Pflichten beim Überholen

BGE 6B_1325/2018:

Mit dieser graubündnerischen und vom BGer bestätigten Rechtsauffassung wird das Überholen in den Bergen wohl faktisch verunmöglicht. Der Beschwerdeführer überholte bei Schiers ein anderes Fahrzeug. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass die überschaubare Strecke zu kurz gewesen sei, um das Überholmanöver gefahrlos durchzuführen. Das BGer weist die Beschwerde gegen die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung ab.

E. 1.2. zum Sachverhalt: Zunächst dreht sich alles um die Entfernungen. Damit ein Überholmanöver korrekt ist, muss zwischen dem Überholenden und dem entgegenkommenden Fahrzeug ein Abstand von mind. zwei Sekunden bestehen im Moment, wo der Überholende nach Abschluss des Manövers wieder komplett auf seine Spur gewechselt hat. Vorliegend betrug der Abstand allerdings lediglich 1.5s, was die Vorinstanz willkürfrei annehmen durfte.

E. 2 zur groben Verkehrsregelverletzung: Zunächst äussert sich das BGer zu den allseits bekannten Voraussetzungen von Art. 90 Abs. 2 SVG (E. 2.1.1). Überholen und Vorbeifahren an Hindernissen ist gemäss Art. 35 Abs. 2 SVG nur gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Überholen auf Strassen mit Gegenverkehr ist extrem gefährlich. Nicht nur die für den Überholvorgang benötigte Strecke muss übersichtlich und frei sein, sondern zusätzlich jene, die ein entgegenkommendes Fahrzeug bis zu jenem Zeitpunkt zurücklegt, wo der Überholende die linke Strassenseite freigegeben haben wird (E. 2.1.2). Vorliegend entstand durch die (zu) kurze einsehbare Strecke und die Unterschreitung des Mindestabstandes von zwei Sekunden zum Gegenverkehr eine ernstliche Gefahr. Wer in einer solchen Situation überholt, verhält sich rücksichtslos (E. 2.2.1). Die Verurteilung erfolgte zu Recht.

Bedenkt man, dass man beim Nachfahren einen Sicherheitsabstand von zwei Sekunden haben muss, aber auch nicht zu früh wieder auf seine Spur einbiegen darf wegen der Rücksicht gegenüber dem Überholten und man auch noch den zwei Sekundenabstand zum Gegenverkehr berechnen muss, können wir nur hoffen, dass wir die Menschen bald in Cyborgs umbauen können, die im Auge ein Laserdistanzmessgerät haben und gleichzeitig einen Taschenrechner in der Birne, damit die Überholstrecken einwandfrei berechnet werden können.

Ungerechtfertigte Parkbusse

BGE 6B_422/2018:

Eine Laienbeschwerde ist vor BGer erfolgreich. Die Beschwerdeführerin parkierte zweimal Ihr Auto auf dem Besucherparkplatz des Grundstückes in Genf, wo sie auch eine Wohnung gemietet hat. Dies ist gemäss Reglement der Immobilie verboten. Von den kantonalen Instanzen ist sie wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit einer Busse von CHF 120.00 verurteilt worden. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.4. zum Sachverhalt: Die Vorinstanz hat willkürfrei angenommen, dass die Beschwerdeführerin wusste, dass sie auf dem Besucherparkplatz als Mieterin nicht parkieren darf.

E. 2. zur Rechtslage: Die Beschwerdeführerin rügt, dass sie gegen kein Gesetz verstossen hat. Zunächst fragt sich das BGer, ob das SVG auf dem Parkplatz anwendbar ist. Zwar liegt dieser auf einem Privatgrundstück. Da er aber einem unbestimmten Personenkreis zur Verfügung steht, findet das SVG Anwendung. Art. 90 SVG bestraft jene, die gegen das SVG oder seine Vollziehungsvorschriften verstossen. Die Vorinstanz begründete die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit kantonalen Bestimmungen, was aber nicht möglich ist (E. 2.2). Auch fällt eine Widerhandlung gegen Art. 30 Abs. 1 SSV ausser Betracht, weil eine entsprechende Verbotstafel fehlt. Auch ein gerichtliches Parkverbot nach Art. 258ff. ZPO fehlt.

Die Beschwerdeführerin hat sich nicht strafbar gemacht. Der kantonale Entscheid wird aufgehoben.

Braucht der Anwalt einen Anwalt?

BGE 6B_1136/2018:

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Ein Strafverfahren wegen div. einfacher Verkehrsregelverletzungen, z.B. Überfahren einer Sicherheitslinie, wurde eingestellt. Eine Lohnausfall- sowie Parteientschädigung wurde allerdings abgelehnt. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer erfolglos.

E. 1. zur Entschädigung: Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte. Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (E. 1.1.1). Das BGer prüft die Auslegung von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO frei, allerdings auch mit einer gewissen Zurückhaltung gegenüber den kantonalen Behörden. Diese haben einen grossen Ermessensspielraum (E. 1.1.2).

Der Sachverhalt bot keine Schwierigkeiten wie z.B. haftpflichtrechtliche oder administrativrechtliche Fragen. Dies gilt umso mehr, weil der Beschwerdeführer Rechtsanwalt und erfahrener Strafverteidiger ist. Er konnte an allen Einvernahmen teilnehmen und auch selber Fragen stellen, sein rechtliches Gehör konnte er stets wahrnehmen. Dafür war kein Rechtsvertreter nötig (E. 1.2.1). Auch die vom Beschwerdeführer zitierten Urteile finden keine Anwendung, weil in jenen stets juristische Laien auf der Anklagebank sassen (E. 1.2.2).

Des Rechtlichen Mächtige können sich also die Kosten für einen Verteidiger sparen. Sie können sich alleine dem übermächtigen Staatsapparat entgegenstellen.

Wenn man die Zeugen nie sieht

BGE 6B_128/2018: Konfrontationseinvernahme (teilw. gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer touchiert in alkoholisiertem Zustand einen Fussgänger. Dieser und seine Familienmitglieder sind die einzigen Belastungszeugen und Hauptbeweise der Strafbehörden. Der Beschwerdeführer rügt (u.a.), dass er an den Einvernahmen der Belastungszeugen nicht teilnehmen konnte und dass sein Konfrontationsanspruch verletzt worden sei.

E. 2.2 zu den Teilnahmerechten: Die Parteien haben bei polizeilichen Einvernahmen von Auskunftspersonen kein Recht darauf, anwesend zu sein (Umkehrschluss aus Art. 147 abs. 1 Satz 1 StPO). Wurde die Polizei hingegen von der Staatsanwaltschaft damit beauftragt, eine Einvernahme durchzuführen, haben die Verfahrensbeteiligten grds. Teilnahmerechte (Art. 312 Abs. 2 StPO). Vorliegend fanden die Einvernahmen im polizeilichen Ermittlungsverfahren statt, weshalb die Teilnahmerechte des Beschwerdeführers nicht verletzt wurden.

E. 2.3. zum Konfrontationsanspruch: Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Beschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Dies gilt auch, wenn die belastende Aussage lediglich eines von mehreren Gliedern einer Indizienkette ist (E. 2.3.3.). Der Beschwerdeführer hatte im Strafverfahren keine Möglichkeit den Beweiswert der Aussagen der Belastungszeugen in kontradiktorischer Weise zu überprüfen. In diesem Punkt wird die Beschwerde gutgeheissen (E. 2.3.4.).

Vorsorglicher Entzug der Fahrlehrerbewilligung

Ein neuer Entscheid aus der Kategorie „Detailproblematik“.

BGE 2C_1130/2018: Entzug der Fahrlehrerbewilligung, URP im Verwaltungsverfahren (gutgh. Beschwerde)

Das Strassenverkehrsamt des Kt. SG entzog dem Beschwerdeführer die Fahrlehrerbewilligung gestützt auf Art. 30 VZV und ordnete eine verkehrspsychologische Abklärung an. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Zugleich ersuchte er um URP im Verwaltungsverfahren. Das Gesuch um URP wurde mit Zwischenverfügung abgelehnt. Gegen diese Zwischenverfügung gelangt der Beschwerdeführer an das BGer.

E. 2.1. zur URP im Verwaltungsverfahren: Art. 29 Abs. 3 BV garantiert die unentgeltliche Prozessführung, sofern ein Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Ein Begehren gilt als nicht aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind.

E. 2.2. zu den Meinungen der Parteien: Der Fahrlehrerberuf ist in der Fahrlehrerverordnung reguliert. Die Fahrlehrerbewilligung wird entzogen, wenn die Voraussetzungen von Art. 27 FV erfüllt sind. Die Vorinstanz erachtete die litterae a und b des vorgenannten Artikels wegen charakterlichen Mängeln als erfüllt an und entzog die Fahrlehrerbewilligung vorsorglich gestützt auf Art. 30 VZV (E. 2.2.1.). Der Beschwerdeführer ist allerdings der Meinung, dass es für den vorsorglichen Entzug der Fahrlehrerbewilligung keine gesetzliche Grundlage gäbe (E. 2.2.2.).

E. 2.3. zur summarischen Prüfung der Prozessaussichten: Der Entzug eines Berufsausübungsbewilligung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Vorsorgliche Massnahmen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Das BGer stimmt dem Beschwerdeführer zu, dass Art. 30 VZV nur den Entzug des Lernfahr- oder Führerausweises regelt, nicht aber ein Entzug der Fahrlehrerbewilligung. Art. 27 FV regelt den Entzug der Fahrlehrerbewilligung. Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, hat die Behörde im Rahmen der Untersuchungsmaxime abzuklären, wobei Art. 8 ZGB im Verwaltungsrecht analog angewendet wird. Die Vorinstanz äussert sich nicht über die Dringlichkeit und Verhältnismässigkeit einer vorsorglichen Massnahme. Nur weil Zweifel an der Eignung des Beschwerdeführers als Fahrlehrer bestehen, ist noch kein schwerer Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit gerechtfertigt.

Das Begehren ist insofern nicht aussichtslos. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die kantonalen Behörden versuchten Kosten zu sparen und haben nun Mehraufwand.

Lockerung beim Abstand?

Die Rechtsprechung zum Abstand ist allseits bekannt. Der Entscheid liefert auch nichts essentiell Neues. Liest man ihn aber genauer, bietet die Begründung evtl. ein Anknüpfungspunkt für die Verteidigung in jenen Fällen, in welchen ein anderes Auto vor das eigene fährt und dadurch der Abstand verkürzt wird.

BGE 6B_1227/2018: Abstand

E. 2.3. zum Vorwurf der Anklage:

„Ebenso verhält es sich, wenn das vorausfahrende Fahrzeug wie vorliegend mit zu geringem Abstand vor dem dahinterfahrenden Fahrzeug einschwenkt. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer nicht das Entstehen des ungenügenden Abstands vor, sondern die Tatsache, in der Folge keinen genügenden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug hergestellt zu haben. Ob der Beschwerdeführer im darauffolgenden Streckenverlauf an einer Stelle abbremste, wie er dies vorbringt, ist für den Verstoss gegen Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV nicht entscheidend. Für den strafrechtlichen Vorwurf relevant ist der fehlende ausreichende Abstand, der vorliegend hinreichend erstellt ist, und der vom Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel gezogen wird. Selbst wenn mit der Darstellung des Beschwerdeführers davon auszugehen wäre, dass er die Bremsen mindestens einmal in der Folge betätigte, so bremste er jedenfalls nicht genügend ab, um einen ausreichenden Abstand herzustellen. Dies ist aus dem über längere Zeitdauer fehlenden ausreichenden Abstand zu schliessen, der mit dem Überwachungsvideo ohne Zweifel beweisbar ist.“

Der Entscheid impliziert, dass ein kurzer Verstoss gegen die Strassenverkehrsregeln straflos sein müsste, wenn ein anderes Auto z.B. durch einen Spurwechsel den Abstand verkürzt, sofern man sofort versucht, den Abstand wiederherzustellen.

Zuständigkeitsprobleme

BGE 6B_1304/2018: Wenn die falsche Staatsanwältin arbeitet (gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde im Kt. AG von einer Assistenzstaatsanwältin wegen Telefonieren am Steuer (Übertretung) und Fahren ohne Berechtigung (Vergehen) mit Strafbefehl bestraft. Der Beschwerdeführer rügt, dass der Strafbefehl nichtig sei.

E. 1.4ff. zur Zuständigkeit: Die Strafrechtspflege steht einzig den vom Gesetz bestimmten Behörden zu. Zudem sind Strafverfahren an die gesetzlichen Formen gebunden (Art. 2 StPO). Zu den Strafverfolgungsbehörden gehören Polizei, Staatsanwaltschaft und die Übertretungsstrafbehörden (Art. 12 StPO). In der Organisation sind Bund und Kantone frei (Art. 14 StPO).

Gemäss §8 Abs. 2 EG StPO führen Assistenzstaatsanwälte Übertretungsstrafverfahren durch, nicht aber Vergehensstrafverfahren. Beim Fahren ohne Berechtigung handelt es sich aber um einen Vergehenstatbestand. Der Strafbefehl war ungültig und konnte auch nicht durch eine von einem Staatsanwalt unterzeichnete Überweisungsverfügung geheilt werden. Die erste Gerichtsinstanz hätte gemäss Art. 356 Abs. 5 StPO die Sache an die STA zurückweisen müssen (E. 1.5.).

Zuständigkeitsvorschriften schützen den Bürger vor dem Übergriff unzuständiger Behörden. Sie sind deshalb zwingend. Eine Strafbehörde prüft ihre Zuständigkeit vor Eintreten auch von Amtes wegen. Es stellt sich i.c. die Frage, ob der Strafbefehl nichtig war. Angesichts des Grundsatzes der Gültigkeit von Verfahrenshandlungen gelten nur krass fehlerhafte Verfahrenshandlungen als nichtig. Nichtigkeit nach der Evidenztheorie wird in der zu beurteilenden Konstellation nicht anzunehmen sein. Nach Ansicht des Bundesgerichts war der Strafbefehl also nicht nichtig, sondern „nur“ (teil-)ungültig (vgl. Art. 356 Abs. 5 StPO; E. 1.6.-7.).

Scheint so, als quälten den Staat die gleichen Probleme wie die Privatwirtschaft. Immer fragt man sich, wer für was zuständig ist. Der Kt. AG ist hier nicht der einzige. Auch im Kt. SG hatten sich die Strafbehörden schon mit Zuständigkeitsfragen herumzuschlagen (vgl. KGE SG vom 29.11.2017).

Altersbedingte Fahreignung

Urteil 1C_536/2018: Das Unvermögen im Alltag

Der Beschwerdeführer, geboren am 25.11.1933, verunfallte am 30.4.2018 im Alter von 85 Jahren. Beim Rückwärtsfahren aus einer Parklücke beschleunigte der Beschwerdeführer urplötzlich und kollidierte mit einem Baum und einem Beleuchtungskandelaber. Im Polizeirapport wurden Zweifel an der Fahreignung geäussert. Das Strassenverkehrsamt verlangte zunächst einen Vorzug der verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchung beim Vertrauensarzt nach Art. 15d Abs. 2 SVG. Nachdem allerdings der Beschwerdeführer eine anfechtbare Verfügung verlangte, ordnete das Strassenverkehrsamt einen vorsorglichen Ausweisentzug und eine Fahreignungsabklärung an. Das BGer weist die dagegen erhobene Beschwerde ab.

E. 3 zur Fahreignung: Gemäss Art. 14 SVG müssen Fahrzeugführer körperlich und psychisch in der Lage sein, ein Fahrzeug sicher zu führen. Ab dem 75. Altersjahr gibt es alle zwei Jahre eine periodische Kontrolle beim Vertrauensarzt, welche dazu dient, die mit fortschreitendem Alter höher werdende Wahrscheinlichkeit der Abnahme der allgemeinen psychischen und physischen Grundvoraussetzungen zum sicheren Lenken eines Motorfahrzeuges vorzeitig erkennen zu können. Diese periodischen Kontrollen schliessen aber nicht aus, dass die kantonalen Behörden bei Zweifeln an der Fahreignung weitere Untersuchungen anordnen. Wird eine Fahreignungsabklärung angeordnet, ist der Fahrausweis i.d.R. vorsorglich zu entziehen.

E. 4-7 zur Würdigung des Sachverhaltes: Der Unfall passierte mit relativ hoher Geschwindigkeit. Der Beschwerdeführer sagte aus, dass er wegen breiter Schuhe versehentlich auf Gas und Bremse trat. Die Vorinstanz führte aus, dass aufgrund des Unvermögens des Beschwerdeführers, das Fahrzeug bei einem einfachen, alltäglichen Manöver pflichtgemäss zu beherrschen, seine generelle Fahreignung – d.h. die erforderliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen – ernsthaft in Frage stehe (E. 4.). Der Beschwerdeführer findet das Ganze unverhältnismässig (E. 5.). Aufgrund der vorinstanzlichen Beweiswürdigung durfte willkürfrei davon ausgegangen werden, dass eine Fehlmanipulation zum Unfall führte. Gemäss dem BGer wurden Fahreignung und vorsorglicher Entzug zu Recht angeordnet – auch weil der Beschwerdeführer seine Rügen wohl etwas zu knapp gehalten hat.

Das Risiko beim Sport

BGE 6B_261/2018: Todesfall im Radrennsport

An einem Amateurradrennen kam es bei einer Abfahrt mit ca. 70km/h zu einer Streifkollision zwischen zwei Velofahrer, wobei der Überholte zu Fall kam und infolge eines Schädelhirntraumas verstarb. Drei nachfolgende Fahrer stürzten ebenfalls und verletzten sich dabei. Der Überholende und Beschwerdegegner wurde vor erster Instanz wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung verurteilt. Das Obergericht des Kt. AG sprach den Beschwerdegegner hingegen frei. Dagegen wehren sich die Erben des Verstorbenen und weitere Zivilkläger sowie die Staatsanwaltschaft vor Bundesgericht. Dieses weist die Beschwerde ab und heisst damit den Freispruch gut.

E. 3 zum Sachverhalt: Zunächst rügen die Beschwerdeführer eine willkürliche Feststellung des Sachverhaltes. Es ist strittig, wie heftig die Berührung/Kollision zwischen dem Beschwerdegegner und dem Verstorbenen war. Die Vorinstanz kam willkürfrei zum Schluss, dass die Berührung zwischen den beiden Radfahrern nicht kraftvoll war.

E. 5 zur Sorgfaltspflichtsverletzung: Die Verurteilung wegen einem Fahrlässigkeitsdelikt setzt eine Sorgfaltspflichtsverletzung voraus. Eine solche liegt vor, wenn der wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat auf Grund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Das Mass der Sorgfalt richtet sich Normen, die der Unfallverhütung und Sicherheit dienen. Wenn solche fehlen können private Regelungen herangezogen werden oder letztlich auch der allgemeine Gefahrensatz. Grundsätzlich gilt, dass derjenige, der eine Gefahr schafft, zu verhindern hat, dass Dritte dadurch verletzt werden. Allerdings müssen die Schutzmassnahmen dafür zumutbar sein. Eine weitere Schranke der Sicherungspflicht liegt in der Eigenverantwortung des einzelnen Sportlers. Jedem steht es frei, beim Sport gewisse Risiken auf sich zu nehmen. Insb. im Sport können Schutzmassnahmen keine völlige Gefahrenfreiheit garantieren. Sie sollen vielmehr die Gefahren auf ein erträgliches Mass beschränken. Jede Sportart birgt in sich ein unterschiedlich hohes sportartspezifisches Grundrisiko. Bei Realisierung des sportartspezifischen Grundrisikos ist von der strafrechtlichen Ahndung abzusehen. Beim Radsport besteht durchaus das Risiko von schweren Verletzungen oder gar dem Tod (E. 5.1).

Die Beschwerdeführer rügen, dass Art. 35 Abs. 3 SVG nicht analog angewendet wurde. Da das Radrennen gemäss Art. 52 Abs. 2 SVG polizeilich bewilligt war und auf einer abgesperrten Strassen stattfand, kommt das SVG gemäss Art. 1 Abs. 2 SVG nicht zur Anwendung. Verkehrsregeln können aber trotzdem analog herangezogen werden, wenn es um die Beurteilung eines sicherheitsrelevanten Verhaltens geht. Im Radrennsport wird die analoge Anwendung des SVG aber verneint wegen dem Wettkampfcharakter der Veranstaltungen. Die Wettkampfmanöver wie Überholen sind in besonderem Masse von Wettkampfcharakter geprägt und nicht mit üblichem Strassenverkehr vergleichbar. Insofern kann von den Rennfahrern nicht die gleiche Sorgfalt verlangt werden, wie dies im normalen Strassenverkehr der Fall wäre (E. 5.2). Dies dürfte auch für andere Rennsportarten gelten.

Sodann setzt sich das BGer mit dem Reglement des Schweizerischen Radsportverbandes auseinander. Dieses enthält keine ausdrücklichen Regelungen zum Überholen. Die Vorinstanz befragte deshalb verschiedene Personen zu den Usanzen beim Überholen im Radrennsport. Nach diesen Aussagen seien Berührungen zwischen Radrennfahren nicht aussergewöhnlich, auch nicht bei hohen Tempi. Auch würden beim Windschattenfahren sehr kleine Abstände gewahrt, die im Notfall kaum Zeit für adäquate Reaktionen zuliessen. Insofern sei mit der vorliegenden Berührung das sportartspezifische Risiko nicht überschritten worden. Das BGer stützt diese Ansicht, insb. auch mit Verweis auf die Eigenverantwortung jedes Sportlers, risikoreiche Sportarten zu betreiben.

Vorliegend hat sich also in tragischer Weise ein Grundrisiko des Radsportes verwirklicht, welches jeder Sportler in Kauf nimmt. Insofern wurde die Grenze des erlaubten Risikos nicht überschritten und der Freispruch erfolgte zu Recht.

Die Probezeittat

BGE 6B_932/2018: Gesamtstrafenbildung nach neuem Recht, Asperationsprinzip (teilw. gutgh. Beschwerde, Änderung Rechtsprechung)

Der Entscheid befasst sich mit der Bildung einer Gesamtstrafe, wenn der Täter innerhalb der Probezeit erneut delinquiert. Der Beschwerdeführer wehrt sich einerseits (erfolglos) gegen die Verurteilung wegen BtMG-Verstössen und andererseits erfolgreich gegen das Strafmass.

E. 2 zur Gesamtstrafenbildung nach Art. 46 Abs. 1 i.V.m. Art. 49 StGB:

Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB besagt: „Sind die widerrufene und die neue Strafe gleicher Art, so bildet es [das Gericht] in sinngemässer Anwendung von Artikel 49 eine Gesamtstrafe.“ Entgegen der früheren Fassung ist die Bestimmung keine Kann-Vorschrift mehr. Das Bundesgericht legt die neue Bestimmung nach dem allseits bekannten Methodenpluralismus aus; grammatikalisch (E. 2.3.1), historisch (E. 2.3.2), systematisch (2.3.3) und teleologisch (2.3.4).

Nach den Materialien hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich und entgegen der alten Rechtsprechung für die ursprünglich vorgesehene Konzeption der Gesamtstrafenbildung bei Widerruf ausgesprochen, wobei er sie nunmehr an das Erfordernis der Gleichartigkeit der Strafen knüpfte. Bei der Auslegung nach Sinn und Zweck äussert sich das Bundesgericht kritisch gegenüber dem gesetzgeberischen Schaffen. Die Bildung einer Gesamtstrafe bei einem Widerruf erweist sich aus Sicht des Bundesgerichts als wenig sachgerecht. Denn der Fall, dass ein Täter nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe während der Probezeit weitere Delikte verübt, unterscheidet sich wesentlich vom Fall eines Täters, der sämtliche Taten begangen hatte, bevor er wegen dieser Taten (Art. 49 Abs. 1 StGB) beziehungsweise zumindest wegen eines Teils dieser Taten (Art. 49 Abs. 2 StGB) verurteilt worden ist. Schliesslich aber stellt das Bundesgericht fast schon konsterniert fest, dass der Gesetzgeber die Ansicht des Bundesgerichts nicht teilt und es deshalb seine Rechtsprechung ändern muss (E. 2.3.5).

Sodann befasst sich das Bundesgericht mit der Bildung der Gesamtstrafe (E. 2.4). Der Probezeittäter wird durch Anwendung des Asperationsprinzips eine gewisse Privilegierung gewährt. Bei der Gesamtstrafenbildung hat das Gericht demnach methodisch von derjenigen Strafe als „Einsatzstrafe“ auszugehen, die es für die während der Probezeit neu verübte Straftat nach den Strafzumessungsgrundsätzen von Art. 47 ff. StGB ausfällt. Anschliessend ist diese mit Blick auf die zu widerrufende Vorstrafe angemessen zu erhöhen. Daraus ergibt sich die Gesamtstrafe (zum Ganzen E. 2.4.2).

Da die Vorinstanz die Gesamtstrafe falsch berechnet hat, wird die Beschwerde in diesem Punkt gutgeheissen.