Vorsorglicher Entzug, Cannabisöl

BGE 1C_41/2019:

Bei der Beschwerdeführerin wurde bei einer Polizeikontrolle Marihuanageruch im Auto festgestellt, sowie äussere Anzeichen, die auf einen Cannabiskonsum hindeuteten. Die Blutprobe ergab später einen THC-Wert von mind. 7.7 µg/L. Die MFK SO ordnet einen vorsorglichen Entzug sowie eine Fahreignungsabklärung an. Dagegen wehrt sich die Beschwerdeführerin, weil Sie eine Ausnahmebewilligung des BAG für den Konsum von Cannabisöl hat.

E. 2 zum Cannabis: Cannabis beeinträchtigt bei Sucht die Fahreignung generell und bei gelegentlichem Konsum die Fahrfähigkeit unmittelbar nach der Einnahme der Droge. Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber kontrollierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht den Schluss auf eine fehlende Fahreignung. Ob die Fahreignung gegeben ist, kann ohne Angaben der betroffenen Person über ihre Konsumgewohnheiten nicht beurteilt werden. Bestehen Zweifel an der Fahreignung, muss diese abgeklärt werden. Prinzipiell ist der Fahrausweis bis zum Ergebnis der Abklärung zu entziehen (E. 2.1).

Die Fahrunfähigkeit einer Person gilt grds. als erwiesen, wenn die Messwerte im Blut bei THC 1.5 µg/L erreichen. Eine Ausnahme besteht gemäss Art. 2 Abs. 2ter VRV wenn die betroffene Person die zur Frage stehende Substanz gemäss ärztlicher Verschreibung einnimmt. Die Beschwerdeführerin verweist auf ihre Ausnahmebewilligung des BAG, dass sie Cannabisöl konsumieren darf. Sie betrachtet die Anordnungen der MFK deshalb als rechtswidrig und willkürlich. Gegen die Beschwerdeführerin sprach allerdings, dass in ihrem Auto auch ein Joint gefunden wurde (gehört ihrem Sohn), dass die Polizisten Anzeichen für THC-Konsum feststellten, dass ihr THC-COOH-Wert mit 61 µg/L hoch und dass der THC-Gehalt mit 7.7 µg/L eher hoch war. Deshalb sei gemäss Vorinstanz auch nicht sicher, ob die Beschwerdeführerin mehr Cannabisöl, als verschrieben zu sich nimmt, oder nicht doch auch kifft. Unter dem Strich bestanden genug Zweifel für die Anordnung der Abklärung bzw. des vorsorglichen Entzuges, zumal in der BAG-Ausnahmebewilligung explizit darauf hingewiesen wird, dass der betroffenen Person der Nachweis der Fahrfähigkeit obliegt, z.B. mittels ärztlichem Zeugnis.

A-Post-Plus und Zustellfiktion

BGE 1C_532/2018:

Die Rechtsprechung über die Zustellfiktion und A-Post-Plus dürfte uns allen bekannt sein. Der Entscheid ist fasst die Rechtsprechung gut zusammen. Die Beschwerdeführerin hat eine Verfügung bzgl. Fahrverbot nicht erhalten, weil sie gezügelt ist. Auf ihre dagegen erhobene Beschwerde wird nicht eingetreten, weil die Instanzen diese als verspätet betrachten. Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, dass sie ja gar nie Kenntnis hatte von der Verfügung und diese deshalb nicht fristauslösend war. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 3 zur Zustellfiktion: Art. 44 VRPG Kt. BE regelt die Zustellfiktion. Spät. am 7. Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellversuch gilt die Sendung als zugestellt. Gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung gelten Verfügungen als eröffnet, sobald sie ordnungsgemäss zugestellt sind und die betroffene Person davon Kenntnis nehmen kann. Dass sie davon tatsächlich Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich. Die Zustellfiktion ist gerechtfertigt, weil von einer Bürgerin nach Treu und Glauben erwartet werden darf, dass sie in Kenntnis eines Verfahrens, den Behörden eine neue Adresse oder Abwesenheiten mitteilt. Das BGer sieht darin sogar eine Pflicht (E. 3.3).

E. 5 zur A-Post-Plus: Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin vom Verfahren Kenntnis hatte, weil Sie vom StVA ein Schreiben „rechtliches Gehör“ erhielt, das mit A-Post-Plus versandt wurde. Die Beschwerdeführerin hingegen ist der Meinung das ihr das Schreiben nicht zugestellt wurde (E. 4). Praxisgemäss besteht bei der A-Post-Plus die natürliche Vermutung, dass die Zustellung ordnungsgemäss erfolgte. Eine fehlerhafte Postzustellung ist allerdings nicht zu vermuten, sondern nur anzunehmen, wenn sie aufgrund der Umstände plausibel erscheint. Dafür müssen aber konkrete Anzeichen für einen Fehler seitens Post vorhanden sein (E. 5.2).

Fazit: Das „rechtliche Gehör“ wurde zugestellt, die Beschwerdeführerin konnte deshalb vom Verfahren Kenntnis haben, insofern greift die Zustellfiktion, womit die Beschwerde nicht mehr fristgerecht eingereicht wurde.

Fahreignungsabklärung bei Alkoholkonsum OHNE Bezug zum Strassenverkehr

BGE 1C_569/2018:

Der Entscheid liest sich recht gut, weil er die bisherige Rechtsprechung zu dieser Thematik zusammenfasst. Einige Urteile wurden auch schon hier gefeatured. Die Beschwerdeführerin wurde als Fussgängerin in einen Verkehrsunfall verwickelt. Sie ist Inhaberin der Fahrberechtigungen der 1. und 2. Gruppe. Ebenso ist ihr Leumund einwandfrei. Die Atemalkoholprobe betrug 1.23mg/L, die spätere Blutalkoholprobe ergab einen Wert für den Ereigniszeitpunkt von 2.65-3.38%. Deswegen ordnete das Strassenverkehrsamt eine Fahreignungsabklärung an, wobei auf einen vorsorglichen Führerscheinentzug verzichtet wurde.

E. 3. Zu den Zweifeln: Nach der Generalklausel von Art. 15d Abs. 1 SVG ist eine Fahreignungsabklärung anzuordnen, wenn Zweifel an der Fahreignung bestehen. Die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung setzt hingegen nicht zwingend voraus, dass der Fahrzeugführer tatsächlich unter dem Einfluss von Alkohol gefahren ist (vgl. Urteil 1C_285/2018 vom 12. Oktober 2018 E. 3.4 mit Hinweis). Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können, sofern stichhaltige Gründe für ein tatsächlich verkehrsrelevantes Suchtverhalten vorliegen, auch bei Personen, die ausserhalb des motorisierten Strassenverkehrs auffällig geworden sind, Zweifel an der Fahreignung aufkommen, die eine verkehrsmedizinische Untersuchung rechtfertigen. Danach listet das BGer vorbildlich die bisherige Rechtsprechung zu dieser Thematik auf:

Zu Recht angeordnete Abklärungen nach Ereignis OHNE Bezug zum Verkehr:

BGE 1C_384/2017: Nervenzusammenbruch unter Alkoholeinfluss, psychische Störungen, späterer FiaZ
BGE 1C_13/2017: Zuhause mit hoher BAK angetroffen, nachdem beschädigtes Auto auf Trottoir vorgefunden, späterer Fiaz

Widerrechtlich angeordnete Fahreignungsabklärungen:

BGE 1C_256/2011: Häusliche Gewalt mit BAK 1.99%
BGE 1C_356/2011: Erregung öffentliches Ärgernis unter Alkoholeinfluss
BGE 1C_748/2013: Suizidandrohung per SMS mit 1.2%
BGE 1C_144/2017: Fussgänger mit 2.27%

E. 4. zum Fall: Die Beschwerdeführerin zeigte keine deutlichen Verhaltensauffälligen in Bezug auf den Alkohol, was bei dieser BAK auf eine hohe „Giftfestigkeit“ hindeutet. Nach Angaben des Bundesamtes für Gesundheit liegt nämlich die tödliche Dosis für Alkohol für ungewohnt Trinkende bei 3-4% (E. 4.1). Das BGer hat noch keine feste Promillegrenze für diese Fälle – Alkohol ohne Autofahren – festgelegt (E. 3.4). Nun scheint es sich eine Faustregel von 2.5% anzueignen (E. 4.2). Auf jeden Fall kann die Beschwerdeführerin mit Ihren Argumenten nicht durchdringen, weil Ihre Alkoholtoleranz schon auf einen regel-, wenn nicht übermässigen Alkoholkonsum schliessen lässt.

Das Recht auf das Plädoyer

BGE 6B_1298/2018: Abwesenheit der beschuldigten Person vor Gericht (gutgh. Beschwerde)

Der Entscheid befasst sich mit Art. 356 Abs. 4 StPO und wann die Fiktion des Einspracherückzugs angenommen werden darf. Ebenso behandelt der Entscheid das Recht des Verteidigers zu plädieren.

Die Beschuldigte Person erhielt einen Strafbefehl wegen Betäubungsmitteldelikten, gegen welchen sie Einsprache erhob. Nach Überweisung der Sache an das Gericht, setzte dieses die Hauptverhandlung an. Der Verteidiger teilte daraufhin mit, dass sein Klient nicht auffindbar sei und beantragt die Verschiebung der Hauptverhandlung. Das Gericht hingegen hält am Verhandlungstermin fest, an welchem die Folgen der Abwesenheit der beschuldigten Person erörtert werden können. Der Verteidiger teilte daraufhin mit, dass eine Substitutin an der Verhandlung teilnehmen werde. Diese erschien 17 Minuten zu spät zur Hauptverhandlung, woraufhin das Gericht den Rückzug der Einsprache und die Rechtskraft des Strafbefehls feststellte. Dagegen wehrt sich die beschuldigte Person und macht eine Verletzung der EMRK geltend.

E. 3 zur Abwesenheit der beschuldigten Person in der Hauptverhandlung: Art. 356 Abs. 4 StPO stipuliert, dass die Einsprache als zurückgezogen gilt, wenn die Einsprache erhebende Person der Hauptverhandlung fernbleibt und sich nicht vertreten lässt. Es handelt sich dabei um eine Fiktion, dass kein Interesse mehr an der Einsprache bestehe. Im Licht von Art. 29a BV und Art. 6 EMRK darf die Rückzugsfiktion nur zur Anwendung gelangen, wenn die betroffene Person von der Vorladung und den Folgen des Fernbleibens wusste. Die Fiktion darf nur zur Anwendung gelangen, wenn nach Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 2 StPO) aufgrund des Fernbleibens auf ein Desinteresse der einsprechenden Person am Prozess geschlossen werden kann. Die Rückzugsfiktion gilt allerdings auch, wenn das Gericht das persönliche Erscheinen der beschuldigten Person anordnet, zur Verhandlung aber nur der Rechtsvertreter erscheint (E. 3.1). Ob nun ein Desinteresse der beschuldigten Person vorlag oder nicht, lässt das BGer offen, weil die Verteidigung sich zu diesem Punkt gar nicht äussern konnte.

E. 4 zur EMRK: Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung der EMRK gelten, indem das Gericht die verspätete Rechtsvertreterin nicht mehr plädieren liess. Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK garantiert das Recht, sich verteidigen zu lassen. Im Kontumazverfahren darf der Verteidiger gemäss Art. 367 Abs. 1 StPO plädieren. Das Plädoyer kann natürlich auch Ausführungen zur Rückzugsfiktion enthalten (E. 4.1). Im Folgenden äussert sich das BGer zur „Respektviertelstunde“ und ab wann eine Verspätung des Rechtsvertreters als Rückzug der Einsprache gewertet werden darf, ohne dass das Gericht dabei dem überspitzten Formalismus verfällt. Nach der Lehre sollen Verspätungen von „ein paar Minuten“ bis einer Stunde toleriert werden (E. 4.1.1). Vorliegend teilte der Anwalt dem Gericht mit, dass er seinen Klienten nicht erreichen konnte und dass seine Substitutin an die Verhandlung kommt. Weil sich diese über den Verhandlungsbeginn irrte, kam sie 17min zu spät. Sie wollte dennoch mit dem Gerichtspräsident sprechen, der auch noch im Saal anwesend war, was ihr aber verweigert wurde, obwohl die nächste Verhandlung erst in 40min begonnen hätte. Das Gericht verhielt sich überspitzt formalistisch, die Beschwerde wird gutgeheissen.

Pflichten beim Überholen

BGE 6B_1325/2018:

Mit dieser graubündnerischen und vom BGer bestätigten Rechtsauffassung wird das Überholen in den Bergen wohl faktisch verunmöglicht. Der Beschwerdeführer überholte bei Schiers ein anderes Fahrzeug. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass die überschaubare Strecke zu kurz gewesen sei, um das Überholmanöver gefahrlos durchzuführen. Das BGer weist die Beschwerde gegen die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung ab.

E. 1.2. zum Sachverhalt: Zunächst dreht sich alles um die Entfernungen. Damit ein Überholmanöver korrekt ist, muss zwischen dem Überholenden und dem entgegenkommenden Fahrzeug ein Abstand von mind. zwei Sekunden bestehen im Moment, wo der Überholende nach Abschluss des Manövers wieder komplett auf seine Spur gewechselt hat. Vorliegend betrug der Abstand allerdings lediglich 1.5s, was die Vorinstanz willkürfrei annehmen durfte.

E. 2 zur groben Verkehrsregelverletzung: Zunächst äussert sich das BGer zu den allseits bekannten Voraussetzungen von Art. 90 Abs. 2 SVG (E. 2.1.1). Überholen und Vorbeifahren an Hindernissen ist gemäss Art. 35 Abs. 2 SVG nur gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Überholen auf Strassen mit Gegenverkehr ist extrem gefährlich. Nicht nur die für den Überholvorgang benötigte Strecke muss übersichtlich und frei sein, sondern zusätzlich jene, die ein entgegenkommendes Fahrzeug bis zu jenem Zeitpunkt zurücklegt, wo der Überholende die linke Strassenseite freigegeben haben wird (E. 2.1.2). Vorliegend entstand durch die (zu) kurze einsehbare Strecke und die Unterschreitung des Mindestabstandes von zwei Sekunden zum Gegenverkehr eine ernstliche Gefahr. Wer in einer solchen Situation überholt, verhält sich rücksichtslos (E. 2.2.1). Die Verurteilung erfolgte zu Recht.

Bedenkt man, dass man beim Nachfahren einen Sicherheitsabstand von zwei Sekunden haben muss, aber auch nicht zu früh wieder auf seine Spur einbiegen darf wegen der Rücksicht gegenüber dem Überholten und man auch noch den zwei Sekundenabstand zum Gegenverkehr berechnen muss, können wir nur hoffen, dass wir die Menschen bald in Cyborgs umbauen können, die im Auge ein Laserdistanzmessgerät haben und gleichzeitig einen Taschenrechner in der Birne, damit die Überholstrecken einwandfrei berechnet werden können.

Ungerechtfertigte Parkbusse

BGE 6B_422/2018:

Eine Laienbeschwerde ist vor BGer erfolgreich. Die Beschwerdeführerin parkierte zweimal Ihr Auto auf dem Besucherparkplatz des Grundstückes in Genf, wo sie auch eine Wohnung gemietet hat. Dies ist gemäss Reglement der Immobilie verboten. Von den kantonalen Instanzen ist sie wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit einer Busse von CHF 120.00 verurteilt worden. Das BGer heisst die Beschwerde gut.

E. 1.4. zum Sachverhalt: Die Vorinstanz hat willkürfrei angenommen, dass die Beschwerdeführerin wusste, dass sie auf dem Besucherparkplatz als Mieterin nicht parkieren darf.

E. 2. zur Rechtslage: Die Beschwerdeführerin rügt, dass sie gegen kein Gesetz verstossen hat. Zunächst fragt sich das BGer, ob das SVG auf dem Parkplatz anwendbar ist. Zwar liegt dieser auf einem Privatgrundstück. Da er aber einem unbestimmten Personenkreis zur Verfügung steht, findet das SVG Anwendung. Art. 90 SVG bestraft jene, die gegen das SVG oder seine Vollziehungsvorschriften verstossen. Die Vorinstanz begründete die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit kantonalen Bestimmungen, was aber nicht möglich ist (E. 2.2). Auch fällt eine Widerhandlung gegen Art. 30 Abs. 1 SSV ausser Betracht, weil eine entsprechende Verbotstafel fehlt. Auch ein gerichtliches Parkverbot nach Art. 258ff. ZPO fehlt.

Die Beschwerdeführerin hat sich nicht strafbar gemacht. Der kantonale Entscheid wird aufgehoben.

Braucht der Anwalt einen Anwalt?

BGE 6B_1136/2018:

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Ein Strafverfahren wegen div. einfacher Verkehrsregelverletzungen, z.B. Überfahren einer Sicherheitslinie, wurde eingestellt. Eine Lohnausfall- sowie Parteientschädigung wurde allerdings abgelehnt. Dagegen wehrt sich der Beschwerdeführer erfolglos.

E. 1. zur Entschädigung: Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte. Sowohl der Beizug eines Verteidigers als auch der von diesem betriebene Aufwand müssen sich als angemessen erweisen (E. 1.1.1). Das BGer prüft die Auslegung von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO frei, allerdings auch mit einer gewissen Zurückhaltung gegenüber den kantonalen Behörden. Diese haben einen grossen Ermessensspielraum (E. 1.1.2).

Der Sachverhalt bot keine Schwierigkeiten wie z.B. haftpflichtrechtliche oder administrativrechtliche Fragen. Dies gilt umso mehr, weil der Beschwerdeführer Rechtsanwalt und erfahrener Strafverteidiger ist. Er konnte an allen Einvernahmen teilnehmen und auch selber Fragen stellen, sein rechtliches Gehör konnte er stets wahrnehmen. Dafür war kein Rechtsvertreter nötig (E. 1.2.1). Auch die vom Beschwerdeführer zitierten Urteile finden keine Anwendung, weil in jenen stets juristische Laien auf der Anklagebank sassen (E. 1.2.2).

Des Rechtlichen Mächtige können sich also die Kosten für einen Verteidiger sparen. Sie können sich alleine dem übermächtigen Staatsapparat entgegenstellen.

Wenn man die Zeugen nie sieht

BGE 6B_128/2018: Konfrontationseinvernahme (teilw. gutgh. Beschwerde)

Der Beschwerdeführer touchiert in alkoholisiertem Zustand einen Fussgänger. Dieser und seine Familienmitglieder sind die einzigen Belastungszeugen und Hauptbeweise der Strafbehörden. Der Beschwerdeführer rügt (u.a.), dass er an den Einvernahmen der Belastungszeugen nicht teilnehmen konnte und dass sein Konfrontationsanspruch verletzt worden sei.

E. 2.2 zu den Teilnahmerechten: Die Parteien haben bei polizeilichen Einvernahmen von Auskunftspersonen kein Recht darauf, anwesend zu sein (Umkehrschluss aus Art. 147 abs. 1 Satz 1 StPO). Wurde die Polizei hingegen von der Staatsanwaltschaft damit beauftragt, eine Einvernahme durchzuführen, haben die Verfahrensbeteiligten grds. Teilnahmerechte (Art. 312 Abs. 2 StPO). Vorliegend fanden die Einvernahmen im polizeilichen Ermittlungsverfahren statt, weshalb die Teilnahmerechte des Beschwerdeführers nicht verletzt wurden.

E. 2.3. zum Konfrontationsanspruch: Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Beschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Dies gilt auch, wenn die belastende Aussage lediglich eines von mehreren Gliedern einer Indizienkette ist (E. 2.3.3.). Der Beschwerdeführer hatte im Strafverfahren keine Möglichkeit den Beweiswert der Aussagen der Belastungszeugen in kontradiktorischer Weise zu überprüfen. In diesem Punkt wird die Beschwerde gutgeheissen (E. 2.3.4.).

Vorsorglicher Entzug der Fahrlehrerbewilligung

Ein neuer Entscheid aus der Kategorie „Detailproblematik“.

BGE 2C_1130/2018: Entzug der Fahrlehrerbewilligung, URP im Verwaltungsverfahren (gutgh. Beschwerde)

Das Strassenverkehrsamt des Kt. SG entzog dem Beschwerdeführer die Fahrlehrerbewilligung gestützt auf Art. 30 VZV und ordnete eine verkehrspsychologische Abklärung an. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Zugleich ersuchte er um URP im Verwaltungsverfahren. Das Gesuch um URP wurde mit Zwischenverfügung abgelehnt. Gegen diese Zwischenverfügung gelangt der Beschwerdeführer an das BGer.

E. 2.1. zur URP im Verwaltungsverfahren: Art. 29 Abs. 3 BV garantiert die unentgeltliche Prozessführung, sofern ein Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Ein Begehren gilt als nicht aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind.

E. 2.2. zu den Meinungen der Parteien: Der Fahrlehrerberuf ist in der Fahrlehrerverordnung reguliert. Die Fahrlehrerbewilligung wird entzogen, wenn die Voraussetzungen von Art. 27 FV erfüllt sind. Die Vorinstanz erachtete die litterae a und b des vorgenannten Artikels wegen charakterlichen Mängeln als erfüllt an und entzog die Fahrlehrerbewilligung vorsorglich gestützt auf Art. 30 VZV (E. 2.2.1.). Der Beschwerdeführer ist allerdings der Meinung, dass es für den vorsorglichen Entzug der Fahrlehrerbewilligung keine gesetzliche Grundlage gäbe (E. 2.2.2.).

E. 2.3. zur summarischen Prüfung der Prozessaussichten: Der Entzug eines Berufsausübungsbewilligung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Vorsorgliche Massnahmen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Das BGer stimmt dem Beschwerdeführer zu, dass Art. 30 VZV nur den Entzug des Lernfahr- oder Führerausweises regelt, nicht aber ein Entzug der Fahrlehrerbewilligung. Art. 27 FV regelt den Entzug der Fahrlehrerbewilligung. Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, hat die Behörde im Rahmen der Untersuchungsmaxime abzuklären, wobei Art. 8 ZGB im Verwaltungsrecht analog angewendet wird. Die Vorinstanz äussert sich nicht über die Dringlichkeit und Verhältnismässigkeit einer vorsorglichen Massnahme. Nur weil Zweifel an der Eignung des Beschwerdeführers als Fahrlehrer bestehen, ist noch kein schwerer Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit gerechtfertigt.

Das Begehren ist insofern nicht aussichtslos. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die kantonalen Behörden versuchten Kosten zu sparen und haben nun Mehraufwand.

Lockerung beim Abstand?

Die Rechtsprechung zum Abstand ist allseits bekannt. Der Entscheid liefert auch nichts essentiell Neues. Liest man ihn aber genauer, bietet die Begründung evtl. ein Anknüpfungspunkt für die Verteidigung in jenen Fällen, in welchen ein anderes Auto vor das eigene fährt und dadurch der Abstand verkürzt wird.

BGE 6B_1227/2018: Abstand

E. 2.3. zum Vorwurf der Anklage:

„Ebenso verhält es sich, wenn das vorausfahrende Fahrzeug wie vorliegend mit zu geringem Abstand vor dem dahinterfahrenden Fahrzeug einschwenkt. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer nicht das Entstehen des ungenügenden Abstands vor, sondern die Tatsache, in der Folge keinen genügenden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug hergestellt zu haben. Ob der Beschwerdeführer im darauffolgenden Streckenverlauf an einer Stelle abbremste, wie er dies vorbringt, ist für den Verstoss gegen Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV nicht entscheidend. Für den strafrechtlichen Vorwurf relevant ist der fehlende ausreichende Abstand, der vorliegend hinreichend erstellt ist, und der vom Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel gezogen wird. Selbst wenn mit der Darstellung des Beschwerdeführers davon auszugehen wäre, dass er die Bremsen mindestens einmal in der Folge betätigte, so bremste er jedenfalls nicht genügend ab, um einen ausreichenden Abstand herzustellen. Dies ist aus dem über längere Zeitdauer fehlenden ausreichenden Abstand zu schliessen, der mit dem Überwachungsvideo ohne Zweifel beweisbar ist.“

Der Entscheid impliziert, dass ein kurzer Verstoss gegen die Strassenverkehrsregeln straflos sein müsste, wenn ein anderes Auto z.B. durch einen Spurwechsel den Abstand verkürzt, sofern man sofort versucht, den Abstand wiederherzustellen.