vor. Das BGer heisst deshalb die Beschwerde in diesem Punkt gut, der Beschwerdeführer wurde zu Unrecht mit einem Vergehen bestraft. Korrekt wäre eine Busse nach Art. 145 Abs. 3 und 4 VZV (E. 3.3.1).

Die missbräuchliche Verwendung von Nummernschildern wiederum wird von der lex specialis in Art. 145 VZV nicht erfasst. Wer also am Mofa Nummernschilder anbringt, die nicht zu diesem Fahrzeug gehören, wird zu Recht nach Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG bestraft (E. 3.3.2).

Im Fazit kann gesagt werden, dass Mofafahrer heute gleich streng behandelt werden wie die Autofahrer, dass also auch hier rechtspolitisch eine Verschärfung stattfindet. Nur beim Fahren ohne Zulassung und ohne Haftpflichtversicherung gibt es eine mildere lex specialis in Art. 145 VZV.

Merkantiler Minderwert

BGE 4A_394/2018:

In diesem Entscheid, befand das BGer erstmals über die Frage, ob bei Immobilien ein Minderwert eintreten könne. Interessant ist der Entscheid, weil es dabei seine Rechtsprechung zum Minderwert bei Autos aus den 1930/50ern bestätigt.

E. 3 zum merkantilen Minderwert: Unter dem merkantilen Minderwert versteht man die durch ein schädigendes Ereignis verursachte Minderung des Verkehrswertes einer Sache, die unabhängig von deren technischen bzw. funktionellen Beeinträchtigung eintritt. Dieser merkantile Minderwert orientiert sich am subjektiven Empfinden potenzieller Käufer, wobei der Grund, weshalb der Markt mit einem nicht technisch begründeten Preisabschlag reagiert, ohne Belang ist. Das BGer zitiert schon hier die Rechtsprechung zum Minderwert bei Autos.

E. 4.1 zur Differenztheorie: Das BGer ordnet den Minderwert in die Differenztheorie ein und kommt zum Schluss, dass ein merkantiler Minderwert grds. bei allen Sachen eintreten kann.

E. 4.2.2 zu den Autos: Bei Autos stellt der Minderwert grds. eine bleibende Vermögensverminderung dar. Die Bedeutung des Minderwertes nimmt mit der Zeit ab, weil ein Auto im Zeitablauf an Wert einbüsst, bis es zum Gebrauch ungeeignet ist. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Unfallwagen in der Regel einen tieferen Wiederverkaufswert besitzt als ein unfallfreies Auto, was nicht zuletzt aus der bundesgerichtlichen Kasuistik zu den Offenlegungspflichten des Verkäufers beim Verkauf eines Unfallwagens ersichtlich ist (vgl. z.B. BGE 96 IV 145). Bei neueren Fahrzeugen ist eher von einem Minderwert auszugehen, wobei dies nach BGer in jedem Einzelfall zu prüfen ist, unter Berücksichtigung des Alters des Autos sowie der erfolgten Reparaturen.

Genugtuung nach Unfall mit Todesfolge

BGE 6B_1145/2018:

Der Beschwerdegegner übersah ein Rotlicht und kollidierte auf einer Kreuzung mit einem Motorradfahrer, der wegen dem Unfall verstarb. Vor der ersten Instanz erhielt der Vater des Verstorbenen eine Genugtuung von CHF 30k, vor der Berufungsinstanz noch 15k. Der Vater erhebt Beschwerde und verlangt eine Genugtuung von 50k.

E. 3 zur Genugtuung: Beim Tod eines Menschen kann das Gericht gemäss OR 47 unter Würdigung aller Umstände den Angehörigen eine Genugtuung zusprechen. Die Höhe der Genugtuung ist abhängig von der Art und Schwere der Verletzung, der Intensität und Dauer der Auswirkungen auf die Betroffenen, dem Grad des Verschuldens, einem allfälligen Selbstverschulden sowie der Aussicht auf Linderung des Schmerzes durch die Zahlung eines Geldbetrages. Die Berechnung von Genugtuungsansprüchen erfolgt nicht schematisch, sondern anhand der Einzelfallumstände. Das Sachgericht hat dabei ein grosses Ermessen, in welches das BGer bekanntlich nur zurückhaltend eingreift (E. 3.1).

Der Beschwerdeführer argumentiert unter Bezugnahme auf die Integritätsentschädigung, dass auch die Genugtuung gewissen Regeln folgen muss. Das BGer sieht dies anders, auch wenn natürlich eine Entwicklung in der Judikatur nicht ausgeschlossen ist (E. 3.2). Die Vorinstanz berücksichtigte das Alter des Motorradfahrers (26 Jahre), das Verschulden des Beschwerdegegners (mittelschwer bis schwer) und die enge familiäre Beziehung. Als Herabsetzungsgrund führte die Vorinstanz an, dass der Verstorbene zwar noch zu Hause lebte, aber auch in einem Alter gewesen sei, in welchem die Bindung zwischen Eltern und Kind lockerer und die Selbständigkeit grösser werde, zumal sich der Verstorbene auch nicht mehr in Ausbildung befunden habe (E. 3.3).

Die Höhe der Genugtuung mit 15k ist nicht zu beanstanden.

Zustellung von Ordnungsbussen

BGE 6B_855/2018:

Der Beschwerdeführer wurde mit Strafbefehl mit CHF 120.00 gebüsst, wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Hinzu kamen Verfahrenskosten von CHF 208.60. Auf Einsprache hin stellten sich die kantonalen Instanzen auf den Standpunkt, dass der Strafbefehl bereits rechtskräftig ist.

E. 1.1 zur Meinung des Beschwerdeführers: Die Übertretung per se wird nicht bestritten. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass er aber die Verfahrenskosten nicht bezahlen muss, weil er weder die Übertretungsanzeige, noch die Zahlungserinnerung erhalten habe. Eine Zustellung könne auch nicht bewiesen werden. Im Strafverfahren müssen Mitteilungen gemäss Art. 85 Abs. 2 StPO grds. per Einschreiben erfolgen. Mangels anderer Regelung im OBG habe dies auf für das Ordnungsbussenverfahren zu gelten, denn andernfalls könne ein Bürger die Ordnungsbusse gar nicht innerhalb der 30-tägigen Bedenkfrist gemäss Art. 5 Abs. 1 OBG akzeptieren und bezahlen.

Der Beschwerdeführer gesteht zwar ein, dass eine zweimalige Nicht-Zustellung relativ selten ist. Allerdings könne er die fehlende Zustellung gar nicht beweisen. Zudem wohne in der Nähe ein Namensvetter und der Beschwerdeführer habe auch schon dessen Post erhalten.

E. 1.2 zur Meinung der Vorinstanz: Diese ist der Ansicht, dass Art. 85 Abs. 2 StPO im Ordnungsbussenverfahren nicht zur Anwendung gelangt, weil Art. 1. Abs. 2 StPO die Verfahrensvorschriften anderer Gesetze, i.e. OBG, vorbehält. Zudem erlaubt der Staatsvertrag über Rechtshilfe zwischen der CH und D eine uneingeschriebene Zustellung. Die Möglichkeit eines doppelten Zustellungsfehlers sei vernachlässigbar klein.

E. 1.3 zur Zustellung: Art. 85 Abs. 2 StPO soll gewährleisten, dass Entscheide im Strafverfahren zugestellt werden, denn nicht eröffnete Entscheide entfalten keine Rechtswirkung. Die Behörde trägt hier die Beweispflicht. Auch wenn eine Behörde Art. 85 Abs. 2 StPO missachtet, so gilt die Zustellung dennoch als erfolgreich, wenn die Behörde beweisen kann, dass die Interessen des Empfängers gewahrt wurden. Der Empfänger muss aber tatsächlich Kenntnis vom zugestellten Dokument haben (E. 1.3.2).

E: 1.5ff. zur Meinung des BGer: Geringfügige SVG-Übertretungen werden im Ordnungsbussenverfahren abgehandelt. Es dürfen keine Kosten erhoben werden. Im ordentlichen Verfahren gilt das Prinzip der Kostenfreiheit, wenn es ohne sachlichen Grund eingeleitet wurde. Das OBG enthält keine Vorschriften über die Zustellung, auch nicht in der totalrevidierten Version, die per 1.1.2020 in Kraft tritt. Das BGer erblickt darin ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers, wodurch nicht etwa eine Lücke vorliegt, die durch das Gericht zu füllen wäre (E. 1.6). Das bedeutet, dass es den Behörden freigestellt ist, wie sie im Ordnungsbussenverfahren Dokumente verschicken. Das entspricht auch dem OBG als rasches und formalisiertes Verfahren (E. 1.7). Das BGer kommt zum Fazit, dass die Behörde zwar beweispflichtig ist für die Zustellung der Unterlagen im Ordnungsbussenverfahren und deshalb eine eingeschriebene Zustellung der Zahlungserinnerung empfehlenswert wäre, dass es aber nicht zu beanstanden ist, dass ein doppelter Zustellungsfehler als vernachlässigbar gelte.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Widerruf der bedingten Raserstrafe

BGE 6B_808/2018:

Im Juli 2014 wurde der Beschwerdeführer mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten bestraft wegen „Rasen“. Der FA wurde auf unbestimmte Zeit sicherheitshalber entzogen. Im März 2016 fuhr der Beschwerdeführer mit dem Auto der Freundin zur Arbeit, trotz fehlender Fahrberechtigung. Erstinstanzlich wurde er wegen Fahren ohne Führerausweis bestraft, wobei die bedingte Freiheitsstrafe nicht widerrufen wurde. Der Beschwerdeführer wurde verwarnt und die Probezeit verlängert. Auf Berufung bzw. Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin wurde der Beschwerdeführer vom Obergericht AG mit 300 Tagessätzen bestraft. Zudem wiederrief es die bedingt gewährte Freiheitsstrafe, wogegen sich der Beschwerdeführer natürlich wehrt:

E. 1 zur Höhe der Geldstrafe

E. 2 zum Widerruf der Freiheitsstrafe: Nach der Meinung der Vorinstanz muss beim Beschwerdeführer von einer Schlechtprognose ausgegangen werden. Nicht nur sei er uneinsichtig, auch mehrfach einschlägige Vorstrafen hinderten den Beschwerdeführer nicht an erneuter Delinquenz (E. 2.2). Art. 46 Abs. 1 StGB regelt den Widerruf bedingter Strafen. Nicht jede Probezeittat führt zum Widerruf des bedingten Strafaufschubes. Nur wenn eine Schlechtprognose besteht, sind die Voraussetzungen des Widerrufs erfüllt. Die Bewährungsaussichten sind anhand einer Gesamtwürdigung der Tatumstände, des Vorlebens, des Leumunds sowie aller weiteren Tatsachen zu beurteilen, die gültige Schlüsse etwa auf den Charakter des Täters sowie Entwicklungen in seiner Sozialisation und im Arbeitsverhalten bis zum Zeitpunkt des Widerrufsentscheids zulassen. Bei der Beurteilung dieser Fragen verfügt das Sachgericht über einen Ermessensspielraum, in welchen das Bundesgericht nur eingreift, wenn das Ermessen in nicht vertretbarer Weise ausgeübt wurde (E. 2.3; BGE 134 IV 140 E. 4). Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er sich einerseits 14 Monate wohlverhalten habe, andererseits Vater geworden sei. Er beruft sich auch auf ein verkehrspsychologisches Gutachten. Da aber die Tochter während der Fahrten ohne FA schon auf der Welt war und das Gutachten ebenfalls vor den Fahrten erstellt wurde, erblickt das BGer keine Willkür bei der Strafzumessung. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Verwertung rechtswidrig erlangter Beweise bei Sicherungsmassnahmen

BGE 1C_318/2018:

Beim Beschwerdeführer wurde nach einem Unfall ein THC-COOH-Wert von 240 µg/L festgestellt. Es wurde ein Fahreignungsabklärung angeordnet. Zwischenzeitlich wurde der Beschwerdeführer im Strafverfahren freigesprochen, weil die Blutprobe mangels korrekter Anordnung nicht verwertbar war. Wiedererwägungsweise verlangt er die Aufhebung der Verfügung, mit welcher die Fahreignungsabklärung angeordnet wird. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 2.5 zur Beweisverwertung: Bei der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweise wird unterschieden zwischen den Verfahren, in welchen die Fahreignung in Frage steht und jenen, in welchen dies nicht der Fall ist. Das Bundesgericht wies ausdrücklich darauf hin, dass rechtswidrig erhobene Beweismittel zur Prüfung der Frage, ob sich die Einleitung eines Verfahrens zur Abklärung der Fahreignung rechtfertige, berücksichtigt werden können. Das öffentliche Interesse am Schutz der Verkehrsteilnehmer überwiegt in dieser Hinsicht (vgl. BGE 139 II 95 E. 3.5).

Besonders leichter Fall


BGE 1C_577/2018:

Der Beschwerdeführer musste ausserorts einem Fahrzeug ausweichen, das rückwärts auf die Strasse fuhr. Zunächst gelang es ihm, nach rechts auszuweichen, durch die nachfolgenden Lenkbewegungen geriet er aber ins Schleudern. Dafür wurde er im Strafverfahren mit Busse von CHF 100.00 wegen Nichtbeherrschen verurteilt. Er wehrt sich gegen die Annahme einer leichten Widerhandlung, aufgrund welcher kaskadenbedingt ein einmonatiger Ausweisentzug ausgesprochen wurde.

E. 2 zum Nichtbeherrschen: Das BGer bestätigt seine Rechtsprechung, dass man in Gefahrensituationen keine allzugrossen Anforderungen an Autofahrer stellen darf. Wer blitzschnelle Entscheidungen treffen muss, weil z.B. ein Tier auf die Strasse rennt, muss sich rückblickend nicht vorhalten lassen, dass eine anderes Verhalten besser gewesen wäre, es sei denn diese Lösung hätte sich geradezu aufgezwungen (E. 2.2). Die Vorinstanz erachtete das erste Ausweichen als adäquat, die folgenden Lenkbewegungen allerdings qualifizierte es als Nichtbeherrschen, was vom BGer bestätigt wird.

E. 3.1 zur bes. leichten Widerhandlung: Diese liegt vor, wenn die Gefährdung des Strassenverkehrs besonders leicht war und das Verschulden des Lenkers besonders vernachlässigbar ist. Eine Widerhandlung ist m.a.W. besonders leicht, wenn sie vom Gefährdungspotential mit den Tatbeständen der Ordnungsbussenverordnung vergleichbar sind. Die besonders leichte Widerhandlung generell und schematisch nach der Bussenhöhe anzunehmen, dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Art. 16a Abs. 4 SVG entspricht prinzipiell Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG. Der dort geregelte besonders leichte Fall wird allerdings nicht schon generell angewendet, wenn eine Straftat als nichtig erscheint. Falschparkieren wird ja auch bestraft. Der besonders leichte Fall ist ein Bagatellfall, dessen Bestrafung als „schockierend“ angesehen werden müsste (E. 3.1). Den Behörden steht bei der Beurteilung der Widerhandlungsschwere eine grosses Ermessen zu. Dieses wurde vorliegend mit der Annahme einer leichten Widerhandlung nicht verletzt (E. 3.2).

Vorsorglicher Entzug, Cannabisöl

BGE 1C_41/2019:

Bei der Beschwerdeführerin wurde bei einer Polizeikontrolle Marihuanageruch im Auto festgestellt, sowie äussere Anzeichen, die auf einen Cannabiskonsum hindeuteten. Die Blutprobe ergab später einen THC-Wert von mind. 7.7 µg/L. Die MFK SO ordnet einen vorsorglichen Entzug sowie eine Fahreignungsabklärung an. Dagegen wehrt sich die Beschwerdeführerin, weil Sie eine Ausnahmebewilligung des BAG für den Konsum von Cannabisöl hat.

E. 2 zum Cannabis: Cannabis beeinträchtigt bei Sucht die Fahreignung generell und bei gelegentlichem Konsum die Fahrfähigkeit unmittelbar nach der Einnahme der Droge. Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber kontrollierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht den Schluss auf eine fehlende Fahreignung. Ob die Fahreignung gegeben ist, kann ohne Angaben der betroffenen Person über ihre Konsumgewohnheiten nicht beurteilt werden. Bestehen Zweifel an der Fahreignung, muss diese abgeklärt werden. Prinzipiell ist der Fahrausweis bis zum Ergebnis der Abklärung zu entziehen (E. 2.1).

Die Fahrunfähigkeit einer Person gilt grds. als erwiesen, wenn die Messwerte im Blut bei THC 1.5 µg/L erreichen. Eine Ausnahme besteht gemäss Art. 2 Abs. 2ter VRV wenn die betroffene Person die zur Frage stehende Substanz gemäss ärztlicher Verschreibung einnimmt. Die Beschwerdeführerin verweist auf ihre Ausnahmebewilligung des BAG, dass sie Cannabisöl konsumieren darf. Sie betrachtet die Anordnungen der MFK deshalb als rechtswidrig und willkürlich. Gegen die Beschwerdeführerin sprach allerdings, dass in ihrem Auto auch ein Joint gefunden wurde (gehört ihrem Sohn), dass die Polizisten Anzeichen für THC-Konsum feststellten, dass ihr THC-COOH-Wert mit 61 µg/L hoch und dass der THC-Gehalt mit 7.7 µg/L eher hoch war. Deshalb sei gemäss Vorinstanz auch nicht sicher, ob die Beschwerdeführerin mehr Cannabisöl, als verschrieben zu sich nimmt, oder nicht doch auch kifft. Unter dem Strich bestanden genug Zweifel für die Anordnung der Abklärung bzw. des vorsorglichen Entzuges, zumal in der BAG-Ausnahmebewilligung explizit darauf hingewiesen wird, dass der betroffenen Person der Nachweis der Fahrfähigkeit obliegt, z.B. mittels ärztlichem Zeugnis.