Ohne Beweise kein Raser / Nachvollziehbarkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung

BGE 6B_774/2017: Schematismus bei GÜ (Bestätigung Rechtsprechung)

Wegen GÜ innerorts um 31km/h erhielt der Beschwerdeführer einen Strafbefehl wegen grober Verkehrsregelverletung. Vor erster Instanz wurde er aber wegen einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt, weil er an einen krebskranken Freund gedacht habe und insofern den subjektiven Tatbestand von SVG 90 II nicht erfüllt habe. Das Obergericht verurteilt wiederum wegen grober, was vom BGer geschützt wird.

E. 5.1. zum Schematismus: „Nach der Rechtsprechung ist ungeachtet der konkreten Umstände der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG objektiv erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 25 km/h oder mehr überschritten wird.“

E. 5.2. zu den subj. Voraussetzungen: “ Die Annahme von Rücksichtslosigkeit im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG ist restriktiv zu handhaben, weshalb nicht unbesehen von einer objektiv groben auf eine subjektiv grobe Verkehrsregelverletzung geschlossen werden darf. Nicht jede Unaufmerksamkeit, die wegen der Schwere des Erfolgs objektiv als gravierende Verletzung der Vorsichtspflicht zu betrachten ist, wiegt auch subjektiv schwer.“ „Das Bundesgericht verneinte ein rücksichtsloses Verhalten in einem Fall, in dem ein Fahrzeugführer die bloss während einer Woche geltende und örtlich begrenzte Geschwindigkeitsreduktion auf 80 km/h auf einer Autobahn übersehen hatte (Urteil 6B_109/2008 vom 13. Juni 2008 E. 3.2). Es verneinte Rücksichtslosigkeit auch im Fall der Missachtung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, die Teil von Massnahmen eines Verkehrsberuhigungskonzepts bildete (Urteil 6B_622/2009 vom 23. Oktober 2009 E. 3.5).“

E. 6.: Das BGer bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II, denn auch wenn der Beschwerdeführer an seinen krebskranken Freund gedacht hat, so durfte ihm als erfahrenem Autofahrer nicht entgehen, dass er auf einer Strassen mit Innerortscharakter unterwegs war.

 

BGE 6B_101/2017: Kein Raser mangels Beweisen (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer wurde wegen massiver Geschwindigkeitsüberschreitung von 130km/h von den kantonalen Instanzen für eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung verurteilt worden. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, weil der Sachverhalt willkürlich festgestellt wurde.

E. 1. Zur Beweiswürdigung: Es geht rein um die Würdigung der Beweiskraft eines Videos. Nach den Vorinstanzen war auf dem Video eines Geschwindigkeitsmessgeräts ein Polizeiauto erkennbar und insofern den Aussagen eines Polizisten Glauben zu schenken. Nach der Meinung des Bundesgerichts hingegen sei auf dem Video kein Blaulicht zu erkennen. Der Sachverhalt wurde willkürlich festgestellt

Der Entscheid bringt nichts Neues, ist einfach der Vollständigkeit halber dabei.

Rasen wie im Game

BGE 6B_698/2017: Neues Raserurteil

Der Beschwerdeführer vollzog ganz in GTA-Manier mehrere haarsträubende Überholmanöver auf der Autobahn, bei welchen er u.a. einem vorfahrenden Fahrzeug über eine Strecke von zwei Kilometern bis auf eine Handbreite, Stossstange an Stossstange folgte. Als ihm die Geduld ausging, fuhr er leicht auf das Auto auf, um die Lenkern zum Wechseln auf den Normalstreifen zu bewegen. Ebenfalls überholt er ein anderes Auto in Rennfahrermanier rechts. Der Beschwerdeführer wehrt sich im Wesentlichen gegen die Schuldsprüche wegen Gefährdung des Lebens und qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 4.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 129 StGB: „In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Sie liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt.“ Subjektiv verlangt der Tatbestand direkter Vorsatz.

E. 4.3. Subsumtion: „Der Tatbestand von Art. 129 StGB ist bereits beim eingeräumten ungenügendem Abstand „während lediglich weniger Sekunden“ erfüllt“. Durch das Touchieren des vorfahrenden Fahrzeuges, musste er mit einem folgenschweren Unfall rechnen, vertraute aber darauf, dass dieser nicht eintritt.

E. 5.2. zu den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 90 Abs. 3 SVG: „Da bereits die erhöhte abstrakte Gefahr im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist für die Erfüllung von Art. 90 Abs. 3 SVG die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen. Die Gefahr muss mithin unmittelbar sein.“

E. 5.3. zum Rechtsüberholen: Rechtsüberholen ist im Normalfall eine grobe Verkehrsregelverletzung. „Das zu beurteilende Rechtsüberholen war hochgradig riskant und gefährlich und ist damit als waghalsig einzustufen und nicht vergleichbar mit einem „einfachen“ Rechtsvorbeifahren (erstinstanzliches Urteil S. 29). Der Schuldspruch im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist nicht zu beanstanden.“

E. 5.4./5. Zum Abstand: Der Beschwerdeführer verhielt sich wie im Actionfilm, weshalb auch das Abstandsvergehen unter Art. 90 Abs. 3 SVG zu subsumieren ist.

E. 6ff. Zur Konkurrenz zwischen Art. 129 StGB und Art. 90 Abs. 3 SVG: StGB 129 schützt das Rechtsgut „Leben“, SVG 90 III jenes der „Verkehrssicherheit“, mittelbar allerdings auch das Leben. SVG 90 III ist zwar lex specialis zu StGB 129 und ginge diesem vor, ebenso lässt sich argumentieren, dass das höchstrangige Rechtsgut Leben der Verkehrssicherheit vorgehe. Als abstraktes Gefährdungsdelikt setzt der mittelbare Lebensschutz von SVG 90 III früher ein, als jener des konkreten Gefährdungsdeliktes von StGB 129. Allerdings erfasst StGB 129 wiederum verschuldensmässig weniger schwere und schwerere Straftaten als SVG 90 III in Bezug auf das Strafmass. Ob nun der eine den anderen Tatbestand konsumiere, könne nicht abschliessend beurteilt werden. Da weder Spezialität noch Konsumtion in Frage kommt, liegt ein Fall von „Alternativität“ vor (gemäss Stratenwerth). Das BGer urteilt aber nicht abschliessend, da es nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstossen will.

Wer also seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben will, sollte dies zu Hause mit dem Spielemedium seiner Wahl machen und nicht auf öffentlichen Strassen.

Nur noch Raser auf Schweizer Strassen?

BGE 6B_1399/2016: Nicht jeder Crasher ist ein Raser (gutgeheissene Beschwerde)

Der Beschwerdeführer fuhr am 19. November 2013 gegen 7:15 Uhr auf der A8 in Richtung Interlaken. Um einen vor ihm auf der einspurigen und richtungsgetrennten Autostrasse fahrenden Personenwagen zu überholen, fuhr er auf den Rastplatz Därligen. Bei der Ausfahrt des Rastplatzes verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug und schleuderte quer über die Autostrasse. Dabei durchbrach er die Mittelleitplanke und kam auf der Gegenfahrbahn zum Stillstand, wo er mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Die obere kantonale Instanz (Obergericht BE) verurteilt den Beschwerdeführer wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung. Das BGer heisst die Beschwerde dagegen gut.

E. 1.3. zum Rasertatbestand: „Nach Art. 90 Abs. 3 SVG wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.“ „Die Vorinstanz erwägt, das Verhalten des Beschwerdeführers enthalte Elemente aller drei Regelbeispiele von Art. 90 Abs. 3 SVG.“

E. 1.3.1./2. zur Geschwindigkeit: Grds. sind die Limiten in Art. 90 Abs. 4 SVG zur Beurteilung heranzuziehen. Eine krasse Geschwindigkeitsüberschreitung kann allerdings auch vorliegen, „wenn eine knapp unterhalb der Grenzwerte liegende Geschwindigkeitsüberschreitung im Vergleich mit anderen Missachtungen der Höchstgeschwindigkeit als besonders gefährlich erscheint, etwa aufgrund besonders schwieriger Strassen- und Verkehrsverhältnisse (vgl. BGE 6B_148/2016). Die Höchstgeschwindigkeit vor Ort war sowohl auf der Autostrasse, als auch auf dem Rastplatz 80kmk/h, die der Beschwerdeführer leicht überschritt. Den Grenzwert von 140km/h erreicht er bei weitem nicht. Er erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal nicht.

E. 1.3.3. zum waghalsigen Überholen: „Damit ein Überholen waghalsig im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG ist, muss es nicht nur gewagt, sondern unsinnig sein (BUSSY/RUSCONI/JEANNERET/KUHN/MIZEL/MÜLLER, Code suisse de la circulation routière commenté, 4. Aufl. 2015, N. 5.2 zu Art. 90 SVG). Bei Überholmanövern wird typischerweise und in erster Linie der Verkehr auf der Gegenfahrbahn gefährdet. Bei der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Fahrt über den Rastplatz fehlt es – unabhängig davon, ob er das vor ihm fahrende Auto überholen wollte – an einer derartigen Gefährdung des Gegenverkehrs. Demnach liegt auch kein waghalsiges Überholen im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG vor.“

E. 1.3.4. zum Rennen: „Eine Teilnahme an einem unbewilligten Rennen setzt voraus, dass mindestens zwei Verkehrsteilnehmer ausdrücklich oder konkludent einen Geschwindigkeitswettstreit vereinbaren (GERHARD FIOLKA, Grobe oder „krasse“ Verkehrsregelverletzung? Zur Auslegung und Abgrenzung von Art. 90 Abs. 3-4 SVG, Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2013, S. 346 ff., S. 366; WOHLERS/COHEN, a.a.O., S. 12). Eine derartige Abrede zwischen dem Beschwerdeführer und dem Lenker des überholten Fahrzeugs liegt nicht vor. Von der Teilnahme an einem Rennen kann daher keine Rede sein.“

E. 1.3.6: „Ein blindes Befahren des Rastplatzes mit relativ hoher Geschwindigkeit wäre prinzipiell geeignet, den Tatbestand der in Art. 90 Abs. 3 SVG enthaltenen Generalklausel zu erfüllen.“ Dies war aber vorliegend nicht erstellt.

Dieses Urteil widerspiegelt die generelle Tendenz der Strafbehörden, Autofahrer härter anzupacken. Die Verschärfung des Geschwindigkeitsschematismus auf Autobahnen ist ein weiteres Beispiel. Nur das Bundesgericht steht (noch) für eine zurückhaltende Anwendung des Rasertatbestandes (vgl. auch BGE 6B_876/2016).

 

Von Rasern und Dashcams

BGE 6B_67/2017: Gefährdung des Lebens durch SVG-Widerhandlungen

Der Beschwerdeführer flüchtete mit qualifizierter BAK und ohne Fahrberechtigung vor der Polizei, wobei er in einem Tunnel dermassen schnell in eine Kurve fuhr, dass das Fahrzeug nur noch auf den rechten Rädern fuhr und die Dachkannte des Wagens entlang der Tunnelwand schrammte. Sämtliche Mitfahrer waren nicht angegurtet und schrien dabei panisch. Das BGer bestätigt u.a. den Schuldspruch wegen Art. 129 StGB.

E. 2.2.: „Gemäss Art. 129 StGB macht sich der Gefährdung des Lebens schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. In objektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand den Eintritt einer konkreten unmittelbaren Lebensgefahr. Eine solche liegt vor, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt (BGE 133 IV 1 E. 5.1; 121 IV 67 E. 2b/aa). Dies setzt indes nicht voraus, dass die Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Rechtsguts grösser sein muss als jene ihres Ausbleibens (BGE 121 IV 67 E. 2b/aa; 94 IV 60 E. 2). Die Gefahr muss mithin unmittelbar, nicht aber unausweichlich erscheinen (BGE 94 IV 60 E. 2).

Der subjektive Tatbestand verlangt in Bezug auf die unmittelbare Lebensgefahr direkten Vorsatz.“

E. 2.3. Subsumption: Das BGer bejaht danach die Erfüllung des Tatbestandes, u.a. weil der Beschwerdeführer ausgesagt habe, „sein Leben sei ihm durch den Kopf gegangen, als er auf den beiden Rädern gestanden sei.“

Ein Raserentscheid ohne Rasertatbestand…

 

KGE SZ vom 20.06.2017: Unverwertbarkeit von privaten Dashcam-Aufnahmen

Private Dashcam-Aufnahmen sind nicht verwertbar, weil der Datenschutz, auch bei groben Verkehrsregelverletzungen, höher zu gewichten ist, als das Strafverfolgungsbedürfnis des Staates.

E. 3. zur Beweiserhebung durch Private: „Das Bundesgericht hält es für überzeugend, von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur dann als verwertbar zu betrachten, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für die Verwertung spricht (BGer 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E.2.4.4).“ Es besteht zwar kein staatliches Beweismonopol, trotzdem sind private Beweise nur äusserst zurückhaltend zu verwerten.

E. 3 b) zum Datenschutz: „Wird ein aufgezeichnetes Kennzeichen durch Vergrösserung zur Identifikation des Fahrzeughalters ablesbar gemacht, wird die informationelle Integrität des den Wagen lenkenden Halters beeinträchtigt und damit seine Persönlichkeit verletzt (dazu vgl. etwa Aebi-Müller, CHK 3, ZGB 28 N 3; Wermelinger, DSG SHK, 2015, Art. 12 DSG N 2;auch BGE 138 II 146 E. 10.2 und 10.6.2).“

E. 3 b) cc) zur Interessensabwägung Strafverfolgung vs. Datenschutz: “ Allein aufgrund der Anzeige des Fahrlehrers hätte ohne die rechtswidrig beschafften bzw. bearbeiteten Aufzeichnungen kein Strafverfahren gegen einen identifizierbaren Täter eröffnet werden können. Da der Fahrlehrer zur Datenbeschaffung keine privaten Interessen hatte (oben lit. bb) und die Verkehrsregelverletzungen, obwohl sie mutmasslich grob waren, keine schwerwiegenden Straftaten sind (vgl. unten E. 4.b), ist die Verwertung der für die Polizei nicht erhältlichen (oben lit. aa) Aufzeichnungen nicht gerechtfertigt. Ansonsten würde in Kauf genommen, dass Private den verfassungsmässigen Schutz vor Datenmissbrauch aushebeln (Art. 13 Abs. 2 und Art. 35 Abs. 3 BV). Zudem würden im Vorfeld des staatlichen Strafmonopols für Personen falsche Anreize zur privaten Beweiserhebung geschaffen, ohne dass sie einem entsprechenden Verfahren an diesen Beweisen je selber ein Interesse haben könnten. Die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine justizförmige Strafverfolgung (siehe ebenfalls Art. 2 StPO) und die Interessen des in seiner Privatheit bzw. Freiheit rechtlich geschützten Beschuldigten an einem fairen Verfahren überwiegen bei nicht schweren Straftaten diejenigen der Strafverfolgung an der Wahrheitsfindung (dazu vgl. auch Gless, a.a.O., Art. 139 StPO N15 f. und 28) und der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.“

Ein wichtiges Urteil, welches die Bürger davor schützt, dass einerseits „Hobbydetektive“ aus Langeweile Jagd auf andere machen und andererseits die Strafbehörden in Umgehung der strafprozessualen Voraussetzungen an Beweise gelangen können.

 

Vereitelung, Geschwindigkeitsschematismus, der Drifter als Raser?

BGE 6B_1323/2016: Vereitelung – Nach Unfall darf man nicht trinken (Bestätigung Rechtsprechung)

Der Titel sagt es bereits, nach einem Unfall mit Sachschaden darf man einfach nichts mehr Trinken, ansonsten man wegen Vereitelung drankommt.

E. 1.2: „Die Unterlassung der sofortigen Meldung eines Unfalls an die Polizei erfüllt den objektiven Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe, wenn (1) der Fahrzeuglenker gemäss Art. 51 SVG zur sofortigen Meldung verpflichtet ist, (2) die Meldepflicht der Abklärung des Unfalls und damit allenfalls auch der Ermittlung des Zustands des Fahrzeuglenkers dient (Zweckzusammenhang), (3) die Benachrichtigung der Polizei möglich war und wenn (4) bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet hätte (BGE 142 IV 324 E. 1.1.1; 126 IV 53 E. 2a; 125 IV 283 E. 3). Während die Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe nach der bisherigen Rechtsprechung von den konkreten Umständen des Falles (Art, Schwere und Hergang des Unfalls, Zustand sowie Verhalten des Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall) abhängig gemacht wurde (BGE 131 IV 36 E. 2.2.1; 126 IV 53 E. 2a), muss nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich bereits mit der Anordnung einer Alkoholkontrolle gerechnet werden, wenn ein Fahrzeugführer in einen Unfall verwickelt ist (BGE 142 IV 324 E. 1.1.2 f.).“

 

BGE 6B_444/2016: Schematismus bei GÜ (Verschärfung)

Der Beschwerdeführer fuhr auf der Autobahn N1 in einem mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80km/h signalisierten Baustellenbereich mit 119km/h, nach Toleranzabzug 33km/h zuviel. Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung gemäss SVG 90 II der kantonalen Instanzen.

E. 1.1: Zunächst folgen Ausführungen zum bereits etablierten Schematismus:

„Dans le domaine des excès de vitesse, la jurisprudence a été amenée à fixer des règles précises afin d’assurer l’égalité de traitement. Ainsi, le cas est objectivement grave au sens de l’art. 90 al. 2 LCR, sans égard aux circonstances concrètes, en cas de dépassement de la vitesse autorisée de 25 km/h ou plus à l’intérieur des localités, de 30 km/h ou plus hors des localités et sur les semi-autoroutes dont les chaussées, dans les deux directions, ne sont pas séparées et de 35 km/h ou plus sur les autoroutes.“

E. 1.3: Danach stellt es aber fest, dass die GÜ in einem Baustellenbereich begangen wurde, wo nicht die normale Höchstgeschwindigkeit von 120km/h, sondern 80km/h galt. Die „magische Grenze“ von 35km/h zuviel für die grobe Verkehrsregelverletzung gelte aber nur für den Normalbereich von 120km/h. Wenn auf der Autobahn 80km/h als Höchstgeschwindigkeit gelte, so sei dies eher mit einer Ausserortsstrecke vergleichbar, insb. wenn die Limite wegen einer Baustelle gilt. Insofern gelte dann die „magische Grenze“ für Ausserortsstrecken von 30km/h auch für die Autobahn für die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung.

„Dans certaines situations, un tronçon autoroutier régi par une limite de vitesse inférieure à 120 km/h, plus particulièrement en cas de limitation à 80 km/h, est comparable, eu égard au danger potentiel, à une route située en dehors d’une localité et non à une autoroute. Cela signifie qu’en matière d’excès de vitesse, ce sont les principes développés par la jurisprudence pour les routes situées en dehors des localités qui doivent, en règle générale, être appliqués (cf. ATF 128 II 131 consid. 2b). En l’espèce, le tronçon autoroutier était limité à une vitesse maximale de 80 km/h en raison de travaux. Des ouvriers travaillaient derrière un grillage apposé sur une bande herbeuse. La bande d’arrêt d’urgence était fermée afin de permettre aux ouvriers de travailler et de décharger leur matériel. Les usagers disposaient de deux voies dans le sens de la marche (arrêt attaqué, p. 3 let. f). La présence d’un chantier et d’ouvriers impliquait un danger particulier. Dans une telle configuration, il convient de considérer que le tronçon, quand bien même les usagers disposaient de deux voies dans le même sens de marche, s’apparente à une route hors localité. Le dépassement de vitesse litigieux de 33 km/h est supérieur à 30 km/h qui constitue le seuil pour le cas grave hors localité et peut par conséquent être objectivement qualifié de grave.“

 

BGE 6B_876/2016: Wer driftet, ist kein Raser

Der Beschwerdegegner beschleunigte seinen 580 PS starken Audi RS6 in Zürich an einer Ampelanlage in massiver Weise, um nach rechts in die anschliessende Strasse zu driften. Dabei verlor er die Herrschaft über seinen Boliden und wurde dabei schwer verletzt, sein Beifahrer leicht. Die obere kantonale Instanz (ZH) verurteilte den Lenker gemäss SVG 90 II. Die Oberstaatsanwaltschaft führt Beschwerde mit dem Begehren, den Beschwerdegegner als Raser gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG – Vorsatz erforderlich – zu verurteilen. Das BGer weist die Beschwerde ab.

E. 3 – Abgrenzung (Eventual)Vorsatz von bewusster Fahrlässigkeit

E. 4 – Subsumption: „[Die Beschwerdeführerin] verkennt, dass gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung insbesondere bei Unfällen im Strassenverkehr nicht ohne Weiteres aus der (hohen) Wahrscheinlichkeit des Eintritts des tatbestandsmässigen Erfolgs auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden kann. Ein Fahrzeuglenker droht – wie vorliegend auch – durch sein gewagtes Fahrverhalten meistens selbst zum Opfer zu werden. Erfahrungsgemäss neigen Fahrzeuglenker dazu, einerseits Gefahren zu unterschätzen und andererseits ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, weshalb ihnen häufig das Ausmass des Risikos der Tatbestandsverwirklichung nicht bewusst ist. Einen unbewussten Eventualdolus aber gibt es nicht (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.4 S. 20; Urteil 6B_411/2012 vom 8. April 2013 E. 1.3; je Hinweisen).

Dass der Beschwerdegegner sich im physikalischen Grenzbereich befand, wie die Beschwerdeführerin mehrfach betont, ist dem „Driften“ immanent und spricht nicht gegen die vorinstanzliche Annahme, der Beschwerdeführer habe in Selbstüberschätzung und Verkennung der aus seinem Fahrmanöver resultierenden Gefahren im Sinne bewusster (und grober) Fahrlässigkeit darauf vertraut, sein Fahrzeug kontrolliert durch die Kurve zu manövrieren.“

Pflichten beim Losfahren aus Parkplatz, Raserurteil

BGE 6B_633/2016: Der Rosenkrieg – Pflichten beim Losfahren aus Parklücke

Die getrennten Ehegatten X und A treffen sich vor Bundesgericht. Als er aus einem Parkplatz losfährt, fällt sie neben dem Auto hin und verletzt sich. Die Schilderungen über den Unfallhergang widersprechen sich. Das BGer bestätigt die Feststellungen der Vorinstanz bzgl. Art. 26 SVG beim Losfahren aus einer Parklücke in E.4.3:

Dem Beschwerdegegner „…könne kein Vorwurf gemacht werden, dass er seine Aufmerksamkeit ab dem Zeitpunkt, als er aus dem Parkplatz habe fahren wollen, auf den Verkehr auf der Strasse gerichtet habe.“ „Das Wegfahren eines am Strassenrand parkierten Wagens stelle für eine sich auf dem Trottoir und auf der Höhe der Fahrertür aufhaltende Person grundsätzlich keine Gefahr dar, da sich das Auto beim Wegfahren von dieser wegbewege. Der Beschwerdegegner 1 habe sich aufgrund des Vertrauensgrundsatzes gemäss Art. 26 SVG darauf verlassen dürfen, dass auf dem Trottoir stehende Personen sich nicht plötzlich in den Gefahrenbereich des losfahrenden Fahrzeugs begeben würden. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass sich die Beschwerdeführerin an der Tür des wegfahrenden Autos festhalten würde.“

Fazit: Fährt man aus einer Parklücke los, muss man nicht damit rechnen, dass plötzlich jemand vors Auto tritt. Hält man sich gar am Auto fest, ist die Gefährdungshaftung gemäss Art. 59 SVG ausgeschlossen.

 

BGE 6B_136/2016: Neues Raserurteil

Der Beschwerdeführer wendete unter Alkoholeinfluss von 1.91% und dem Neuroleptikum Quetiapin bei durch Nebel auf 50m eingeschränkter Sicht auf der Autobahn in Freiburg sein Fahrzeug und fuhr 550m als Geisterfahrer, bevor sein Auto den Geist aufgab. Ebenfalls ist er wiederholt unter Alkoholeinfluss negativ aufgefallen. Er bestreitet u.a. die Verurteilung als Raser nach Art. 90 Abs. 3 SVG. Das BGer zur qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung:

„D’autres cas peuvent également entrer en ligne de compte, comme par exemple rouler à contre-sens sur l’autoroute, pour autant que les circonstances, notamment lorsqu’elles sont cumulées avec d’autres violations, les fassent apparaître comme atteignant le degré de gravité extrême requis par la norme. La présence d’alcool et/ou d’autres substances incapacitantes, conjuguée à d’autres infractions pourra également jouer un rôle aggravant permettant de retenir la réalisation de l’infraction.“

Das Bundesgericht stellt zunächst in E. 2.1 fest, dass die Aufzählung der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzungen nicht abschliessend ist. Eine Geisterfahrt gilt ebenfalls als qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung, insb. wenn sie durch weitere Delikte, wie FiaZ und FuD, verschlimmert wird. Trotz heftiger Intoxikation bestätigt das Bundesgericht die Auffassung der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer urteilsfähig und (eventual)vorsätzlich gehandelt hat.